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carstenm
Das heißt, wenn ich das richtig verstehe, für dich sind Arbeit und Pflicht synoynm?
Synonym würde ich nicht sagen, allerdings assoziiere ich Arbeit mit Pflicht, da Letztere eher im Kontext von Arbeit anzutreffen ist, bzw. dort wahrgenommen wird.
Nicht alles an der Arbeit ist Pflicht und Pflicht ist auch außerhalb dessen, was gemeinhin in unserer Gesellschaft als "Arbeit" angesehen wird, anzutreffen.
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carstenm
Das gilt für mich so nicht. "Pflicht" ist für mich ein negativ besetzter Begriff, der für Lebensentwürfe steht, die ich eher kritisch betrachte. "Über die Freuden der Pflicht" gibt es ja aus der Perspektive von Siggi Jepsen
Mein Leben wurde von Gott entworfen.
Die Perspektive von Siggi Jepsen scheint mir nicht ganz neutral und von Traumatisierung geprägt.
Sein Vater hat es IMO mit der Pflichterfüllung etwas in's Extrem getrieben.
Daraus abzuleiten, dass Pflichtbewusstsein per se schlecht sei, scheint mir etwas voreilig.
Mir gefällt der Ansatz von Schulz von Thun, Werte nicht als gut oder schlecht anzusehen, sondern eher deren extreme Ausprägungen.
Da könnte man nun auf die linke Seite oben "Pflichtgefühl" schreiben und darunter "Kadavergehorsam".
Was könnte rechts stehen?
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carstenm
Sind Freude und Spaß synoym? Ich bin nicht sicher.
Laut Duden hat Spaß zwei Bedeutungen.
1.) die oben beschriebene:
"ausgelassen-scherzhafte, lustige Äußerung, Handlung o. Ä., die auf Heiterkeit, Gelächter abzielt; Scherz"
und
2.) die, um die es hier geht:
Freude, Vergnügen, das man an einem bestimmten Tun hat
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carstenm
"Spaß" bezeichnet nach meinem Verständnis eine kurze und nicht tiefgehende Freude, ein Vergnügen. Ein Glas Nutella leerlöffeln, das Nutella dabei vom Löffel lecken. Eine "Sherlock"-Episode gucken. Mit 240 km/h über die Bahn brettern. Ein Organsmus. ... Dergleichen Dinge. Danach aber dann Leere. Oder sogar Bedauern.
Bedauern oder bereuen könnte man dergleichen Dinge IMO, wenn es unangenehme Folgen hat:
Fettleibigkeit, Autounfall, Schwangerschaft...(ich hab noch nie eine Sherlock-Episode geguckt)
Aber so unmittelbar?
Gut ich bin jetzt Heide mit katholischen Wurzeln, da hab ich eventuell bezüglich Spaß eine andere Prägung.
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carstenm
Es mag sein, daß "Freude" schon etwas tiefer geht ... aber ich selber habe in meinem emotionalen Repertoire keine Empfinden, daß ich als "Freude" labeln würde.
Hört sich etwas...freudlos an.
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carstenm
Da gibt es sattdessen "Glück" oder auch "Zufriedenheit". Beides Begriffe, die - in meinem Sprachempfinden - etwas Dauerndens und vor allem etwas Sinnhaftes bezeichnen, das mich tanszendiert.
Kannst Du mir in einfacher Sprache erklären, was hier "transzendieren" bedeutet?
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carstenm
"Spaß haben" und "Pflicht erfüllen" sind für mich zwei Pole einer "leeren", d.h. wachstumsfreien Lebensgestaltung: Einerseits die Orientierung an unmittelbarer Affektbefriedigung, andereseits die Akzeptanz fremdbestimmter Zielsetzung in Bezug auf die eigene Entwicklung.
"Spaß haben" und "Pflicht erfüllen" sind für mich keine Gegensätze und nur Teilaspekte menschlicher Existenz.
Nach Nietzsche sind unsere Pflichten die Rechte anderer an uns.
Solange ich in einer Gesellschaft oder Gemeinschaft lebe, bin ich durch die Rechte anderer Pflichten unterworfen, oder ich gehe Pflichten andere gegenüber ein.
Ein Versprechen, ein Vertrag ist eine Verpflichtung.
Man kann sich auch sich selbst gegenüber zu etwas verpflichten oder sich seinem Gewissen verpflichtet fühlen, und dann den Tyrannen töten, dem sich andere verpflichtet fühlen.
