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Thema: Marc Aurel und die antiken Stoiker bis zum neuzeitlichen Stoizismus

  1. #16
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    Marc Aurel ist gut erforscht. Ich habe die griechische Originalausgabe. Er schrieb seine Selbstbetrachtungen nämlich in Griechisch (wie Epiktets Werk durch dessen Schüler Arrian). Ich sehe es wie Lugasch. Es geht um die Frage, wer sich besser behauptet, derjenige, der sich auf sein Schwert verlässt und ohne dieses kein Vertrauen in die Wehrhaftigkeit seines naturgegebenen Arms aufweist (da nie ohne Schwert trainiert), oder ob der Krieger, der sein Schwert im Kampf verliert, als geübter Ringer weiterkämpfen kann. Damals ging es um Leben und Tod. Marc Aurel befand sich direkt an der Front, als er seine Selbstbetrachtungen schrieb. Keiner sonst kann es so gut wissen wie er als ein von Grund auf ausgebildeter, kampferprobter römischer Feldherr.

    Marc Aurel weist ja noch darauf hin, auch den schwachen Arm zu trainieren mit dem Kutscherbeispiel, also alles im Kampf zu beherrschen, nicht nur einseitig das Führen des Schwerts.
    Geändert von Joykey (01-08-2021 um 21:58 Uhr)

  2. #17
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    Zitat Zitat von Joykey Beitrag anzeigen
    Marc Aurel ist gut erforscht. Ich habe die griechische Originalausgabe. Er schrieb seine Selbstbetrachtungen nämlich in Griechisch (wie Epiktets Werk durch dessen Schüler Arrian).
    Und du liest das. Auf griechisch.

    Oder einfach ein wenig inspiriert durch YT?


  3. #18
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    Ich hätte schon wissenschaftliche Links, aber im Impressum hier steht:

    "5. Das Posten von direkten Links auf Bilder, Videos, Audiodateien, Archiven und Texten oder anderen Download-fähigen oder Stream-fähigen Material, für das Sie keine ausdrückliche Erlaubnis des Rechteinhabers haben, ist verboten. Bitte nehmen Sie vom „Hotlinking“ (direktes Verlinken) Abstand."

  4. #19
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    Zitat Zitat von Panzerknacker Beitrag anzeigen
    Die Richtung wird auch vom Weg bestimmt, zumindest, wenn man in ´ner Kutsche unterwegs ist.
    Gutes Stichwort, denn klar ist der Kontext eines Zitats entscheidend für die Zielrichtung der Aussage. Im Ringerbeispiel ging es Marc Aurel um die Anwendung der stoizistischen Grundsätze, also auch in der Umsetzung einer taktisch geschickten und weisen Innen- und Außenpolitik, was ihm eine verhältnismäßig lange Regierungszeit und viel Wertschätzung bescherte. Er hat vieles richtig gemacht.

    Apopos "Weg":

    Zweifellos stand der Stoiker Marc Aurel als römischer Kaiser und führender Feldherr des Öfteren auf einem Berg mit Sicht auf
    seine Soldaten, die fortlaufend an einem vernünftig erbauten, stabilen römischen Weg arbeiteten.

    Zum Weg als Sinnbild der Lebensausrichtung

    Marcus Aurelius Antonius, Selbstbetrachtungen.
    X 12+33, VI 8, V 14, IV 51.

    "Ruhig und doch zugleich leicht beweglich,
    heiter und doch zugleich gesetzt
    – so ist der Mensch, der in allem der Vernunft folgt.

    Denn eben als einen Genuss musst du alles auffassen,
    was du deiner eigenen Natur gemäß wirken kannst.

    Und dies steht überall in deiner Macht.
    Steht es ja bei dir zu untersuchen,
    was im Augenblick zu tun ist.

    Und wenn du das einsiehst,
    wohlwollend und festen Schrittes
    diesen Weg zu wandeln.

