So, habe jetzt aus den Interviews mal einen eigenen Thread gemacht, viel Spaß beim lesen.
Anlässlich des Threads "modernes wushu vs. traditionelle style" und meiner Chinareise, die am 20.ten Januar begann, hatte ich versprochen ein Interview mit einem der chinesischen Meister zum obigen Themenkomplex zu machen.
Herausgekommen sind Interviews mit zwei hervorragenden chinesischen Meistern, die beide überragende Praktiker sind, wovon ich mich selbst überzeugen konnte.
Der Ältere der beiden Meister ist Meister Chu Jancheng, der mit seinen 60 Jahren extrem explosiv ist. Er entstammt der Provinz Jiangsu und lebt in der Provinzhauptstadt Xuzhou. Als Kind einer alten Wushu Familie wuchs er unter der Obhut vieler Wushu-Meister auf und durchlief zu Beginn eine traditionelle Ausbildung im Shaolin Kung Fu, später kamen viele weitere Stile hinzu. Er unterrichtet heute als Meister für Shaolin, Bagua und Tai Chi.
Das Interview (gleicher Fragenkatalog) mit dem mehrfachem Goldmedaillengewinner der Pushinghands Wettbewerbe von China Meister Li Changzheng werde ich jetzt am Wochenende bearbeiten und dann auch hier posten.
Interview mit Meister Chu Jancheng
Den Smalltalk im Vorfeld zum Interview klemme ich mir jetzt hier mal und komme direkt zur Sache.
1. Frage: >Meister Chu, bei uns in Europa und gerade auch in Deutschland wird immer häufiger diskutiert ob modernes Wushu und traditionelles Kung Fu noch zueinander gehören, ja, ob man dies überhaupt noch in einem Atemzug nennen kann. Wie ist ihre Sicht?<
Meister Chu: >Wushu an sich ist natürlich der Überbegriff für all unsere Künste in Ihrer Ganzheitlichkeit. Mit modernem Wushu verbinden wir hier in China eine Ableitung von dem traditionellem Kung Fu mit staatlichen Normen, bei denen Optik und Ästhetik vorrangig sind.<
2. Frage: >In Europa trainieren viele Kung Fu Übende nur noch Formen und keine praktische Anwendung mehr. Wie betrachten Sie diese Entwicklung um Form und Anwendung?<
Meister Chu: >Form und Anwendung gemeinsam zu trainieren ist sehr wichtig, sonst kann Kung Fu nicht vollständig sein. Das höchste Prinzip von Wushu ist jedoch die Entwicklung von innerer Kraft und dazu ist die Vervollkommnung von Gedanke und Form unerlässlich.<
3. Frage: >Bodenkampf ist seit einigen Jahren ein riesiges Thema im Westen, sowohl im Rahmen diverser Freefight-Formate wie auch in der Selbstverteidigung. Welchen Stellenwert ordnen Sie dem Bodenkampf für die Selbstverteidigung zu?<
Meister Chu: >Bodenkampf ist für die Selbstverteidigung nicht wichtig. Kampf in seiner realen Form mit allen Mitteln auf Leben und Tod beendet Auseinandersetzungen sofort. So ist echtes Kung Fu, wie ein unsichtbares Stromfeld, es schlägt zu, ohne Vorwarnung. Auch ein Kreisel ist ein gutes Beispiel, das Prinzip sofortiger Weiterleitung in Kreisbewegungen ist sehr wichtig.<
4. Frage: >Ist Tai Chi als SV-System tauglich oder dient es rein Gesundheitszwecken und geistiger Harmonie?<
Meister Chu: >Tai Chi dient seit mehr als tausend Jahren der Gesundheitspflege und der Erlangung innerer Kraft, was unsere höchsten Ziele zum Ausdruck bringt. Aber Tai Chi stellt auch die absolut höchste Kategorie des Kämpfens dar. Shaolin Kung Fu stellt dabei die Grundschule der Kampfkünste dar, Bagua die Mittelschule und Tai Chi ist dann die Universität zur höchsten Meisterschaft.<
