Deutschland hofft auf baldige Impfungen gegen das Coronavirus. Dazu soll es eine Datenbasis geben, um Geimpfte und Nicht-Geimpfte vergleichen zu können. Dies gilt als extrem wichtig, um sehr seltene Nebenwirkungen aufzuspüren. Genau das wird es aber nicht geben, warnt die Epidemiologin Ulrike Haug vom Leibniz-Institut in Bremen. Sie schreibt deshalb im Namen der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie und weiteren Fachgesellschaften seit Wochen Brandbriefe an das Bundesgesundheitsministerium.
Die Wissenschaftler wollen erreichen, dass in jedem Impfzentrum Kartenlesegeräte installiert werden, damit alle gesetzlich Versicherten ihre elektronische Gesundheitskarte einlesen können - so wie bei jedem normalen Arztbesuch auch.
Damit wäre jeder Geimpfte registriert. Diese Daten könnten dann - anonymisiert - nach zwei bis drei Monaten mit den Abrechnungsdaten der Krankenhäuser verglichen werden. Denn jeder Geimpfte mit einer schwerwiegenden, seltenen Nebenwirkung würde mit Sicherheit im Krankenhaus landen. So ließen sich selten auftretende Ereignisse schnell aufspüren und unbegründete Verdachtsfälle von echten Risiken unterscheiden.
Doch das Einlesen der Chipkarte in den Impfzentren ist in dem Konzept von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nicht vorgesehen. Stattdessen sollen in den Impfzentren die persönlichen Daten der Betroffenen separat erfasst und dann beim Robert Koch-Institut (RKI) zusammengeführt werden - eine separate Datensammlung also, die mit den Daten der gesetzlichen Krankenversicherung nur schwer und nur mit enormem Zeitverzug verknüpft werden. Deshalb sorgen diese Pläne von Spahn bei Ulrike Haug und anderen Fachleuten für Kopfschütteln und Entsetzen.
Eine Umfrage von Kontraste bei den Gesundheitsministerien der Länder ergab außerdem, dass die Daten in den Bundesländern offenbar auch noch unterschiedlich erfasst werden sollen. Es könnten also auch noch Schreibfehler oder Zahlendreher vorkommen. Geimpfte wären so später kaum ihrer jeweiligen Krankenkasse zuzuordnen.
Professorin Haug befürchtet, dass am Ende ein schwer zu nutzendes Datenchaos herauskommt. "Datenerfassung auf Steinzeitniveau", nennt das Haug. Erste Ergebnisse zu seltenen Nebenwirkungen, auch in bestimmten Patientengruppen, hätte man damit frühestens in einem Jahr, schätzt sie - wenn überhaupt.
Haug ist Expertin auf diesem Gebiet. Das Leibniz-Institut in Bremen arbeitet seit Jahren mit Krankenkassendaten, erstellt etwa Studien zur Sicherheit von Arzneimitteln nach der Zulassung. Sie kennt die Fallstricke mit Datensätzen dieser Art genau.
Solche Fallstricke könne man sich aber nicht leisten, um Vertrauen in die Impfung aufzubauen, sagt die Professorin. So könnten wilde Gerüchte über Impfschäden durch die sozialen Medien geistern, ohne dass die Behörden mit Fakten darauf reagieren könnten - in ihren Augen ein Alptraum, mit fatalen Folgen für die Impfbereitschaft in der Bevölkerung und die Kontrolle der Pandemie.