    Das nenne ich die Seele
    oder die Herrschaftsführende
    im Menschen,
    was ihn weckt und lenkt,
    was ihn zu dem macht,
    was er ist und sein will,
    und was bewirkt,
    dass alles, was ihm widerfährt,
    ihm so erscheine, wie er es haben will.

    Die Vernunft und die Lebenskunst sind Kräfte, die sich selbst genügen,
    die keinen anderen Richter über ihre Äußerungen haben als sich selbst.
    Sie haben ihr Prinzip und ihre Ziele in sich,
    und richtig heißen ihre Handlungen,
    weil durch sie der rechte Weg offenbar wird.

    Immer wandle den kürzesten Weg, den du zu gehen hast!
    Er ist der natürliche.
    Man folgt da im Reden und Tun nur der gesunden Vernunft.
    Du wirst dich auf diese Weise von mancher Sorge
    und von manchem Ballast befreien."


    Quelle: Projekt Gutenberg

    Ich fand einen interessanten englischsprachigen Artikel zum Stoizismus in der Stanford Encyclopedia of Philosophy unter dem Titel "Stoicism". Im dort ebenfalls zu lesenden Artikel "Marcus Aurelius" wiederholt sich vieles aus dem Stoizismus-Artikel der Stanford Encyclopedia, aber um den Kosmos-Aspekt erweitert.

    Inhaltlich vergleichbar ist dazu der deutschsprachige Bibelwissenschaftsartikel "Stoa" unter bibelwissenschaft DE.
    Geändert von Joykey (02-08-2021 um 01:31 Uhr)

  5. #20
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    @period: ich hatte beim Lesen des Zitats tatsächlich denselben Gedanken. Es gibt noch ne zweite Möglichkeit, wie die Situation gemeint sein könnte: Beide (Ringer und Schwertkämpfer) treten gegen einen Schwertkämpfer an.

    Ein Hinweis darauf kommt aus dem Kontext davor mit der starken linken Hand. Die Aussage wäre dann bei beiden Bildern dieselbe: Wenn man genügend übt, "Gewöh[nt man sich] auch an Dinge,
    deren Ausführbarkeit du anfangs bezweifelst." = die linke Hand wird stärker als die rechte und der Arm wird stärker als das Schwert.

  6. #21
    gast Gast

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    Period hat sich ja schon eindeutig geäußert, der Begriff "Schwertkampf" ist
    untrennbar mit dem Begriff "Ringen" verknüpft, das ist nicht nur in den HEMA so

    wenn heutzutage sportive Bewegungsformen wie olympisches Fechten, Boxen, Ringen
    das getrennt darstellen, führt das halt zu Interpretationsfehlern
    wenn der gute Mann das also im Text so trennt (sofern die Übersetzung korrekt ist), kann man
    da sicherlich drüber nachdenken, ist halt problematisch 2000 Jahre später ohne ernsthafte Kenntnisse
    von "Schwertkampf" auswerten zu wollen

    liest man den Beitrag zum "Weg" geht es da ja um "Seele" bzw. "Herrschaftsführende", ich
    würde das heutzutage anders lesen als vor 10 Jahren, da hätte ich mich am Begriff ""Seele"
    hochgezogen und "Herrschaftsweise" überlesen, heute würde ich jetzt erstmal forschen,
    wie Stoiker "Seele" definieren und das Originalwort für "Herrschaftsweise" ergründen
    kann ich mir persönlich aber sparen, ich habe da meine eigene Definition und würde
    das auch anders beschreiben als er

  7. #22
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    Die antiken Stoiker entwickelten eine Ethik, die in der Natur des Menschen gründet und im göttlichen LOGOS des Kosmos verankert ist (Allnatur). Logos (Geist Gottes) gestaltet die Hyle (stoffliche Materie) und durchdringt diese, so wie die vergeistigte Seele den materiellen Körper durchströmt und durch diesen tätig wird, dabei jedoch ihre eigene Existenz beibehält.