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carstenm
(Warum schreibt sich Rosenberg hier denn mit "u"? Ich habe seine Methode eine Weile gelernt und etliche Bücher von ihm - und über ihn - hier stehen: Gibt's da was zu wissen?)
Ja, da gibt es zu wissen, dass Menschen Fehler machen. Z.B. Namen falsch schreiben.
Interessant, dass so was für Dich, der Du mir an anderer Stelle das Zählen von Hülsenfrüchten als Hobby unterstelltest, bemerkenswert findest, während ich, dem Du das vorgeworfen hast, so was eher als unbedeutend erachte.
Weiter unten auf der verlinkten Seite ist der Name korrekt geschrieben.
Ich nehme mit, dass Deine Bemühungen seine Methode zu erlernen und die etlichen Bücher, die Du von ihm hast, zumindest den Erfolg gezeitigt haben, dass Du die korrekte Schreibweise seines Namens kennst.
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carstenm
Ich habe die Arbeit mit Gewaltfreier Kommunikation nach einer Weile wieder aufgegeben, weil mir klar geworden ist, daß ich die Prämissen von Rosenbe(u)rg nicht teile. [...] ich habe die Erfahrung gemacht, daß sie in den Situtionen, mit denen ich umgehen muß, nicht funktionieren. Wenn nämlich die Beteiligten den Konflikt ausdrücklich wollen.
Z.B. wenn sich Mitarbeiter darüber uneins sind, ob ein Tarifvertrag nun gut oder schlecht ist?
Nur weil z.B. ich in Diskussionen die Wahrheit nicht auf dem Altar der Harmonie opfere, heißt das noch lange nicht, dass ich den Konflikt ausdrücklich will, ich gehe ihm nur nicht aus dem Weg.
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carstenm
Ich bin der Ansicht, daß das pessimisitische Menschenbild das für Rosenbe(u)rg eine wichtige Prämisse ist, nicht stimmt. Ich teile inzwischen die Annahme nicht mehr, daß Menschen zunächst grundsätzlich handeln motiviert durch Angst, Schuld, Scham, Pflicht oder Verpflichtung.
Interessant.
Also ich hab eine ganz andere Wahrnehmung von den Prämissen der gewaltfreien Kommunikation.
Und zwar folgende:
Menschen haben Bedürfnisse.
Diese Bedürfnisse drücken sich in Gefühlen aus.
Nicht erfüllte Bedürfnisse äußern sich in negativen Gefühlen.
Erfüllte Bedürfnisse in positiven Gefühlen.
Menschen wollen ihre Bedürfnisse erfüllen.
Daher entwickeln sie Strategien, um sich die Bedürfnisse zu erfüllen.
Diese Strategien verwechseln manche mit Bedürfnissen.
Manche dieser Strategien sind "tragisch" oder weniger geeignet, die Bedürfnisse zu erfüllen, oder laufen den Bedürfnissen anderer zuwider und sie schaden damit sich selbst oder anderen.
Eines der Bedürfnisse ist es, zum Wohlergehen von anderen Menschen beizutragen.
Und auf diesem Bedürfnis wird aufgesetzt, wenn man versucht, in Situationen wo Strategien zur Bedürfniserfüllung in Konflikt zueinander stehen, alternative Strategien zur Bedürfniserfüllung zu finden.
Denn das bedeutet, ja, dass beide Parteien an einer Konfliktlösung interessiert sind.
Das erscheint mir doch als ein eher optimistisches Menschenbild. Auf jeden Fall optimistischer als jenes, dass hinter der Meinung steht, dass Leute den Konflikt des Konflikt willens suchen, also gar nicht kooperationsbereit sind bzw. der Konflikt nicht eine Strategie ist, ein tieferliegendes Bedürfnis zu erfüllen, sondern die ein Konfliktbedürfnis haben, das nicht anders erfüllt werden kann, als durch eben einen Konflikt.
Ich stehe der von mir wahrgenommen Prämisse durchaus auch kritisch gegenüber, aber nicht, weil das auf einem zu pessimistischen Menschenbild beruht, sondern eher auf einem zu optimistischen.
Er behauptet auch IMO auch nicht, dass Menschen grundsätzlich durch "Angst, Schuld, Scham, Pflicht oder Verpflichtung" zu Handlungen motiviert werden, sondern eher, dass es in unserer Gesellschaft üblich sei, andere durch dergleichen zu motivieren, anstatt ihnen zu vermitteln, wie sie aus dem Bedürfnis heraus, etwas zum Leben beizutragen handeln können.
