Da ja immer wieder die gleichen Fragen bezüglich SV aufkommen, versuche ich jetzt mal, mit diesem Thread FÜR MICH wichtige Elemente der SV komprimiert zu beschreiben. OHNE dabei auf spezifische KKs einzugehen, da dies sowieso IMMER im Streit endet
Wenn ihr hierauf antwortet, versucht das bitte auch zu berücksichtigen. Ich möchte nicht, dass das wieder in „meine KK ist besser“ oder so was ausartet…
Der Beitrag richtet sich besonders an Leute, die wenig Erfahrung in der SV haben und auf der Suche nach einer KK bzw. einer Kombination sind, die einen möglichst umfassend auf Verteidigungssituationen vorbereitet. Eine Garantie oder eine „Beste“ KK gibt es einfach nicht.
In folgender Auflistung bleibt der Vorkampf bzw. die Verhinderung der SV-Situation außer Acht. Dazu habe ich ja schon einen anderen Thread aufgemacht. Ich meine, die Verhinderung der Auseinandersetzung sollte IMMER höchste Priorität haben.
Meiner Meinung nach sind folgende grundsätzliche Punkte für die SV wichtig:
Körperliche Vorraussetzungen
Natürlich spielt der Körper des Kämpfers eine große Rolle. Weniger wichtig ist die Größe, entscheidend kann aber das Gewicht und die Kraft des Kämpfers sein. Was nicht heißt das ein 140kg Typ einem 80kg Typen zwangsweise überlegen ist, aber letzterer muss mehr Energie aufwenden. Ganz klar spielen auch Kondition und generelle Sportlichkeit eine wichtige Rolle. Zumindest eine KK ist dringend zu empfehlen, obwohl ich auch Leute kenne, die ohne KK schon überaus verteidigungsfähig sind…
Mentale Ebene
Grundsätzlich sollte man nie davon ausgehen, nicht getroffen zu werden. Vielmehr sollte man sich selbst darauf einstellen. Ein Treffer bedeutet in den seltensten Fällen ein Ende des Kampfes und nicht jeder Schlag ist gleich verheerend. Oft reicht eine Hand dazwischen, und der Schlag wird abgeschwächt.
Dennoch solltest Du in der KONKRETEN Situation vollstes Vertrauen in Deine erlernten Techniken stecken. Denn ein Zweifeln in der Situation kann wertvolle Zeit kosten und deine Aktion uneffektiv werden lassen. In dem Moment solltest Du Dir keine „neue“ Technik überlegen. Also, zieh Dein Programm durch. Versuche, dich nur begrenzt an den Gegner anzupassen, also „Ringe nicht mit einem Ringer…“
Zusätzlich kommen in einer Kampfsituation Körperreaktionen zum Tragen die wir selbst nicht aktiv beeinflussen können. Der Puls rast, Adrenalin, der Blick verengt sich, man bekommt Angst, weiche Knie etc.. Diese Signale des Körpers sind natürlich und sinnvoll. Denn durch das Adrenalin wird der Körper in einen Alarmzustand versetzt, der das Schmerzempfinden herabsetzt und schnellere Reaktionen zulässt. Wenn man nicht aus „Schreck“ erstarrt.
Übersicht behalten und „bewusste“ Distanzen
In einer Kampfsituation ist es wichtig, zu wissen wer vor, hinter und neben einem steht. Und in welcher Distanz die Personen stehen. Ohne sich von dem eigentlichen Gegner ablenken zu lassen sollte man sein Umfeld stets im Auge haben. Besonders für die Verteidigung gegen mehrere Angreifer ist es sehr wichtig, möglichst alle im Auge zu behalten.
Eigentliche Kampfebenen
Hier nun die eigentlichen „Ebenen“ eines Kampfes aus meiner Sicht. Die Rangfolge ist von der weitesten Distanz zur engsten Distanz.
Waffen
Waffen lassen sich in der Regel mit größerer Distanz einsetzen, als alle anderen waffenlosen Verteidigungsformen. Ich persönlich kämpfe nur mit Waffen, wenn der Gegner auch bewaffnet oder deutlich überlegen wäre. Ein Messer würde ich nie selbst tragen, wenn ich einem Angreifer aber entwaffnen sollte, würde ich sein Messer benutzen (auch aus Therapiezwecken).
Man sollte zumindest mal ein Messer und einen Stock in der Hand gehabt haben und sich von einem Fachmann die wichtigsten Sachen erklären lassen. Auch wenn man Waffen eigentlich nicht selbst führen möchte. Es kann aber Situationen geben, bei denen man eine Waffe (oder einen waffenähnlichen Alltagsgegenstand) in die Hand bekommt, und diese die einzig realistische Möglichkeit darstellt, den Kampf zu den eigenen Gunsten zu beenden. Schusswaffen sollte man vielleicht auch schon mal in der Hand gehabt haben und damit auch geschossen haben. Man weiß ja nie…
Waffen selbst zu führen empfehle ich nur nach 1-2 Jahren intensivem Waffenkampftraining, denn sonst halte ich das für leichtsinnig.
Tritte
Ein solides Repertoire an kurzen, direkten, tiefen Tritten sollte man für eine SV-Situation bereit halten. Nichts halte ich in der SV von Rundkicks, wo man dem Gegner den Rücken zudreht bzw. sehr weit ausholt oder hohen Tritten über der Gürtellinie.
