Dann frag ich mal anders rum: Was ist für dich keine "Kata-Kampfkunst"?
Hokushin Ittô-ryû Hyôhô - Shibu Schweiz
schwert|gedanken, ein Blog zu jap. Geschichte, Kultur und den klassischen Kriegskünsten
Mich würde ja interessieren, woher du deine Erkenntnisse hast, z.B. wie lange du Aikido trainierst oder trainiert hast, und was man dir so als "Kata" beigebracht hat.
Dann noch, damit ich ungefähr einschätzen kann, wie dein Wissenstand ist:
Welche unterschiedlichen Trainings- bzw. Übungsmethoden kennst du, weißt du was "go no geiko" im Aikido bedeutet, und was man da übt?
Ich selbst (Koryû-Ecke) sehe die Dinge auch anders als Du es zu tun scheinst.
Es wäre für mich aber durchaus interessant zu erfahren, inwieweit Du schon Erfahrungen in Iaidô, Kendô, Karate oder Aikidô gesammelt hast und/oder ob Du Texte (wenn ja, auch welche genau) über diese Dinge gelesen hast. Ich möchte nicht von vornherein ausschließen, dass auch Du möglicherweise gute Gründe hast die Dinge so zu sehen, wie du sie siehst. Ein paar zusätzliche Infos zu deinem Background wären aber wirklich hilfreich denke ich (zumindest ryoma und ich sind selbst ja auch gläserne Kampfkünstler).
Ich bin noch eine Antwort auf DatOllis Beitrag vom 30.10. schuldig geblieben.
Historisch betrachtet hatte Aikido bzw. Aiki-Budo bis zum zweiten Weltkrieg den Anspruch einer auch militärisch oder polizeilich nutzbaren Kampfkunst, die einem für den Kampf auf Leben und Tod vorbereitet. Ueshiba hatte von Sokaku Takeda eine Lehrlizenz in Daito-Ryu Aiki-Jujutsu. Er unterrichtete auch Angehörige der Familie des Tenno, hatte Kontakt zu höchsten Militär- und Polizeikreisen (die ihn dann aus der Patsche halfen, als 1935 Anhänger der Ōmoto-Sekte verfolgt wurden). Er konnte bekannte Judoka wie Kenji Tomiki und Kenshiro Abbe als Schüler für sich gewinnen. Das wäre mit einer reinen Bewegungslehre natürlich nicht möglich gewesen.
Ueshiba und andere Aikido-Lehrer betonten, Aikido sei ein wahres Budo, eine Vorbereitung auf einen Kampf auf Leben und Tod, z.B.: Michio Hikitsuchi: "Katsuhayabi" - It's over in a flash!
Im aktuellen Thread "Koryū-bujutsu und Schauspielkunst, Post #6" wurde auf ein Interview mit Yoshio Sugino (zuletzt 10. Dan Kobudo) verwiesen, der ein Schüler von Ueshiba und Aikido-Lehrer, aber später vor allem ein Lehrer von TSKSR war und Kampfszenen mit Toshiro Mifune choreographiert hatte.
Ob Ueshiba dem Anspruch gerecht werden konnte, eine militärisch anwendbare Kampfkunst in vertretbarer Zeit zu unterrichten, da kann man wohl Zweifel haben. Wie schon einige Male im KKB diskutiert, lehrte Ueshiba an der Nakano-Militärakedemie Anfang der 40er Jahre, wurde dann aber von Karate-Lehrern ersetzt und zog sich danach von Tokio nach Iwama zurück.Zitat von Yoshio Sugino Sensei
Während und nach dem Krieg hat Ueshiba wohl seine Einstellung zu Aikido und Budo grundsätzlich geändert. Morihei Ueshibas Sohn Kisshomaru, der die Bombenangriffe auf Tokio und dem Dojo miterlebte, war natürlich erst recht motiviert, Aikido als eine tägliche Übungspraxis für jedermann (und frau!) nicht nur in Japan sondern weltweit zu verbreiten.
