Zitat von
Glückskind
Da möchte ich mal kurz einklinken. Denn Du zeigst in die Richtung über die ich schon 1-2 Mal nachgegrübelt
hatte: letztlich ist ein Kampf (egal ob Monkey Dance oder predatory violence oder was auch immer) immer
unberechenbar. Chaotisch. Und das mögen die allermeisten Menschen nicht besonders gerne, erst recht
nicht heutzutage, wo viele Ihren Lebenslauf und Ihre Urlaube minutiös durchplanen. Und letztlich ist
Kampfkunst so gut wie immer der (verzweifelte?) Versuch, da Ordnung und Struktur in das Chaos
zu bringen. Manche treiben es dann so weit ein genau durchgeplantes Curriculum zu haben,
führen Graduierungen ein usw. Weil Ihnen das Chaos irgendwo auch (unbewusst) Angst
macht.
Was Du beschreibst hört, liest und sieht man extrem viel seltener (gilt für alle Lebensbereiche):
möglichst völlige, umfassende Akzeptanz dessen, was gerade geschieht, ohne es in fest vorge-
fasste Gedankenbahnen pressen zu wollen. Sich dem hingeben und dann doch adäquat zu
handeln (beinahe hätte ich re-agieren geschrieben, aber das wäre wieder einschränkend).
Übrigens verstehe ich die Stelle im de Becker, wo es darum geht das Vorurteile
die Beobachtungsgabe trüben auch als genau in diese Richtung gehend.
Wir alle brauchen Rahmen , Strukturen ,um Handlungsfähig zu sein. Fallen Rahmen , oder vertraute Strukturen weg , empfinden wir das als Bedrohlich .
Deshalb Kategorisieren wir gerne , geben also chaotischen Erscheinungen einen Rahmen .das mag ganz gut für das theoretische Verstehen sein , um ein Werkzeug zu bekommen womit wir die Dinge betrachten können , aber in der direkten Handlung kann sehr behindern , da wir mit Schubladen agieren statt mit dem was uns direkt entgegen tritt.
Beispiel eben mit Monkey Dance und predatory Violence.
Betrachte ich eine Schlägerei als "nur" Monkey Dance verbaue ich mir die Sicht zu den Übergängen .....
Betrachte ich predatory Violence " nur" unter der Prämisse , wenn Messer oder Pistole im Spiel ist , verbaue ich auch hier Die Sicht auf das was dahinter steht .........
Und das ist der Grad der Enthemmung deines Gegenübers ..... Den Kennst du nicht , den versuchst du einzuschätzen aufgrund deiner Erfahrung, deiner Schubladen , ...aber du kennst ihn nicht ! Du weisst einfach nicht , wie weit er gehen wird. Das weisst du nie ......das ist das Problem.
Agierst du unter der Prämisse deiner Schubladen , theoretischer Einteilungen , verbaust du dir die Sicht auf den Moment.
Was ist den das Gefährlichste an einem simplen Knock out ? Der Knock out selber ist für dich selbst oft garnicht wahrnehmbar. Du machst irgendwann die Augen auf und wunderst dich wieso dein Angreifer nicht mehr da ist , Freunde sich über sich beugen usw. Aber gespürt hast du eigentlich nix.
Aber der Aufprall des Kopfes auf den Asphalt , auf die Bordsteinkante , auf eine Hausecke , kann dir leicht starke Verletzungen bescheren.
Der Asphalt , die Bordsteinkante ....ist zur Waffe geworden.
Wir sind von Waffen umgeben . Ständig.
Teile ich Situationen in mir , als Handlungsvorgabe und als Situationsverständnis , in Kategorien wie Schlägerei ( waffenlos) und predatory Violence ( Messer , Piatole ) ein , verbaue ich mir die Sicht auf eigene Möglichkeitenan Waffen um mich herum , UND an dem Erkennen an Waffen die meinem Gegner permanent zur Verfügung stehen.
Viel entscheidender für mich ist seine Bereitschaft , seine Intention , seine Motivation UND v.a. Sein Grad an ENTHEMMUNG.
Chaos und Struktur
Yep Kampf ist Chaotisch , hat aber dennoch viele Strukturelle Elemente . Die Art wie wir unsere Extremitäten , unsern Körper ( Physiologie, Neurologie ...) bewegen steuern , manipulieren können , die Art wie Kräfte aufgebaut und wirken , die Kommunikation der Kontrahenten auf mehren Ebenen usw.
Ein Curriculum gibt dir die Methodik und Didaktik , diese Elemente zu erforschen , um sie dann im Chaos des Kampfes WIEDER zuerkennen..
Durch das Wiedererkennen , durch das Finden von Vertrautem , wirst du befähigt innerhalb des Chaos dir Rahmen zu erschaffen , Ankerpunkte zu setzen , Anknüpfungspunkte von wo aus du Handlungsfähig bist.
Was die Akzeptanz angeht
In gewissen Teilen praktiziert die doch jeder von uns täglich.
Wenn du dich ins Auto setzt , wenn du allgemein dich in den Verkehr begibst, ins Flugzeug steigst usw.
Du akzeptierst für den Moment alle jeweiligen zugehörigen Gefahren und bleibst trotzdem Handlungsfähig.
Erst wenn eine Situation einen unvertrauten Charakter bekommt ( Geisterfahrer , Luftlöcher im Flugzeug , .....) werden wir plötzlich wieder bewusst , keine wirkliche Kontrolle zu haben und es entsteht wieder ein Bedrohungsgefühl was in Angst bis Panik umschlagen kann.
Worum geht es also.
Ich muss erfahren wie mein System reagiert auf Bedrohungen . Also geht es um Konfrontation.
Da können Unfälle helfen die man erlebt hat , da man hier am direktestens erfährt wie dein System reagiert. Ob mit Freeze oder mit switchen in Beobachtermodus .
Dann muss ich es Übertragen können . Hier scheitert es oft . Da wir eben gerne in Schubladen und Kategorien denken und dann auch handeln.
Kann ich es aber übertragen , dann schaffe ich es in unbekannten Situationen Ankerpunkte zu setzen für Handlungsbeginn.
Schaffe ich es in einer SV Situation mit Übergang zur Eskalation mich in meinen Sparringsmodus zu begeben ( Übertragen) dann verhindere ich damit bzw. minimiere ich die Adrenalinausschüttung . Ich agiere wie im Randori , ....Als eine Möglichkeit .
mit Selbstreflexion , innerer Aufarbeitung ( sich den eigenen Themen der Angst , Gewalt , zu stellen) konfrontation ( Nehmerqualitäten , sich nicht beeindrucken lassen von Schmerzen , Gewalt ausüben ..) kann ich es schaffen in der gleichen Akzeptanz zu bleiben , wie wenn ich in mein Auto steige und am Verkehr teilnehme.
Aber auch hier , es gibt nirgends eine Sicherheit . Weder im Kampf was den Sieg angeht , noch das du in den Zustand kommst oder ihn halten kannst.
Du weisst nie , welche Trigger du noch nicht betrachtest hast , die dich kippen lassen können.
Die verstehen sehr wenig , die nur das verstehen , was sich erklären lässt. ( Marie v. Ebner-Eschenbach)