    Logos ist im Judentum das ewige Denken des einen G-ttes, das bei der Schöpfung wirkt, und im Christentum ist Logos von Gottes Wesen und als Wort bei Gott im Anfang aller Dinge. Also klare Parallelen.

  8. #23
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    Was mir zum Weg noch einfällt: Gehe es in Etappenzielen an!

    Dazu passend gibt es eine schöne Beschreibung zum römischen Brückenbau über Stromflussläufe im Youtube-Video "Antike: Wissen - Fakten - Hörbücher - Die Adoptivkaiser Teil 3: Antoninus Pius und Mark Aurel (Cassius Dio)" von 8:40-10:20

    "Die Flussläufe (der Ströme) werden von den Römern fast mühelos überbrückt, da die Soldaten dauernd auch dies wie sonst eine Kriegsmaßnahme üben, sowohl an Ister (der Donau), als auch am Rhein und Euphrat. Der Vorgang, wahrscheinlich nicht allgemein bekannt, vollzieht sich folgendermaßen: Die Schiffe, mit deren Hilfe der Fluss überbrückt werden soll, sind breit gebaut und werden ein kurzes Stück stromaufwärts vor der geplanten Übergangsstelle verankert. Auf ein gegebenes Zeichen hin lassen sie als Erstes ein einzelnes Schiff nahe dem eigenen Ufer flussabwärts treiben. Kommt es dann auf die Höhe des Punktes, wo die Brücke entstehen soll, werfen sie einen mit Steinen gefüllten und an einem Seil befestigten Weidenkorb ins Wasser, der als eine Art Anker dient. Nachdem das Schiff derart vertäut ist, bleibt es in Ufernähe an seinem Ort. Und nun legt man zugleich mit Brettern und sonstigen Brückenbau-Materialien, welche das Schiff in großer Menge mit sich führt, ein Verdeck bis zum Landeplatz. Hierauf lässt man ein weiteres Schiff in geringem Abstand zum ersten und wiederum ein anderes jenseits davon flussabwärts fahren, bis so die Brücke das Gegenufer erreicht."

    Quelle: Youtube-Video "Antike: Wissen - Fakten - Hörbücher - Die Adoptivkaiser Teil 3: Antoninus Pius und Mark Aurel (Cassius Dio)":

  9. #24
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    Auf kürzestem Weg, wie es sich bei den geradlinig bauenden Römern als gängige Bauweise erfolgreich etabliert hat, führt die fortlaufend selbst erbaute Römerstraße zur steilen Küste mit Strand, wo nun vor Ort ein Schiff zu errichten wäre für die nächste Etappe.

    Entwickle für Dein Ziel eine klare Vision - wie ein Schiff und behalte dies im Fokus
    - indem Du Ablenkungen davon loslässt.

    "Wenn Du ein Schiff bauen willst,
    dann trommle nicht Männer zusammen,
    um Holz zu beschaffen,
    Aufgaben zu vergeben
    und die Arbeit einzuteilen,
    sondern lehre die Männer die Sehnsucht
    nach dem weiten, endlosen Meer."

    (Antoine de Saint-Exupery)

    “Wenn auf einer Seefahrt das Schiff am Lande hält
    und du steigst aus, um Wasser zu holen,
    so magst du wohl nebenher eine Muschelschale auflesen
    oder einen Tintenfisch;
    dein Augenmerk aber muss aufs Schiff gerichtet sein,
    und du musst dich immer wieder umsehen,
    ob nicht vielleicht der Steuermann ruft.
    Ruft er dich, so musst du alles liegen lassen,
    damit du nicht gebunden in das Schiff geworfen wirst,
    wie es mit den Schafen geschieht.”

    (Der Stoiker Epiktet)

    Eine sachoffene innere Haltung sowie eine positive Einstellung und Bereitschaft zur Herangehensweise helfen, um EINEN Fokus zu finden!

