Die italienische Kunst des Fechtens mit Messer und Dolch
nach der Lehre von

Maestro Prof. Antonio G. G. "il Tasso" Merendoni.



DIE REISE
Es war die Empfehlung meines Freundes Archimede Tentindo, seines Zeichen Wing Chun-Lehrer aus Rom, die mich am 19. Dezember 2002 eine Reise nach Cervia di Terme bei Ravenna antreten ließ. Die Reise führte mich zu Maestro Tasso. Maestro Tasso, mit bürgerlichen namen Antonio G. G. Merendoni, ist Professor für Geschichte und Kunstgeschichte. Des Weiteren lehrt er den militärischen Messerkampf der italienischen Maestri d`armi (Meister der Waffen) aus dem 14. - 18. Jahrhundert und die sogenannten sistemi popolari(Systemen der bürgerlichen Schicht), hauptsächlich aus Mittel- und Süditalien. Er ist u. a. Nahkampfausbilder mit Schwerpunkt auf Blankwaffen für einige Eliteeinheiten des italienischen Militärs.



DIE MILITÄRISCHEN METHODEN 1 - 3
Meine Erwartungen waren geteilt. Einerseits hoffte ich nicht enttäuscht zu werden, andererseits konnte ich mir nur schwer vorstellen, dass der europäische Messerkampf mich mehr fesseln könnte als der philippinische.

Maestro Tasso`s Lehrweg besteht aus diverse Methoden. Die ersten 3 Methoden entstammen der Lehre der oben erwähnten maestri d`armi und widmen sich:


a) der Vorkampfstellung links (sola daga)
b) der Vorkampfstellung rechts (sola daga)
c) dem Kampf mit zwei Messern (doppia daga)

Diese ersten 3 Methoden sind der Einstieg in Maestro Tasso`s Ausbildung. Die Bewegungen sind zentralisiert, direkt u. recht einfach zu erlernen. Sinn und Zweck der ersten drei Methoden ist lediglich dem Schüler, so schnell wie möglich, ein effektives und schnörkelloses System in die Hand zu geben.


DIE SCHERMA ITALIANA UND DAS AMERKANISCHE MILITÄR
Diese Einfachheit und Effektivität der italienischen Fechtkunst, erkannte in den ersten drei Jahrzenten des 20. Jahrhunderts auch der amerikanische Oberstleutnant des U. S. Marine Corps A. J. Brexel Biddle (Autor des Buches: do or die: A supplementary manual on individual combat, 1937).

Sein Nachfolger wurde sein bester Schüler, der Marine J. J. Styer. Styer war seit seinem Eintritt in das Marine Corps 1935, Biddles Schüler. Er unterrichtete das System bis ins Jahr 1939 und auch darüber hinaus als Reservist bis 1943 aktiv.

Im darauf folgenden Jahr beendete Styer seine aktive Militärlaufbahn, wurde Zivilist und begann sich auf die Suche zu machen um sein Messerkampfsystem weiter zu verbessern. Er nahm erneut Unterricht in der italienischen Fechtkunst bei zwei italo-amerikanischen Fechtlehrern. Der Eine war der Coach der amerikanischen olympischen Fechtmannschaft, George Santelli, der Andere war sein erster Assistent Edward Lucia. Styer verbesserte dank deren Hilfe u. a. die drei Grundtechniken des Stiches im Biddle-Styers-System:


a) die stoccata (dem Stich)
b) die passata sotto (dem Unterlaufen)
c) die inquartata (dem vierteln; der Inquartatur)

Getreu dem Sprichwort: "der Schnitt ist das Kind des Stiches", geht man im italienischen Messerkampf davon aus, dass Stiche schneller und effizienter (tödlicher) sind als Schnitte (was nicht heißen soll, Schnitte kommen nicht vor).

Seine Methode des Messerkampfes wurde so gefragt, dass er sich entschloss 1952 das Buch: Cold Steel: Technique of close combat zu schreiben. J. J. Styer fungierte dann wieder als Nahkampfausbilder des U. S. Militärs. Er hielt u. a. Nakkampfkurse im Camp Lejeune und anderen Stützpunkten der US Marines, der US Air Force und der US-Army.

Die Messerkampfmethode nach Styer ist heute noch eine der unterrichteten Methoden im amerikanischen Militär. Auch im zivilen Gebrauch wird sie noch von führenden Selbstverteidigungsexperten, wie William L. Cassidy (Autor des Buches: The complete book of knife fighting, 1975) oder J. A. Keating, verwendet.


