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Thema: Der Genuesische Stockkampf

  1. #1
    roberto Gast

    Standard Der Genuesische Stockkampf

    Der genuesische Stockkampf
    - eine Reise ins alte Genua -




    Am 18. März dieses Jahres fuhr ich in großer Erwartung nach Genua um die Kampfmethoden meiner Region Ligurien zu studieren. Nach mehreren langen Telefonaten überredete ich den Maestro Claudio "ü Baccan" Parodi mir die Ehre zu erweisen und mich in die Handhabung des genuesichen Spazierstockes (bastone corto da città) und Messers einzuführen. Des Weiteren versprach er mir einen Überblick der waffenlosen Methoden (Savate Genovese und Gambetto) und des antiken zweihändigen Stockes (bastone a due mani; Pera, circa 1450).

    Allgemein
    Genua wir im italienischen auch Zena (genuesischer Dialekt fü Genova) oder schlicht la superba (die Stolze) oder la dominante (die Dominierende) genannt. Der Name Genova leitet sich, wie auch der von Genf, von genu ab, dem Knie.

    Der Hafen der Stadt ist ein Naturhafen und zählt zu den größten Europas. Die historische Altstadt Genuas gilt sogar als die womöglich Größte in Europa. Als Kontrast zu den alten und schlichten Gebäuden der Altstadt stehen in der Via Garibaldi Paläste und Patrizierhäuser.Die Via Garibaldi hieß einst aufgrund ihres Reichtums Via Aurora, die goldene Straße.

    Wie viele andere Küstenstädte Europas hatte auch die Republik Genua eine lange kriegeriche Tradition (vor allem als Seemacht) und verfügte über Handelsabkommen mit anderen Ländern. Besonders gab es Zusammenarbeiten mit England und Spanien. Nicht umsonst nannte man die Genuesen (im Dialekt zeneixi) die Engländer Italiens. Dies aufgrund des für Italiener untypischen schnörkelfreien bzw. unaffektierten Wesens und ihrer offenen Agressivität.

    Der antike genuesische zweihänder Stock/ bastone a due mani
    Die Geschichte des genuesischen Stockes basiert zum einen auf eben dieses agressive Wesen, zum anderen auf Pera, dem genuesischen Stadtteil von Konstantinopel. Auftrund ihrer Unterstützung bei der Rückeroberung von Konstantinopel, wurde 1273 der genuesischen Republik als Dank der Stadtteil Pera überlassen.

    In welchen Jahr der geneusiche Stock gegründet wurde kann nur geschätzt werden. Womöglich war es zwischen 1400 und 1450. Da es sich um eine bürgerliche Entwicklung handelt, gibt es außer einem Bericht von 1442, il ballo del bastone/ il ballo di malavita, keinerlei Hinweise bzw. Quellen.

    Die Genuesen sind, im Gegensatz zu ihren italienischen Nachbarn so pragmatisch, daß der alten Kampfkunst auch kein Namen vergeben wurde. Der zweihändige Stock wurde schlicht zweihändiger Stock (ital. bastone a due mani) genannt. Die Waffe bildete stets den „Namen der Kunst“.

    Auch fehlt dem Kampfsystem jeglicher spirituelle Aspekt, wie es z. B. bei süditalieniachen Methoden er Fall ist. Es gab und gibt auch keine Form des Grußes und keine rituelle Kleidung oder andere kleine Angewohnheiten des Menschen um ein Gruppengefühl aufkommen zu lassen. Man gibt sich schlichtwegs die Hand bzw. man zog den Hut voreinander.

    Der zweihändige Stock hat eine Länge von 125cm bis 150cm und einen Durchmesser von 3cm bis 3,5cm. Geführt wird er, je nach Länge und Gewicht ein- in der Regel aber zweihändig. Das verwendete Holz war und ist der cornus mas, die Kornelkische. Bei der Kornelkirsche handelt es sich um ein langfaseriges und sehr hartes, gleichzeitig aber realtiv leichtes Holz.

    Ab circa 1472 wurde in Genua der Karnevalsumzug gefeiert. Er began an der Piazza Aquaverde und fand seinen Abschluß an der Piazza San Giorgio in Banchi. Aufgrund der Agressivität der Stadtbevölkerung endete der Umzug alljählich mit Schlägereien und Duellen; wobei Tote der Regelfall waren. Die verwendeten Waffen waren Dolche, Messer und eben der genuesiche Stock. Auch schlugen die angetrunkenen Stockkämpfer mit ihren Waffen auf die Stadtwachen ein. Diese Vorkommnisse waren es auch, die um 1600 ein Verbot für das Tragen von Messer und Langstock im Stadtgebiet nachsichzogen.

