Interessanter Thread mit schönen Beiträgen. Ich trainiere und unterrichte Ju-Jutsu und zwar das, was allgemein unter deutschem Ju-Jutsu bekannt ist. Meine Sichtweise ist recht pragmatisch. Geschichtliche Hintergründe gibt es aus Sicht der Budokünste sicherlich, aber das nimmt gerade bei Anfängern eigentlich kaum Platz ein.
Zunächst einmal gibt es unter Einsteigern eine gemeinsame Motivation: sie suchen Spaß, sportliche Betätigung und wollen Kämpfen lernen. Es gibt die aufgedrehten, meist jungen Leute, die tatsächlich oft vom Fernsehen inspiriert werden, es gibt Menschen mit negativer Gewalterfahrung, die sich verteidigen wollen und es gibt natürlich auch Personen, die aus anderen Stilen gewechselt haben. Das alles ist sehr interessant, aber ich habe noch niemanden erlebt, der von Anfang an auf Wissen über die Historie aus war. Den meisten ist es anfangs eigentlich egal, ob sie jetzt Ju-Jutsu oder Aikido oder Karate lernen, sie sind einfach nur der Internetseite oder Empfehlungen gefolgt.
Als Lehrer muss man all diese Dinge auf einen Nenner bringen. Das geht bei uns über die Atmosphäre, man ist tatsächlich gerade anfangs auch ein Entertainer. Die Leute wollen Spaß vermittelt bekommen, Spaß haben und ganz wichtig: sie wollen auch erste Erfolge "erfahren" (Resultate, aber auch Feedback).
Unsere Aufgabe ist immer, in einem gewissen Rahmen auf Hintergründe einzugehen. In aller Regel sind das technische Erläuterungen. Man muss Anwendungsbereiche verstehen lernen, sonst ist das Training sehr schnell Zeitverschwendung, oder besser: wenn man die Prinzipien einer Anwendung versteht, beginnt erst das eigentliche Training. Das geht mal schneller (Bewegungslehre. Distanz, Deckungsverhalten), mal langsamer (Technikabfolgen, Sparring, Würfe, Fallschule).
Ich selber lege tatsächlich relativ schnell Wert darauf, eine Beziehung zu meinen "Schülern" aufzubauen. Techniken lernt man, indem man sie gemeinsam erarbeitet. Natürlich zeige und erläutere ich Dinge, im Gros und unter ständigen Partnerwechseln erarbeiten sich die Schüler dann aber ihr Verständnis und meine Aufgabe ist es, Hilfestellungen zu geben, wenn es hakt. Ich erwarte außerdem sehr frühzeitig, dass die Leute Fragen stellen. Wir geben uns große Mühe, aber es ist nicht immer möglich, auf jede Person ausführlich einzugehen, daher zählt es für mich zur Aufgabe und vielleicht auch Pflicht eines Schülers, Dinge anzusprechen oder nachzufragen, die jemanden interessieren oder wo es Verständnis-/Umsetzungsprobleme gibt.
Ich versuche also sehr schnell, ein Wir-Gefühl aufzubauen, Dialoge (in angemessenem Rahmen) zu fördern. Das führt auch zu dem ehrlichen Nebeneffekt, dass Diejenigen, die vielleicht mit einer falschen Vorstellung das Training angegangen haben, die Chance haben, frühzeitig einen anderen Weg zu suchen. Finde ich alles sehr wichtig.
Ansonsten: Trainer und Schüler gehen einen gemeinsamen Entwicklungsweg (beide Seiten!) und das ist ein sehr schöner Prozess, keine Frage. Ich biete vieles, es ist aber die Aufgabe des Schülers, Dinge anzunehmen und für sich selbst anzuwenden (eben eigenständiges Lernen). Schüler, die über die Jahre regelmäßig trainieren, lernen und fordern es, über den Tellerrand zu schauen: wo kommt unser Stil her, was war die Intention, wo führt die Reise hin oder wo kann sie hinführen? Das folgt oft dem sportlichen Weg über Lehrgänge, Seminare, separate Trainingseinheiten, aber durchaus auch ab und zu über längere Gespräche.
Zitat von
kanken
Du musst zum Freund des Lehrers werden.
Freunde haben die gleichen Interessen, tauschen sich über diese Dinge aus, stehen zueinander, helfen einander.
Es ist zumindest ein sehr harmonisches Miteinander, das sich entwickelt. Wobei sich unser Teilnehmerfeld unterschiedlich gestaltet, es gibt diejenigen, die (aufgrund von Familie oder anderen Gründen) unregelmäßig ein Mal wöchentlich trainieren und dann auch wirklich abschalten und trainieren wollen, als reiner Ausgleich. Das ist vollkommen ok.
Natürlich sind für mich diejenigen, bei denen ich die Begeisterung, die Motivation, alles aufnehmen und verstehen zu wollen, spüre die, mit denen ich persönlich in der Regel eine intensivere "Beziehung" eingehe. Meist sind es dann eben die Unterhaltungen abseits der Matte, auf denen Hintergründe, Philosophien, aber auch persönliche Einstellungen thematisiert werden. So etwas entwickelt sich, ich fordere es nicht.
Ich finde es immer wichtig, dass man sich gegenseitig Respekt entgegenbringt. Natürlich nimmt man als Trainer auch eine Vorbildfunktion ein, aber irgendwann kommt auch der Punkt, ab dem der Schüler vielleicht einmal selbst unterrichtet, ab dem man sich mehr und mehr auf einer Höhe bewegt. Mein Wunsch ist immer, dass meine Schüler irgendwann besser sind, als ich selber. Und vielleicht trotzdem noch zu meinem Training kommen, einfach, weil man sich schätzt.
Vielleicht ist das einmal eine etwas andere Sichtweise. Hintergrundwissen -egal in welcher Richtung- ist für mich eine Begleiterscheinung. Ich kenne kaum jemanden, der jahrelang bei uns trainiert und nicht auch die eine oder andere Fachliteratur in seinem Regal hat. Das führt dann natürlich vom deutschen Ju-Jutsu weg und hat grundsätzlich wenig Einfluss auf unser Training. Aber mich freut es immer sehr, wenn die Schüler irgendwann ihre eigenen Wege gehen.
It 's not who I'm underneath but what I do that defines me. Bruce Wayne
Dabei würdest Du sogar beim Schattenboxen verlieren. Kannix