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Thema: "Karate ist ein Helfer der Gerechtigkeit" (Funakoshi Gichin) - Wirklich?

  1. #1
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    Standard "Karate ist ein Helfer der Gerechtigkeit" (Funakoshi Gichin) - Wirklich?

    „Karate ist ein Helfer der Gerechtigkeit“ (Funakoshi Gichin)

    Wirklich?

    Der Übergang vom Feudalstaat zu einer modernen imperialen Großmacht erwies sich für Japan als eine überaus bewegte Geschichtsepoche. Die jahrhundertelange Militärregierung der Shogune, der Anführer des Kriegeradels der Samurai, hatten der militärischen Übermacht der USA und den Truppen des japanischen Kaisers ab Mitte der 1850er Jahre nichts mehr entgegen zu setzen. Unter dem Kaiser als neuem Regenten entwickelte sich Japan zu einer modernen imperialen Großmacht, die in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts faschistische Züge annahm und den großen Pazifik-Krieg verursachte.
    Während der Turbulenzen dieser Zeit formten sich einige Bushido-Kriegskünste der Samurai zu den japanischen Budo-Künsten, die wir hier und heute im Westen organisatorisch und praktisch noch ganz ähnlich betreiben. Ihre Gründungsväter sind Idole für alle Budokas – ihre Portraits zieren die Wände zahlloser Trainingsräume. Der Westen ordnet ihnen humanistische Ideale und große Friedensliebe zu. Aber wie wurde dieser Anspruch von ihnen selbst formuliert? Und wie schützten sie ihn vor den Zugriffen des japanischen Militarismus und Faschismus?
    Im Internet wird Funakoshi Gichin mit Lobpreisungen seiner Friedfertigkeit überhäuft:

    Auch war Funakoshi ein sehr friedfertiger Mann, der versuchte, den Kampf wann immer möglich zu vermeiden. So gab er zum Beispiel einmal Dieben den Kuchen, den er als Opfergabe für seine Ahnen vorgesehen hatte, nur um den Konflikt mit den beiden ihm wahrscheinlich unterlegenen Männer zu vermeiden.

    Im traditionellen Karate Do sind Wettkämpfe undenkbar, da sie einen krassen Gegensatz zu der Philosophie des Karate Do darstellen. Funakoshi befürchtete, dass die Philosophie bzw. die Charakterschulung im Wettkampfkarate zu kurz kommen würde und sogar Schüler ohne Moral und Ehre hervorbringen könnte.

    Bei Funakoshi, Sohn einer Samurai-Familie, scheint es sich diesen Darstellungen folgend um einen charakterlich geschulten und gefestigten Mann gehandelt zu haben, der von Moral und Ehre erfüllt war und seine Kampfkunst in den Dienst der Friedensliebe stellte – ein Vorbild und ein Ratgeber für gewaltpräventive Ambitionen. In seiner Autobiographie „Karate-do – Mein Weg“ (deutsche Erstauflage 1993 – alle Seitenzahlen der folgenden Zitate beziehen sich darauf) - gewährt Funakoshi Einblicke in seine Denk- und Lebensweise. Er skizziert sich selbst als einen sehr konservativen, konfuzianisch orientierten Menschen, der seinen Alltag mit Ritualen anfüllt und seine Mitmenschen streng hierarchisch nach gesellschaftlicher Bedeutung einordnet. Wie seine westliche Anhängerschaft richtig feststellt, betont er, dass „Karate eine defensive Kunst ist und niemals offensiven Zwecken dienen darf.“ (S. 134).

    „Deshalb lehre ich meine Schüler, immer auf der Hut zu sein, aber niemals mit ihren Karatefähigkeiten in die Offensive zu gehen, und ich unterweise meine Schüler, daß ich unter keinen Umständen gestatten würde, wenn sie ihre Fäuste benutzten, um persönliche Meinungsverschiedenheiten zu bereinigen.“ (ebd.)
    Anlass für seinen demonstrativen Aufruf zum defensiven Umgang mit dem Gewaltpotential des Karate war nach eigenem Bekunden vor allem die Sorge des obersten Polizeibeamten seiner Stadt, dass Karate als Angriffswaffe Verwendung finden könnte. Auch ein „hoher Offizier“ ermahnte ihn, dass Karate-Fähigkeiten nicht zu einem illegalen Zweck verwendet werden dürften. Aber sein Aufruf, Karate nicht in aggressiver Weise einzusetzen, gehörte wohl auch zu seiner eigenen persönlichen Überzeugung:

    „Unter welchen Umständen auch immer, Karate darf nicht offensiv verwendet werden.“ (S.135)

    Was sich bei der Durchsicht des Autobiographie-Textes dem schnellen Blick entzieht, ist die Unterscheidung, die Funakoshi zwischen „persönlich“ und „öffentlich“ trifft. Sie resultiert aus einer im asiatischen Raum verbreitet vorfindbaren konfuzianischen Haltung gegenüber der Gesellschaft. Ob man seine Fäuste benutzen darf, um persönliche Meinungsverschiedenheiten zu bereinigen, ist für Funakoshi eine zweitrangige Frage. Das richtige Verständnis des Karate-do manifestiert sich für ihn vor allem in der Unterordnung unter das bestehende Gesellschaftssystem.

