Es wurde der Begriff "Pin San" erwaehnt, und es scheint da einige etwas merkwuerdige Theorien/Ansichten zu geben.

"Pin San" hat wie viele andere mehrere Bedeutungen, und oft auch solche, die man nicht in der Standardsprache und Woerterbuechern findet. Um zu wissen, was genau gemeint ist, reicht es oft nicht aus einfach einen Muttersprachler zu fragen was ein Begriff denn bedeuten soll. Man muss den gemeinten Kontext schon kennen.

"Pin San" wird im Englischen meistens mit "Side Body", also "seitlicher Koerper" uebersetzt, welches dann oft zu Misverstaendnissen und falschen Vorstellungen fuehrt. Besonders, in Bezug auf das sogenannte "Pin San Wing Chun" von Gu Lo Seui Heung.

In den chinesischen Kampfkuensten - nicht nur im Wing Chun - spricht man von "Dseng San", "Dsak San" und "Pin San". Man kan das so verstehen: frontal, halb-seitlich, seitlich. Es geht also darum, wieviel seiner "Frontalflaeche", man seinem Gegner bietet. Wenn man also von "Pin San" spricht, heisst es, dass man dem Gegner die Seite zuwendet.

Dabei muss man nicht unbedingt frontal, direkt vor dem Gegner stehen.

Einige Wing Chun Schule haben eine Technik, die man Pin San Choi nennt, also einen Fauststoss, bei dem man dem Gegner die Seite zuwendet, aber dass heisst nicht, dass man dies im Kampf genau so tut - Hint: Tut man nicht, es geht bei dieser Technik eher um das Ueben von etwas ganz anderem.

Wenn wir uns das Wing Chun verschiedener Schulen/Stile anschauen, so kann man konkludieren, dass es keine "Pin San" Stile per se sind, also keine Stile, die dem Gegner grundsaetzlich die Seite zuwenden - sogar das "Pin San Wing Chun" tut das nicht! Es gibt nur eine Wing Chun Schule, die eine solche Strategie als Teil eines Gesamtkonzeptes haben.

Aber selbst dort, macht es absolut keinen Sinn, dies als Ableitung von dem Langstock-Kaempfen zu sehen.

Ueberhaupt, der Langstock ist aus historischer Sicht ein "Fremdkoerper", das heisst er wurde "in das System" (wenn man an so etwas glaubt) aufgenommen. Das heisst, das (waffenlose) Wing Chun gab es schon vorher. Von daher klaert sich ganz schnell die Frage, ob das Wing Chun vom Langstock-Kampf ist und in wie fern es zwischen diesen Dingen einen wirklichen praktischen Zusammenhang gibt...

Zurueck zum "Pin San".

Wenn wir vom "Pin San" Wing Chun sprechen, so denken viele, die es nicht praktizieren, oder sich nicht damit auskennen, dass man in diesem Stil dem Gegner immer die Seite zuwendet, aber das ist ein Missverstaendnis, dass auf einer falsschen Uebersetzung beruht.

"Side Body Wing Chun".

Eine seltenere - aber viel bessere Uebersetzung ist "turning style Wing Chun", denn sie besagt genau dass, worum es geht - dem "turning", den Koerperrotationen. Und die werden in jedem Wing Chun benutzt. Es gibt also kein "Dseng San" oder "Pin San" Wing Chun, jedes Wing Chun hat und nutzt beides.

Wenn wir vom "Pin San" als dem Gegner die Seite zuwenden verstehen, so tut man dies eigenlich nur um auf Distanz zu kaempfen, oder Vorteile der Reichweite zu nutzen. Allerdings ist Wing Chun ein "Mai San" oder "Tiep San" ("am Gegner kleben", dh. Nahkampf/kurze Distanz) System, da macht dem Gegner konsequent die Seite zuzuwenden nicht viel Sinn, als Technik manchmal schon.

In Bezug auf die Relation des Langstocks zum waffenlosen Wing Chun koennte man sich fragen, wie viel Sinn es macht, die Techniken/Konzepte und Strategien einer langen Waffe auf kurze Distanz einsetzen oder uebertragen zu wollen...

Die Antwort sollte eigentlich auf der Hand liegen.




MfG