Weil Kanken ja immer so auf dem Thema rumreitet, vielleicht wäre es mal ganz interessant zu diskutieren und zusammenzutragen, was ihr zu der Thematik denkt?

Ob es bei euch das traditionelle Baishi gibt? Ob es nur eine traditionelle Zeremonie ist, oder ob auch klar unterschieden wird zwischen innerer und äusserer Kreis? Ob "innere" Lehrinhalte unabhängig von Baishi/Tudi im Laufe der Zeit auf Vertrauensbasis unterrichtet werden, oder ob unbedingt die Zeremonie mit dazugehört? Ist die Zeremonie traditionell (verbeugen vor Lehrer und "Ahnen" und Teetasse reichen, oder haben sich da vielleicht sogar neue Formen entwickelt?)

Ich weiss von meiner Linie, dass Wang Xiangzhai eine ausgesprochen kritische, aber dennoch sehr differenzierte Einstellung zu diesem Thema hatte, was er in der "Zentralen Achse" mMn sehr klar zum Ausdruck gebracht hat.

Konkret weiss ich von seinem Schüler Yang Shaogeng, der Lehrer meines Lehrers, dass es so etwas nicht gab, sondern jeder nach seinem Einsatz und Talent unterrichtet wurde. Es lag an einem selber wie viel man "mitnehmen" konnte oder nicht. Es gab keine Geheimnisse oder innere Kreise. So war das auch bei meinem Lehrer. Interessanterweise hatte das mein Lehrer bei uns dann wieder eingeführt. Es floss aber kein extra Geld, sondern sollte eine Wertschätzung zum Ausdruck bringen und auch eine gewisse Verbindlichkeit, von woher man sein Handwerk gelernt hat. Vielleicht steckt da ein wenig die Erfahrung dahinter, dass Leute gekommen sind, gelernt haben und dann etwas eigenes gemacht haben ohne zuzugeben woher sie die eigentlichen Sachen gelernt hatten.

Interessant ist hier vielleicht noch zu beobachten, dass meistens dort wo jemand ganz und gar auf das Unterrichten als Broterwerb angewiesen war (in meinem Fall z.B. Yiquan) die Baishi Sache entgegen Wang Xiangzhais Einstellung wiederbelebt wurde, bzw. als Zeremonie und Differenzierung zwischen "innen" und "aussen" wieder eingeführt wurde. Yang Shaogeng z.B. war gut abgesichert und war nie auf das Unterrichten angewiesen. Bei ihm gab's das nicht. So weit ich weiß ist das auch bei Yao Zongxun der Fall. Erst seine Söhne haben das dann wieder eingeführt.

Dann fände ich noch interessant, was ihr unter Linie versteht und wie ihr es begründet, dass ein bestimmter Lehrer/Ahne als Linienhalter genannt wird.
Z.B.: Ich würde sagen ich bin in der Linie von Ma Lingyu (mein Lehrer) und Yang Shaogeng (weil die meisten ihn noch direkt kannten).
Ich versteh z.B. nicht, wie jemand heute noch sagen kann er macht Bagua nach Zhang Zhaodong?? In der Linie von Zhao Daoxin, oder von Sha Guozheng? Oder Jiang Rongqiao? Ich verstehe natürlich, wenn man die großen Namen nicht nennt und nur Yu Guoquan oder Zhang Zhenzhong sagt, das bei weitem nicht so spektakulär klingt. Ist da vielleicht die Zeit einfach zu nah an der Realität dran und lässt weniger Raum für Kungfu Romantik??

Bin mal gespannt was ihr dazu meint und wie ihr das so seht.

Meine persönliche Meinung, bei aller Ehre zur Tradition, dass Wang Xiangzhai vor über 100 Jahren mit seinen Ideen schon eine ziemliche Weitsicht bewiesen hat... und es auch ziemlich klar ist, dass wenn Yiquan sich z.B nicht mit dem Zeitgeschehen mitentwickelt, es irgendwann auch überholt sein wird (also wenn die Grundidee Form entsteht aus Idee immer mehr verschlackt und selbst zu einer starren Form wird)