Man kann sich z.B. hinstellen und sagen "Impfen ist die erste Bürgerpflicht, wer sich nicht impfen lässt, soll doch bitte auch im Falle eines schweren Verlaufs auf Beatmung verzichten" oder man kann versuchen herauszufinden, welches Bedürfnis dahinter steckt, wenn eine konkrete Person sich nicht impfen lassen will und auf der anderen Seite darstellen, welches eigene Bedürfnis man mit der Strategie, sich zu wünschen, dass sich möglichst viele Impfen lassen, erfüllt.
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carstenm
Und darum glaub ich auch nicht, daß es das Spiel ist, daß es ermöglicht, "Entscheidungen zu treffen, die rein durch unseren Wunsch motiviert sind, etwas zum Leben beizutragen". Worum es aber auch nach meinem Verständnis ganz wesentlich geht.
Mir scheint, das ist einfach eine Definition.
Rosenberg nennt Handlungen, "die rein durch unseren Wunsch motiviert sind, etwas zum Leben beizutragen, und nicht aus Angst, Schuld, Scham, Pflicht oder Verpflichtung" eben "Spiel".
Du magst eine andere Definition von "Spiel" haben, aber dann kannst Du natürlich nicht einfach seine Aussagen über seine Definition von "Spiel" auf Deine Definition von "Spiel" anwenden.
Im weiteren Text gibt Rosenberg ein Beispiel, dass man die gleiche Tätigkeit als "Spiel" in seinem Sinne erleben kann, die man vorher als lästige Pflicht auf fasste.
Man muss also, wenn man seiner Anweisung folgt, nicht jegliche Tätigkeit, die man aus nicht reflektierten Pflichtgefühl heraus tut, aufgeben, sondern man kann auch eben sinnvolle Gründe finden, die zu tun:
Der nächste Punkt auf meiner Liste der unlustigen Aufgaben war das Fahren der Kinder zur Schule. Als ich jedoch den Grund für diese Aufgabe untersuchte, empfand ich Wertschätzung für die Vorteile, die meine Kinder durch den Besuch ihrer Schule hatten. Sie konnten leicht zur Schule in der Nachbarschaft laufen, aber ihre eigene Schule entsprach viel mehr meinen erzieherischen Werten.
Ich fuhr weiterhin mit dem Auto, aber mit einer anderen Energie; statt "Oh, verflixt, ich muss heute die Fahrgemeinschaft fahren", war ich mir meines Ziels bewusst, das darin bestand, meinen Kindern eine Bildungsqualität zu ermöglichen, die mir sehr am Herzen lag. Natürlich musste ich mich manchmal während der Fahrt zwei- oder dreimal daran erinnern, um meinen Geist wieder darauf zu fokussieren, welchem Zweck meine Handlung diente.
Wenn Sie sich mit der Aussage "Ich entscheide mich für ..., weil ich will ..." auseinandersetzen, entdecken Sie vielleicht - so wie ich -, dass Sie sich für eine Sache entscheiden. ", entdecken Sie vielleicht - so wie ich es bei der Fahrgemeinschaft der Kinder getan habe - die wichtigen Werte hinter den Entscheidungen, die Sie getroffen haben. Ich bin davon überzeugt, dass wir, nachdem wir Klarheit über das Bedürfnis erlangt haben, dem unsere Handlungen dienen, diese Handlungen als Spiel erleben können, auch wenn sie mit harter Arbeit, Herausforderung oder Frustration verbunden sind.
Im Übrigen ist in der Definition von "Pflicht" auf der deutschen Wikipedia schon enthalten, dass man sich darüber im Klaren ist, wozu diese Pflicht dient:
In Abgrenzung zum Zwang unterscheidet sich die Pflicht dadurch, dass sie auf einem gesellschaftlichen, rationalen oder ethischen Diskurs einschließlich Findung eines Konsenses beruht. Erforderlich ist demnach, dass ein Pflichtausübender die Notwendigkeit seiner Handlungen bzw. Arbeit selbst erkennt und einsieht.
Ich habe meine Zweifel, ob Jens Ole Jepsen oder jemand, der sich mit "ich tu nur meine Pflicht" aus der Verantwortung stehlen will, seine Handlungen entsprechend reflektiert(e).