Interessant ist doch hier der Fall d, der in der oben geschilderten Angriffsversion natürlich klar ist. Aber das Problem ist doch, dass ein Kampfkünstler obwohl er sich wie in Fall a verhalten wollte, häufig Gefahr läuft wie in Fall d abgeurteilt zu werden.
Es ist doch reine Theorie einen Gegner mit Gyaku zum Körper kampfunfähig zu schlagen. In den traditionellen Wettkämpfen zu den Zeiten als eine temporäre Kampfunfähigkeit durch einen Körperschlag noch mit Ipon bewertet wurde, konnte man doch sehen, dass sehr häufig Gyaku zum Körper geschlagen wurde und nur sehr selten die Sache mit KO geendet hat.
Hier wird doch vorausgesetzt, dass ich den bewegungslosen Gegner vor mir habe.
Das Grundproblem an der ganzen Sache ist, dass Dinge angenommen werden, welche schon aus physikalischen Gründen nicht gegeben sind. Es steht doch nicht der Super Budoka der alles unter Kontrolle hat vor einem Aggressor den er einschätzen kann, ndern es steht ein Mensch der mehr oder weniger unter Stress steht vor einem Aggressor, den er in der Regel nicht kennt. Vor Gericht ist dann aber der kriminellste Aggressor plötzlich ein ganz zahmes Lamm.
Wie kann denn nun der Budoka entscheiden,welches Mittel er einsetzen soll? Dies gelingt ja schon nicht einmal in der Theorie wenn man Stunden zur Auswertung zur Verfügung hat.
Soll er wirklich versuchen auf den Körper zu schlagen? Wie wahrscheinlich ist dadurch eine temporäre Kampfunfähigkeit, welche keine weiteren Schäden hinterlässt?
Aus dem Trainig hat der Kampfkünstler nur begrenzte Erfahrungen. Zum einen lassen sich die Kollegen nicht freiwillig mit unterschiedlicher Dosierung schlagen, so dass man sich zuverlässige Daten über Schlagwirkung und Verletzung erarbeiten könnte. Menschenversuche sind also kaum möglich. Außerdem arbeitet man im Training ja mit Leuten, die sportlich konditioniert sind. Macht man nun Vollkontakt dann stellt man fest, dass bei ungefähr gleicher Schlagheftigkeit der eine runter geht und der andere dagegen lächelnd stehen bleibt. Häufig besteht nicht einmal eine eindeutige Korrelation zwischen der Statur der Person und der Wirkung des Schlages. (Hat der andere nun ein Glaskinn oder nicht) Wie schätzt man also auf der Straße ab,welche Dosis nötig ist um beim anderen Wirkung zu erzielen. Man stellt im Sport fest, dass man wenn sich der Gegner bewegt ganz selten da trifft wo man eigentlich treffen will. Sehr häufig bewegen sich die Leute nach hinten weg, wenn man schlägt. Was ist wenn der Kampfkünstler diese Erfahrung umsetzt und der Angreifer sich aber statt nach hinten nach vorne bewegt? Welchen Einfluß hat die Kleidung auf die Schlagwirkung?
Wer steht überhaupt vor mir? Was kann die Person einstecken? Welche Fähigkeiten hat diese Person? Sind nicht die gefährlichsten Leute die, welche ihre Fähigkeiten bis zum Schluss tarnen?
Wenn der harmlos aussehende Mensch also ein Psychopath ist, der besonders hart im Einstecken ist und ich einen Schlag zum Bauch ansetze, der keine Wirkung erzielt, dann bringe ich mich ja massiv in Gefahr. Vielleicht zieht die Person ja auch eine verdeckte Waffe.
Was ist, wenn ich, weil ich nicht weiß, wie viel der Gegner aushält etwas härter zum Bauch schlage und auf eine stark gefüllte Blase oder einen stark gefüllten Darm treffe.
