angHell und Cam67,
wie ich schon in einem frueheren Post sagte, schreibe ich gerne, weil ich weiss, dass manche es interessant finden - waehrend andere krampfhaft versuchen, irgendwelche Fehler zu finden, um mich als "nicht so wissenschaftlich, wie ich mich gerne gebe", darzustellen.
Mit RFD ist "Rate of Force Development", also die Geschwindigkeit mit welcher die kontraktilen Elemente eines Muskels, Kraft entwickeln koennen. Ein Ausdruck fuer Explosivitaet.
Das mit dem "Schweben" oder "Schwimmen" (Faau) ist korrekt - im Wing Chun (und nicht nur dort) benutzt man das Konzept der "leeren Brust" - "Hum Hong But Bui".
Wenn man mit der Brust atmet, dass heisst die Brustwirbelsaeule streckt, die Schultern sich heben, verlagert sich das CoG/Massenschwerpunkt nach oben und nach hinten.
Genau das verhindert man mit dem Konzept, welches Du erwaehntest.
Es gibt in jeder Wing Chun Schule Instruktionen dafuer, wie man eine korrekte Koerperstruktur aufbaut - dass ist in jedem chinesischen Gung Fu so.
Bei manchen detailliertere als bei anderen.
Aber im Endeffekt geht es darum, dass man einen Geraden Rucken hat, den Oberkoerper mit dem Unterkoerper zu verbinden und so eine vereinte Masse aufzubauen, die man dann als Waffe benutzt, um den Gegner zu stoppen. Kraft wird generiert, indem man soweit moeglich den gesamten Koerper alsl einheitliche Masse benutzt anstatt nur die Masse einzelner Koerpersegmente.
Es gibt ein Sprichwort "Kuen Yau Sum Faat - Lek Chung Dei Hei" (Der Angriff kommt aus dem Herzen, die Kraft steigt vom Boden). Wir sehen, dass dieses, wie zum Beispiel "Loi Lau Heui Sung - Lat Sau Jik Chung", eigentlich aus zwei Teilen besteht, aber die Elemente werden oft separat gennannt und auf verschiedene weise Interpraetiert. Wenn sich der Kontext aendert, aendert sich auch der Sinn, oder die Idee, wie man etwas versteht. So, wird "Kuen Yau Sum Faat" oft die Bedeutung zugemessen, dass der Fauststoss von der Mitte kommen soll, was eine sehr direkte Interpraetation ist, oder auch etwas philosophischer. Wenn man aber den gesammten Spruch betrachtet, so ist es deutllich dass es in typersche Chinescher weise darum geht, zwei Gegenpole zu beschreiben - der Angriff, dass Kaempfen, kommt von der Intention, dem Willen, also vom Kopf, von oben. Ist also immateriel, nicht fassbar. Die Kraft dagegen kommt von unten, vom Boden, der greifbar ist und eine materielle Form hat. Das materielle und immaterielle vereinen sich zur Perfektion.
Fuer jemanden, der asiatische Denkweise kennt, macht dies Sinn, fuer andere vielleicht weniger.
Von diesem Spruch koennen wir sehen, dass die Kraft aus dem Boden kommt und da spielen die Beine, der Unterkoerper eine essentielle Rolle, da die kraeftigsten Muskeln und der groesste Teil der Koerpermasse (bei normalen Menschen) dort angesiedelt sind. Aus diesem Grund ist in jedem Chinesischen Gung Fu das Training der Beine, des Unterkoerpers essentiel - ob das jetzt noerdliche "innere" Stile sind oder suedliche "externe".
Deswegen faengt man in jedem traditionellen Gung Fu damit an das Stehen zu lernen - im Norden macht man Jaam Jong (Zhan Zhuang), im sueden "Ma Bou"-Training.
Das Ziel ist es, eine gewisse Struktur zu entwicklen, Kraft und Ausdauer, um diese Struktur auch unter Druck aufrecht erhalten zu koennen. Ein wichtiger Teil dieses Stehens ist das man lernt zu "sitzen", dass heisst ein Gefuehl dass der Schwerpunkt konstant sinkt. Es geht nicht nur darum, dass man die Knie beugt um tiefer zu stehen, obwohl dies natuerlich ein Teil des ganzen ist. Im alten Wing Chun war es so, dass der Wing Chun-Stand (also der Yi Ji Kim Yeung Ma) im Vergleich zu den typischen Dai Ma/Sei Ping Ma des Hung Kuen und Choi Lei Fut, viel schmaler war - irgendwann fing jemand damit an, im Wing Chun einen breiteren Stand zu benutzen - aber um immer noch ein gewisse natuerliche Stabilitaet zu haben, sass man sehr tief, und in einigen Schulen wurde das Konzept der Anspannung im Unterkoerper, um die Kraft der Beine, des Gesaess, der Huefte zu trainieren. Man sagt "Sheung Yam Ha Yeung" (oben Yin unten Yang).
Deswegen spricht man in jedem Gung Fu auch vom "sinken des Qi in den Dan Tien" - es ist nichts mystisches, sondern es geht prinzipiel darum eine pyramidale Struktur zu schaffen, die unten schwer und oben leicht ist, denn so ist man schon formbedingt, natuerlich stabil.
Deshalb ist die SLT eine statische Form, wo man sich nicht bewegt, um eben die Beine/den Unterkoerper zu traenieren und eine vereinte Struktur zu bilden wo man das Yam mit dem Yeung verbindet. Im Vergleich zu anderen traditionellen Gung Fu Stilarten, wo man den Stand und den Unterkoerper isoliert trainierte, hat man im Wing Chun versucht, (zeit)oekonomischer zu sein, und anstatt nur zu stehen und die Arme in Ruhe zu halten, hat man dann das Training der statischen Struktur des Oberkoerpers mit der dynamischen Struktur der Grundtechniken des Wing Chun's kombiniert. Das ist SLT.