METHODE 4 - DAGA ED INDUMENTO (Messer mit Gewand)
Die vierte Methode ist eine Einführung in den Kampf mit Messer und Gewand. Diese Art zu Kämpfen vereint diverse Vorgehensweise im Umgang mit der flexiblen Waffe. Primär handelt es sich um bürgerlich Prinzipien. In ganz Italien wurde das Gewand als Hilfsmittel im Messerduell verwendet.


METHODE 5 - I SISTEMI POPOLARI
Hat der Schüler den zentralisierten Weg erlernt und verstanden, geht die Lehre mit der fünften (5) Methode - den sistemi popolari -, weiter. Die sogenannten bürgerlichen Systeme entstammen ebenfalls der Lehre der maestri d`armi, haben ihre Wurzeln bis ins 15. Jahrhundert und entwickelten sich im 19. Jahrhundert zu hoch spezialisierten, eleganten und tödlichen Künsten. Der Großteil der sistemi popolari kommt aus Mittel- und Süditalien, hauptsächlich aus den Regionen Lazio, der Campania, Apulien, Calabrien und Sizilien. Aus diesen fünf Regionen ergaben sich neun (9) Hauptschulen (scuole) des Messerkampfes:


a) la scuola romana
b) la scuola napoletana
c) a scuola salernitana (spezialisiert auf den Kampf mit 2 Messer)
d) la scuola foggiano-barese
e) la scuola brindisina-leccese
f) la scuola tarantina
g) la scuola calabrese
h) la scuola palermitana
i) la scuola catanese

Des weiteren entwickelten die in Italien lebenden Sinti und Roma ihre ganz persönliche und beeindruckende Messerkampfkunst.

Aus diesen Hauptschulen heraus entwickelten sich wiederum Untersysteme usw. Abgesehen vom Gebrauch des einfachen Messers, wurde auch der Umgang mit Messer und Jacke/ Gewand unterrichtet. Es wurde/ wird gelehrt wie in extrem beengten Räumen, wie z. B. Kneipen oder mit durch Handschellen gefesselten Arme gekämpft wird.

Aus dem Norden Italiens kamen die Unterweltsysteme der Mailänder, Turineser, Genuesen und der Venezianer. Die Systeme des Nordens unterscheiden sich von ihren mittel- bzw. süditalienischen Schwetermethoden dadurch, dass sie z. T. vermehrt in der Nahdistanz arbeiten und in ihrer Natur wesentlich kompakter sind. Oft verfügen sie nur über drei bis sechs Techniken und beschäftigen sich kaum mit defensiven Konzepten.

Die bürgerlichen Systeme sind sehr beweglich und schnell. Es ist schwer sie auszurechnen und das macht diese Kampfkünste so einmalig in Aussehen und Effektivität. Insbesondere verdanken die süditalienischen Systeme ihre Unberechenbarkeit der sogenannten pazziatura.


DIE PAZZIATURA
Einer der größten Unterschiede der sistemi popolari zum Messerkampf der maestri d`armi besteht durch die pazziatura. Die pazziatura kann nicht mit einem einfachen Wort übersetzt werden. Es ist eine Art Ziehen und Verwirren des Gegners durch tanzähnliche Bewegungen aus einer "sicheren" Mensur heraus. Man zieht den Gegner quasi in den eigenen Rhythmus, man schwingt ihn regelrecht ein.


NACHWORT
In der Schule von Maestro Tasso gibt es keine komplizierten Drills und/ oder etwaigen Schnörkel. Maestro Tasso lernt mittlerweile seit 23 Jahren die Messerkampfkünste der italienischen Unterwelt und der jene landwirtschaftlicher Herkunft - die sistemi popolari. Seine Lehrer reden nicht vom Messerkampf, sie leben ihn. Das Messer war und ist Teil ihres Daseins. Es ist ein Wegbegleiter in, für uns meißt nicht nachvollziehbaren Kämpfen um Ruhm, Ehre und Geld.

Tasso hat im Laufe der Jahre aus den verschiedenen Systemen (die alle auf den gleichen Prinzipien aufgebaut sind) eine übersichtliche, kompakte und in sich schlüssige Kunst/ Schule des Messerkampfes zusammengestellts, die ihres gleichen sucht.

An dieser Stelle danke ich Maestro Tasso mich in seinen Weg, der Scherma dell Assalto del Lione, eingeführt zu haben und für seine Gastfreundschaft.

Roberto Laura
Neckarsulm, 29. Dezember 2002