Ich habe gute Erfahrungen mit einem kurzen Stop-Tritt aufs Bein gemacht. Von der Seite kann ein kurzer Tritt auf die Kniescheibe den Gegner schnell zu Boden bringen.
Faust-/Handkantenschläge
In dieser Distanz können Faustschläge oder andere Schläge mit der Hand erfolgen. Ob die Faust dabei horizontal oder vertikal geführt wird, ist eine Stil- und Geschmacksfrage.
Ich halte hier weit ausholende Schläge wie einen Schwinger für schwierig, da man dadurch auch seine Deckung öffnet und den Gegner durch die Ausholbewegung vorwarnt. Trifft man allerdings, hat man meist eine hohe Wirkung.
Ellenbogen/Knie
In der Nahdistanz sind Ellenbogen und Knie die kräftigsten Schläge die ein Mensch ausführen kann. In meinen Augen ist dieser Punkt überaus wichtig für eine effektive Verteidigung.
Mit dem Ellenbogen bzw. der Elle kann man sich in einer Kampfsituation sehr gut Raum schaffen oder Kämpfer trennen. Auch können gleichzeitige Haltegriffe am Genick die Wirkung eines Ellenbogenschlags deutlich verstärken. Der Übergang zum Grappling ist praktisch fließend. Viele KS trainieren die Ellenbogen nicht, da sie in den meisten Turnieren sowieso verboten sind. Dies liegt an der hohen Verletzungsgefahr durch den Einsatz von Ellenbogen.
Grappling
Hierunter fallen alle möglichen Griffe zur Kontrolle oder Entwaffung des Gegners, sowie deren Gegenmaßnahmen. Auch Würfe zählen zu dieser Distanz. Von letzteren würde ich aber in einer wirklichen SV-Situation abraten, es sei denn man verfügt über effektive Mittel den Gegner am Boden zu fixieren. Dabei muss man aber drauf achten, dass der Gegner keine Freunde mithat, die einen dann attackieren könnten. Auch sollte man sich Gedanken machen, WANN man die Fixierung wieder gefahrenfrei lösen kann. Wenn man erst die Polizei ruft, hat man unter Umständen lange zu warten. Den Gegner zu früh wieder freizugeben, kann bedeuten, dass er wieder auf einen losgeht. Deswegen finde ich Würfe für die SV nur sehr begrenzt sinnvoll.
Man kann den Gegner auch auf andere Arten sicher zu Fall bringen, z.B. durch einen Tritt von hinten in die Kniekehlen bei gleichzeitigem Kontrollgriff. Dies würde ich einem Wurf vorziehen, da ein Wurf immer einen sicheren Griff voraussetzt, der vom Gegner teils empfindlich gestört werden kann.
Boden
Ich bin der Meinung, dass es in der SV ein Ziel sein sollte, nicht auf den Boden zu kommen. Da man dies aber niemals ganz ausschließen kann, sollten einem zumindest grundlegende Techniken (Takedowns, Mounts, Submissions) bekannt sein, um sich dessen einigermassen zu erwehren. In der Praxis kommt es – jenseits der Kabbeleien auf der grünen Wiese – selten zu einem Bodenkampf.
Viele Stand-Up Techniken können aber auch auf dem Boden angewandt werden. So zum Beispiel Ellenbogen oder Fauststöße.
Da aber in der Regel mindestens 1 Kämpfer mindestens einmal zu Boden geht, sollte man das schnelle Aufstehen OHNE Hände üben.
So, und nun kann sich jeder selbst fragen, inwiefern die eigene(n) KKs die Anforderungen einer SV-Situation erfüllen. Zum Beispiel Boxer können erkennen, dass sie von diesen Ebenen eigentlich nur die Faustschlagdistanz beherrschen. Daraus könnten sie jetzt zwei Schlüsse ziehen:
1. Man trainiert (zusätzlich) eine andere KK, die diese Bereiche abdeckt
2. Man findet sich damit ab, und setzt im Kampf nur auf den/die Bereich(e), die man gut beherrscht.
Jeder hat sowieso seine Lieblingsdistanz. Dennoch bin ich der Meinung, man sollte – um sich auf SV vorzubereiten – möglichst viele Ebenen kennen und diese auch einigermassen trainiert haben.
Und jetzt noch mal zum Thema „Der bessere Fighter gewinnt“:Sicher ist das wahr, keine Frage. Es gibt zig Leute die das gleiche die gleiche Zeit lang machen und einer ist trotzdem besser als der andere. Ist halt so.
Nur kann man daran meist nur wenig ändern.
Allerdings kann auch der beste Rennfahrer in einem Trabbi keine Hausfrau im Automatik-500PS-Porsche abhängen.
Deswegen ist man meiner Meinung nach immer gut bedient, wenn man sich „bestmöglich“ vorbereitet.
Ob man dann gewinnt, ist eine ganz andere Frage…
In dem Sinne hoffe ich, dass ich mit dem Beitrag einigen bei ihrer Wahl SV-geeigneter KK unterstützen kann und hier nicht einen neuen Streitbeitrag geliefert habe.
Einer SACHLICHEN Diskussion bezüglich der hier geäußerten Elemente stehe ich ganz offen gegenüber und verspreche mich mit Einwänden angemessen zu befassen…
In dem Sinne, beste Grüße vom Bruce