Durch Bewusstsein/Wahrnehmung zu lernen seinen Körper motorisch so zu (re-)organisieren, dass er immer effizienter und optimaler arbeitet. D.h., ich muss erst wahrnehmen lernen wie mein Körper von Natur aus eigentlich strukturiert und organisiert ist. Das Grundlagentraining besteht eben genau darin das eigene, dem Körper aufgezwungene Tun immer mehr zu reduzieren und die von Natur aus angelegte Organisation des Körpers zu fördern. Das kann man als wuwei Konzept im Training verstehen wenn man so will.
Die konkrete Methode im Yiquan ist das Stehen. Das Stehen ist ja nicht einfach nur ein Stehen in einer bestimmten Haltung und dann nichts zu tun (buwei), sondern es eben gerade eine Methode des Tuns. Nicht dem Körper etwas aufzuzwingen, sondern wieder neu zu lernen sich in die für ihn vorgesehene Ordnung einzufügen, wuwei also.
Geändert von gast (30-06-2020 um 09:43 Uhr)
Eine der wichtigen Passagen ist auf Seite 111. Das Prinzip von You Wei und Wu Wei muss in allen Dingen gewahrt werden. Eben auch im Menschen (der ja zu den Dingen zählt).
Das “Schaffe Leere bis zum äußersten”, “Ich schaue zu wie sie sich wandeln”, “Rückkehr zur Wurzel” etc. sind ja alles Dinge die sich auf die intrapersonelle Ebene beziehen. Da hat Julian es ja perfekt zusammengefasst:
Diese intrapersonelle Landschaft, die sich in den diversen daoistischen Schulen ausbreitet, ist da extrem wichtig. Das “Ich” wird im Daoismus sehr schön aufgeteilt und in den Kontext der Natur der Dinge gestellt. Begriffe wider “Yi”, “Shen” “Xing”, aber auch “Qi”, “Ming“, “Jing” gehören da essentiell zu.
Ich empfehle dazu die Arbeit von Darga.
Gerade dieses “Schaffen der Leere” ist ja eines der wichtigsten Aspekte des körperlichen Übens des “Yiquan”, wie ich es lerne und wird durch die Zusammenarbeit von Yi und Shen erreicht.
Wollte mich nur kurz, bei allen, für den interessanten Faden bedanken.
Liebe Grüße
DatOlli
Wenn man Wu Wei für die Kampfkunst einsetzt, und es bei der Kampfkunst darum geht, einen anderen zu schlagen und möglichst nicht selbst dabei geschlagen zu werden, dann wird das Wu Wei sehr wohl sehr egoistisch eingesetzt.
Wo kommt dieses "altruistisch" her? Mir scheint das ein christlicher Gedanke zu sein, der im alten chinesischen Denken so gar nicht vorkommt.
Wenn z.B. Herkules einen Fluß umleitet, um einen Stall auszumisten und dadurch eine seiner Aufgaben zu erfüllen, dann macht er sich den natürlichen Gang der Natur durch leichte Abwandlung (vgl. Aikido) zu eigenen Zwecken zu Nutze.
Herkules war nun kein Chinese, aber ich denke - immer noch, so ist das gemeint mit dem "Nicht-Handeln". Er macht den Stall halt nicht selbst sauber, sondern läßt die Natur / den natürlichen Lauf der Dinge - in diesem Fall den Fluß - die Arbeit für ihn erledigen.
Solche Gedanken sind ja auch in unserer Tradition nicht unbekannt. Schon die alten Griechen ...
Doch, hat es. Bauer, "Geschichte der chin. Philosophie" schreibt irgendwo auch, der Daoismus habe einen gewissen Ruf, "fies" zu sein, gerade weil seine Vertreter sich darauf verstehen, den Gang der Natur zu ihrem Vorteil zu nutzen. Denk' z.B. an Sun Tzu.
Man darf den (alten) Chinesen keine christlichen Gedanken unterschieben. Allgemeine Nächstenliebe gab es dort nur bei Mo Di, und die hat sich dort nicht durchgesetzt. Der Rest handelte egoistisch - für sich, und für die Familie. Dann vielleicht noch für den Kaiser und also den Staat. Aber bestimmt nicht für einen Fremden.