    „Karate-Do ist nicht nur der Erwerb besonderer Verteidigungsfähigkeiten, sondern auch das Meistern der Kunst, ein gutes und ehrbares Mitglied der Gesellschaft zu sein.“ (S.145)

    Wie aber wird man ein „gutes und ehrbares Mitglied“ einer militarisierten Gesellschaft, die zunehmend faschistische Züge annimmt? In Japan hieß das zuvorderst die Bekundung der Untergebenheit unter den Kaiser, der Funakoshi durch tägliche Rituale gerne nachkam und die ihn als Monarchisten und glühenden Patrioten zeigen.

    „Nachdem sich Funakoshi morgens präsentabel gemacht hatte, wendete er sich in Richtung des kaiserlichen Palastes und verbeugte sich tief, …“ (S.14)

    „Liebe zum Karate, Liebe zu sich selbst, Liebe zur Familie und zu Freunden: alles führt letztlich zur Liebe des eigenen Landes. Das wahre Verständnis des Karate kann nur durch solche Liebe erreicht werden.“ (S.146)

    Nur Funakoshis bedingungslose Loyalität gegenüber Kaiser und Vaterland macht verständlich, warum sein Imperativ „Unter keinen Umständen darf Karate offensiv verwendet werden!“ plötzlich sehr relativ und sogar ins genaue Gegenteil umschlagen konnte. Unter dem Eindruck des Pazifikkrieges öffnete er die Tore seines Dojos weit für junge Männer, die sich mithilfe der Lehren seines Karate-do für ihren Einsatz im Krieg vorbereiten wollten.

    „Unsere Friedenszeit näherte sich nun ihrem Ende. Als sich der „Mandschurische Zwischenfall“ ausweitete, begann Japan, sich auf einen richtigen Krieg vorzubereiten. Nun wurde die Zahl der Schüler, die in mein Dojo kamen, immer größer; und nach dem Ausbruch der Feindseligkeiten mit China, die bald vom Krieg im Pazifik gefolgt wurden, konnte mein Dojo die Anzahl der jungen Männer, die trainieren wollten, nicht mehr aufnehmen.“ (S.127)

    „Sie hatten Tag für Tag angestrengt Karate geübt, um sich auf einen Kampf mit einem unbekannten Feind vorzubereiten, und sie glaubten, sie wären jetzt so weit. In der Tat erzählte man mir, dass manche Offiziere ihre Männer anwiesen, dass sie, falls sie keine Gewehre oder Schwerter tragen können, den Feind mit bloßen Händen anzugreifen hätten. Dies wurde bekannt als „Karate-Angriff“.“ (S.128)

    „Bald musste natürlich eine andere Katastrophe ertragen werden: der Kaiser verkündete seinen Erlass, der die Niederlage Japans anerkannte.“ (S.129)

