Nachdem sich einige Leute geäußert haben, ohne irgendwie konkret auf die Aussagen einzugehen (war natürlich auch nicht gefragt), mache ich das mal:
Jürgen Zurheide: Bevor wir jetzt reden und auch durchaus kritisch reden wollen, will ich eine Vorbemerkung machen, die ist mir allerdings auch wichtig: Sie sind kein Corona-Leugner oder keiner derjenigen, die da auf die Straße gehen und sagen, das ist alles Unsinn, oder?
Gerd Antes: Nein, im Gegenteil, ich nehme es sehr ernst, und die Lage ist auch tatsächlich sehr ernst.
https://www.deutschlandfunk.de/coron...icle_id=487522
Damit distanziert er sich IMO offensichtlich deutlich von Leuten, die meinen, es ging eigentlich um irgendwas anderes, die Kennzahlen würden ohnehin und auch ohne Verschärfung nachhaltig zurück gehen, oder immer noch Vergleiche mit saisonaler Influenza anstellen...
Dann ist der Nahverkehr und der Fernverkehr weiterhin eins der ganz großen Fragezeichen, was da eigentlich passiert, und ich glaube, das ist einer der großen Treiber, obwohl er nicht so genannt wird.
[...]
Ja, das ist sogar grob fahrlässig und falsch. Es gibt eine Studie, aber die erstens gemacht worden Ende Juni, also die erste Datenerfassung, zu Zeiten, wo die Züge mit unter 50 Prozent Belegung rumfuhren und teilweise fast leer – das habe ich selbst öfter erfahren. Zweitens hat die Studie eindeutig das Ziel gehabt, die Belastung des Zugpersonals zu untersuchen, und das zu übertragen auf die Fahrgäste, ist auch jetzt – da muss man kein sehr qualifizierter Wissenschaftler sein, um das festzustellen –, die ist auch völlig unangemessen.
[...]
Da gibt es jetzt wissenschaftlich formuliert den schönen Satz, wir sind gerade gegenwärtig in einer riesigen Beobachtungsstudie, wir experimentieren praktisch mit der Situation und mit uns selbst rum. Um ein Beispiel zu nennen: Jetzt könnte ich zum Beispiel mir eine Stadt raussuchen, wo die Nahverkehrsfahrer oder -fahrerinnen vorne mit einer Plastikplane abgetrennt sind und die Türen vorne zu sind, und dann schaue ich woanders hin, wo das nicht gemacht wird, und guck mal, ob da die Infektionsraten deutlich unterschiedlich sind, als ein Beispiel. Ich muss also jetzt irgendwo Bedingungen schaffen, wo ich zwei verschiedene Gruppen habe unter unterschiedlichen Isolierungsbedingungen oder Infektionsmöglichkeiten, und schauen, was passiert. Dann wüsste ich an der Stelle, wenn ich das mache, das ist eine wirksame Maßnahme. Das kann man durchziehen durch alle Bereiche, ist nicht einfach, sehr fehlerträchtig, und trotzdem wäre das eigentlich das, was angemessen gewesen wäre.
Antes glaubt also, ohne es zu wissen, der öffentlichen Verkehr wäre ein wichtiger Treiber des Infektionsgeschehens.
Wie an anderer Stelle geschrieben, habe ich den Eindruck, dass die Auslastung der Bahnen wieder ungefähr auf dem Stand von vor der Pandemie ist mit dem Unterschied, dass - zumindest in der Bahn - nahezu alle Menschen eine MNB tragen, die meisten auch eine medizinische.
An die Vorschrift auch an Bahnsteigen eine (an der vorgeschriebenen Stelle) zu tragen, halten sich weniger Menschen und einigen ist der Abstand in diesem Bereich auch wumpe.
Dafür gibt es wieder andere Menschen, die sich vorschriftsgemäß verhalten.
Wie die Lüftungen in den Bahnen, die eine haben, genau funktionieren bzw. ausgestattete sind weiß ich nicht und kann daher keine Aussage treffen, ob die Aerosolbelastung vermindern, oder eher verteilen.
In Schweden wird empfohlen, den öffentlichen Verkehr zu meiden, allerdings haben die meines Wissens keine Maskenpflicht.
Naja, auf jeden Fall halte ich es für möglich, dass Ansteckungen im öffentlichen Verkehr, bei dem ja keine Registrierung vorgeschrieben ist, wie in einem Restaurant, stattfindet. Ob man als Verdachtsfall gefragt wird, ob man Züge benutzt hat, und wenn ja wann und welche, und ob diese Daten gesammelt und bewertet werden, weiß ich nicht, habe allerdings so meine Zweifel.
Den Vorschlag von Herrn Antes finde ich allerdings auch merkwürdig:
Einerseits kritisiert er, dass eine Studie zur Bewertung der Sicherheit herangezogen wird, die die Gefährdung des Bahnpersonals betrifft, und dann meint er, man solle Bahnen mit und ohne speziellen Schutz dieses Personals vergleichen.
