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Thema: Zur Geschichte des Begriffes "Nejia", Innerer Kampfkunst

  1. #1
    gast Gast

    Standard Zur Geschichte des Begriffes "Nejia", Innerer Kampfkunst

    Zitat Zitat von kanken Beitrag anzeigen
    Ich habe keine Lust mehr in Foren ellenlange Texte zu schreiben. Wenn es dich interessiert wende dich doch an den Autor des Buches, Prof. Lorge von der Vanderbilt Universität:
    Hab ich gemacht Und es kam postwendend Antwort. Man kann sich mit Ihm übrigens sehr gut unterhalten
    Zufälligerweise hat er gerade einen Aufsatz über genau das Thema vor ein paar Wochen geschrieben. Er dient quasi als Vorschau für ein neues Buch was bald rauskommen wird. Also man kann gespannt sein.

    Der Vollständigkeit halber hier nochmal die Verbindung zum anderen Thread wo das Thema herkam.

    Zitat Zitat von beniwitt Beitrag anzeigen
    Auch wenn es ältere Spuren gibt, hat das in China eigentlich erst so richtig Anfang 20. Jhdt. angefangen mit den nationalen KK-Akademien und der Unterscheidung in den Shaolin Zweig (äusserlich) und Wudang (innerlich) --- Dank sei Sun Lutang (Der ist wahrscheinlich einer der Hauptverantwortlichen für das ganze Schlamassel mit seinen Publikationen.) Das war aber damals schon ziemlich an den Haaren herbeigezogen. Seitdem ist der Begriff Neijia (innere Familie; oder innerer Familienkreis; manchmal als national interpretiert im Gegensatz zu Shaolin, was ja buddhistisch, also von ausserhalb von China kam) in die Volkseele eingedrungen und zusammen mit Wudang, Daoismus, Alchemie, Dantian, Innerer Energie (Qi) und Co zu einer ganz eigenen Strömung geworden. Die Kungfu Romane haben dann noch den Rest dazu beigetragen. Also in China sind das ideologisch schon zwei fest etablierte Lager.
    Da der Aufsatz recht lange ist habe ich ihn als Anhang hochgeladen.
    Aus dem Austausch mit Lorge hier vielleicht noch zwei relevante Zitate
    Right now, however, there is no evidence that I have found connecting the early Ming use of neijia to the late 19th/early 20th century use of the term.
    As for the religious questions you raised, my discussion was very general in that context. The topic is much more complicated, but Buddhism was always "tainted" by foreignness.


    Ein paar Punkte die ich ergänzen oder hervorheben mag zur Diskussion:

    1. Ich finde es bemerkenswert, dass keine der großen Legenden auf die die drei Hauptlinien (Taiji, Xingyi, Bagua) der Inneren zurückgehen in der chinesischen Geschichtsschreibung irgendeine Erwähnung finden. Das, obwohl Dong Haichuan oder Yang Luchan als Bodyguards im Kaiserpalast ein und ausgingen, heldenhafte Taten verrichteten und teilweise die Prinzen unterrichteten.

