Hallo,
zu den Nachfragen in meiner Richtung:
„Flunkerte“ G. Funakoshi mit der Angabe, A. Asato sei sein Hauptlehrer? Seit etwa 1905 war G. Funakoshi in der Präfektur Okinawa eine öffentliche Person in Sachen Karate. Da lebte A. Asato noch und in der damaligen Karate-Welt zu „flunkern“, was seinen Lehrer angeht, hätte zu einem Ausschluss des Flunkerers geführt. Doch G. Funakoshi war ab 1912 Leiter und ab 1917/1918 Mitglied der ersten beiden echten Karate-Vereinigungen Okinawas. K. Mabuni schreibt von „Asato-Ha“ als einem Zweig des Karate – G. Funakoshi, sein Senior, war der Vertreter des „Asato-Ha“ (die Bezeichnung selbst ist nur provisorisch, nicht „offiziell“). G. Funakoshi interviewte A. Asato ca. 1902 und veröffentlichte dieses Interview 1914 in der „Ryūkyū-Zeitung“ (vgl. mein „Band I“ S. 9 ff.). In diesem Interview äußert sich A. Asato über das Trainingsniveau von G. Funakoshi („Band I“ S. 19) – so eine Bewertung dürfte nur bei einigermaßen intimer Kenntnis des Niveaus machbar sein, in etwa wie bei einem Lehrer, der seinen Schüler bewertet. U. a. diese Indizien sprechen aus meiner Sicht gegen ein „Flunkern“ bezüglich A. Asato.
G. Funakoshi lernte als Jugendlicher Naichanchi von A. Itosu, und zwar über zehn Jahre hinweg. In dieser Zeit bekam er kaum technischen Input von A. Asato. Erst nach dieser Zeit begann sein echtes Training unter A. Asato, von dem er zu allererst Kūshankū lernte. Wenn ich von mir selbst ausgehe, dann lernte ich in den ersten zehn Jahren meines Karate-Lebens zunächst mal mehr oder weniger banales JKA-Shōtōkan, und später auf Lehrgängen insbesondere bei zwei japanischen Größen aus dem Umfeld der JKA. Die beiden beeinflussten mein damaliges Karate stark und tatsächlich folgte ich technisch einem der beiden, ich legte bei einem der beiden auch meine Shodan-Prüfung ab. Ich würde nicht bloß „flunkern“, ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass diese ersten zehn Jahre mein „Haupt“-Einfluss im Karate gewesen seien (um nicht „meine Hauptlehrer“ zu schreiben). Erst danach traf ich meinen jetzigen Karate-Lehrer und ich musste alles (a l l e s) vergessen, was ich vorher gelernt habe, um eine Chance zu haben, das erfassen zu können, was er mir beibringen konnte. Mein heutiger Karate-Lehrer ist mein einziger Hauptlehrer, die ersten zehn Jahre haben technisch nichts damit zu tun (abgesehen von erinnerten, äußerlichen Kata-Abläufen, Anekdoten u. ä.). Ganz ähnlich kann zumindest ich verstehen, dass es im Fall von G. Funakoshi ebenso war.
„Originaleres“ Karate ist ein ungünstiges Wort, weil es impliziert, dass es „irgendwann“ mal ein einziges, einheitliches, von allen akzeptiertes und verkörpertes „Karate“ gab. Das ist nie der Fall gewesen! G. Funakoshi vertrat und unterrichtete das Karate seiner individuellen Übertragungslinie, technisch die hauptsächlich von A. Asato ausgemacht wird und Einflüsse von A. Itosu und anderen aufweist.
Die Frage nach dem Vergleich von A. Itosus und A. Asatos Karate ist völlig berechtigt. Es gibt keine Bilder oder gar Filme von ihnen, weswegen so ein Vergleich kompliziert ist. Im Forum schrieb ich bereits, worauf sich meine diesbezüglichen – nicht einfach so unüberlegt hin geklatschten – Aussagen gründen. Hier kopiere ich sie nur hinein:
Gab es Unterschiede zwischen dem Karate von A. Asato (1828–1906) und A. Itosu (1831–1915)? Kurzum: ja die gab es und zwar deutlich!
(1) Beide waren unterschiedliche Personen – mag überraschen, ist aber so.
(2) Beide hatten unterschiedliche Haupt-Lehrer.
(3) Gestuelle Unterschiede, sind am einfachsten aufzeigbar. Tatsächlich geschieht dieses Aufzeigen von Unterschieden häufiger im Training meiner Minigruppe. Damit meine ich deutliche Unterschiede zwischen Gesten im Ablauf gleichnamiger Kata zwischen A. Asato und A. Itosu.
Anmerkung: Ja, natürlich sind Kata von A. Asato überliefert. Es sind Kata, die G. Funakoshi lehrte. Er hatte einige Kata von A. Itosu, einige von A. Asato (seinem Hauptlehrer) und wieder andere Kata von weiteren Lehrern. Etwa 16 Jahre nach A. Asatos Tod (eine leider lange Zeit) veröffentlichte G. Funakoshi fünfzehn Kata. Einige davon sind eben Kata, die er von A. Asato lernte, z. B. Kūshankū (Kankū). Diese Abläufe weisen Bewegungsfolgen auf, die sich teilweise stark von denen aus der A.-Itosu-Linie unterscheiden (wieder auf Grundlage der Lehre von Schülern A. Itosu). Solche Vergleiche haben nichts mit Hexerei zu tun.
(4) Beide hatten unterschiedliche taktische Ansätze, die mit ihrem eigenen Kampfstil Hand in Hand gingen. Dazu gibt es ausreichend Aufzeichnungen, die ich zum Teil übersetzt vorlegte.
Anmerkung: Mein Punkt (4) hat durchaus etwas mit einer „eigenen Art zu kämpfen“ zu tun. Um mal ein plumpes Beispiel zu geben, verweise ich auf eine Schildkröte, deren Taktik ihr Kampfverhalten (oder Abwehrverhalten) bestimmt. Das ist vergleichbar mit einem antrainierten menschlichen kämpferischen Verhalten, einschließlich entsprechender Taktik.
(5) Am schwierigsten nachweisbar sind fraglos Unterschiede in der jeweiligen Art der Krafterzeugung. Aber auch für ihr Vorhandensein gibt es zumindest deutliche Indizien.
Anmerkung: Mein Punkt (5) betrifft die deutlichen Indizien für verschiedene Arten der Krafterzeugung/Körpermechanik (mir ist dafür immer noch kein besserer Begriff eingefallen). Von mir übersetzte Beispiele finden sich in „Band I“, S. 31 f. (Zitat von C. Motobu), S. 53 f. (Zitat von G. Funakoshi); in „Band II“ S. 13, S. 17 (anonyme Zitate von 1915), S. 57 ff. (Zitat von G. Funakoshi).
Grüße,
Henning Wittwer