    Der Bunkerblick des Singletasking reicht bei mir noch nicht, um mich ausreichend zu fokussieren. Das geht nur, indem ich mich nicht von den Problemen treiben lasse (viel Willensaufwand nötig), sondern von meinen Zielen beflügelt werde (die Zielvorstellung ist stärker als der Wille).

    Die Konzentration auf EINEN Fokus erinnert mich an den bekannten Leitsatz des römischen Philosophenkaisers Aurelius zu diesem Thema:

    Marcus Aurelius Antonius,
    Selbstbetrachtungen. VIII 36, VII 29:

    “Lass dich nicht durch die Vorstellung deines Lebens
    *in seiner Gesamtheit* entmutigen!
    Fasse nicht *alle* Leiden, welche vielleicht noch an dich kommen können,
    nach Beschaffenheit und Menge *auf einmal* in Gedanken zusammen,

    sondern frage dich vielmehr bei jedem gegenwärtigen Vorfalle:
    Was ist denn daran eigentlich so gar nicht zu ertragen und auszuhalten?

    Erinnere dich ferner, dass weder das Zukünftige noch das Vergangene,
    sondern immer nur das Gegenwärtige dich drücken könne,
    letzteres aber vermindert werde, wenn du *es allein* ins Auge fasst
    und deine denkende Seele davon überführst,
    dass sie nicht einmal diese *kleine Bürde* aushalten könne.

    Mach den Einbildungen ein Ende!
    Hemme den Zug der *Leiden*-schaften!
    Behalte die Gegenwart in deiner Verfügungsgewalt!
    Mache dich mit dem, was dir oder einem anderen begegnet, vertraut.
    Trenne und zerlege jeden Gegenstand in seine Ursache und seinen Stoff!”


    Quelle: Projekt Gutenberg

    Solche Zitate oder Redewendungen können helfen, sich in Schwung zu bringen. Mir hilft der Slogan "Go with the Flow", aber ich schrieb dazu vorgängig eine persönliche Handlungsanleitung und dieser Slogan und ähnliche Sätze verankern es in meinem Gedächtnis, um es jederzeit abrufen zu können. Marc Aurel weist auch auf diese Methodik der Durchdrungenheit hin mit seinem Hinweis auf den allseits bekannten Spruch als Mahnung und Ankerformel zur Furchtlosigkeit. Einfache anschauliche Bilder haben eine größere Wirkungskraft als Worte allein.

    Marcus Aurelius Antonius, Selbstbetrachtungen. Quelle: Projekt Gutenberg.
    "Wer von den Grundsätzen der Wahrheit durchdrungen ist,
    für den ist auch der kurze und allseits bekannte Spruch genügend,
    um ihn an ein getrost furchtloses Wesen zu mahnen."


    Auf diese Weise versuche ich, mich in den aktiven Flow des Singletasking zu versetzen, damit der anfängliche Aufwand weniger weh tut und der Antrieb besser fließt. So hilft es mir, vorgängig meine selbst geschriebene Handlungsanleitung und dazu passend Zitate des Stoikers Marc Aurel sowie Kerninhalte der antiken Stoiker zu lesen, z. B. Logos als gestalterisch tätiges Prinzip, Materie als zu gestaltendes passives Prinzip, wie Yin und Yang.

    Es braucht jedoch für die Umsetzung eine ausreichend eigenreflektierende lebensthematische "Durchdrungenheit" und Selbstkonditionierung wie beim Reiten & Ringen, damit es sozusagen auf Knopfdruck aktiviert wird, worauf Marc Aurel hinweist. Deshalb lese ich die Zitate öfter.

    Marcus Aurelius Antonius, Selbstbetrachtungen. Quelle: Projekt Gutenberg.
    "Gewöhne dich auch an Dinge,
    deren Ausführbarkeit du anfangs bezweifelst.
    Fasst du ja auch mit der linken Hand
    dennoch die Zügel kräftiger an als mit der rechten;
    obgleich die linke aus Mangel an Übung gewöhnlich schwächer ist,
    doch hierzu wird sie beständig gebraucht."


