Der Würgegriff in Buchstaben
Selbstverteidigung für Frauen — Ein Gespräch mit Helmut Stadelmann
Es ist schon nach Mitternacht, die junge Frau geht von der Party nach Hause. Ein Mann kommt entgegen, steuert auf sie zu, drängt sie an die Hauswand. Was tun? Stillhalten, versuchen wegzurennen, das Pfefferspray einsetzen? Sich zu wehren will gelernt sein. „Selbstverteidigung für Frauen in Deutschland“ heißt das neueste Buch von Helmut Stadelmann. Der Kampfkunstmeister aus Weilersbach unterrichtet Selbstverteidigung an der Volkshochschule. Wir haben mit dem Autor über brenzlige Situationen, die besten Abwehrtechniken und vor allem über die richtige Prävention gesprochen.
Herr Stadelmann, nehmen wir an, die oben beschriebene Situation findet statt, was sollte Frau dann tun?
Helmut Stadelmann: Grundsätzlich erst einmal solchen Situationen aus dem Weg gehen. Das heißt, nachts möglichst nicht alleine unterwegs sein. Dunkle Ecken meiden.
Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste?
Helmut Stadelmann: Stimmt. Selbstverteidigung fängt bereits damit an, vorsichtig zu sein. Wenn man zum Beispiel für den Weg nach Hause eine Fahrgemeinschaft bildet.
Jetzt ist die Situation aber nun einmal da. Die Frau wird angegriffen, könnte ja auch ein Bekannter sein.
Helmut Stadelmann: Zeigen Sie Stärke, schreien Sie den Mann an. Wenn er Sie am Arm hält, drehen Sie die Hand um die eigene Achse und entwinden Sie ihm so Ihren Arm. Dann können Sie mit der geöffneten Hand in sein Gesicht schlagen. Schlagen Sie fest zu, hart, verletzend. Suchen Sie seine Augen, drücken Sie kräftig mit den Daumen in die Augäpfel. Spätestens da wird er zu schreien anfangen.
Klingt ziemlich brutal.
Helmut Stadelmann: Glauben Sie, ein Triebtäter oder Mörder wird sanft mit Ihnen umgehen? Ich kenne das. Viele Frauen haben große Hemmungen. Eine Teilnehmerin meiner Selbstverteidigungskurse rief, als ich verschiedene Abwehrtechniken erklärte: Aber da könnte ich ihm doch weh tun. Ein Vergewaltiger hat kein solches Mitleid mit Ihnen.
Ist klar. Wie aber baue ich die Hemmungen ab?
Helmut Stadelmann: Durch Übung, Sie müssen bestimmte Bewegungsmuster immer wiederholen, immer und immer wieder, bis zu 10 000 Mal, bis sie automatisiert werden.
Kann das ein Buch leisten?
Helmut Stadelmann: Ja und nein. Ich habe dieses Buch geschrieben, weil mich Teilnehmerinnen meiner Kurse gebeten haben. Es ist doch oft so: Man nimmt an einem Kurs teil und macht dann gar nichts mehr. Wie war das noch? Wie ging der Griff? Da soll das Buch weiterhelfen. Aber es ist auch für Frauen geeignet, die noch keine Erfahrung mit Selbstverteidigung haben, weil es sensibilisiert, Kniffe zeigt. Aber natürlich ist es besser, die Bewegungsmuster hautnah einzuüben.
Selbstverteidigungsangebote gibt es inzwischen wie Sand am Meer. Woran erkenne ich einen seriösen Kurs?
Helmut Stadelmann: Ich persönlich halte zum Beispiel nichts von Kursen, die von Frauen geleitet werden. Aus einem einfachen Grund: In der Realität werden die Frauen auch nicht von ihresgleichen angegriffen, sondern von Männern. Männer sind physisch den Frauen überlegen, das sollte schon im Training erfahren werden.
Ich empfehle auf Angebote aus dem nicht kommerziellen Bereich zu achten, von Kirchen, von sozialen Einrichtungen oder Volkshochschulen. Unsinnig sind die so genannten Selbstbehauptungskurse. Da profitiert nur einer davon, der, der das Geld bekommt. Tatsache ist: Jede gesunde Frau hat zwei Arme und zwei Beine und die muss sie einzusetzen wissen.
Die Frage ist nur wie? Sie haben von Bewegungsmustern gesprochen. Was ist Selbstverteidigung eigentlich? Karate light? Lerne ich in Hamburg das gleiche wie in Forchheim?
Helmut Stadelmann: Ein geschützter Begriff ist Selbstverteidigung nicht. Ich habe in meinen Selbstverteidigungskursen die effektivsten Techniken verschiedener traditioneller asiatischer Kampfkünste ausgesucht. Man muss klar unterscheiden. Man kann Karate und so weiter als Sport betreiben. Es werden ausgewählte Techniken angewendet, es gelten bestimmte Regeln. Wenn es zu gefährlich wird, schreitet der Schiedsrichter ein. Die Kampfkunst Karate besteht aber aus viel mehr Techniken als die Sportart Karate. Kampfkünste sind jahrtausendealte Techniken für den Krieg. Gefährlich, verletzend, aber effektiv, denn im wirklichen Leben gibt es keinen Schiedsrichter. In Asien lebt diese Tradition noch, auch bei den Frauen. Die europäischen Frauen im Mittelalter wussten noch, wie sie mit einer Axt umzugehen haben.
A propos Axt. Wie steht es mit Hilfsmitteln: Pfefferspray und ähnlichem?
Helmut Stadelmann: Pfefferspray ist gefährlich, aber oft mehr für die Frau als für den Angreifer. Erst muss ich das Gerät aus der Handtasche pfriemeln, dann schauen, wie die Windrichtung ist. Und dann ist vielleicht das Haltbarkeitsdatum überschritten und es funktioniert nicht. Viel besser ist es, Alltägliches zu verwenden.
Den Hausschlüssel zum Beispiel. Nehmen Sie den Schlüssel in die Faust, das Ende schaut raus und schlagen sie kräftig zu, auf Augen, Kehlkopf, Nase, Schläfen, Kinn. Etwas Wunderbares ist auch eine Taschensirene, die es im Handel gibt. Anschalten und Wegwerfen. Das Gerät lärmt und leuchtet, für den Täter sehr unangenehm.
Ab wann sollten Mädchen Selbstverteidigung lernen?
Helmut Stadelmann: Sobald sie laufen können. Es muss ja nicht der üble Gewalttäter auf der Straße sein. Es drohen auch in Familie und Verwandtschaft Übergriffe, gegen die sich ein Mädchen wehren können muss. Angefangen vom lauten, bestimmten „Nein, das will ich nicht“. Interview: BEKE MAISCH
Weitere Informationen: „Selbstverteidigung für Frauen in Deutschland“ ist im Verlag Pro Business, Berlin, erschienen und kostet 11,50 Euro.