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Thema: Warum beendeten die napoleonischen Kriege die deutschen Kampfkünste?

  1. #1
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    Standard Warum beendeten die napoleonischen Kriege die deutschen Kampfkünste?

    Meines Wissens nach ist das letzte Buch, das das deutsche "SV-Ringen", also die Jiu Jitsu-ähnlichen Kampfmethoden die man seit der Renaissance in Fechtbüchern findet, zeigt, Johann Andreas Schmidts "Fecht-Kunst, oder leichte und getreue Anweisung auf Stoß und Hieb zierlich und sicher zu fechten. Nebst einem curieusen Unterricht vom Voltigiren und Ringen deutlich und gründlich beschrieben, und mit saubern, nach den Actionen gezeichneten Kupfern gezieret" von 1780.
    Danach kommt erstmal nicht mehr, bis dann im 19. Jahrhundert das sportliche Ringen gezeigt wird.
    Danach kommt das Jiu Jitsu so im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, was als revolutionäres System angesehen wird, obwohl es ja im Grunde das selbe war wie das Ringen 100-200 Jahre vorher.

    Was ist da passiert, dass diese Kampfkunst so schnell vergessen wurde? Eigentlich bleibt da als grosse Zäsur nur Napoleon.
    Ist da bekannt, dass unter der napoleonischen Herrschaft Kampftraining in Deutschland verboten oder eingeschränkt wurde? So wie nach dem 2. Weltkrieg. Würde ja Sinn machen.

    Das würde erklären, warum Jahn und Co. dann quasi wieder bei Null anfangen mussten, obwohl man 50 Jahre zuvor noch fleissig voltigiert, gerungen und gefochten hatte. Nur hab ich von solchen Gesetzen und Verboten durch die französischen Besatzer noch nie etwas gehört.

    Weiss jemand mehr darüber?

  2. #2
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    Mir ist sowas auf die Schnelle nur als Turnsperre bekannt, wenn's dann Richtung '48er Revolution geht. Also Karlsbader Beschlüsse, Demagogenverfolgung etc.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Turnsperre

    Unter napoleonischer Besatzung könnte ich mir sowas vorstellen, wobei es ja auch den Rheinbund gab, bzw. Staaten die mit den Franzosen kooperiert haben. Dazu hat Frankreich auch eigene weitreichende Traditionen im Bereich Kampfkünste, siehe Fechten, Vorläufer des Savate usw. Das dürfte mit der Besatzung auch nach Deutschland geschwappt sein. Die Heere mit denen er Europa erobert hat und später in Russland eingefallen ist, waren multikulturell. Da wird es zwischen den Soldaten auch einen Austausch gegeben haben.

    Ich denke eher das ist vielleicht der wachsenden Bedeutung von Schusswaffen zuzuschreiben, dass solche Nahkampfmehtoden ins Hintertreffen geraten? Experte dafür bin ich aber auch nicht. Sowas sind selbst im Geschichtsstudium Nischenthemen, wenn man nicht gerade Militärgeschichte studiert.

  3. #3
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    Naja die Turnsperre war ja was später.

    Ich bin allerdings über eine interessante Sache gestolpert: Dem "preussischen Apoll" Prinz Louis Ferdinand wurde nachgesagt, sehr gut im Fechten, Voltigieren ("Was man jetzt Turnen nennt") und im Ringen zu sein.
    Ringen als "ritterliche Übung" im selben Atemzug wie Fechten und Voltigieren, das klingt jetzt sehr nach der deutschen "SV-Schule".

    So. Der Prinz wurde 1806 von den Franzosen in Saalfeld getötet. Um 1806 muss man also offenbar das SV-Ringen noch gekannt und trainiert haben. Das dürfte dann die letzte Erwähnung dieses Stils sein, als doch relativ spät.
    d.h. zwischen dem SV-Ringen und der Einführung des Jiu Jitsu liegen grade mal 100 Jahre, vielleicht etwas weniger. Kann ein Stil in der kurzen Zeit vollkommen vergessen werden? Das kommt mir sehr seltsam vor.

  4. #4
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    Ich spekuliere mal: Im Rahmen der preußischen Heeresreformen wurden ja die Adelsprivilegien abgeschafft. Somit dürfte die Ausbildung aus dem privaten Raum an die Militärakademien verlagert worden und für den Adel im privaten Raum nicht mehr sinnvoll/notwendig gewesen sein. Insofern bestand vielleicht einfach kein Bedarf mehr für Bücher, weil sich niemand mehr außerhalb selbiger darin ausbildete (bis halt das Sportringen aufkam).
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  5. #5
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    Nun ja, in der Zeit waren die Heere ja sehr oft Söldnerheere und die trainierten ihren Kram ohne dass sie Bücher brauchten. Die „normalen“ Bürger hatten im frühen 19. Jhd. andere Sorgen und der Adel ja eher „theoretisches“ und verträumtes Wissen um die Kampfkünste. Da duellierte man sich lieber „sauber“…

    Zwar wurden Anfang des 19. Jhd. staatliche Heere aufgestellt und man versuchte die Söldner zu „verschiffen“, aber das Wissen um die Kampfkünste blieb halt im Militär.