    Synchronisiere dabei Deine linke mit Deiner rechten Gehirnhälfte, damit sie im Einklang miteinander arbeiten!
    z. B. durch schöne Erinnerungen der Selbstwirksamkeit.

    - Youtube: Acerting Art - Klänge der Natur mit entspannenden Ozean-Sounds zum Schlafen
    - Youtube: Super Focus - Flow State Music - Alpha Binaural Beats, Study Music for Focus and Concentration
    Geändert von Joykey (02-08-2021 um 19:23 Uhr)

  10. #25
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    Zitat Zitat von Lugasch Beitrag anzeigen
    Ich begebe mich jetzt auf dünnes Eis, weil ich die Römer/Marc Aurel allenfalls aus populärwissenschaftlichen Sicht kenne, aber müsste er sich mit der Schwertkriegsführung nicht ausgekannt haben, womit der Vergleich Ringer vs. Schwerkämpfer kein wörtlicher sein dürfte.
    Ich habe das so verstanden, dass er in die Richtung argumentiert "Wissen/Können ist das leichteste Gepäck, das man zudem nicht verlieren kann" oder "Omnia mea mecum porto".
    Und der (für mich sinnvollere) Vergleich wäre ein Ringer mit Schwert gegen einen Schwertkämpfer ohne Ringen. Vielleicht sind mit letzterem irgendwelche Wehrbauern oder schnell verpflichtetes Fußvolk ohne eine entsprechende Ausbildung gemeint.
    Wenn der eine sein Schwert verliert, kann er immer noch ringen und der andere ist komplett auf sein Schwert angewiesen.
    Was ähnliches kann man auch im Outdoor-Bereich finden - je mehr man weiß/kann, desto weniger ist man auf sein Gepäck angewiesen und desto weniger Materielles muss man schleppen.
    Dass der Vergleich kein wörtlicher sein soll, würde ich auch so sehen, aber deswegen hinkt er trotzdem Wie gut Marc Aurel über das Thema Bescheid wusste, weiss ich nicht – Teil der militärischen Grundausbildung scheint es nicht gewesen sein (die, soweit ich die Biographie verstehe, Marc Aurel übrigens gar nicht erhalten hat, auch keine reguläre strategische Ausbildung! Den Teil hat sein Adoptivbruder Lucius Verus übernommen), Ringen wird er als reine sportliche Disziplin gekannt haben. Wie sehr er sich vertieft damit befasst hat, ist meines Wissens ebenfalls nicht überliefert. Als Kaiser und mehr noch als Feldherr wird er meines Erachtens heute meist masslos überschätzt, sogar als Philosoph könnte man ihm vorwerfen, dass er seine Ansätze selbst nicht so recht in der Praxis umsetzen konnte, und das trotz «Du kannst nicht im Schreiben und Lesen unterrichten, wenn du es nicht selber kannst; viel weniger lehren, wie man recht leben soll, wenn du es nicht selber tust.» Einige der politischen Entscheidungen, die er getroffen hat, wirken auf mich allenfalls kurzsichtig und von einer hochgradig theoretischen Sicht auf die Dinge geprägt. Mit dem Vergleich ist es ähnlich.
    Was man dazu vielleicht noch anfügen sollte: nach meinen praktischen Erfahrungen kommt ist das römische Schwert-Schild System tatsächlich weitestgehend ohne Ringen aus sondern ist näher am Boxen, was Beinarbeit usw. angeht. Wenn jemand aus ner Philly Shell boxen kann, kann er auch mit Gladius und Scutum was Sinnvolles anfangen, zumindest unserer Erfahrung nach. Das System ist – im Gegensatz zu den spätmittelalterlichen Systemen – primär auf solche Sachen ausgelegt, das ergibt sich schon rein aus der Bewaffnung. Die Leute aus dem klassischen HEMA haben dagegen meistens Bauklötze gestaunt und sind über ihre eigenen Füsse gestolpert. Mit einem kleinen, leichten Schild siehts dagegen oft wieder anders aus, da lassen sich die Sachen aus Buckler und Targe gut umsetzen (aber Ringen nach wie vor schlechter als Boxen).
    Wer sich mit solchen Dingen besser ausgekannt haben dürfte, war Marc Aurels Nachfolger (ob nun leiblicher Sohn oder nicht…) Commodus. Auch das wäre ein Thema für sich – die Geschichtsschreibung und nicht zuletzt der Film Gladiator haben Commodus als schlechten Kaiser abgestempelt, dabei ging es dem Reich unter ihm (auch in Ermangelung von Fehlentscheidungen am falschen Ort, insbesondere von recht sinnlosen und mehrheitlich verbockten Feldzügen) faktisch deutlich besser als unter Marc Aurel. Zudem hat Marc Aurel Commodus ganz offensichtlich für die Kaiserlaufbahn prädestiniert – wenn man Commodus als schlechten Herrscher sehen möchte, dann war das wohl eine weitere von Marc Aurels Fehlentscheidungen.

