Bruce Lee war ein Kometeneinschlag in der populären Kultur der 70er Jahre, einer, der bereits recht früh, und nicht erst seit der Entstehung des Internets polarisiert hat.
John Little, Bruce Lee- und Jeet Kune Do-Freunden bekannt für seine Publikationen auf der Grundlage von Bruce Lees hinterlassenen Notizen, Briefen und anderer Medien, und des unveröffentlichten "Game of Death"-Filmmaterials, beschreibt den Prozess und Wandel der Wahrnehmung des Bruce Lee-Phänomens, und der darauf beruhenden Debattenkultur zu Beginn seines Buches Wrath of the Dragon: The Real Fights of Bruce Lee.
Kennen wir bereits aus der EWTO, in der ín den 90ern Videos von Jesse Glover vorgeführt wurden, unter der Prämisse: "Das war alles, was Bruce Lee hatte - das Wissen eines 3. Schülergrades" (oder in der damaligen EWTO-Verbandszeitschrift "Wing Tsun Welt", ich glaube es war die Ausgabe Nr. 8). Irgendwann hat dieser Wind sich halt wieder gedreht.
Das ist nichts Neues, und den ersten Backlash gegenüber der Bruce Lee-/Kung Fu-Welle gab es bereits in den 70ern.
Der Autor John Little zeigt auch Verständnis für eine damals entstehende Skepsis, die zum Teil von den Kampfsportlehrern, die Lees aufgehängtes Foto in ihren Schulen anfänglich noch begrüßten, losgetreten, und von späteren Interview-Aussagen von Lees Weggefährten Bob Wall, Chuck Norris und Joe Lewis verstärkt wurde. Er bringt hier das Beispiel von Sly Stallone, der wohl mal geglaubt haben muss, er könne irgendwie boxen, und sich dann dem leichteren Roberto Duran in einem Sparring gestellt hat. Das Ergebnis kann man sich vorstellen.
Um zu ergründen, was sich jenseits von bloßen Meinungen tatsächlich und einigermaßen sicher darüber wissen lässt, ist der Autor allen Fingerzeigen nachgegangen, reiste von Pontius nach Pilatus, sprach mit jedem, der etwas darüber wusste, arbeitete sich durch das verfügbare Medienmaterial durch, und beginnt sein Werk mit dem lässigen Vorwort: "To the Fans. You were right all along"
Er rollt dabei Bruce Lees KK-Entwicklung von A bis Z auf, dokumentiert Kämpfe und Sparringmatches BLs, die aus erster Hand berichtet wurden, von der ersten Schulhofprügelei bis zum letzten Sparring mit Wong Shun Leung (insgesamt bisher 64 an der Zahl, 34 Kämpfe und 30 Sparringmatches). Leider fehlt hier u.a. ein Herausforderungskampf, von dem Steve Johnson aus seiner kurzen Zeit in Los Angeles erzählte.
Ich wäre beim Sparring allerdings etwas vorsichtiger, dort immer so klar von "Sieg" oder "Niederlage" zu sprechen. "Beobachtbare Überlegenheit" wäre hier vielleicht ein geeigneterer Begriff.
Es kommen schöne Anekdoten vor, z.B. von Larry Hartsell, der BL begleitete, als dieser ein Selbstverteidigungsbuch aus dem Jahr 1700-irgendwas ergattert hat, im hinteren Teil des Buches ein Sammelsurium sämtlicher persönlicher Meinungen diverser Kämpfer und Kampfkünstler von Rang und Namen zu Bruce Lee - dies beinhält Personen wie Muhammad Ali, Rickson Gracie, Conor McGregor, und und und (s. 198 - 204), eine tabellarische Auflistung der recherchierten Kämpfe und Sparringmatches, und ab Seite 208 (bis 295) die Fußnoten, eine Bibliographie sämtlicher beteiligter Medien, und ein alphabetisches Verzeichnis aller aufgeführten Personen.
MUST READ für den bibliophilen und geschichtsinteressierten Martial Arts-Freund, Bruce Lee-Nerds, gereiftere Bewunderer, die auch mal auf Distanz gehen und Dinge in Relation sehen können, und eine Einladung an standhafte BL-Hater, ihr Weltbild zumindest einmal infrage zu stellen.
Eine schöne Ergänzung dazu sind die Interviews mit Little zu dem Buch:
https://www.youtube.com/watch?v=l8LO...t=45s&sttick=0 - Alex Richter, ein WT-Lehrer aus New York, der u.a. auf Schloss Langenzell lernte, betätigt sich bezüglich des Bruce Lee-Themas ebenfalls biographisch / historisch. Zur Ergänzung habe ich einen Kommentar unter dem Video gelassen. In seinem Interview mit Little kommen auch interessante Dinge ans Tageslicht, z.B. dass "BLACK BELT"-Herausgeber Mitoshi Uyehara die von ihm zitierten Bruce Lee-Aussagen selbst aus dem Gedächtnis, oder diesem aufgrund ihrer persönlichen Bekanntschaft (Freundschaft) in den Mund gelegt (unter dem Motto: "Ich wusste ja, wie er tickt"), und unter zwei verschiedenen Pseudonymen in Form von Interviews veröffentlicht hatte.
Das bekannte, vermeintliche originale BL-Statement: "I’d gotten into a fight in San Francisco with a Kung-Fu cat, and after a brief encounter the son-of-a-bitch started to run. I chased him and, like a fool, kept punching him behind his head and back. Soon my fists began to swell from hitting his hard head. Right then I realized Wing Chun was not too practical and began to alter my way of fighting.", - oft gedruckt und zitiert - bezeichnet Little dabei klar als "MADE UP" (ausgedacht, erfunden) bzw. gab dies wohl auch dessen Urheber Mito Uyehara ihm (John Little) gegenüber zu. Siehe hierzu, was Little im Gespräch mit Richter darüber aussagt.
Zu dem legendären Wong Jack Man-Kampf in Oakland, 1964, wird natürlich ebenfalls eine lesenswerte historische Rekonstruktion abgeliefert.
Gemeinsam mit Jessies erstem Buch ergibt die Lektüre eine interessante und tiefere Sicht von Bruce Lee als Trainingsfanatiker, Martial Artist und Fighter seiner Zeit.
@An die JKDler: Im Buch wird zwischen einem Jeet Kune Do Version 1.0 und 2.0 unterschieden. Macht auch allen Sinn, wenn man originale Bruce Lee-Aussagen dazu unter die Lupe nimmt.
In punkto schriftlicher Veröffentlichung im BLACK BELT-Magazin hält Little lediglich die ersten zwei Profile, die in dieser erschienen sind, und BLs Artikel über Jeet Kune Do für authentische 'Bruce Lee-Worte', wie aus dem Gespräch mit Richter hervorgeht. Natürlich haben wir noch all das, was ehemalige Gesprächspartner, Freunde, Geschäfts- und Trainingspartner, sowie Schüler aus dem Gedächtnis zitieren. Hinzu kommt das eingangs erwähnte Material - Briefe, Notizen, sowie auditiv und visuell aufgenommene Interviews. Das post(h)um veröffentliche Werk "Tao of Jeet Kune Do" (Deutsch: "Bruce Lees Jeet Kune Do") ist wiederum ein eigenes Thema.
Weitere Interviews und Buchbesprechungen (mit und ohne John Little) findet man natürlich mithilfe der Suchfunktion.
Schöne nostalgische Lektüre für Mußestunden während der Feiertage...