Diese Anekdote kam mir gerade zwischen die Finger und ich dachte, sie könnte vielleicht dem ein- oder anderen hier ein Schmunzeln entlocken oder eine Anregung sein.
Gleichgewicht könnte man natürlich auch mit anderen Basis- oder Softskills ergänzen,
ebenso, wie mit mentalen oder emotionalen Skills, wie Geduld, "Feuer beherrschen" usw.
Na, Ihr wisst schon....
Viel Spaß beim Lesen!
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PS:
Als ich Meister Chen Bin, den Sohn von Taiji Großmeister Chen Zhenglei, letztes Mal zu Besuch hatte, erzählte er von den Taiji-Anfängen des heutigen (Groß-)Meisters Fu Nengbin.
Dieser kam als Teenager in das Haus von GM Chen Zhenglei und als Chen Zhenglei ihn auf seine Ernsthaftigkeit hin überprüfte, gab dieser zur Antwort, daß Schule und Geisteswissenschaften nicht sein größtes Talent wären und daß er deshalb lieber seine Fähigkeiten in der Kampfkunst so gut wie möglich perfektionieren wolle. GM CZL willigte ein und Fu Nengbin blieb im Haus des Großmeisters in Chenjiagou.
Der GM war damals vom Hauptberuf Vertreter für Landmaschinen und viel auf Reisen.
Der junge Fu Nengbin nahm sein Training auf. Seine Aufgabe in den ersten Monaten bestand einzig und alleine aus Zhan-Zhuang-Stehen! (Stehen wie ein Baum). So lange und so viel wie möglich, jeden Tag.
Er durfte den anderen beim Training zusehen, aber nicht mitmachen.
Selbst wenn er abends auf die Suppe auf dem Ofen aufpasste, stand er Zhan Zhuang mit den Armen auf Brusthöhe und wenn er die Suppe umrührte, veränderte er diese Haltung so wenig wie möglich.
Großmeister CZL war beeindruckt von dessen Willenskraft und Gehorsam.
(Ich habe mit Meister Fu einmal in China ein paar Worte gewechselt angesichts einer organisatorischen Frage und dieser physisch kleine Mann strahlt wirklich eine ganz besondere Willenskraft aus, wie ich sie sehr selten bei einem Menschen bemerkt habe!)
Nach mehreren Monaten schließlich durfte Fu erstmals selbst eine Pushhands-Übung mitmachen:
Er sollte sich in den breiten Stand stellen und mußte stehen bleiben, während andere Schüler versuchten, ihn wegzuschieben.
Fu war nicht vom Fleck zu bekommen. Er hatte noch keine Ahnung von anderen Techniken, aber keiner konnte ihn wegschieben.
Nach etwa einem Jahr dieser beiden Übungen erlaubte GM CZL ihm schließlich weitere Trainingsschritte.
Meister Fu lernte schnell, seine Hauptlehrer waren GM CZL und WHJ- und soweit mir bekannt ist gewann auch Meister Fu mehrfach bei den nationelen chinesischen Meisterschaften in Pushhands und auch Formen.
Dies empfand ich damals als schöne und interessante Geschichte, die doch zeigt, daß sie inneren chinesischen Kampfkünste sich nicht nur an sich von unseren europäischen unterscheiden, sondern daß wohl auch die Lern- und Herangehensweise in Bezug auf das Testen und schulen der Persönlichkeit traditionell unterschiedlich sind.
Des Weiteren sagte Meister Chen Bin übrigens auch, daß Theorie beim Taiji ebenso wichtig sei, wie Praxis- beides gehöre zusammen, wie Yin und Yang.
Das "Do" in den japanischen Kampfkünsten, der Weg des Kriegers, den es natürlich auch in den chinesischen Kampfkünsten gibt, umfasst eben nicht nur das physische Training und die physische Kampffähigkeit, sondern auch den Weg, die sogenannte Persönlichkeitskultivierung, welche u.a. emotionale und mentale Kontrolle, aber auch Charakterbildung (u.a.) umfasst.
Das WuDe, die Gebote der Kampfkunsttugend, ist zwar ein einfaches, aber anschauliches Beispiel, welches zeigt, welche Entwicklung ein Kampfkünstler eigentlich anstreben sollte.
Kampfsportarten wie Karate u.v.a. werden heute oft ohne Do oder mit nur geringer Gewichtung dieser Aspekte der Persönlichkeits- und Charakterschmiedung betrieben- zum einen, weil es angesichts unterschiedlicher Mentalität vielen Europäern zu lästig und mühsam war, zum anderen, weil der tiefere Sinn dahinter aber auch nicht richtig verstanden wurde.
Und zuletzt ist es auch oft eine Zeitfrage, denn viele Leute wollen die kostbare Freizeit dann eben doch lieber für "yangige Action" verwenden, als langsam und geduldig einen mühsamen Weg zu gehen....
Ob man deshalb asiatische Kampfkünste nach westlichem Schema unterrichten sollte, statt der Reihenfolge des traditionellen Lehrplans zu folgen, bzw. wieviel Sinn das macht und ob man dann tatsächlich auch vollumfänglich alle Anforderungen lernt und versteht, bzw. umsetzen kann-
darüber mag jeder selbst reflektieren.
Ich denke, die Situation hier ist ja auch eine andere, weil die meisten Schüler eben in der Regel nicht schon als junge Leute täglich stundenlang mit erstklassigen Lehrern trainieren können, sondern oft erst später zur Kampfkunst kommen und dann einen Kompromiß brauchen, der die Anforderungen, die das Training seiner Kampfkunst stellt (theoretisch stellen würde) mit seinen tatsächlichen körperlichen und zeitlichen Voraussetzungen einigermaßen in einen sinnvollen Einklang bringt.