    Im zivilen Bereich gab es dieses Wissen in den jeweiligen Gruppen, Gilden, Banden etc. aber auch da gab es keine Notwendigkeit für Bücher.

    Bücher sind eher für gutgestellte Bürger und Adelige und diese Schichten hatten in der Romantik andere Vorstellungen als brachial zu kämpfen.

    Ich würde eher sagen durch die Neapolitanischen Kriege und die Industrialisierung kam es zu einem Aufflammen und einer Verbreitung der Romantik im Bürgertum und der Aristrokatie. Das waren die Schichten in denen Bücher wichtig waren und da war wirkliches Kämpfen halt nicht mehr angesagt.

    Wo echtes Wissen um Kampfkünste nötig war, da gab es keine Bücher.
    Geändert von kanken (15-10-2023 um 10:40 Uhr)

  6. #6
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    Zitat Zitat von Spud Bencer Beitrag anzeigen
    ...Kann ein Stil in der kurzen Zeit vollkommen vergessen werden? Das kommt mir sehr seltsam vor.
    Warum sollte er "vergessen" worden sein, nur weil er nicht schriftlich erwähnt wird? Wie Kanken richtig schreibt, die Leute die Kämpfen müssen, Soldaten, Söldner oder auch Räuber und Straßenbanden, konnte oft kaum oder gar nicht lesen und schreiben. Denen vermittelt man Techniken durch zeigen, erklären und nachmachen lassen. Und dann regelmäßige Anwendung am lebenden Objekt. Oder bei Schaukämpfen etc.

    Ich kann mir dazu vorstellen, dass unter Napoleon das Trainieren und Vermitteln von Methoden des Kämpfens nicht wirksam unterbunden, aber die Veröffentlichung in Schriftstücken durch Pressezensur untersagt werden konnte. Weshalb es dann in dem von dir eingegrenzten Zeitraum auch nur wenige Werke im europäischen Raum gab.

  7. #7
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    Zitat Zitat von Kensei Beitrag anzeigen
    Warum sollte er "vergessen" worden sein, nur weil er nicht schriftlich erwähnt wird?
    Aus dem einfachen Grund, dass Jiu Jitsu, also ein Stil der sehr ähnlich bis identisch aussah (Was ja dann auch später, im 20. Jahrhundert, erkannt wurde, s. "Alte und neue Raufkunst" von Vogt), lediglich 100 Jahre später als absolut unbekannt, neu und revolutionär bezeichnet wurde, gerade auch in Szenen, in denen man es - wenn die These von Kanken stimmen würde - besser hätte wissen müssen (Kampfsportler, Soldaten, Schausteller, Polizei usw.).

    Lediglich der amerikanische Ringer Tom Jenkins:
    https://en.wikipedia.org/wiki/Tom_Jenkins_(wrestler)
    merkte an:
    "The work of jiu-jitsu reminds me of the rough and tumble style in which the purpose is to put your opponent out of business."
    (Quelle: https://www.scientificwrestling.com/...n-JiuJitsu.cfm)

    Unter anderen Ringern waren die Methoden aber offenbar nicht bekannt, wie ihre Reaktionen auf die japanischen Experten zeigten.

    Offenbar hat das historische SV-Ringen also eben nicht im Untergrund überlebt. Und zwar hat es so wenig überlebt, dass sich schon 100 Jahre später niemand mehr daran erinnern konnte.

  8. #8
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    Mal blöd gefragt: Ist das Ringen mit Säbel denn dasselbe wie ein Nahkampf mit Bajonett? Ersteres wurde in der Kriegführung des 19. Jh. ja zunehmend bedeutungslos. Und wie sah das in Duellen aus: wurde sich da auf Fechten beschränkt oder auch gerungen?

    (In den napoleonischen Kriegen wurde eher mit dem Bajonett oder dem Gewehr als Keule gekämpft. Zudem wurden ständig neue Truppen ausgehoben, die ohnehin gerade mal Zeit hatten zu lernen, wie man eine Muskete lädt.)
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  9. #9
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    in den napoleonischen kriegen führten sie linienregimenter (vielleicht nicht der korrekte ausdruck). in dieser art der kriegsführung ist der persönliche nahkampf vielleicht an 4. stelle. vorher kam mit sicherheit in formation marschieren (damit die linie gehalten werden kann) und die bedienung des gewehres.
    wenn die einheiten dann kontakt hatten, wurde imho eher das bajonett verwendet. erst danach konnte es zu einem ringen kommen.
    hier halte ich aber die faktoren: ernährung, motivation, körperliche attribute (vielleicht fallen uns auch noch mehr ein) für wichtiger als ringen oder boxen.
    auch in heutigen armeen, wird der nahkampf nicht so gedrillt, wie wir kampfkunstromantiker so annehmen.
    als soldat willst du ja auch nicht wirklich kämpfen, sondern die gefahr schnellstmöglich eliminieren.

