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Thema: A CIELO E MERAVIGLIE - eine traditionelle Messerkampfkunst aus Apulien

  1. #1
    roberto Gast

    Standard A CIELO E MERAVIGLIE - eine traditionelle Messerkampfkunst aus Apulien

    A Cielo e Meraviglia


    Eine agri-pastorale Kampfkunst aus der Valle Ofantina in Apulien



    Einleitung
    Der folgende Bericht dient als Zeugnis italienisch-bürgerlicher Methoden. Diese Methoden galten auch in Italien als verlorengegangen und überlebten im Verborgenen innerhalb krimineller Organisatione, Vollzugsanstalten oder, wie in diesem speziellen Fall, als bäuerliches Familiensystem.

    Beim folgenden System handelt es sich um eine sogenannte arte agri-pastorale, also um eine Kunst von Bauern und Hirten. Der Ursprung liegt im Gebiet der Valle Onfantina in der Murgia Bassa, Apulien.

    Ganz ohne Einfluss der im Süden Italiens presenten malavita (deut. Unterwelt), ist aber auch dieses System nicht entstanden. Eben diese kulturelle Eigenart der Bevölkerung war Zuständig für die Geheimhaltung dieser ländlichen Kunst und über ein Jahrhundert lang galt sie als verloren gegangen. (Anm.: die Künste der Landbevölkerung und die der Unterwelt stehen sich eher feindlich gegenüber. Das kommt daher, da es vor allem die mafiösen Organisationen waren, die die Landbevölkerung zur Mehrarbeit auf dem Feld zwangen und sich der erwirtschafteten Früchte bereicherten).

    Trotz dieser politisch-kulturellen Diskrepanz sind heute einige Lehrer bereit ihre Kunst vorzustellen. Dieses, als Respekt für ihre Vorfahren und/ oder - wie in meinem Fall -, aus dank dafür, selbst die Möglichkeit erhalten zu haben eine heimische Tradition beerben zu dürfen.

    Das Messer und der Rosenkranz
    Als Symbol verwendet das System ein mit einem Rosenkranz umwickeltes Messer. Bei genauer Betrachtung stellt man fest, daß es sich nicht um ein Kampfmesser, vielmehr um ein Klappmesser für die Arbeit handelt. Dieses steht für die Bescheidenheit des bäuerlichen Landlebens. Weiterhin ist die Klinge eingeklappt, was auf den Gedanken hinweist, daß das Messer zur Verteidigung nur im äußersten Notfall verwendet werden sollte. Das Messer zeigt mit der Öffnung nach links. Dies rappräsentiert in der süditalienischen Ausprägung des katholischen Symbolismus das Kreuz, den Geist und das Herz.

    Der Bezug zum Herzen ist daher wichtig, da Herz benötigt wird, trotz Ehrverletzung, einer unnötigen Konfrontation aus dem Wege zu gehen, da Herz benötigt wird sich einer unvermeidlichen Konfrontation zu stellen und da das Herz eben eine der wichtigsten und somit schützenswertesten Regionen des menschlichen Körpers ist.

    Der Rosenkranz umwickelt das Messer um es geschlossen zu halten. Dadurch steht es für das Vertrauen in Gott als Beschützer und für den vordergründigen Gedanken des Fiedens untereinander:



    Jede einzelne Perle des Rosenkranzes symbolisiert einen Lernschritt innerhalb der Kunst. Als Ganzes und miteinander verbunden stehen die Perlen für die freie Interpretation der Techniken und Prinzipien seitens des Individuums. Sie stehen für Instinkt, Geist, Kreativität, für die Möglichkeit der Entscheidung über die eigenen Handlungen und somit für das Menschsein. Der Rosenkranz stellt den spirituellen Bezug der Kunst dar.

    Entstehung
    Der Ursprung dieser Methoden des Kampfes liegt in einer bäuerlichen Gegend um die Gebiete der Bassa Murgia in der Valle Ofantina in Apulien. Diese Region war, aufgrund geringer Bodenschätze, seit früher Zeit bereits der Viehzucht zugetan. Anfang des 20. Jahrhunderts faßte auch vermehrt die Landwirtschaft Fuß. In erster Linie widmeten sich die Bauern dem Geschäft mit Olivenöl und Trauben.

