Chi Sao
Ein essentieller Bestandteil des Wing Chun ist das Chi Sao. Chi Sao trainiert in erster Linie die taktilen Reflexe und damit auch die Standfestigkeit und Balance, den richtigen Abstand zum Gegner in der Nahdistanz, die Sensibilität für Lücken in der gegnerischen Abwehr sowie deren Schaffung und den Eigenschutz.
Das Chi Sao gehört zu den wichtigsten Partnerübungen im Wing Chun. Dabei stehen sich zwei Trainingspartner in einer festgelegten Ausgangsstellung gegenüber und nehmen mit den Armen Kontakt zueinander auf („fühlende Hand“). In der Regel wird dann mit festgelegten Anfangsbewegungen (z. B. „rollende Arme“) begonnen, worauf dann zu freier Anwendung verschiedener Techniken übergegangen wird.
Chi Sao kann entweder als feste Folge von Techniken mit verschiedenen Übergängen trainiert werden, die dann frei variiert werden können, oder es wird das sogenannte Go Sao trainiert, welches eine Art Sparring auf Chi-Sao-Distanz darstellt. Hierbei gibt es keinerlei Regeln zu Abläufen, es ist ein freier Kampf in der Nahdistanz.
Die Besonderheit am Chi Sao ist, dass der Schüler von den langsameren visuellen Reflexen weg zur taktilen Wahrnehmung hin erzogen wird. Es wird hier davon ausgegangen, dass es in der Nahdistanz, die oft auch als Trappingdistanz bezeichnet wird, nicht mehr rechtzeitig möglich ist, gegnerische Aktionen visuell zu erkennen und abzuwehren. Daher wird mit dieser Trainingsmethodik der Kontakt zum Gegner ausgenutzt, um dessen Aktionen über den schnelleren Sinn der Taktilität erkennen zu können.
Da Chi Sao auf unterschiedliche Weise trainiert und interpretiert werden kann, differiert es innerhalb der einzelnen Wing-Chun-Stile. So legt „Wing Tsun“ viel Wert auf das „Kleben der Arme“, um den Gegner zu fesseln, während „Ving Tsun“ den Kontakt leichter löst, um direkte Schläge anzubringen. Chi Sao ist keine eigenständige Technik für den freien Kampf sondern ein Trainingshilfsmittel. Es bildet durch fortgesetzte Übung eine hervorragende Grundlage für schnelle, instinktive Abwehr samt daraus resultierendem Gegenangriff.
Im Wing Chun verstehen sich Chi Sao und andere Formen auch nicht als „Technik“, vielmehr als Prinzip, welches je nach Anforderung angewendet wird. Dabei spielt der Körperbau des Gegners nur noch eine untergeordnete Rolle.