Julian Braun hatte oben das Institut genannt:
https://ksa.univie.ac.at/
Nach dieser Selbstbeschreibung scheint mir, dieses "Institut" ist derart politisch-ideologisch aufgeladen, daß man nicht erwarten kann, daß da noch objektiv-wissenschaftlich gearbeitet wird.Heute stehen vielfach die mit Kolonialismus, Globalisierung und den weltweiten Migrationsströmen der Gegenwart verbundenen Prozesse, wie etwa die Redefinition von Identitäten und kulturellen Abgrenzungen, im Mittelpunkt der Forschung. ... Über die wissenschaftliche Forschung hinaus ist die praktische Anwendung kultur- und sozialanthropologischer Kompetenzen in vielen Bereichen, wie etwa Flüchtlingsarbeit und Integration, ...
Geändert von Eistee (01-07-2020 um 18:27 Uhr)
Gibt es irgendwelche mit Wuwei vergleichbare Konzepte aus anderen Kulturkreisen bzw. dem Westen?
Wenn es hier eine sinnvolle Diskussion geben soll, würde ich ganz gerne Kontext bezogen und konkret diskutieren.
Der Begriff 'wuwei' hat seinen für uns faßbaren Ursprung im Daodejing. Also sollten wir vielleicht erst mal im Kontext vom Daodejing bleiben und klar bekommen was 'wuwei' dort meint.
Wuwei hat im Daodejing den Kontext von Ziran und Himmel und steht im Kontrast zu youwei. Das sind die Vorbilder. Wie schon gesagt heißt es wörtlich "ohne tun". Der Mensch in seiner Psyche ist natürlich etwas problematischer als Himmel und Erde und hat eben ständig die Tendenz das zu tun was ihm und seiner Umwelt nicht gut tut. Das muss man im Kontext mitdenken. Also heißt wuwei "(tun) ohne (egoistisches) tun.
Jetzt können wir natürlich alle möglichen anderen Spezialfelder und Menschen mit heranzuziehen die irgendwie etwas mit Daoismus oder dem Daodejing zu tun haben oder sich darauf berufen und mal schauen was die so sagen und wie das im Verhältnis zum wuwei des Daodejing steht.
Mit dem Daodejing haben wir dann einen klares Diskussionszentrum und gleiten nicht ständig in uferlose Argumente und Hypothesen ab.
Was die Kampfkunst angeht hatte ich ja schon gesagt. Trainingsdidaktisch bin ich der Meinung kann man sehr wohl eine 'wuwei' Methodik in sein Training integrieren. Was den Kampf angeht sehe ich das eher kritisch, da man eben in der Regel versucht den anderen irgendwie zu brechen, sei es im Wettkampf oder auf Leben und Tod. Der "stärkere" gewinnt. Ausser ich kämpfe nicht und überlebe alle Kämpfer. Dann habe ich sie letztendlich auch besiegt ;-)
Wie du jetzt auf den Altruismusgedanken gekommen bist ist mir noch ein Rätsel?? Kann da jetzt spontan keine Verbindung zu 'wuwei' herstellen wen du das meinst?
Ich denke in der ganzen chinesischen Geschichte muss man wieder aufpassen zu differenzieren zwischen den Klassikern an sich und dem wie sie sich die Herrscher politisch zunutze gemacht haben und wie die Gesellschaft dadurch in jeder Dynastie mehr oder weniger vergewaltigt wurde. Wenn du unter Altruismus verstehst uneigennützig anderen Gutes zu tun, würde ich schon sagen, dass es zumindest im Lunyu und bei Mengzi ein Thema ist. Zumindest bei Mengzi fällt mir da gleich die berühmte Geschichte mit dem Kind das in den Brunnen fällt ein. Mengzi argumentiert, dass es aus einem inhärenten Mitgefühl gutes zu tun gerettet wird und nicht wegen opportunistischer Motive oder einfach nur weil das Schreien nervt....
Im Lunyu kreist vieles um den Gedanken von 'ren' (仁), Mitgefühl, d.h. um das Verhältnis zweier Menschen zueinander. Oder der Satz: "Was man selber nicht will soll man auch keinem anderen zufügen."
