Nur um einem Mißverständnis vorzubeugen:
Ich meinte nicht, daß es im aikidô ein Problem sei, daß uke "nicht richtig angreift". Sondern daß, im Gegenteil, ein "richtiger Angriff" im aikidô nicht die Intention hat, realistische aktuelle Kampf- oder SV-Szenarien abzubilden: shomen uchi oder ai hanmi katate dori wird nicht geübt mit dem Gedanken, daß einem das Samstag Nacht auf dem Nachhauseweg oder bei einem freundschaftlichen Sparring mit einem nicht-aikidôka so passiert und man dann entsprechend agiert.
Nach meinem Verständnis sind die Angriffe im aikidô allesamt didaktische Formen, die es tori ermöglichen sollen, eine bestimmte, definierte Qualität der Körperstruktur und -bewegung zu entwickeln. Und um ein bestimmtes Handlungsrepertoire zu erlernen. Die Rolle von uke besteht darin, dementsprechend "korrekt" anzugreifen. Und ein möglichst gutes, körperliches Feedback zu sein, so daß tori erleben kann, was er bewirkt, oder eben auch nicht bewirkt.
- Weswegen ich die Aussage von @Aiki50+ hängengeblieben war, dass er eine bestimmte Technik nur dann werfen kann, wenn kein kuzushi erfolgt. In unserem Üben würde uke dann eben nicht fallen. -
Insofern ist die Rolle des uke im aikidô nach meinem Verständnis dieselbe wie auch die des uketachi im kenjutsu. Jedenfalls in den Kontexten, in denen ich übe.
Korrekturen erfolgen in dem aikidô, wie ich es kenne, in aller Regel, indem der Lehrer oder der Fortgeschrittene angreift. Um einerseits einen möglichst adäquaten Angriff zu bieten, so daß geübt werden kann, was geübt werden soll. Und um andererseits ein möglichst adäquates Feedback zu bieten, so daß das, was erlebt wird, möglichst aussagekräftig ist. Und so daß erlebt werden kann, was sich bei uke verändert, wenn tori seine Technik verändert.
Im Kenjutsu kenne ich es so, daß - sobald beide Partner in der Lage sind, die Rolle von ukedachi auszuführen - die Rollen entweder nach einer bestimmten Anzahl von Wiederholungen oder nach einem bestimmten Durchlauf durch mehrere kata gewechselt werden. Im aikidô wird von Anfang an nach je vier Ausführungen der Technik gewechselt. So kann erstens der nicht so fortgeschrittene Partner die Technik immer wieder so erleben, wie sie sein sollte. Und er lernt von Anfang an auch die Rolle von uke. Also sowohl das Angreifen, als auch das Feedback. - Ob in der Rolle des uke auch ganz wesentlich die Bewegungsqualitäten gelernt werden, die im aikidô vermittelt werden sollen, ist ein sehr alter, sehr intensiver Streit der Gelehrten ... und m.E. ein Thema für sich.
In dem Kontext, in dem ich übe, wird das Angreifen als eigenständige Übung geübt. Sowohl die Griffe, als auch die Schläge und Fauststösse. Auch mit Partner. D.h. der Angriff wird geübt, ohne daß der Angegriffene mit einer Technik reagiert.
Anders als in koryû, soweit ich sie kenne, hat sich im aikidô - wohl zuerst durch den Einfluss von Takeda sensei - die Sitte eingebürgert, dass sich (viele) Lehrer nicht werfen lassen. In meinem aikidô Umfeld ist das anders. Bzw. wenn Lehrer kein ukemi nehmen liegt das in aller Regel an den Folgen des Alters oder anderer "Gebrechen" dieser Lehrer. Ansonsten ist das ganz selbstverständlich üblich.