Wie individuell muss der Unterricht eines Golflehrers sein?
oder: Die zehn Stufen des Individualitätsmangels
Stufe 10 in der nach oben geschlossenen Richterskala des Individualitätsmangels kennzeichnet natürlich den Lehrer, der jedem Schüler immer die gleiche Korrektur gibt und zwar so eine, die nicht besonders viel Nützlichkeit aufweist: Kopf unten lassen oder so.
Stufe 9 ist auch ein Lehrer, der lediglich den einen viel zitierten Hammer von Oscar Wilde besitzt, jedoch ist dieser Hammer nicht so schädlich wie der Kopf-unten-Hammer (siehe auch meinen Artikel zur Kontur). Es ist gleichsam ein Hammer mit Gummikopf wie zum Beispiel: "Schön locker schwingen und den Schlägerkopf fühlen."
In
Stufe 8 steckt der Lehrer, der zwar ein beschränktes Arsenal an Korrekturen hat (vielleicht drei bis fünf Hämmer), aber diese mehr oder weniger nach dem Zufallsprinzip auf die Schüler verteilt: Montags den grünen Hammer, am Wochenende den gelben und so weiter.
In
Stufe 7 ist der Lehrer, der eine festgelegte Idealvorstellung von einem Schwung hat und jeden Schüler in diese Richtung drängt, dabei aber keine Rücksicht auf dessen Ballflug oder seine eventuell vorhandenen körperlichen Einschränkungen legt. Stufe 7 unterteilt sich in Lehrer mit verschieden nützlichen Idealvorstellungen: Wenn sich die Idealvorstellung lediglich aus einem bestimmten Vorbild speist (vielleicht ein Tourspieler, der dem Lehrer besonders gefällt) und dieses Vorbild eben einige Kompensationen hat, ist das nicht so gut wie eine Idealvorstellung, die universeller funktionstüchtig ist. Problematisch ist es auch, wenn der Lehrer eine selbst gemachte Idealvorstellung hat, die dazu führte, dass wenn jemals ein Mensch so schwänge, er nicht gerade, sondern extrem nach rechts oder links schlüge.
Man könnte also sagen in
Stufe 6 ist der Lehrer, der eine festgelegte universell nützliche Idealvorstellung von einem Schwung hat und jeden Schüler in diese Richtung drängt, dabei aber keine Rücksicht auf dessen Ballflug oder seine eventuell vorhandenen körperlichen Einschränkungen legt.
Der Lehrer in
Stufe 5 hat eine festgelegte funktionstüchtige Idealvorstellung und nimmt sowohl Rücksicht auf den Ballflug, als auch auf die Einschränkungen des Schülers. Weicht der Schwung von der Idealvorstellung ab, sortiert der Lehrer diese Abweichungen in die, die den Ballflug zunächst verbessern würden und die, die ihn verschlechterten. Der Schüler bekommt dann zunächst die Korrekturen vorgeschlagen, die den Ballflug verbessern.
Kann der Schüler bestimmte Bewegungen nicht umsetzen, macht der Lehrer Kompromisse und wandelt seine Idealvorstellung leicht ab. Jemand mit Bandscheibenvorfall darf beispielsweise die Hüfte beim Ausholen mehr drehen als das in der Idealvorstellung des Lehrers der Fall ist. Jemand mit eingeschränkter Handgelenksflexibilität darf möglicherweise stärker greifen. Höhere Handicapper dürfen den Ball mehr aus der Mitte spielen, chronische Von-Außen-Kommer die Schultern leicht geschlossen ausrichten und den Schläger etwas kreuzen und so weiter.
Stufe 4 hat nicht ein Idealmodell, sondern mehrere, so wie beispielsweise Mike Adams es in seinem LAW-Modell beschreibt. Es gibt einen Schwung für kleine dicke, einen für große schlaksige und einen für athletische Menschen. Nun darf man den Lehrer allerdings nur dann zur Stufe vier zählen, wenn seine Vorgehensweise nach der Zuordnung des Golfers zu seinem Idealmodell auch den Prämissen aus Stufe 5 gerecht wird (Berücksichtigung des Ballfluges, weitere individuelle Anpassung bei Einschränkungen). Wird nach der Zuordnung zu den drei Gruppen nur wieder nach der Methode Holzhammer behandelt ("Du bist ein Arc-Typ, also muss du schwach greifen, spät winkeln, viel drehen, wenig schieben" und so weiter), so wie es wohl in der Schule des Erfinders der Fall sein soll, handelt es sich nicht um eine niedrigere Stufe des Individualitätsmangels, sondern um eine höhere, vielleicht irgendwo zwischen 6 und 5.
Der Lehrer in
Stufe 3 hat unendlich viele Idealvorstellungen. Er kennt also für jeden Schüler dessen Idealschwung. Natürlich schließt das auch das Berücksichtigen des aktuellen Ballfluges mit ein. Die eventuelle vorhandenen körperlichen Einschränkungen finden schon Beachtung in der jeweiligen Idealvorstellung, denn diese ist so einmalig wie ein Fingerabdruck. Für einen Lehrer aus Stufe 3 ist es natürlich obsolet, über »den Idealschwung« zu diskutieren. Er begegnet Diskussionen über die richtige Ebene, den richtigen Release oder die richtige Körperbewegung natürlich nur mit einem gelassenen Lächeln.
Der Lehrer aus
Stufe 2 hat nicht nur unendlich viele Idealvorstellungen, schließt also Stufe drei ein, sondern transzendiert sie auch, denn dieser Lehrer hat überdies unendlich viele methodische Wege. Er weiß genau, dass die didaktischen Prinzipien (vom Einfachen zum Schwierigen, vom Bekannten zum Unbekannten, vom Speziellen zum Allgemeinen und so weiter) eben genau das sind: Prinzipien. Ein Prinzip ist per Definition jedoch etwas furchtbar Unindividuelles (Duden: Prinzip = Schema, nach dem etwas aufgebaut ist). Ein Lehrer in Stufe 2 ist über jeden Individualitätsmangel erhaben und erkennt sofort, dass Schüler X beispielsweise eben vom Schwierigen zum Einfachen gehen muss, dass Schüler Y auch als Slicer zuerst schwächer greifen muss, weil er so sofort alles andere viel einfacher lernen wird ? und so weiter. Aus seiner Erfahrung kann dieser Lehrer die vielen Entscheidungen jedoch nicht ableiten (außer er besitzt ein biblisches Alter), denn eine schier unendliche Zahl von Idealvorstellungen mit einer schier unendlichen Zahl von methodisch/didaktischen Wegen ergibt miteinander multipliziert eine Zahl, die sich zieht. Aber vielleicht spielen da ja auch göttliche Eingebungen eine Rolle?