Michel Ruge mit einem interessanten Artikel über das Wesen von Kampfsport-, Kampfkunst- und SV-Läden. Ich finde da ziemlich Vieles wieder, was auf gewisse Verbände paßt. Lest mal rein...

Wenn ich schon in der ersten Stunde darauf aufmerksam gemacht werde, dass ich mit dem Lehrstoff auch eine berufliche Perspektive erhalte, sprich, mir die Option angeboten wird, in ferner Zukunft selbst Lehrer des Kampfsystems zu werden, weiß ich sofort: Hier bin ich vermutlich auf einen großen Verband nach Strukturvertriebsmodell gestoßen. Hier geht es nicht darum, den Schülern möglichst schnell eine effiziente Selbstverteidigung zu zeigen, sondern genau um das Gegenteil. Die Schüler werden über Jahre gebunden, können sich mit teuren Prüfungsgebühren ihren Rang in einer auf Kommerz getrimmten Hierarchie erarbeiten, was meist mit unglaublich langen Wartezeiten zwischen den einzelnen Stufen verbunden ist, denn mit jedem Monatsbeitrag macht die Schule schließlich Gewinn. Von solchen Schulen kann ich nur abraten. Sie sind ein Durchlauferhitzer für Schüler, die am Ende viel Geld losgeworden sind und doch nie gelernt haben, sich zu verteidigen, weil das Hauptaugenmerk der Schule immer die Gewinnmaximierung war.
Das ist erwähnenswert, weil es besonders im Kampfkunstbereich einen fast schon irren Personenkult gibt. Es ist keine Seltenheit, dass man gezwungen wird, sich vor verstorbenen Meistern zu verbeugen und sie zu begrüßen. Hier wird einem eine Haltung abverlangt, die der Anbetung eines Gurus in einer Sekte nahekommt. Ob man das möchte, muss natürlich jeder für sich entscheiden, mit Selbstverteidigung hat das allerdings nichts zu tun. Mein Tipp: Was auf den ersten Blick sehr professionell wirken kann, wie eine große Anzahl von Schulen, eine auffallend strenge Hierarchie und eine ausgeprägte Corporate Identity, kann Hinweis auf einen Massenbetrieb auf kommerzieller Basis sein. Ich schaue mir deshalb vor allem immer erst einmal das Miteinander unter den Schülern an und kann aus meiner Erfahrung heraus Schulen empfehlen, in denen eine angstfreie Stimmung herrscht, in der gelacht werden darf – am besten möglichst viel. In einer solchen Atmosphäre und ohne das Gehabe vorauseilender Demut vor der Obrigkeit lernt es sich viel besser. Alles andere führt am Ziel vorbei, denn der Lehrer soll dem Schüler ja zu mehr Selbstvertrauen verhelfen. Kadavergehorsam führt jedoch zum Gegenteil.
Andere Lehrer wiederum missbrauchen ihre Schüler als lebendige Fitnessgeräte und sind mehr am Erhalt ihrer eigenen körperlichen Konstitution interessiert als am Wachstum ihrer Schüler. Von solchen Lehrern kann ich nur abraten. Sie halten ihre Schüler klein und kämpfen gegen ihre eigenen Dämonen wie das Alter an. Sie dulden keine Götter neben sich, was sie ihre Schüler spüren lassen. Dann sieht man, wie ein Schüler nach Absprache langsam angreift und nach einem Schlag oder Tritt in der Bewegung einfriert. In dem Moment fängt der Lehrer an, den Schüler mit harten Schlägen einzudecken oder kickt ihn mit aller Kraft in den Bauch, denn das Ganze soll ja realistisch aussehen. Diese Übung ist weder sinnvoll, noch ist das Verhältnis zwischen Schüler und Lehrer gesund. Die Schüler glauben oft, dass das so sein muss und dass sie durch das Einstecken härter werden. Die Wahrheit ist: Schülern wird so eine Opferhaltung antrainiert.
3. Vorsicht vor Schulen, die an Strukturvertrieb erinnern. Anzeichen dafür können langfristige Verträge sein, notwendige Zwischenprüfungen, etliche Schülergrade mit extrem langen Zeitspannen zwischen den Graduierungen, für die Extragebühren anfallen, und eine unnötig strenge Hierarchie.

4. In einer angstfreien Umgebung lässt sich wirklich viel schneller lernen. Beobachten Sie daher bei einem Besuch oder in der Probestunde das Miteinander unter den Schülern und den Umgang zwischen Schülern und Lehrer. Die Atmosphäre sollte respektvoll, aber entspannt sein.

5. Übertriebener Personenkult geht oft mit Lehrern einher, die ihren Schülern in einem unangebrachten Maße Demut und Respekt abverlangen. Man erkennt sie außerdem daran, dass sie stets ihre Überlegenheit demonstrieren und ihre Schüler unnötig hart anpacken. Ein guter Lehrer strebt danach, seine Schüler wachsen zu sehen, und baut sie auf, anstatt sie zu demoralisieren.

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