    Beste Grüsse
    Period.

  11. #26
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    Zitat Zitat von Kirke Beitrag anzeigen
    @period: ich hatte beim Lesen des Zitats tatsächlich denselben Gedanken. Es gibt noch ne zweite Möglichkeit, wie die Situation gemeint sein könnte: Beide (Ringer und Schwertkämpfer) treten gegen einen Schwertkämpfer an.

    Ein Hinweis darauf kommt aus dem Kontext davor mit der starken linken Hand. Die Aussage wäre dann bei beiden Bildern dieselbe: Wenn man genügend übt, "Gewöh[nt man sich] auch an Dinge,
    deren Ausführbarkeit du anfangs bezweifelst." = die linke Hand wird stärker als die rechte und der Arm wird stärker als das Schwert.
    Na ja, ich weiss nicht so recht. Ich würde da im römischen Kontext eher auf den Schwertkämpfer setzen - der hat nämlich immer noch den Schild, den man als Angriffswaffe nicht unterschätzen sollte. Ein Jab mit dem 8kg Schild gegen den Kopf kann jemanden noch in der Luft waagrecht hinlegen - ich war mal in so nem Fall indirekt beteiligt, und zwar als der, der den Jabber spezifisch darauf gedrillt hat Ich habe übrigens auch schon bei diversen unchoreografierten Kämpfen mit stumpfen Waffen mit dem Dolch gegen Schwert und Schild gerungen. Wenn man es schafft, in den Clinch zu kommen und dann einen outside arm drag mit der hinteren Schildkante zu machen, ist der ganze Rücken als Trefferfläche frei und der Typ kann sich im Leben nicht mehr rechtzeitig umdrehen. Allerdings ist es schwierig, da hin zu kommen wenn der Typ mit Schwert und Schild in der Distanz Zeit hat. Für mich ist das eigentlich immer gut ausgegangen, weil sich die Situation daraus ergeben hat, dass jemand an meiner Stangenwaffe vorbei wollte, aber mit dem Dolch oder sogar ohne gegen Schild und Schwert anzufangen ist eine ziemlich eklige Situation.

    Beste Grüsse
    Period.

