...ZEIT ONLINE: Virginie Masserey, die Leiterin der Infektionskontrolle des Bundesamts für Gesundheit, hat die Lage in der Schweiz vor Kurzem als "sehr fragil" bezeichnet. Würden Sie die Lage an ihrem Krankenhaus auch als fragil beschreiben?
Annen: Wir haben auf der Intensivstation insgesamt 40 Betten, davon sind 38 besetzt, 19 mit Covid-Patienten. Das sind zwei von insgesamt vier Abteilungen unserer Intensivstation, auf denen Patienten mit der gleichen Erkrankung liegen –
eine Situation, die wir so noch nicht kannten. Auch die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen mit jahrzehntelanger Berufserfahrung haben so etwas noch nicht erlebt. Das gibt einem schon ein mulmiges Gefühl, aber man gewöhnt sich auch ein Stück weit daran. Was die Belegung angeht, ist sicher Luft nach oben. Wir haben generell einen sehr hohen Pflegeschlüssel in der Schweiz, 2:1 bzw. 1:1, je nach Schwere der Erkrankung. Da sind wir im Ländervergleich vorn mit dabei. Aber von diesem hohen Standard sind wir vielleicht bald gezwungen abzuweichen. (...)
Wesch: Es ist ja so, dass die Patientinnen und Patienten hier auf der Intensivstation nicht nach drei Tagen wieder weg sind. Die meisten mit Covid bleiben zwei bis vier Wochen bei uns. Das birgt die Gefahr, dass zwar die Welle zurückgeht, aber die Patienten die Station nicht schnell genug verlassen und weiterhin neue dazukommen. Normalerweise ist der durchschnittliche Aufenthalt in der Intensivstation zwei bis drei Tage, jetzt sind wir bei mehr. Auch das ist neu für uns.
Wir hatten noch nie eine Infektionskrankheit, die plötzlich die halbe Station füllt....