Auch wenn das alte chinesische Denken nicht christlich ist im Sinne der christlichen Dogmatik, oder wie es die Jesuiten versucht haben dort zu finden, so gibt es schon Vergleiche die man ziehen kann. Das Christentums ist ja auch nicht vom Himmel gefallen sondern hat sich durch das Denken und die Sprache der 'Heiden' ausgedrückt und so langsam zu einer eigenen Sprache gefunden. Es ist sogar Programm des Christentums die 'Heiden' zu integrieren. Dass da Ideal und Realität historisch wieder weit auseinander klaffen und viel böses Blut geflossen ist, ist ein anderes Thema. Aber es ist eine Tatsache, dass das Christentum nicht einfach Tabula Rasa mit allen Kulturen gemacht hat und etwas komplett Neues gebracht hat, sondern ganz viel altes integriert hat und in eigener Erfahrung neu gedeutet hat. Dazu kann man einen Blick in "Assmann: Moses der Agypter" werfen; oder "Adolf Weiß: Madonna Platytera"; oder die Ursprünge des Vater unser.....
Taijiquan gibt es mit viel Wohlwollen seit dem 17. Jahrhundert, das Daodejing wenn ich dem Internet trauen darf seit mindestens dem 4. Jahrhundert VOR Christus. Da ist eher kein "Kampfkunstbezug" gemeint.
"Man kann Leuten nicht verbieten, ein ***** zu sein." (Descartes)
Kann man sagen Wuwei meint so etwas wie die Abwesenheit von Künstlichkeit?
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Ich nehme mal an, dass Eistee Altruismus als Komplement zu Egoismus versteht.
D.h. wenn Du schreibst (worauf er sich ja bezog), dass wuwei kein egoistisches tun ist, wäre es - in diesem Verständnis - altruistisch:
auch Julian Braun schrieb ja:
Wenn man allerdings Altruismus nicht als Komplement zum Egoismus (alles was nicht egoistisch ist, ist altruistisch) auffasst, sondern als Gegensatz (das egoistische Handeln bevorzugt die eigene Person, das altruistische alle anderen Personen), kann es noch eine dritte Postion geben.
Diese wird ja auch durch das mosaische Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ ausgedrückt:
Weder soll man sich selbst mehr lieben, als die anderen, noch soll man sich selbst weniger lieben als die anderen, sondern sich selbst und die anderen gleichermaßen.
Zum Gewinnenwollen passt es dennoch nicht, denn das bevorzugt ja die eigene Person...
In einem sportlichen Wettkampf könnte man noch sagen: "Ich bevorzuge Gegner, keine Opfer" und strengt sich dann vielleicht seinerseits ordentlich an um dem anderen ein würdiger Gegner zu sein.
Wenn es nicht um den Kampf an sich geht, sondern der Mittel zum Zweck ist, sieht die Sache wieder anders aus.
...wurde einer Jungfrau in den Schoß gelegt.
Ja, die Aufgabe des eigenen Wollens und die Hingabe an Gott.
Der Islam trägt das sogar im Namen:
Das arabische Wort Islām (islām / إسلام) ist ein Verbalsubstantiv zu dem arabischen Verb aslama („sich ergeben, sich hingeben“). Es bedeutet wörtlich das „Sich-Ergeben“ (in den Willen Gottes), „Sich-Unterwerfen“ (unter Gott), „Sich-Hingeben“ (an Gott), oft einfach mit Ergebung, Hingabe und Unterwerfung wiedergegeben
Die Christen sollen laut Jesus beten "Dein Wille geschehe"
und in Sprüche 16 finden wir:
Befiehl dem HERRN deine Werke, so wird dein Vorhaben gelingen.
Im Buddhismus strebt man auch danach, das egoistische Wollen zu überwinden.
Allerdings ist es leichter, den eigenen Willen mit dem Gottes zu verwechseln, oder zu meinen, man würde nach dem Himmel, Dao, aus der Leere heraus... handeln, als es wirklich zu tun.
Und dann gibt es natürlich Leute, die behaupten, die Vertreter Gottes zu sein, und man solle sich daher ihnen und ihrem Willen (der angeblich der Wille Gottes sei) unterwerfen.
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