... Farrar:
Direkte Vergleiche zwischen Ländern sind immer schwierig. Singapur und Neuseeland etwa haben beide eine recht kleine Bevölkerung und können ihre Grenzen gut dichtmachen. Es wäre falsch zu behaupten: Alle Länder der Welt könnten so handeln, wie Singapur es getan hat. Dennoch hat das Land ebenso wie Neuseeland und Vietnam einen ähnlichen Ansatz verfolgt: Sie alle haben sehr früh sehr entschieden reagiert. Wenn man drakonische Maßnahmen ergreift, kann man die Übertragung unterbrechen. Wenn man breit testet, um nicht nur die symptomatischen, sondern auch die asymptomatischen Fälle zu finden, und sie dann wirklich konsequent isoliert, dann unterbricht man die Infektionsketten. Sars-CoV-2 ist nicht irgendein Erreger. Das Virus ist eine typische Infektionskrankheit. Es braucht aber auch eine enorme lokale und nationale Kraftanstrengung, um das zu erreichen, was China, Vietnam, Singapur und Neuseeland erreicht haben. Die Koordination und Organisation waren phänomenal.
ZEIT ONLINE: Ist dies also die einzige Strategie, die wirklich funktioniert?
Farrar: Ich denke schon.
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Farrar: .... Die Erbgutsequenz des Erregers wurde am 10. Januar 2020 veröffentlicht. Und die ersten Menschen könnten nur elf Monate später geimpft werden. So etwas hat es noch nie gegeben – und wir sollten es feiern. Wir sollten allen applaudieren, die einen Beitrag zu diesen Impfstoffen geleistet haben: der Wissenschaft, der Industrie, Regierungen, Philanthropen und den Freiwilligen.
Wir sollten aber auch festhalten: Das ist nicht schnell genug. Stellen Sie sich vor, es kommt eine Pandemie mit einem Virus, das so übertragbar ist wie Sars-CoV-2, aber statt ungefähr 0,5 Prozent der Infizierten zwei Prozent tötet. Für einen solchen Fall brauchen wir Impfstoffe mit einem Grundgerüst, das sich in Studien als sicher erwiesen hat, die man innerhalb von Tagen an neue Erreger anpassen kann: So könnten aus elf Monaten 100 Tage werden oder sogar nur 30.... ...
Farrar: Es ist selten, dass man die Bevölkerung eines ganzen Landes oder gar der ganzen Welt auf einmal impft. Das letzte Mal ist so etwas wohl bei den Polioimpfkampagnen oder der Ausrottung der Pocken passiert. Wenn sie einen Wirkstoff Millionen Menschen geben, werden auch Ereignisse auftreten, die Sie in den klinischen Studien mit Zehntausenden oder Hunderttausenden Probanden nicht beobachtet haben. Manche Menschen werden zum Beispiel Krankheiten entwickeln, die überhaupt nichts mit dem Impfstoff zu tun haben, aber die vielleicht innerhalb von drei Monaten nach der Impfung auftauchen. Darum ist entscheidend, nach Beginn der Impfungen auf kurze und lange Frist aufmerksam auf Nebenwirkungen oder andere Signale zu achten. Auch bei jedem anderen Impfstoff oder Medikament, das neu auf dem Markt kommt, wird ein entscheidender Teil der Sicherheitsdaten in Phase-vier-Studien aber nach der Zulassung gesammelt. Klar ist, 2021 wird eine enorme Herausforderung was Vertrauen, Kommunikation und Logistik angeht.
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