Zitat von
Tantal
ich weiß ja nicht, wie tief du im Thema bist oder gehen willst, aber grundsätzlich mutieren Viren allein deshalb so schnell, weil die meisten Viren RNA statt DNA haben. Und die hat nunmal zwei Effekte, die weniger Stabilität garantieren, nämlich Einzelstrang statt Doppelstrang und Uracil statt Thymin. Und daher ändern die sich zwangsläufig schneller als Lebewesen, die ihr Erbgut in DNA speichern.
Danke.
Das wäre dann allerdings ein konstanter Einfluss auf die Mutationsrate für RNA-Viren.
Wenn die Mutationsrate nicht selbst von Mutation zu Mutation variiert, kann die keinen evolutionären Vorteil oder Nachteil darstellen, der durch Selektion verstärkt oder vermindert wird.
Zitat von
Pflöte
Ich stelle mir die Gesamtheit der Genvarianten in einer Population als begrenzte Fläche (auf einem viel größeren Untergrund) vor. Zufälligen Mutationen fügen dieser Gesamtheit neue Varianten hinzu und vergrößern diese Fläche. Vllt würde sie ohne Einschränkung einfach immer größer werden, vllt. würde sie an den Rändern wabern. Jedenfalls hätte sie kein Ziel. Diese ziellose Veränderung entsteht durch den Mutationsdruck (der auf die Population im Sinne einer Veränderung der Genvarianten drückt, und seinerseits durch die bei der Selbstreplikation der Individuen vorkommenden Mutationen entsteht).
Den Selektionsdruck stelle ich mir dagegen als eine Magneten bzw. Anziehungspunkt vor. Genvarianten (Kombinationen von Varianten, also Individuen) die auf oder nahe diesem liegen haben in ihrer Umwelt Vorteile Gegenüber weiter weg liegenden. Ein Vorteil ist letztlich immer und auch nur etwas, was zu einer erfolgreicheren Fortpflanzung führt. Wo dieser Anziehungspunkt liegt, hängt von der Umwelt ab. Verändert sich diese (was unabdingbar der Fall ist), wandert in meinem Bild auch der Anziehungspunkt.
Ja, es werden stetig immer neue Genvarianten geschaffen, das verhindert der Selektionsdruck nicht. Er verhindert aber ein zu weites entfernen vom Optimum bzw. ein zu großes Spektrum an Varianten.
Soweit mein Bild. Hoffentlich konnte ich es klar formulieren ... „Zerfließen“ vs „Magnet“ um es mal kurz auszudrücken.
Ich habe bei der Selektion immer so ein Sieb vor Augen, das eben aus der Vielzahl der Varianten mehr oder weniger durch die Löcher passende auswählt.
Zitat von
Pflöte
Viren haben kein Optimum an Genvarianten, da jede Variante früher oder später von den Abwehrmechanismen der potentiellen Wirte erkannt werden wird. Der Anziehungspunkt aus dem Bild oben ist so groß, dass er nur noch „funktioniert“ umfasst.
Naja. Wenn man z.B. Masernviren betrachtet, dann war das ja früher bei uns nicht so, dass das Virus dauernd so mutierte, dass sich auch Leute, die schon mal Masern hatten, infizieren konnten, sondern es war eine "Kinderkrankheit" die diejenigen betraf, die noch nie mit denen in Kontakt gekommen waren.
D.h. trotz lebenslanger steriler Immunität des Wirtes nach einer überstanden Krankheit, wurden immer wieder neue potentielle Wirte geboren, die die Existenz des Virus sicherten.
Und ein Virus unterliegt nicht nur der Selektion, dem Immunsystem zu entkommen, sondern auch der Selektion, funktional zu sein, d.h. von der Wirtszelle vermehrt zu werden.
Ein SARS-CoV2-Virus, dass seine Bindungsstelle aufgrund einer Mutation verliert, würde zwar Antikörpern entgehen, die genau da angreifen, könnte aber selbst nicht mehr an die Wirtszelle andocken und würde nicht vermehrt.
Auch hier geht es IMO also nicht um ein Maximum an Mutationsrate, sondern um ein Optimum, bestimmt durch die Vorteile und Nachteile.
Und das ist wohl auch Gen zu Gen unterschiedlich:
Durch die hohe Mutationsrate produzieren RNA-Viren zwar mehr defekte, nicht-infektiöse virale Partikel, was aufgrund der Funktionsminderung als Fitnesskosten bezeichnet wird. Sie können sich jedoch im Zuge einer Immunevasion auch schneller an neue Wirte oder Zwischenwirte anpassen sowie durch Fluchtmutation der Immunantwort entgehen.[9] Dennoch gibt es konservierte Bereiche der viralen Genome, bei denen ein hoher Selektionsdruck auf die Funktion der konservierten Sequenz wirkt. Beispielsweise gibt es beim Hepatitis-C-Virus in der Nähe des core protein einen konservierten Bereich,[10] dessen RNA eine IRES enthält.
und das sich RNA-Viren mit "Proof-Reading-Funktion" entwickelten und überdauerten bzw. dass es auch stabilere DNA-Viren gibt, scheint mir ein Hinweis darauf, dass eine möglichst hohe Mutationsrate nicht unter allen Umständen die beste oder einzige Strategie für ein Virus ist:
RNA-Viren sind aufgrund der höheren Fehlerrate der RNA-Polymerasen wesentlich variabler als DNA-Viren,[4] da ihre RNA-Polymerase meist keine proof-reading-Exonuklease-Funktion aufweist.[5][6][7] Eine Ausnahme bilden die Nidovirales, die eine proof-reading-Funktion mit der Exoribonuklease ExoN aufweisen, wodurch die Genomgröße etwas weniger begrenzt wird.
Zitat von
Pflöte
Da der Anziehungspunkt (der ja nun kein Punkt mehr ist) so groß ist, drückt er die Population auch variantentechnisch auseinander oder präziser ausgedrückt, er verhindert die Wirkung des Mutationsdrucks nicht.
Der Mutationsdruck kann stark auf die „Virenpopulation“ wirken, da der Selektionsdruck nicht in Richtung eines Optimums drückt, sondern im Gegenteil sogar zu behäbig mutierende („an einem Ort verharrende“) Viren bestraft.
zumindest drückt er - wenn eine hohe Mutationsrate ein Vorteil ist - von den behäbig Mutierenden weg.
Die Fläche der Varianten wird dann insgesamt größer, aber ein Teil bleibt leer.