    Der Spazierstock/ bastone da passeggio
    Das Verbot veranlaßte die Bevölkerung zunächst auf den bastone a due mani zu verzichten und sich weiterhin mit dem - obwohl auch verbotenen -, Messer zu begnügen. Erzählungen nach soll um 1750 bis 1790 der soge-nannte bastone corto da città (der kurze Stadtstock) oder auch bastone da passeggio (der Spazierstock) Einzug in das bürgerliche Leben der Bevölkerung gehalten haben.

    Dieser Stock hat eine Länge von 90cm bis 100cm und einen Durchmesser von 1,8cm bis 2,2cm. Das für den Kampf verwendete Material war ebenfalss die Kornelkirsche. Dadurch, dass der Stock als Teil der Garderobe betrachtet wurde, ließ er sich ohne gesetztliche Beschränkungen mitführen.

    Die engen Gassen der Altstadt und ihre versteckten Fallen waren an der Entwicklung der Techniken, Strategien und Prinzipien maßgeblich beteiligt. So wird z. B. nicht nur dem Verhalten im Duell Stock gegen Stock, sondern auch der Verteidigung gegen Überfälle durch mehrere Personen gedacht. In der Regel haben dann einer oder auch mehrere der Angreifer einen Knüppel oder ein Messer in der Hand. Die Konzepte hierfür sind die Cüerta, die Raxea, die Röoa oder der parpagiön. Es ist auch interessant, daß ebenfalls Konzepte gegen Angriffe durch Hunde, wie z. B. das rönsa can, existieren.



    Die steilen und engen Gassen Genuas erforderten auch eine einfach und natürlich gehaltene Schrittarbeit. Diese Stockkampfmethode läßt ich als wuchtig, schlicht und zugleich elegant bezeichnen. Grundsätzlich wird ohne jegliche Schutzausrüstung trainiert und gekämpft. Schläge und Paraden sind einfach gehalten. Schlaghärte und –frequenz haben einen hohen Stellenwert. In erster Linie findet der Kampf im göcü largü, der weiten Distanz, statt. Die Genuesen sind der Meinung, dass es paradox sei sich eine lange Waffe zuzulgen und dann freiwillig den Nahkampf zu suchen.

    Sollte dieser einem jedoch durch den Gegner aufgezwungen werden, greift man auf die Prinzipien des alten zweihändigen Stockes und der alten italischen Kampfkunst Gambetto zurück.

    Die waffenlose Künste der Genuesen/ Savate e Gambetto
    Hier wären wir auch schon bei der Überleitung zu den waffenlosen Methoden Genuas. Es handelt sich vornehmlich um das Savate Genovese und dem Gambetto. Im Jahr 1898 gelangte das ursprünglich aus Paris stammende Savate nach Genua (vermutlich über Marseille). Die genuesische Methode unterlag jedoch nicht der zunehmenden Versportlichung. So finden sich im Savate Genovese auch Elemente des alten militärischen Chausson wieder. Nebst Faustschlägen, Tritten und Kniestößen, verfügt die Methode über Ohrfeigen und Rückhandschlägen, Hammerfäuste und Ellbogenschläge.

    Ebenfalles hielt die italische Kunst des Gambetto Einzug in die Stadt. Woher diese Kunst genau stammt und wann sie nach Genua gelangte ist nicht mehr nachzuvollziehen. Beim Gambetto handelt es sich rein um ein Nah-kampfsystem. Es gibt bis auf Kopfstöße drei Schläge und zwei Tritte. Vorwiegend versucht man die Gelenke (in erster Linie Hals-, Arm-, Hand- und Schultergelenke) zu brechen und/ oder den Gegner Kopf voran auf den Asphalt zu werfen. Wohlgemerkt handelt es sich um Brüche, rotture, und nicht um Hebel.

    Der Knochenbrecher/ desfa osse
    Weiterhin wuchs im alten Genua die Kurzstockmethode desfa osse (Knochenzerleger)oder auch stöcca osse (Knochenbrecher) heran. Auch diese Methoden hatte keinen Namen, sondern wurde nach der verwendeten Waffe - einem mit bleigefüllter Spitze versehener Knüppel-, benannt. Sinn und Zweck dieser Methode war nicht das Duell Kurzstock gegen Kurzstock (dies war aufgrund der Wahrscheinlichkeit einer solchen Konfrontation absurd), sondern das Auseinadernehmen Unbewaffneter bzw. der Kampf gegen Messer, sollte das vorgesehen Opfer eines versteckt getragen haben.

    Das Messer/ il coltello
    Zum Messerkampf kann ich leider nicht viel schreiben. Nicht aus Unwissen heraus, vielmehr weil ich mein Wort gegeben habe dieses erstmal nicht zu unterrichten und auch nicht dessen Funktion schriftlich zu erklären. Soviel kann ich jedoch sagen: Wie vom Maestro Parodi versprochen, bedurfte es nicht mehr als 10 Minuten meiner Zeit um die Methode zu erlernen und sie ist schlicht und tödlich.

    Roberto Laura
    Geändert von roberto (10-06-2007 um 15:46 Uhr)

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