    Karate darf nie offensiven Zwecken dienen? Die obigen Zitate sind nicht misszuverstehen: Funakoshi erfüllte den jungen Männern, die durch Karate-Training ihre Kriegstauglichkeit erhöhen wollten, ihren Wunsch nicht widerwillig, sondern aus innerer Überzeugung für Kaiser und Vaterland. Das Ende des japanischen Faschismus samt seinen Massenmorden Jahre später immer noch als „Katastrophe“ zu bezeichnen, spricht für sich!
    Budokas der heutigen Zeit bezeugen ihre Hochachtung vor Funakoshi als einem Mann der Ehre, Moral und Charakterstärke. Da Funakoshi aus einer Samurai-Familie entstammt, sind diese Zuschreibungen nichts anderes als das, was man nach der Lektüre vieler hiesiger Kampfkunst-Publikationen von einem Samurai erwarten darf. Dem Samurai werden insbesondere folgende Tugenden zugeschrieben: Gerechtigkeit, Mut, Güte, Höflichkeit, Wahrheit, Ehre und Treue. Die Tugenden Ehre und Treue – bedingungslos zu leben und zu sterben für den Herrn - standen für den Samurai in allen Zeiten mit großem Abstand an erster Stelle der Aufzählung seiner Tugenden. Seine Ehre war seine Treue. Wie ich aufzeigte, stand auch Funakoshis absolute Loyalität und Untergebenheit gegenüber „seinem“ Kaiser im Zeichen dieser Samurai-Tradition.
    Wie er in seinen autobiographischen Aufzeichnungen festhielt, befanden sich in den Reihen seiner Schüler auch junge Männer, die im Sinne des moralischen Samurai-Gebots des „Hagakure“ im 2. Weltkrieg als Kamikaze-Piloten ihr Leben für Kaiser und Japan opferten. Was aber machte Funakoshi als einer ihrer ideologischen Lehrer daraus? Als die Amerikaner mit dem Flugzeug-Abwurf zweier Atombomben schlagartig zig-tausende Japaner töteten und sein Herr, der Kaiser, durch seine bedingungslosen Kapitulation entehrt wurde, beging Funakoshi weder Seppuku – in der Zeit der Shogune wäre der rituelle Selbstmord eines ehrenhaften Samurai in einem solchen Fall geboten gewesen - noch wurde er nach dem Vorbild der Geschichte von den 47 Samurai zum Racheengel gegenüber den Amerikanern.
    Stattdessen ließ er sich nach Kriegsende von einem „ranghohen amerikanischen Offizier“ – kurz vorher noch einer der japanischen „Todfeinde“ - dazu überreden, „eine dreimonatige Tour durch Festlandbasen zu absolvieren, um amerikanischen Fliegern Karate-do zu demonstrieren.“ (S.175) Als er bei seinen Vorführungen die „riesigen Mengen amerikanischer Flieger“ vor sich sah (vielleicht war ja auch die Besatzung des Hiroshima-Atombombenfliegers dabei), konnte er

    „die Freude darüber nicht ausdrücken, die ich fühlte“. (ebd.)

    Für die Kriegerkaste der Samurai waren Ehre und Treue gegenüber ihrem Herrn bedingungslose Haltungen, die ihren eigenen Tod einschlossen. Funakoshis kritiklose Unterordnung unter den japanischen Faschismus und Militarismus und sein schneller Wechsel in der Anerkennung neuer Obrigkeiten offenbart keine Samurai-Haltung, sondern eine eher schwach ausgebildete Persönlichkeit mit einem pragmatischen, auf den persönlichen Vorteil bedachten Opportunismus. Die Besatzung Japans durch das US-Militär war ihm ein willkommener Hebel für die Umsetzung seiner Ambitionen, als Begründer der Budo-Disziplin Karate Ruhm zu erwerben. Wie wenig passt doch sein eigenes Verhalten zu den Anweisungen an seine Schüler, „ihr Herz und ihren Geist von allen weltlichen Wünschen und Eitelkeiten zu reinigen“ (S.60).
    Wenn im Westen heute die Meinung vorherrscht, dass Funakoshi sein Karate-do als Weg der Friedensliebe entwarf, so muss dieses Bild korrigiert werden. Sein Aufruf zu einem dem Frieden verpflichteten Karate resultierte aus der Sorge der japanischen Polizei, dass das Karate-Training zu Gewaltanwendungen taugt und seiner Befürchtung, dass sein Training verboten werden könnte. Die Ansprüche und Einforderungen der herrschenden Obrigkeit waren für ihn vor allem in Zeiten des nationalen Wahns und des Militarismus das übergeordnete Kriterium. So konnte sich Friedfertigkeit in ihr Gegenteil - in die Vorbereitung aggressivster Kriegshandlungen - verkehren.

    Funakoshi Gichin hat die Grundlagen unseres heutigen Karate kreiert - einer Kampfkunst, die den Körper schult und fordert und deren Bewegungsmuster vielen Menschen Spaß bereiten. Das ist ihm hoch anzurechnen. Aus Funakoshi Gichin und seinem Leben, aus seiner Ehre, seiner Moral und seinem Charakter ein Vorbild oder gar einen Weg zur spirituellen Erleuchtung machen zu wollen, ist Etikettenschwindel.
    Geändert von Anti-Meister (08-03-2023 um 14:03 Uhr)

  2. #2
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  3. #3
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    Zitat Zitat von MGuzzi Beitrag anzeigen
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    „Grau teurer Freund, ist alle Theorie. Und grün des Lebens goldner Baum.“

  4. #4
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    Zitat Zitat von MGuzzi Beitrag anzeigen
    Vielleicht mal editieren?
    Und ne Quellenangabe auch?

  5. #5
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    Hallo,

    bevor Sie sich zu sehr auf die deutsche Übersetzung der englischen Übersetzung seiner Biografie beziehen (und verlassen), wäre mein Vorschlag, diesen Artikel von mir zu lesen:

    https://www.gibukai.de/2017/02/15/%C...his-biografie/

    Grüße,

    Henning Wittwer

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