Wenn man diese Struktur/vereinte Masse entwickelt hat, lernt man, wie man diese Struktur/Masse rotiert, ohne sie zu brechen, anschliessend, wie man sie bewegt ohne die Vereinung zu kompromitieren.
Das ist CK.
Wir sehen, dass die fuer nordliche "innere" Kampfkuenste typische Didaktik sich auch im suedlichen Gung Fu und damit auch im Wing Chun wiederfindet. Es wird vielleicht nicht so von den meisten Wing Chun-Lehrern explizit erklaert, aber es ist ziemlich deutlich, denke ich mal.
Aber in den Formen geht es noch um viel mehr, je nach Schule gibt es etwas verschiedene Ideen und Schwerpunkte.
Was ist dann die Biu Zi in diesem Kontext?
Nun, viele Sprechen davon, dass es eine Art Notstandsform sein soll, aber dass ist eine Idee, die so nur in HK gibt im Yip Man Wing Chun in Fatsaan und den anderen Typen von Fatsaan Wing Chun ist das ein bisschen anders. Die Idee von "Gap Gau Sau" ("rettende Haende") gibt es in einigen Schulen schon in der SLT und der CK Form, nicht erst in der Biu Zi. Ist eine sehr interessante aber auch etwas komplizierte Diskussion, denn was heisst eigentlich Notstand? Wie definiert man das?
Wenn wir uns die Form Anschauen, so ist abgesehen vom letzten Teil, wo man sich vorbeugt und aufrichtet, die Koerperstruktuer, die Koerpereinheit nicht gebrochen - so kommt in der genannten Didaktik, wenn es um den Aufbau von Koerpereinheit und das bewegen der Masse geht, keine Bedeutung zu. Von einer strategischen und - je nach Schule - anderen Gesichtspunkten aber schon.
Man sollte ueberlegen - macht es Sinn, sich muehselig eine vereinte Masse/Koerpereinheit anzutrainieren, zu lernen sie Bewegen, maximale Kraft durch eine bestimmte Koordination der Gelenke und Koerpersegmente zu generieren, nur um sie dann, wenn man Biu Zi, Holzpuppe, etc. lernt wieder aufzugeben, und etwas ganz Gegenlaeufiges zu machen?
Man trainiert die SLT und CK, die (zu einem Teil) dem Aufbau und Training der Koerperstruktur (Ga Ying) dienen ohne Koerperstruktur, nachdem man die Biu Zi gelernt hat?
Al dies ist weder sinnvoll noch besonders intelligent - und dabei soll Wing Chun ja ein so ausgekluegeltes System sein!
Aber dann - es gibt ja auch Wing Chun, die keine SLT, CK, BZ und sogar keine Holzpuppe noch Waffen im Programm haben!
Was machen diese Leute, wie koennen sie Wing Chun lernen???
Ein Kommentar zur Ausfuehrung von Formen:
Zuletzt, es gibt einen weiteren Spruch, der allerdings nicht von den Kampfkuensten stammt, aber in diesem Kontext benutzt wird: "Yau Ying Mo Sun - Yau Sun Mo Ying".
Das bedeutet soviel wie "Form ohne Seele - Seele ohne Form".
Wenn man anfaengt, etwas zu lernen, lernt man die aussere Form - wenn man die korrekte Form findet, so bildet sich auch das korrekte "Feeling" oder wie manche Chinesen sagen, mit der korrekten Form, fliesst das "Hei" von alleine. Spaeter braucht man dann keine exakte Form mehr um das "Feeling", bzw. die korrekte Energie zu generieren, man folgt einfach dem Fluss des "Hei".
Es bedeutet nichts anderes als, wenn man z.B. Schreiben lernt, so lernt man eine Standardmethode, die fuer jeden gleich ist - wir haben Form, aber ohne Seele. Spaeter entwickeln wir dann unsere persoenliche Handschrift, die sich immer ein wenig aendert je nachdem ob wir unter Zeitdruck stehen, wie wir uns emotional fuehlen, usw. - wir haben keine Form, aber Seele.
Das heisst wir gehen von etwas, das uns von aussen aufgedrungen wird, zu etwas das von innen kommt, und sich staendig anpasst.
Aber es ist wichtig zu verstehen, dass "keine Form" nicht bedeutet, dass etwas keine Form hat und deshalb alles sein kann, was man moechte -es gibt immer nocht bestimmte Regeln, die definieren was etwas ist. Ein a wird immer als solchers erkennbar sein, dasselbe gilt fuer andere Buchstaben. Ohne Form heisst nicht, dass ein a wie ein x aussehen kann.
Dass heisst fuer die Kampfkunst, dass wenn der Unterschied zwischern der Form eines Anfaengers und des Meisters liegt in der "inneren" Qualitaet, wo der Anfaenger die Form seiner Techniken von aussen erfolgt, entsteht die Form der Techniken des Meisters aus dem inneren. Und je nachdem was er gerade fuehlt, visualisert, etc. sind seine Bewegung ein bisschen anders. Wenn man Erfahrung in den Kampfkuensten hat, ist es sehr deutlich zu sehen, dass bestimmte Ausfuehrungen einen gewissen Flavour hat, der sich nur schwer in Worte fassen laesst. Ich denke, der Begriff "Natuerlichkeit" ist ein gutes Wort, dies zu beschreiben.
In der Anwendung bedeutet dies, dass die genaue Form, der der genaue Winkel, etc. aus der jeweiligen Situation heraus ergeben, aber wie in der Handschrift ist ein a immer noch als solches erkennbar.
Ich hoffe, dass macht Sinn.
MfG