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Geändert von gast (21-03-2022 um 09:25 Uhr)
Yi mit "Willen" im deutschen Sinn zu übersetzen ist meiner Meinung nach falsch, aber auch nicht so ganz. Falsch ist, sich vorzustellen, dass man mit gaaaanz grossem Willen eine linke Gerade reinkloppt, und das irgendwas tolles bewirkt. Ma Yueliang hat das übrigens mit "sensing" übersetzt, also, der Körper nimmt wahr dass etwas ihn gefährdet, und der Geist implementiert eine Gegenreaktion mit soviel "Qi" / Jin wie nötig und verfügbar um das zu lösen.
Da ich nicht als Profikiller gearbeitet habe, habe ich die Erfahrung eher im Sport gemacht. Meine Absicht (Yi) war, ein Tor zu machen, und der Torhüter steht mir im Weg. Also hat mein Körper ausgelöst von einem instinktiven "Geist" irgendeine von 25 verschiedenen Wurfvarianten improvisiert, und auf eine Weise ein Tor erzielt die ich mir vorher nicht überlegt habe. Ne Finte mit Roller, Ball unterm Fuss ins Tor gemogelt, oder ihn mit dem Ball ins Tor genagelt, alles ist schon vorgekommen. Und dabei kamen auch Würfe raus die auf den ersten Blick nicht so toll waren, aber der Torhüter hat sich in dem Moment gerade so bewegt dass er den Ball da wo er hin kam am schlechtesten erreichen konnte.
Übertragen auf "Kampf" wäre das, dass der Geist spontan improvisiert, um das Problem "Gegner" zu lösen, so wie ein Roy Jones Jr. auch immer irgendwelche wirren eingesprungenen Aktionen gemacht hat statt was geplantes, orthodoxes. Der Zusatz in IMAs die mit Jin arbeiten ist, dass dieser Geist auch diese Engine so einsetzt wie er das für richtig hält, ohne dass man darüber nachdenken oder das vorher "üben" muss genau so zu agieren. Der Geist stabiliisiert dabei die Gelenke so, dass Kräfte die zeitgleich wirken so ausgeglichen werden, dass die Gelenke geschützt werden, und die ursprünglich gedachte Bewegung so fortgeführt wird als wäre da kein Widerstand. Solange, wie das möglich ist, also die Kraft reicht. Wenn nicht, improvisiert der Körper eine abgewandelte Reaktion mit der er sich aus der Gefahrenzone bringt, auch schon erlebt.
Der Gag daran ist, dass man diese Grundfähigkeit, dass ein bestimmter "Geist", ein Teil des Hirns, was auch immer, diese Dinge von alleine tut, Balance, Aktionen, Gefahren abwehren, nicht "erwollen" kann, zwingen, oder planen. Man kann sie möchten und mögen, sich darüber freuen, und entsprechend trainieren, in sich versunken dieses "etwas" das tun zu lassen, indem man in sich versunken seine Formübungen und andere Übungen macht. Erst über längere Zeit übernimmt dieses "etwas" dann solche Dinge, langsam, bis es geht. Dabei entstehen dann alle möglichen artistischen Tricks die das kann, die muss man dann so nehmen. Das ist das was mit "Wuji-Zustand" gemeint ist. Im Alltag sieht man das bei diesen Experimenten wo man jemand Unbeteiligtem der kein Handballer oder Baseballspieler ist was zuwirft während er nicht damit rechnet. Selbst Untrainierte fangen das sehr oft, spontan. Dieser Teil von einem kann noch viel komplexere Dinge tun, sobald man ihn lässt, und das akzeptiert.
Geändert von Klaus (19-08-2015 um 22:17 Uhr)
"Man kann Leuten nicht verbieten, ein ***** zu sein." (Descartes)
großen dank für eure antworten.
Wenn shen als eine art bewusstseinsfeld beschrieben werden kann , wäre das dann die institution, über die im kampf ev. die kommunikation zwischen 2 parteien stattfinden kann .? zumindest nach IMA-verständnis ? Kommunikation im sinne von “ ich nehme die absicht des anderen wahr?“ meinetwegen dann als intuition oder nenne es dann antizipation. Nur das vll. doch mehr als nur das verarbeiten von mikrobewegungen stattfindet?.
was ich noch nicht begriffen habe. was ist mit dem zeichen für ton oder klang im yi-zeichen gemeint?
und steht natürlich die frage, wie "traditionell" ein stil ist, der diese nomenklatur zumindest als theoretischen überbau, nicht transportiert, wenn das ursprüglich im gong fu nicht getrennt war.
wie gesagt, special thx für die klasse antworten.
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Geändert von gast (21-03-2022 um 09:25 Uhr)
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Geändert von gast (21-03-2022 um 09:25 Uhr)
danke beniwitt für die erklärungen.
das mit der saite ist ein sehr schönes bild. ich fragte nur noch gezielter danach um sicher zu gehen , ob nicht vll ein konkreter klang , ähnlich einem mantra , in der idee mit drinsteckte. ähnlich den chakren, welchen ja auch töne zugeordnet sind , und es ev. hier überschneidungen gibt in den sichtweisen.