Ich glaube, dabei wurden bewusst Inhalte des Daito Ryu nicht weitergegeben, die Aikido effektiver machen würden: In einem am 3.9.2020 veröffentlichen Podcast auf YouTube mit Bruce Bookman und Ellis Amdur erzählte Amdur, wie Hideo Ohba, ein Schüler von Ueshiba, der als sein Angreifer bei der legendären Demo in der Mandschurei 1942 bekannt wurde, einer Daito-Ryu Demo zuschaute mit physischen Kunststücken und dann Tomiki danach fragte. Daraufhin zeigte Tomiki, dass er dass auch kann. Ohba fragte dann, warum er dass nicht unterrichte und Tomikis Antwort war: das sei asozial
Eine andere Motivation Kisshomaru Ueshibas: er wollte keine gefährlichen und geheimen Techniken verbreiten, die dann missbraucht werden könnten:Zitat von Kenji Tomiki, ca. 1950?
Wie ich schon oft geschrieben habe, erlebe ich mein Aikido-Training als Bewegungskunst, aber nicht als Kampfkunst, das einen auf eine SV-Situation oder gar einen Kampf auf Leben und Tod vorbereiten würde.Zitat von Kisshomaru Ueshiba, Der Geist des Aikido, pg. 20
Eben darum geht es: es wäre schräg, jemanden in einer Partnerkata mit Atemi umzuhauen; darum macht man es auch nicht. Aber im Aikido, wie ich es kenne, wird fast ausschließlich in Partnerkata geübt. Also kann man die Wirkung seiner Atemi (wenn man es mit Schlagen und Treten gleichsetzt) nicht überprüfen.
Ich mag den Ausdruck "Struktur zerstören" nicht, da muss ich an "Knochen oder Gelenke kaputt machen" denken. Ich würde lieber von "Gleichgewicht brechen" reden.
Ich zitiere mal rambat von hier: "ich bewege mich in eine für mich günstige position, die für den gegner ungünstig ist. dadurch und dabei störe ich das gleichgewicht des gegners (vereinfacht ausgedrückt: kuzushi)". Daraus folgt dann der Wurf oder die Haltetechnik, beim Üben im keiko ohne Gewalt und möglichst wenig Muskelkraft-Anstrengung. Ich kenne es (bisher) so, dass die dazu nötige Kraft in erster Linie durch geschickte Gewichtsverlagerung erreicht wird.
Disclaimer: Aufgrund des kooperativen Charakter des Übens, ist es für mich ganz schwer einzuschätzen, wie weit ich beim Üben einer Aikido-Technik Uke durch mein Können und Kraft werfe, oder inwieweit Uke sich selber wirft (da gibt es kein schwarz-weiß).
OK, das verstehe ich.
Aber ist es nicht so, dass Fortgeschrittene diesen "kooperativen Charakter" Schritt für Schritt zurückfahren sollten (untereinander, versteht sich), um eben trotzdem verhältnismässig reales Feedback aus dem Üben zu ziehen?
Oder ist das tatsächlich absolut verpönt, zumindest im Aikikai nach Ueshiba?
Hokushin Ittô-ryû Hyôhô - Shibu Schweiz
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Was bedeutet denn kooperativ?
Jede Übungsmethode, bei der man zusammen etwas übt, ist doch kooperativ.
Z.B. ist es nicht unkooperativ, mit Widerstand zu arbeiten, wenn es genau das ist, was man üben soll.
Festhalten, Widerstand leisten, dss sind doch gängige Übungsmethoden (Eigentlich überhaupt DIE klassische Übungsmethode).
Ich verstehe überhaupt was daran nicht zu merken sein soll, ob mich jemand festhalten kann,
oder ob ich jemanden gegen seinen Widerstand werfen kann.
Klar, wenn "Werfen" nur bedeutet das der geworfene ein "schönes" Ukemi macht und immer mitspringt egal was man tut, dann ist das natürlich von dessen Bereitschaft abhängig dies zu tun. Aber das macht man, wenn man einfach den Bewegungsfluss übt oder auf Kondition trainiert, aber nicht wenn man die genaue Technik übt.
Warum sollte es verpönt sein, reales feedback aus dem Üben zu ziehen, das wäre doch echt sehr merkwürdig?
Geändert von Gast (08-11-2020 um 11:44 Uhr)
Tja, Aiki50+ wird dass sicher noch beantworten (kam ja von ihm, nicht mir ).
Hokushin Ittô-ryû Hyôhô - Shibu Schweiz
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Ja, das sollte so sein.