5. Frage: >Sanda ist der moderne chinesische Vollkontaktkampfsport. Wie bettet er sich in das Spektrum des Kung Fu ein? Gibt es im übrigen noch regellose Vergleichskämpfe unter den Schulen<
Meister Chu: >Sanda ist garnichts Neues. Es ist lediglich eine Mischung aus den vier Elementen Treten, Schlagen, Werfen, Greifen und stellt den traditionellen Shaolinkampf als Grundstufe des Kämpfens dar. Und ja, nach wie vor finden regellose Vergleichskämpfe zwischen den Schulen statt. Für junge Wushu Übende ist der Zweikampf und sein Training doch auch ganz natürlich, sie sind den äußerlichen Dingen zugetan, sie müssen sich aneinander probieren, was auch gut und wichtig ist. Im Alter, wenn man den Kampf hinter sich gelassen hat, wendet man sich ganz automatisch dem Innerlichen zu.<
6. Frage: >ChinNa erscheint manchmal ein Sammelsurium von Techniken zu sein, das in jedem Kung Fu Stil gleichermaßen vorhanden zu sein scheint. Wie unterscheidet sich dies von Stil zu Stil?<
Meister Chu: >Es gibt sehr viele Unterschiede bei den ChinNa Techniken innerhalb der verschiedenen Stile, aber der Kern ist immer identisch.<
7. Frage: >Wie sehen Sie die Entwicklung des Kung Fu im Westens? Was können Sie uns zum Wing Chun sagen, das ja im Westen sehr stark vertreten ist und sich rühmt der effektivste Kampfstil zu sein?<
Meister Chu: >Das harte Kämpfen hat sich im Westen mittlerweile ganz gut entwickelt, aber das Niveau des kompromißlosen Kampfes wie in China ist noch nicht erreicht. Auch das Prinzip wie Innere Kraft Raum nutzt und bereits siegt vor der eigentlichen Berührung ist noch nicht verstanden. Wing Chun ist einfach ein eigener Stil mit Schülern die durch die Tür ihres Meisters gehen, wie andere Schüler anderer Stile auch. Es betont die Effektivität mit Vor- und Nachteilen. Und für echtes Kung Fu ist die Frage nach dem besten Kampfstil garnicht relevant.<
8. Frage: >Im Westen gibt es immer mehr Bemühungen ein sogenanntes Crosstraining durchzuführen, also interdisziplinär zu trainieren. Was halten Sie von dieser Entwicklung?<
Meister Chu: >Das was ihr im Westen als Crosstraining bezeichnet, betreibe ich selbst schon ein Leben lang. So etwas ist außerordentlich wichtig für die eigene Fortentwicklung. Wir haben hier ein schönes Sprichwort: "Die Länge nehme von anderen, um die eigene Kürze zu verlängern". Anfänger und Fortgeschrittene sollten natürlich erstmal einen Stil richtig erlernen bevor sie mit Crosstraining beginnen. Daher mein Rat: An einem Stil soll man solange festhalten, bis ein meisterschaftliches Niveau erreicht ist.<
9. Frage: >Wie sehen Sie die Legitimation westlicher Neustilbegründungen?<
Meister Chu: >Stilgründungen sind unabhängig davon ob einer Chinese oder Europäer ist. Die Legitimation ist die Gleiche, Kung Fu hört schließlich nicht an der chinesischen Grenze auf. Wichtig ist, damit man von einem neuen Stil reden kann, dass der Stilgründer eine eigene Methodik auf dem Weg zum Ziel formuliert hat, dass er über eine geschlossene Theorie mit neuen Ideen verfügt.
An dieser Stelle war das öffentliche Interview zu Ende und ich plauderte noch eine Weile ganz privat mit dem Meister, was wiederum außerordentlich interessant war. Er bat mich der deutschen Kampfkunstgemeinde seine Grüße zu überbringen, was ich hiermit getan habe.
Beste Grüße
Chuckybabe