Das kann man halt auch so verstehen, dass dieser Wille / Yi sich so manifestiert "ich will diesen Ball oben rechts in den Winkel hauen". Oder "diesen Sack knocke ich jetzt mit einem Tritt in die Eier aus". Sowas erkennen Menschen die in ihren Instinkten verwurzelt sind sofort, und zumindest entspricht das nicht meiner Erfahrung dass ein guter IMAler oder auch nur guter Sportler so seine Initiativen anfängt. Mein Ziel ist dass mein Körper gesund bleibt, oder dass ich etwas erreiche. Ne Wand hochklettern, ein Tor werfen, oder nen Korb, mir nicht den Arm brechen, nicht vom Bus überfahren werden. Wie genau manifestiert sich bei mir nicht "zielgerichtet", und auch bei den guten Sportlern die ich so getroffen habe nicht. Die laufen relativ zielgerichtet auf das Tor zu, aber dann kommt einer von links und der andere bleibt weg, der Torhüter kommt rausgelaufen oder nicht, und so weiter. Chaos. Was der gute Sportler dann wirklich macht, entscheidet sich bei guten Leuten in der Zehntelsekunde wo die ihren Wurf ausführen, und dabei kommen immer wieder neue Tricks raus die man so noch nirgendwo gesehen hat. Von daher möchte ich nicht, dass sich bei Leuten die damit anfangen in den Kopf setzt, dass das etwas ist was man irgendwann vorher entscheidet, und dann mit viel zielgerichtetem Wollen durchprügelt, auch gegen andere Gefühle in einem selbst. Im Gegenteil, man muss lernen seinen Gefühlen zu vertrauen, und sich spontan zu verhalten. Die Absicht eine Faust nicht mit den Zähnen zu stoppen hat der Körper von alleine, oder auch dessen Geist. Diese intrinsischen Absichten reichen völlig aus, um komplexe Aktionen mit artistisch eingesetztem "Qi" / Jin auszulösen. Man spürt übrigens wenn sich das anbahnt. Das ist eher so wie beim Kaffee trinken, man hat Durst, möchte trinken, und greift spontan von alleine die Kaffeetasse ohne zu überlegen. Dann merkt man die ist aber zu heiss, und setzt wieder ab, und fängt an zu überlegen. Pusten, und so weiter. Das sind Vorgänge die unterschiedliche Hirnareale einsetzen, die aber ständig ineinander übergehen. Ich glaube nicht, dass man sich einen Riesengefallen tut, wenn man das extrem spezifiziert, was was ist, oder wie das heissen müsste.
Das ist jetzt als Erläuterung gedacht, und nicht als Trappatoni-Fundamentalkritik an allem was Du je gedacht oder gewollt haben könntest.Ich weiss nicht ob Du das so oder so ähnlich gemeint hast, ich möchte es nur mit einfachen Worten etwas klarer ausführen.
Manchmal ist weniger mehr. Man trainiert einfache Übungen in einem bestimmten Geisteszustand, und dann kommt viel von alleine, in spielerischem Kontext beim "Raufen" oder Ballsport.
"Man kann Leuten nicht verbieten, ein ***** zu sein." (Descartes)
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Geändert von Nagare (25-07-2016 um 17:40 Uhr)
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Geändert von gast (21-03-2022 um 09:25 Uhr)
Bislang ist das, so denke ich, ein für jedermann sehr interessanter und produktiver Thread. Dank an alle Beteiligten!
Damit die Diskussion jetzt nicht durch die Eröterung ertragloser Details in sich zusammenfällt, würde ich jetzt mal die genannten Prinzipien ein bischen trennen.
Zum Einen haben wir das, was sinlologisch-semantisch und in der KK Praxis insbesondere des Yiquan mit "Yi" gemeint ist.
Dann haben wir einen gezielt in seiner Leistung verbesserten Instinkt (wobei das Wort an sich hier falsch ist, aber ich verwende es mal trotzdem). Der Terminus dafür ist Zi Ran, also (kultivierte) Natürlichkeit (bezogen auf die Kampfkunst).
Das wollte WXH auf jeden Fall erreichen bzw erstmal dessen Gegenteil eliminieren - durch Verzicht auf starre, repetitive Übungsformen.
Dafür muss man aber eine klare "Idee" von der eigenen Übungspraxis haben, man muss die Landkarte ganz deutlich sehen und einen guten Kompass haben.
Ich würde abschliessend befürworten, die Diskussion ganz klar auf die Fragestellung, die WXH und seine ähnlich denkenden Kollegen aufwerfen, zu beschränken.
Gruss, Thomas
Erschrickstu gern / keyn fechten lern
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Geändert von Nagare (25-07-2016 um 17:41 Uhr)
"Learn the changes, then forget them"
Wird so oder ähnlich dem guten Charlie Parker zugeschrieben. Ich denke, so verhält es sich mit allen Dingen, die man auf hohem Niveau improsivieren können möchte. Irgendwas muss man ja üben. Der beste Improvisateur im Fußball ist Thomas Müller, in der Musik sind es auch Leute, die sich den ***** abgeübt haben. In der KK auch.
Klar muss man "richtig" üben, nur muss dafür IMHO auch irgendeine Form der Systematisierung stattfinden. Die muss ja nicht zwangsweise über die Form stattfinden, sondern eher darüber, welche Eigenschaften man trainiert.
"Alles Geschmackssache!" - sagte der Affe, und biss in die Kernseife
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Geändert von gast (21-03-2022 um 09:25 Uhr)
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Geändert von Nagare (25-07-2016 um 17:41 Uhr)
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Geändert von gast (21-03-2022 um 09:25 Uhr)
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