  10. #10
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    Die Kriegsführung damals brauchte einfach kein Ringen mehr. Es gibt ja genug Berichte aus den Grabenkriegen des 1. Weltkriegs, wo genau dieses Problem thematisiert wurde. Die Armee hatte kein gescheites Zweikampfkonzept mehr.

  11. #11
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    Zitat Zitat von Katamaus Beitrag anzeigen
    Mal blöd gefragt: Ist das Ringen mit Säbel denn dasselbe wie ein Nahkampf mit Bajonett? Ersteres wurde in der Kriegführung des 19. Jh. ja zunehmend bedeutungslos. Und wie sah das in Duellen aus: wurde sich da auf Fechten beschränkt oder auch gerungen?

    (In den napoleonischen Kriegen wurde eher mit dem Bajonett oder dem Gewehr als Keule gekämpft. Zudem wurden ständig neue Truppen ausgehoben, die ohnehin gerade mal Zeit hatten zu lernen, wie man eine Muskete lädt.)
    Die Spezialisten mögen mich verbessern aber Ridley Scotts - Die Duellisten bilden Small Sword und Säbelduelle der napoleonischen Zeit wohl recht gut ab. Unabhängig davon aber auf jeden Fall sehenswert.

  12. #12
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    Zitat Zitat von Spud Bencer Beitrag anzeigen
    Aus dem einfachen Grund, dass Jiu Jitsu, also ein Stil der sehr ähnlich bis identisch aussah (Was ja dann auch später, im 20. Jahrhundert, erkannt wurde, s. "Alte und neue Raufkunst" von Vogt), lediglich 100 Jahre später als absolut unbekannt, neu und revolutionär bezeichnet wurde, gerade auch in Szenen, in denen man es - wenn die These von Kanken stimmen würde - besser hätte wissen müssen (Kampfsportler, Soldaten, Schausteller...
    Das kann aber a) auch einfach PR gewesen sein, um das neue "revolutionäre" System zu vermarkten und b) wäre interessant zu wissen, wieviele und welche Quellen du jetzt geprüft hast um diese These zu untermauern. Wie gesagt, nur weil etwas nicht schriftlich fixiert ist, heißt das nicht, dass es das nicht gab. Erst recht nicht in einer Gesellschaft, in der Wissen gerade im einfachen Volk kaum über Schrift tradiert wird.
    Es taucht halt in Quellen nicht mehr auf, weil es für das Militär nicht mehr relevant war. Wo wurde denn dann in der Folgezeit JiuJitsu gelehrt und eingesetzt? Kann man davon reden, dass sich japanische Kampfkünste in Europa etabliert hatten bei Militär, Polizei etc.? Evtl. war das auch nur ein kurzzeitiger Hype.

  13. #13
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    Das ist eine interessante Frage. Man sollte auch nicht die gesellschaftliche Entwicklung in diesem Zeitraum außer Acht lassen. Wie wichtig wurde der Nahkampf für das Militär im 19 Jahrhundert angesehen? Und wie sehr war es damals gesellschaftlich üblich, dass sich normale Leute mit den Kampfkünsten beschäftigten? Würde es toleriert oder war es verpönt?

    Militärisch gesehen hat im Verlauf des 19 Jahrhunderts gewaltige Fortschritte in der Waffentechnik gemacht und daher dürfte das Interesse am Ringen nicht so groß gewesen sein???

    Aber auch schon in den Zeiten der Linientaktik dürfte Nahkampf abgesehen vom Bajonett Fechten ja nicht so wichtig gewesen sein oder was meint ihr?

  14. #14
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    In die Zeit inetwa fällt ja auch die Entwicklung und Verbeitung des Hinterladergewehrs, was die Feuerrate und die Sicherheit für den Schützen extrem aufgewertet hat. Und damit auch die Bedeutung von Feuerwaffen in Gefechten massiv steigerte. Wie Kanken schrieb ist es eben fraglich, was waffenlose Methoden da noch für eine Bedeutung haben. Ich tippe eher darauf, dass diese "JiuJitsu" Geschichte ein kurzzeitiger Hype war, den man vielleicht auch nicht überbewerten sollte.

  15. #15
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    Und damit auch die Bedeutung von Feuerwaffen in Gefechten massiv steigerte.
    verstehe ich nicht.
    feuerwaffen waren auch vorher schon die erste wahl der infantrie.
    es wurde bei der weiterentwicklung der feuerwaffentechnik "lediglich" die feuerrate erhöht, da das nachladen von entwicklung zu entwicklung schneller wurde.
    das verschaffte aber nur dem land einen vorteil, dass diese technik schon vor dem gegner einsetzte, einen vorteil.

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