Gerade zum Körper ist die Wirkung doch von so vielen Aspekten abhängig, dass sich ein Kampfkünstler häufig eher durch Körperschläge in Gefahr bringt, als dass er die erwünschte Wirkung erzielt.
Wie sieht es nun aus mit Schlägen zum Kopf, von denen zumindest der Mensch, der schon mit Vollkontakt gearbeitet hat weiß, dass damit eine temporäre Kampfunfähigkeit leichter zu erreichen ist.
Welche Energie muss ich noch mal in Abhängigkeit der Knochendichte und des Halsdurchmessers einsetzen um Wirkung zu erzielen. Bei welchem Bereich des Kopfes erreiche ich eine Gehirnerschütterung, in welchem Bereich erreiche ich dagegen eher einen Mittelhandknochenbruch?
Selbst wenn ich ein Ziel ausgemacht habe, wie sieht es dann mit der Reaktionszeitlücke aus?
In der letzten zehntel Sekunde meines Schlages kann ich keine Änderung im Sinne einer Reaktion mehr durchführen, weil die optische Reaktionszeit bei mehr als 0.1sek liegt. D.h. ich kann ja nur abschätzen bzw. antizipieren wie sich der Angreifer evtl. verhält. Verhält sich der Angreifer aber anders als ich antizipiere, dann treffe ich statt auf das Kinn vielleicht auf den Kehlkopf und der Angreifer ist tot. Oder ich treffe auf die Stirnplatte und breche mir meine Hand. Die zum Antizipieren erforderliche Erfahrung habe ich mir aber im Training geholt, also bei Leuten die evtl. ganz andere Verhaltensmuster haben als der Angreifer.
Ich kann noch reihenweise andere Fragestellungen aufreihen welche alle auf ein und das selbe hinauslaufen.
Der Kampfkünstler/sportler hat in der SV eben nicht die Kontrolle, die ihm von juristischer Seite unterstellt wird. Er konnte nicht in häufigen statistischen Versuchen für sich feststellen, mit welcher Energie er bei welchem Körperbau welches Resultat erzielt.
Er hat auch wenig Kontrolle darüber, wo ein angesetzter Schlag letztendlich landet.
Ein Schlag dauert in der Größenordnung einer zehntel Sekunde. In dieser zehntel Sekunde kann sich ein Gegner durchaus massiv bewegen. 100 M Läufer legen in der Zeitspanne 1 Meter zurück. Ein Verschätzen von 20cm kann aber den Unterschied zwischen der Tötung eines Menschen oder der Vernichtung der eigenen Hand ausmachen.
D.h. ich treffe nur exakt, wenn sich mein Gegenüber exakt so bewegt wie ich es antizipiert habe. Bewegt er sich anders, dann kann ich während der Schlagzeit keinen Einfluss mehr auf meinen Schlag nehmen. Dies sieht man immer wieder, wenn Boxer bei einer Dublette den zweiten Schlag noch in Richtung des ersten Schlages bringen, obwohl der Gegner schon beim ersten Schlag abgetaucht ist und somit schon den erste Schlag ins Nichts geschlagen hat. Die Reaktionszeit ist zum Abbruch der Aktion schlicht und einfach zu lang.
D.h. der Kampfsportler reagiert nicht auf der Basis der Kontrolle im SV Fall, sondern er muss sich massiv auf das Glück verlassen, weil eigentlich das Meiste was die Juristen in der Theorie von einem Kampfsportler fordern in der Realität gar nicht unter seiner Kontrolle ist.
Deshalb kann man für den Standardfall der Notwehr, bei dem der Angreifer durch einen Kampfsportler/künstler eine Verletzung davonträgt davon ausgehen, dass obwohl der Kampfsportler eigentlich nichts anderes getan hat als seine körperliche Unversehrtheit sicherzustellen, er letztendlich kriminalisiert der Leidtragende ist.
Gruß Ralf