  12. #27
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    Zitat Zitat von period Beitrag anzeigen
    Was man dazu vielleicht noch anfügen sollte: nach meinen praktischen Erfahrungen kommt ist das römische Schwert-Schild System tatsächlich weitestgehend ohne Ringen aus sondern ist näher am Boxen, was Beinarbeit usw. angeht. Wenn jemand aus ner Philly Shell boxen kann, kann er auch mit Gladius und Scutum was Sinnvolles anfangen, zumindest unserer Erfahrung nach. Das System ist – im Gegensatz zu den spätmittelalterlichen Systemen – primär auf solche Sachen ausgelegt, das ergibt sich schon rein aus der Bewaffnung. Die Leute aus dem klassischen HEMA haben dagegen meistens Bauklötze gestaunt und sind über ihre eigenen Füsse gestolpert. Mit einem kleinen, leichten Schild siehts dagegen oft wieder anders aus, da lassen sich die Sachen aus Buckler und Targe gut umsetzen (aber Ringen nach wie vor schlechter als Boxen).
    Wenn es sich so verhält, wie Du es beschreibst, wäre Marc Aurels Ringer-Vergleich doch erst recht passend, denn ein Ringer kann ja durchaus auch mit Schwert & Schild kämpfen, aber ihm bleibt der Vorteil, auch ohne dies noch kampffähig zu bleiben, während der Schwertkämpfer mit geringem Ringertraining ohne dies ziemlich nackt dastünde.

  13. #28
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    Zitat Zitat von Joykey Beitrag anzeigen
    Wenn es sich so verhält, wie Du es beschreibst, wäre Marc Aurels Ringer-Vergleich doch erst recht passend, denn ein Ringer kann ja durchaus auch mit Schwert & Schild kämpfen, aber ihm bleibt der Vorteil, auch ohne dies noch kampffähig zu bleiben, während der Schwertkämpfer mit geringem Ringertraining ohne dies ziemlich nackt dastünde.
    Nur sehr, sehr bedingt und primär dann, wenn bereits eine Infight-Situation hergestellt ist. Und nein, ein Ringer kann nicht automatisch mit Schwert und Schild kämpfen, schon gar nicht sinnvoll - ich habe das für die Philly Shell postuliert, und die kommt aus dem Boxen. Vielmehr sind die eingeschliffenenen Automatismen aus dem Ringen - etwa "vorwärts immer, rückwärts nimmer" - bei Schwert und Schild oft sogar eher nachteilig (bei Schwert gegen Schwert in Rüstung dagegen von Vorteil). Soweit ich verstanden habe, wurde Ringen aus eben diesem Grund in den Legionen nicht geübt, während es in Griechenland zum Standard-Ausbildungsprogramm gehört hat - da war die Standardwaffe aber die lange Lanze. Andere Baustelle. Ergo aus meiner Sicht nach wie vor: Boxerische Fähigkeiten sind mit Schwert und Scutum meiner Meinung nach viel sinnvoller als Ringen, auch weil primär gestossen wird, nicht geschnitten oder gar gehebelt. Ob sich das Marc Aurel unter "Zweikämpfern" vorgestellt hat - keine Ahnung, da müsste man die Textstelle kritisch analysieren.

  14. #29
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    Interessant. Marc Aurel wollte mit dem Ringer-Vergleich demnach noch etwas Anderes ausdrücken, nämlich den idealtypisch griechischen Athleten/Ringer als Sinnbild der griechischen Philosophie der Stoiker. Es ging ja beim Ringer-Vergleich um die Anwendung der griechisch-stoizistischen Grundsätze, die er auch in Griechisch niederschrieb (und nicht in römischem Latein).

  15. #30
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    Zitat Zitat von Joykey Beitrag anzeigen
    Interessant. Marc Aurel wollte mit dem Ringer-Vergleich demnach noch etwas Anderes ausdrücken, nämlich den idealtypisch griechischen Athleten/Ringer als Sinnbild der griechischen Philosophie der Stoiker. Es ging ja beim Ringer-Vergleich um die Anwendung der griechisch-stoizistischen Grundsätze, die er auch in Griechisch niederschrieb (und nicht in römischem Latein).
    Und das liest du aus Periods Beiträgen raus oder wie kommst du zu dem Schluss?
    “Das ist zwar peinlich, aber man darf ja wohl noch rumprobieren.”
    - Evolution

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