Mein persönliche Erfahrung ist: selbst wenn sich Uke bemüht neutral anzugreifen, ist es doch unheimlich schwer, bei wiederholtem Üben einer Form nicht das Ergebnis (also das Geworfen werden mit Rollen oder Fallen) gedanklich vorwegzunehmen. Einige meiner fortgeschrittenen Übungspartnern vergewissern sich manchmal, ob ich "richtig" angreife, also z.B. bei Shomenuchi den Kopf treffen würde, wenn sie nicht ausweichen oder stoppen die Technik, um zu prüfen, ob ich mich nicht vorzeitig von selbst werfe. Trotzdem stellt sich nach einigen Wiederholungen wieder der gewohnte Trott des sich fast selbst Werfens ein.
Auch wenn Aikidoka ihre Formen gut beherrschen, heißt das ja noch lange nicht, dass sie mit Abweichungen (Brechen der Form) gut umgehen können.
Teilweise schon, wenn auch nicht überall.
Beispiel: manche hochrangige* Aikidoka fassen einen Widerstand als persönlichen Affront auf und reagieren darauf, als wären sie außerhalb des Übungsrahmens angegriffen. Kurioserweise erzählt Bruce Bookman, dass seine einzigen SV-Erfahrungen die Abwehr von erbosten Aikido-Lehrern seien. Und er deswegen BJJ und Boxen gelernt hat:
Ein anderes Beispiel aus meiner Erfahrung: es war für mich immer schon eine unausgesprochene Konvention, dass man als Uke keinerlei Widerstand gegen einen Haltegriff leistet, sobald man auf dem Boden liegt. Angeregt durch das Video Aikido Ground Game: Aikido vs. BJJ (ab 6:35), wollte ich einmal gegen einen jungen Dan-Träger spielerisch ausprobieren, ob ich mich wie in Chris Heins Video aus einem Ikkyo-Haltegriff am Boden herauswinden könnte. Aber dann war nicht mein Trainingspartner, sondern mein Übungsleiter erbost. "Wir würden ja für keine SV trainieren." (Wobei er Gegenmaßnahmen gegen den Befreiungsversuch durchaus zeigen bzw. andeuten konnte).Zitat von Bruce Bookman
Ein anderes Gegenbeispiel: es gibt in meinem Dojo einzelne, erfahrene Aikidoka, die beim Üben als Uke zwar keine Techniken blockieren wollen, aber darauf lauern mit einer Gegentechnik (Kaeshi waza) Fehler zu bestrafen. Hatte ich selber bisher nur ganz selten, aber das macht Spaß, wenn ich dann selber mit Kaeshi waza reagieren darf und ist lehrreich. Und es wird von meinem Lehrer toleriert.
______________
P.S.: Das "hochrangig" war ein Fehler. Ich habe mich von den bekannten Namen täuschen lassen, die Bookman aufzählte und nicht bedacht, dass die Anektode vor 40 Jahren unter 20-jährigen Aikidoka passiert ist.
Geändert von Aiki5O+ (08-11-2020 um 20:31 Uhr) Grund: P.S: "hochrangig" entschuldigt.
Ja genau, und ein MMA-Kampf oder ein Kampf vollkommen ohne Regeln ist ja auch nicht unkooperativ, falls sich beide darauf verständigt haben in diesem Modus zu üben...
ryoma sprach aber nach meinem Verständnis nicht von "kooperativem Charkter" als etwas, was nicht da ist oder nicht, sondern etwas , das in unterschiedlichem Maße vorhanden ist, sonst könnte man es ja nicht Schritt für Schritt zurückfahren.
Und am Beispiel des MMA-Kampfes kann man erkennen, dass man mehr Freiheitsgrade zum Widerstand bieten (oder nicht mitspielen) hat, je weniger eng die Vorgaben an erlaubten und nicht erlaubten Handlungen sind.
D.h. den kooperativen Charakter kann man IMO auf zwei Arten zurückfahren:
1.) in dem man im vorgegebenen Setting mehr und mehr Widerstand bietet und dagegenarbeitet
2.) das man das Setting freier gestaltet
D.h.: auch wenn man in einem engen Setting gemäß 1.) maximalen Widerstand bietet, ist die Übung dennoch gemäß 2.) einen hohen kooperativen Charakter, weil man sehr wenige Möglichkeiten hat, nicht mit zu arbeiten.
Hokushin Ittô-ryû Hyôhô - Shibu Schweiz
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