    In diesem kulturell-historischen Kontext wurden die Methoden der Vofahren geboren. Es handelt sich um Wege der Selbstverteidigung um das eigene Hab und Gut, wenn auch gering im Wert, vor Überfällen zu schützen. Als Waffe bediente man sich des Stockes, welcher zum Beaufsichtigen der Schafs-herden benötigt wurde, und des Messers, welches in den südlichen Regionen Italiens, ob als Werkzeug oder Haushaltshilfe, ein steter Begleiter der Menschen war und auch heute noch ist. So entstand mit der Zeit eine Kunst, die zwar arm an Mitteln war, dafür reich an Methode.

    Verantwortlich für den Erhalt dieser alten Kunst sind in erster Linie Schäfer und die Arbeiter in den Ölmühlen. Letztere waren es auch, die eine Methode entwickelten, welche das Messer in Verbindung mit einer Kordel und einem in der freien Hand gehaltenen Stein verwendet

    Die Methode des Messers mit Kordel und Stein
    Hierbei handelt es sich wohl um die spezifischste Methode der Schule. Aufgrund der Tatsache, daß die Aktionen keine Wiederkehr zulassen, nennt man sie auch il metodo del corraggio, die Methode des Mutes. Die Idee besteht darin, mit Hilfe der Kordel das Messer des Angreifers zu umwickeln und dadurch einzufangen. Die Kordeln waren Werkzeug der Ölmühlenarbeiter und dienten dazu, Olivensäcke zuzubinden.

    Urspünglich dienten die Kordeln lediglich als didaktische Hilfe um den Schüler den Umgang mit dem Messer zu erleichtern. Mit der Zeit bemerkten die maestri, daß mit Zunahme der Kordel ein Vorteil im Kampf zu erzielen war und sie entwickelten eine eigenständige Kunst im Umgang mit diesem Werk-zeug. Einige bemächtigten sich dabei noch eines Steines, an denen es in der Murgia nie mangelt.

    Jedoch sollte erwähnt werden, daß diese spezielle Methode sehr umfangreich ist. Es entwickelten sich diverse Abzweigungen vom urtümlichen System der Gründerväter. Zudem verwendeten die Exponenten der Kunst, wie in der landwirtschaftlichen Kultur Süditaliens üblich, vermehrt religiöse Begriffe zur Bezeichnung der Techniken. Dieses verstärkte den mystischen Charakter der Kunst.

    Der Lehrweg für die Methode mit Messer, Kordel und Stein umfasst drei Elemente:

    1. il modo (deut. der Modus)
    2. la postura (deut. die Positionierung)
    3. le legature (deut. die Bindungen)

    Il modo
    die Methode, wurde entweder von einem einzigen Bewahrer oder von einer gruppe Enthusiasten entwickelt, die, unter Zunahme anderer bereits existierender Methoden, einen neuen Lehrweg schufen. Er gliedert sich wie folgt:

    1. a civetta (deut. die Kokette); vollständige Methode.
    2. a zanzara (deut. die Stechmücke); vollständige Methode, die aber auch andere Methoden ergänzt.
    3. a scarafaggio (deut. der Mistkäfer); vollständige Methode, die aber meißt in Verbindung zu anderen Methoden steht.
    4. a leone [il creatore] (deut.: der Löwe); unvollständige Methode, die nur in Verbindung zu anderen Methoden gesetzt wird.

    An dieser Stelle muß erwähnt werden, daß es nicht notwendig ist alle Methoden zu erlernen um erfolgreich kämpfen zu können. Entsprechend erlernen die meißten immer nur eine oder zwei der oben angegebenen Methoden.

    Die Kordel zur Unterteilung des Zieles
    Eine der ersten Lernschritte ist die Aufteilung der Person als Ziel der vier Bereiche. Als Hilfe bei dieser Übung verwendet man die Kordel. Die Kordel unterteilt die zu treffenden Quadranten durch Darstellung der Quer- oder Längsachse und der Partner übt das Winkeln im Angriff mit oder ohne voran-gegangenem Schnitt bzw. vorangegangener Finte.

