...Fakt ist: Betrachtet man die Entwicklung der gemeldeten Fälle, steigt die Zahl der Neuinfektionen seit Kalenderwoche 29, also seit der Woche ab dem 13. Juli, wieder an. Dieser Anstieg beschleunigt sich langsam, aber zunehmend. Inwiefern ist die Zahl der Testungen, die in den vergangenen zwei Monaten von mehreren 100.000 auf rund eine Million Tests pro Woche angestiegen ist, dafür verantwortlich?
Die "Million-Dollar-Question" ... RKI-Daten sind nicht für solche Aussagen gemacht
Das Problem: Die Daten, die das Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlicht, lassen Berechnungen, die dafür nötig wären, gar nicht zu. Ihr Zweck ist nicht, eine repräsentative Aussage zu treffen, sondern als Alarmanlage zu fungieren: Bricht die Pandemie irgendwo aus, müssen Behörden schnell reagieren können, um die Bevölkerung zu schützen. Jede wissenschaftliche Studie wäre dafür zu langsam. Genauso falsch wäre es aber, aus den RKI-Daten Ergebnisse wie den Zusammenhang zwischen der Zahl der Testungen und der Zahl der Corona-Neuinfektionen berechnen zu wollen. Dafür sind die Daten nicht verlässlich genug. "Man darf die Daten nicht überinterpretieren", warnt Jürgen May, Professor für Epidemiologie am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg....
"Wir wissen nicht, wer getestet wird"
Belastbarere Aussagen über die Beziehung zwischen der Zahl der Tests und der der Neuinfizierten lassen sich aus Sicht der Forscher aber nicht treffen. So wüssten die Wissenschaftler beispielsweise nicht, wie viele Menschen ein zweites oder drittes Mal getestet würden, sagt Professor May vom Bernhard-Nocht-Institut. Auch könne es sein, dass übermäßig viele ältere Menschen getestet würden, da sie - als Risikogruppe - eher bereit seien, sich testen zu lassen, als etwa Menschen, die an Verschwörungstheorien glaubten. All das seien Fragen, die sich nicht beantworten ließen, sagt May. "Und deswegen kann ich auch keine echte Berechnung über die vermutete Zahl der Infizierten in ganz Deutschland durchführen." Teststrategie beeinflusst Höhe der Dunkelziffer.....
...Die kurze Antwort darauf ist: Man weiß es nicht. Die Hypothese lautet: Je mehr getestet wird, desto niedriger müsste die Dunkelziffer liegen. "Natürlich ist es so, dass, wenn ich dreimal mehr teste, auch mehr Menschen finde, die infiziert sind", sagt Dirk Brockmann. Als Professor am Institut für Biologie der Humboldt-Universität in Berlin beschäftigt er sich mit statistischen Modellierungen von Epidemien und forscht auch am Robert Koch-Institut (RKI). Wie stark dieser Effekt sich allerdings bemerkbar mache, das könne derzeit niemand verlässlich sagen. Eine Aussage, die alle Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, mit denen der NDR für diese Recherche sprach, grundsätzlich teilen. Ein Forscher bezeichnete die Frage nach der Höhe der Dunkelziffer sogar als "Million-Dollar-Question". ...