Zitat von
der tagesspiegel
(20.03.2007)
London – Stadt der Messer
Auch britische Jugendliche stechen immer öfter zu Was an der Themse gegen Gewalt getan wird
Die Verdächtigen, nach denen gesucht wird, trugen graue Kapuzenpullover. Solche „Hoodies“ gelten in Großbritannien als Symbol für Jugendgewalt. Und so passte die Tat ins Schema: Am Samstagabend starb ein 15-jähriger Junge im Londoner East End. Er war auf dem Weg vom Kino nach Hause, stieg aus dem Bus und wurde mit Messern angegriffen. Der schwarze Jugendliche, ein Neffe des britischen Leichtathletik-Stars John Regis, starb kurz darauf. Es war die zweite tödliche Messerattacke in der britischen Hauptstadt innerhalb von vier Tagen. Am Mittwoch hatten mehrere Jugendliche im Stadtteil Hammersmith einem 16-Jährigen aufgelauert, ihn verprügelt und erstochen. Über das Motiv wird in beiden Fällen spekuliert. Die Täter könnten sich von ihren Opfern durch ein falsches Wort, ein Lachen oder einen abschätzigen Blick provoziert gefühlt haben.
„Es ist eine erschreckende Realität, dass Londoner Teenager in jeder Woche Opfer von Messerattacken werden“, sagt Superintendent Chris McDonald von der Metropolitan Police. „Sie tragen die Waffen, weil sie sich sonst nicht mehr sicher fühlen, oder einfach als Mode.“ Nach Polizeistatistiken werden durchschnittlich 52 Teenager pro Woche Opfer von Messerangriffen. Während wie in Berlin auch in London die Kriminalitätsrate insgesamt sinkt, gibt die Gewalt unter Jugendlichen immer größeren Anlass zur Sorge.
Die Versuche, die Gewalt einzudämmen, sind vielfältig: Im Sommer vergangenen Jahres erhielten Jugendliche einen Monat lang die Chance einer Strafverschonung, wenn sie ihre Waffen auf der Polizeiwache abgeben. Rund 8000 Messer wurden so aus dem Verkehr gezogen. Die Polizei zeigt seit einiger Zeit mehr Präsenz in den einschlägigen Kiezen der britischen Hauptstadt und warnt Jugendliche, dass allein schon das Tragen eines Messers illegal ist. Auch Jugendlichen droht demnach eine Gefängnisstrafe von bis zu vier Jahren. Mit einem neuen Gesetzesentwurf erhöht die britische Regierung derzeit das Mindestalter zum Kauf von Messern von 16 auf 18 Jahre. Zudem sollen die Rechte von Lehrern und Schuldirektoren gestärkt werden, Schüler bei Verdacht nach Messern zu durchsuchen.
Mit Vorführungen des Videos „Knife City“ (Die Stadt der Messer) versucht die Polizei, Jugendliche abzuschrecken: Der kurze Film ist im Stil eines Computerspiels gedreht. Ein Jugendlicher steckt sein Messer in die Hosentasche und tritt aus dem Haus. Im Laufschritt, mit den leicht abgehackten Bewegungen, die charakteristisch für Computerspiele sind, läuft er durch Hinterhöfe, klettert über Mauern und wird schließlich von drei anderen Jugendlichen aufgehalten. Die Gesichter der Jugendlichen sind stilisiert wie bei Zeichentrickfiguren. Erst gibt es einen Wortwechsel, dann folgt der Kampf mit Messern. Einer der Angreifer sinkt schwer verletzt zu Boden. Was bislang wie ein Spiel mit künstlichen Figuren wirkte, wird plötzlich realistisch. Der Erstochene wie der Täter erhalten auf einmal ein menschliches Gesicht. Sie sind plötzlich mehr als schemenhafte Gestalten in grauen Kapuzenpullovern.