    Die Kordel als Hilfe für das Spiel mit dem Messer
    Im Anschluß erlernt der Schüler die Grundbewegungen der Methoden. Diese modi (deut.Vogehensweisen) werden ebenfalls unter Zunahme der Kordel geübt. Die festgelegte Länge der Kodel optimiert die Positionen und den Ablauf der Techniken. Es waren diese modi, die das Grundgerüst für alle weiteren Methoden bildeten.

    Die Kordel als aktives Instrument im Messerkampf
    Die Verwendung der Kordel ergibt sich durch das Verständnis der folgenden Lehren:

    1) das Prinzip der spazzi morti (deut. die toten Räume)
    2) das Wissen um die entrate (deut. die Einstiege)
    3) die Fähigkeit zu legature (deut. Bindungen) und contro-legature (deut. Gegenbindungen)
    4) das Wissen um die parte razionale e irrazionale in combattimento (deut.: die rationale und irrationale Seite im Kampf)
    5) der voltura (deut.: die Drehung)
    6) des carambolare (deut. des zusammenstoßens)
    7) des sondare (deut. des sondierens) und ...
    8) des saltare l`ombra (deut. den Schatten überspringen).

    Entledigt man sich der Kordel und kämpft mit bloßen Messer, müssen die freie Hand und das tempo (deut. das Timing) Räume und Zeiten schließen.

    Des Weiteren sollte erwähnt werden, daß jede im System enthaltene Methode aus sogenannten nomine, technischen Stufen, besteht. Eine nomine besteht ihrerseits aus drei bis sechs legature (deut. Bindungen) und jede Methode verfügt über fünf bis sieben nomine. Zieht man dann noch die persönlichen Methodiken in betracht, die von einem Bewahrer der Kunst selbst entwickelt worden sind und nur an dessen Kinder bzw. Enkelkinder weitergegeben wurden, erhöht sich die Zahl der nomine und somit auch die der legature um ein vielfaches.

    Die oben erwähnten Prinzipien und legature (deut. Bindungen) ergeben das theoretisch-praktische Fundament, um den Umgang mit dem Messer innerhalb dieser Schule zu erlernen.

    Um dem Schüler die grundlegenden sfreggi (deut. Schandmale; es handelt sich hierbei um Schnitt- und Schlagfolgen), Bindungen und Entbindungen leichter zugänglich zu machen, wurden diese auf alten Fässern bzw. auf Holztüren aufgemalt. Der Schüler folgte dann mit seinem Messer den geometrischen Strukturen.

    Die für die Methoden spezifischen Positionen
    Weiterhin enthält jede Methode dieses Systems Positionen um sich dem Gegner entgegenzustellen. Die Positionierung ist wichtig für das Gelingen der legature (deut. Bindungen). Die wichtigsten Positionen wie folgt:

    1) a corona; die Krone (die vorwärts gerichtete Stellung)
    2) dell` arrovigliare; die Stellung zum Umwickeln
    3) del prendere; die Stellung zum Einfangen
    4) a zanzara; die Stechmücke
    5) posizione bassa; die tiefe Stellung
    6) posizione frontale; die frontale Stellung
    7) posizione alta; die hohe Stellung
    8) posizione del metodo a civetta; die Position der koketten Methode





    Die Bindungen sind es, die die ganze Terminologie bestimmen. Über die einzelnen Techniken lässt sich aufgrund der Komplexität nur schwer schreiben. Um das Gesamtbild zu erfassen ist es notwendig die Kunst des Gebrauches von Messer, Kordel und Stein bei einem Bewahrer selbiger zu erlernen.

    In der Hoffnung einen Einblick in eine weitere traditionelle italienische Kampfkunst gegeben zu haben, bedanke ich mich bei den Lesern dieses Artikels für das aufgebrachte Interesse.



    Roberto Laura
    Neckarsulm, 27.07.2006
    Geändert von roberto (27-04-2007 um 17:50 Uhr)

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