Ab und zu fragen Kunden, warum im Kieser Training kein «Stretching» empfohlen wird. Grundsätzlich empfiehlt Kieser Training nur Verfahren, die einen offensichtlichen Nutzen bieten und deren Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen ist. Das ist beim Stretching (noch) nicht der Fall.
Das Stretching hatte seine große Zeit Anfang der Achtzigerjahre. Empirisch auch nur einigermaßen verlässliche Studien zum Stretching gab es jedoch weder damals, noch gibt es sie heute. Viele der damaligen Protagonisten distanzieren sich heute davon (siehe nachfolgende Zitate). Der Verdacht, dass extensives Stretching langfristig Schaden verursachen kann, ist nicht von der Hand zu weisen. Niemand kann heute genau sagen, wozu Stretching gut ist, so dass sich schließlich die Frage stellt, ob es überhaupt zu etwas gut ist.
Kurzes Dehnen – ein bis vier Sekunden – ist sinnvoll und vollzieht sich automatisch beim Training an den Maschinen von Kieser Training; wenn ein Muskel sich zusammenzieht, wird sein Antagonist von selbst gedehnt. Aber auch das kurze Dehnen ohne Maschine, wie wir es so schön an Katzen beobachten können, ist wohltuend und empfehlenswert, ohne daraus gleich eine Behandlungsmethode ableiten zu wollen. Beim «Stretching» wird jedoch empfohlen, die Position der maximalen Dehnung bis zu 25 Sekunden aufrechtzuerhalten, eben so lange, bis der Dehnungsreflex «abgeklungen» ist. Dehnungsreflex nennt man die Reaktion, die der Arzt am Oberschenkelmuskel beobachtet, wenn er mit dem Hämmerchen leicht auf die Sehne unterhalb der Kniescheibe klopft. Diesen Dehnungsreflex müssen wir uns nicht abgewöhnen. Er schützt vor Überdehnung. Nachfolgend die Aussagen von vier Experten, die das Stretching in der täglichen Praxis mit Patienten über Jahre geprüft haben.
Dr. rer. nat. Manfred Hoster, Diplom-Sportlehrer, Sport-, Gymnastik- und KG-Schule Waldenburg (1994):
«Ca. 10 Jahre nach der 'Dehnungswende' kann festgestellt werden, dass die Methode bzw. Technik nicht das gehalten hat, was in der Stretching-Literatur versprochen wurde, und eindeutige wissenschaftliche Beweisführungen noch ausstehen. Stretching, obwohl zu fast jedem Bewegungsprogramm gehörend, kann im Einzelfall einer Aufwand-Nutzen-Relation schwerlich standhalten. Eine präventivmedizinische oder therapeutische Notwendigkeit ist bei dem derzeitigen Wissen um die physiologisch-morphologische Wirkung 'passiv-statischer' Dehnungsübungen nur undeutlich zu erkennen.»
Dr. phil. Jürgen Freiwald, MA Sportwissenschaften, Orthopädische Universitätsklinik Frankfurt/M (1994):
«Ein Problem stellt das Dehnen schon hypermobiler Gelenke dar. Hypermobilität kann sowohl anlage- als auch trainingsbedingte Ursachen haben. Bei solchen Voraussetzungen geht die weitere Entwicklung der Beweglichkeit möglicherweise auf Kosten der stabilen Führung der Gelenke. Am Schultergelenk werden die Gefahren besonders deutlich.»
Prof. Dr. med. Klaus Wiemann, Bergische Universität Wuppertal (1994):
«Kontrollierte Experimente über den Zusammenhang von regelmäßigem Stretching und Vermeidung von Verletzungen lassen sich aus ethischen Gründen natürlich nicht durchführen. Allerdings ist es möglich zu prüfen, ob durch Stretching behandelte Muskeln nach Belastung in gleicher Weise zu Muskelkater neigen wie nicht gedehnte Muskeln. Dazu stellten BUROKER&SCHWANE fest, dass sich durch zweitägiges Dehnen (alle zwei Stunden) das Entstehen von Muskelkater nach Belastung nicht verhindern ließ. In einer Untersuchung von HIGH et al. erlitten Versuchspersonen, die vor einer bis zur Erschöpfung führenden Muskelbelastung ein statisches Dehnen absolvierten, in gleichem Maße Muskelkater wie Personen ohne Dehnungstraining. Im Gegensatz zu den Kenntnissen über die physiologischen Wirkungen der Kraftbeanspruchung des Muskels sind Trainingswissenschaft und Sportmedizin noch weit davon entfernt, die Wirkung von Muskeldehnungsmaßnahmen, speziell die Effekte des Stretchings, durch empirisch abgesicherte Befunde zufriedenstellend erklären zu können.»
Rolf Rebsamen, Physiotherapeut, CH-Zollikon (1989):
«Durch anhaltendes, hartnäckiges und zumindest am Anfang schmerzhaftes Dehnen, wie es beim ehrgeizigen Sportler eben anzutreffen ist, dürfte der Sollwert zur Auslösung von afferenten Signalen aus den intrafusalen Fasern derart verstellt werden, dass die überdehnte Muskulatur Einbußen erleidet an Effektivität ihrer Melde- und Schutzfunktion. Dies mag die Erklärung dafür sein, dass bei sogenannt gut gedehnten Individuen sich Beschwerden des Bewegungsapparates häufig als überdurchschnittlich langwierig in der Behandlung präsentieren.»
Angesichts dieser – aus erkenntnistheoretischer Sicht – mehr als zweifelhaften Sachlage kann Kieser Training weder für noch gegen Stretching Stellung nehmen – zumindest so lange nicht, bis gesicherte Untersuchungsergebnisse vorliegen.
Sekundärquelle:
https://bikeboard.at/Board/showthrea...s-DEHNEN/page2