    Dann:
    2.
    But they were faced with the question of what value “martial” practice had in a time of widespread warfare with guns. Unarmed or hand to hand weapon skills were not functional in that environment. For Sun Lutang, this meant a new formulation, internal martial arts, that branded the arts he had studied along with Daoism into one package. His internal martial arts emphasized the health benefits of traditional martial arts, and while it didn’t do away with actual fighting, that was downplayed....Sun’s emphasis on the health benefits of martial arts, and deemphasizing fighting, was consistent with the late Qing early Republican period shin to larger, more “modern” martial arts schools for “middle class” workers. Urban workers, whether in offices or factories, needed some kind of physical recreation that was both good for them and modern. From the martial arts teachers’ point of view, this offered a way to make a living, something they really couldn’t do before. (S.5/6)
    3.
    The creation of Internal martial arts was part of separating martial arts from what the military did.
    4.
    But what about the other side of that formulation? Why is it important to claim antiquity for physical practices? Are those practices not good enough without a mythical past?
    Punkt 2-4 finde ich auch heute eine sehr wichtige Frage. Wenn man für sich klar hat was man sucht und was man will, wo es hingehen soll, dann wird man auch bestimmt dort hingelangen. Ich finde die ganze Kritik an den Inneren oder chin. Kampfkünsten sollte eigentlich eher zu einer Klärung und Ortung führen und nicht dazu das Kind mit dem Bade auszuschütten. Wer krasser Guerillakämpfer oder Bodyguard oder so was werden will sollte sich vielleicht irgendwo freiwillig melden wo er das ausleben und ausüben kann. Dazu:
    5.
    The historical answer to the question of when internal martial arts was developed is: probably the early 20th century. It is, in that sense, not an ancient practice.... Those practices of fighting, or of trained violence with and without weapons, may have had some consistent transmission over time, but this is unprovable. It is impossible to trace the filiation of the martial arts we currently practice very far into the past.
    Das bemerkenswerteste und wirklich traurige Phänomen finde ich wie schon öfter erwähnt, dass eigentlich gerade das Shuijiao DIE klassische, traditionelle und historisch alte KK Chinas (und der ganzen Welt) ist (und daher Material für echten Austausch bieten würde), aber weil sie ihre Geschichte eben nicht in fabulöse Legenden gehüllt haben sondern handwerklich ihre Sachen gemacht haben, waren sie politisch/nationalistisch und was das mythisch/legendenhafte anging eben nicht interessant genug und fristen daher nur noch ein Randdasein bzw. stehen kurz vor dem Vergessen werden. Taiji und Co haben sich im Prinzip aber praktisch daran bedient und bereichert.
    6.
    The fundamental martial arts were archery and wrestling, the former for war and the later for peace time.
    7.
    If there is no claim to combat effectiveness, or that is not the primary goal of training, then no harm is done. But if an art makes some claim that its curriculum and training regime is combat effective, then failing in a fight is quite a shock. Nationalism then kicks in...Internal martial arts, at least as Sun Lutang presented it, was not about combat, or, at least, he did not stress that aspect of training.... but the art he was selling was for educated, modern Chinese with enough money and time to indulge in a hobby.
    Und es hatte mMn. den Aspekt eines genuin chin. Nationalsports zur Kräftigung und Wiedererstarkung der chin. Volkseele. Das war wahrscheinlich auch die Idee hinter der Gründung der nationalen KK-Akademien. Vielleicht auch in direkter Anlehnung an die Jingwu Föderation etwas früher gegründet durch Huo Yuanjia. Das "nei" von "neijia" kann ja sehr natürlich doppelt verstanden werden, im Sinne von "innerlich" als die Auseinandersetzung mit Körper und Geist, und innerlich, als genuin innere Kampfkunst gründend in der chin. Kultur, im Gegensatz zu all dem was von aussen kam.
    Wobei ich mir mit der Verbindung Mandschu=Buddhismus=Fremdkultur und daher gleich Fremdherrschaft, grob und hart etc etwas schwer tue. Denn Shaolin hatte zur Ming seine absolute Blüte, wurde auch in der Qing von Kangxi gefördert und der Mahayanbuddhismus und darin vor allem das Zen/Chan waren zu dieser Zeit voll integriert und gar nciht mehr aus der chin. Kultur wegzudenken. Im Gegenteil, das Chan/Zen (Shaolin) war eine genuine chin. Verarbeitung des Buddhismus und schon seit der Songdynastie war es gang und gebe, dass man sich in der gebildeten Schicht praktisch wie theoretisch mit allen drei lehren auseinandersetze. Der ganze Neokonfuzianismus ist ja durch Einflüsse von Buddhismus und Taoismus geprägt. Im Verlauf der weiteren Geschichte hat die synkretistische Tendenz der drei Schulen nur noch zugenommen und wurde nie mehr wirklich in Frage gestellt (während es davor teilweise heftige Auseinandersetzungen und Buddhistenverfolgungen gab). Im Gegensatz dazu der tib. Buddhismus, der bis heute irgendwie fremdartig im chin. Kulturkreis anmutet, mit dem die Mandschus verbunden waren, aber nie mit Kampfkunst verbunden wurde.
    8.
    Some might argue that the fault lies in the historical record, which has simply failed to capture those practices. But that same record has retained mentions of archery, boxing, fencing, spear-fighting, and wrestling. Internal martial arts is not mentioned before the 17th century, and then only twice, before reappearing in the early 20th century. Qigong is early 20th century, and daoyin, though quite old, is impossible to connect to any martial art or even to qigong.
    Zur Info, wer Lust hat....
    Will you be at the Martial Arts Studies conference in Switzerland next year?
    Geändert von gast (25-10-2021 um 09:45 Uhr)

  2. #2
    gast Gast

    Standard

    Some Ques)ons (and possibly some answers) on the Origin of Internal Mar)al Arts
    Peter Lorge Vanderbilt University
    Lorge_Neijia Waijia_Some Questions.pdf

  3. #3
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    Zitat Zitat von beniwitt Beitrag anzeigen
    Hab ich gemacht Und es kam postwendend Antwort. Man kann sich mit Ihm übrigens sehr gut unterhalten
    Zufälligerweise hat er gerade einen Aufsatz über genau das Thema vor ein paar Wochen geschrieben. Er dient quasi als Vorschau für ein neues Buch was bald rauskommen wird. Also man kann gespannt sein.
    ...
    Herzlichen Dank, auch für die Zusammenfassung. Werde mir mal die 15 Seiten zu Gemüte führen.

    Liebe Grüße
    DatOlli

    PS.: Nach dem lesen, Doppeldanke.
    Geändert von DatOlli (25-10-2021 um 13:41 Uhr) Grund: PS angefügt

  4. #4
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    Standard

    Sehr cool! Vielen Dank für Deine Nachfrage und das Posten des Artikels hier!

    Lorge fasst noch mal schön zusammen was bisher ja auch in anderen Quellen über den Anfang des 21. Jhd. geschrieben wurde, nur bringt er es viel schöner auf den Punkt. Letztlich bestätigt er ja das, was wir im Ziranmen-Faden schon geschrieben haben:

    Im 17. Jhd. wurde der Begriff „internal“ als Propaganda gegen die Manchu genutzt

    Anfang des 20. Jhd. (und bis heute) als „Marketing“-Begriff u.a. von Sun Lu Tang
    Geändert von kanken (25-10-2021 um 10:53 Uhr)

  5. #5
    Gast Gast

    Standard

    Ich finde das Thema und der Artikel von Lorge (bzw. die zitierten Passagen) sind doch erheblich vertrackter.

    Taijiquan, Baguazhang, Xingyiquan (und andere, auch "äußere" chinesische KK, d. h. eigentlich die ganzen sogenannten traditionellen KK) waren demnach im 19.-17. Jh. weder besonders relevant noch waffenbasiert - es hat sie vielmehr gar nicht (nachweisbar) gegeben.
    Das einzige was da noch zur Ehrenrettung helfen könnte, wäre vielleicht die unvoreingenommen und uneingeschränkte Publikmachung diverser Familienchroniken (d. h. um evtl. auf diesem Weg noch mal an Informationen zu kommen, wie der Stand der Dinge in dieser Zeit vielleicht war).

    So lese ich das im Grunde genommen.

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