Da ich glaube, bzw. hoffe, dass inzwischen in allen Bahnen in Deutschland eine entsprechende Abtrennung des Personals stattfindet, würde da wohl bedeuten, dass man einem Teil des Personals den Schutz wegnimmt.
Eine derartige Interventionsstudie wäre aus meiner Sicht in der aktuellen Situation unethisch.
Davon abgesehen würde die IMO auch keinen Aufschluss darüber bringen, ob nun Fahrgäste gefährdet sind.
Die Daten der Fahrer sind ja wohl bekannt, d.h. da könnte man schauen, ob die sich häufiger infizieren, als im Privatleben vergleichbare Vertreter anderer Berufsgruppen.
Will man was über die Gefährdung der Fahrgäste erfahren, dann müsste man erst mal das Infektionsgeschehen unter diesen erfassen bzw. Bahnen mit unterschiedlichen Schutzgraden für die Fahrgäste vergleichen.
Naja, die ethischen Probleme einer Interventionsstudie erkennt er dann selbst:
Antes: Ja, wir tun das zwangsläufig ohnehin, und deswegen darf man so was auch nicht experimentell machen. Bei normalen klinischen Studien, da kann man ja dann – kennt man ja inzwischen auch – gegen Placebo testen. Hier darf man das nicht machen, weil man dann ja tatsächlich Menschen vorsätzlich gefährden würde, das würde auch aus ethischen Gründen gar nicht gehen, aber man kann natürlich das beobachten, was sowieso passiert. Also man sammelt die Daten ein, und dann hätte man eine reale Beobachtungsstudie, und die müsste man dann richtig interpretieren.
Schön, Daten einsammeln würde bedeuten, man würde irgendwie registrieren, wer, wann mit welcher Bahn gefahren ist.
Mobilitätsdaten wurden ja in asiatischen Ländern zur Kontaktverfolgung und Pandemieverfolgung eingesetzt, aber bei uns sehe ich da Widerstände in der Bevölkerung aufkommen.
Man schaue nur mal in den Fingerabdruck-Thread.
Mein IOS-Gerät kennt zwar mindestens einen Fingerabdruck und Google schickt mir regelmäßig Mails, wo ich denn so gewesen bin, aber die Regierung darf das natürlich keinesfalls wissen...
Zurheide: Nur wenn ich jetzt einen Strich unter den bisherigen Teil unseres Gespräches ziehe, dann kann ich nur sagen, was die Politik macht, ist der Blindflug.
Antes: Ja, das haben Sie jetzt gesagt, aber ich kann dem nicht widersprechen, ja, leider ja.
Ja, das hat der Kretschmann nach der Ministerpräsidentenrund ja öffentlich bei Lanz so mitgeteilt:
Man weiß von der überwiegenden Mehrheit der Infektionen nicht, wo die statt finden, daher setzt man darauf, Maßnahmen zu erlassen, die die Kontakte stark reduzieren.
Dass Kontakte was mit Ansteckungswahrscheinlichkeit zu tun haben, liegt auf der Hand.
Interessanterweise meinen ja einige "Kritiker" genau zu wissen, wo die meisten Infektionen statt finden.
(zu Hause, weswegen es kontraproduktiv sein soll, dass die Leute zu Haus bleiben)
Zwischen den Entscheidern und diesen wissenden Kritikern nehme ich ein ähnliches Verhältnis der kognitiven Leistungsfähigkeit wahr, wie es laut Plato von Sokrates zwischen sich und dem ihm als "weise" bekannten und besuchten Menschen wahrgenommen wurde:
Verglichen mit diesem Menschen bin ich doch weiser. Wahrscheinlich weiß ja keiner von uns beiden etwas Rechtes; aber dieser glaubt, etwas zu wissen, obwohl er es nicht weiß; ich dagegen weiß zwar auch nichts, glaube aber auch nicht, etwas zu wissen. Um diesen kleinen Unterschied bin ich also offenbar weiser, dass ich eben das, was ich nicht weiß, auch nicht zu wissen glaube.
Weiter mit Herrn Antes:
Das einzig wirklich Belastbare ist ein sehr, sehr großer Abstand zum nächsten Menschen, und das ist natürlich faktisch nicht durchführbar auf Dauer. Aber wenn ich das jetzt durchhalten könnte – da gibt es einen schönen Spruch –, dann ist das Problem nach 14 Tagen aus der Welt.
Was soll denn ein "sehr, sehr großer Abstand zum nächsten Menschen" sein?
Zwei Meter? 100 Meter? Zehn Kilometer?
Das ist IMO nicht nur auf Dauer nicht durchführbar.
Denn wennn das Problem nach 14 Tagen aus der Welt sein soll, müsste jeder Mensch zu jedem anderen Menschen einen weiten Abstand halten.
Zusammenfassung dessen, was bei mir von seinen Aussagen angekommen ist:
Die Lage ist ernst, wo sich die Leute anstecken weiß man nicht genau und Abstand halten hilft.
Den öffentlichen Verkehr sollte man genauer unter die Lupe nehmen.
Ist mir eine wesentliche Information entgangen?
Und was bedeutet das nun für die Beurteilung der derzeitigen Maßnahmen?