Dem würde ich wieder widersprechen – die Ringervereine generieren ihre Mitglieder primär über die Nachwuchsarbeit, und der Nachwuchs generiert sich wiederum primär aus lokalen Ringerfamilien (wo sowieso Oma, Opa, Mama, Papa, Cousins, Tanten, Onkel und was weiss ich noch wer alles im Verein Fördermitglieder sind) und aus Familien mit Migrationshintergrund, primär solchen, die aus Gegenden mit hohem Stellenwert des Sportes kommen (der ganze Kaukasus, Russland, Bulgarien, Rumänien, Ungarn…). Ein einzelnes erwachsenes Einsteiger-Mitglied, das mal aus Neugier reinschaut, wahrscheinlich kein Jahr dabeibleiben und es zu 95 % nicht in die Kampfmannschaft schaffen wird, fällt dagegen nicht allzu sehr ins Gewicht.
Die Nachwuchsarbeit wiederum profitiert von einer aktiven und starken Kampfmannschaft. Gerade in einem Kulturkreis, wo das Ringen nicht wirklich in der Öffentlichkeit präsent ist (insbesondere im Vergleich mit den konkurrierenden Sportarten). Die erfahrenen Ringer generieren sich aus dem eigenen Nachwuchs und der Mobilität von erfahrenen Ringern, die aus beruflichen oder Ausbildungsgründen umziehen, als Flüchtlinge nach Europa kommen oder als Legionäre eingekauft werden – somit aus der Nachwuchsarbeit von anderen Vereinen und Schulen.
Das ist wieder nicht zuletzt eine Niveaufrage. Ich frage mich immer wieder, wieso niemand von einem ambitionierten Amateurboxer der mittleren oder oberen Leistungsklasse oder einem BJJ-Schwarzgurt erwartet (!), dass er mit Anfängern sparrt, im Ringen aber schon… Es erwartet ja auch niemand von einem Spitzenkletterer in der Kletterhalle, dass er seine Trainingszeit damit verbringt, Anfänger einzuweisen und zu sichern. Ich sage auch gar nicht, dass Sparring gegen schwächere Gegner nichts bringt, aber es gibt da meines Erachtens ein gewisses Limit, ab wann es relativ sinnfrei wird – genauso wie ein Schwergewicht mit einem Mittelgewicht trainieren kann, aber mit einem Fliegengewicht wird’s irgendwann extrem unpraktisch. Meiner Meinung nach kann ein Fortgeschrittener in der Regel mit einer Ringerpuppe oder einem Gummiband produktiver arbeiten als mit einem wirklich unpassenden Trainingspartner. Mal abgesehen davon, dass die Verletzungswahrscheinlichkeit von Einsteigern extrem hoch ist, da stellt sich die Frage nach der Gemeinnützigkeit…
Der Vollständigkeit halber sollte ich erwähnen, dass ich häufig genug erwachsene Anfänger angelernt habe – allerdings in der Regel (ausser ich war verletzt) nicht während dem Mannschaftstraining, sondern während dem Nachwuchstraining oder in meiner Freizeit. Wenn das zusätzlich gemacht wird, sehe ich keine negativen Auswirkungen auf das Leistungsniveau, wenn man deswegen nicht mit geeigneten Trainingspartnern arbeiten kann allerdings schon. Wenn dann mal «frei» gerungen wurde, dann war die Einstellung zumindest von meiner Seite nicht „Sparring“ sondern „Spielen“. Was ich dabei gelernt habe, war allenfalls für die Trainertätigkeit relevant, nämlich dass der im Ringen allgemein gängige Lehrweg – primär über das «Fühlen» - für die meisten erwachsenen Einsteiger nicht oder nur sehr eingeschränkt funktioniert, weil die meistens zunächst alles rational verstehen wollen.
Da kommen wir dann m.E. zu moralischen Fragen, und Moral kann man aus meiner Sicht nicht wirklich diskutieren, schon gar nicht in dem Rahmen und wenn man sich nicht kennt. Daher lege ich hier nur meine Meinung da, die zu diskutieren habe ich nicht vor. Ich finde ja ehrlich gesagt, selbstverständlich ist erstmal nichts in einem Sport, wo auch Trainer, die internationale Sportler produziert haben, hierzulande grad mal ein Taschengeld (in der Regel sowas wie 5 € pro Stunde) plus Fahrtspesen bekommen, viele verzichten sogar darauf, und die Trainierenden in ihrer Freizeit da sind. Mein dagestanischer Freistiltrainer hat übrigens mehrfach die Motivation des hiesigen Nachwuchses beanstandet – seiner Meinung nach ist das Gefühl von Selbstverständlichkeit eines der grossen Probleme in der Nachwuchsarbeit. Ich bin geneigt, ihm zuzustimmen – gutes Training fast bis gänzlich ohne finanzielle Gegenleistung zu bekommen ist meiner Meinung nach keine Selbstverständlichkeit, es ist ein Privileg, und im Umkehrschluss sollte man auch fragen, was man selbst für den Verein tun kann, gerade wenn man nicht in der Kampfmannschaft ist. Jemanden, der Training als Selbstverständlichkeit betrachtet, würde ich nicht trainieren. Auch ein hohes technisches Niveau ist kein Garant – mein Greco-Trainer hat z.B. wiederholt Leute rausgeworfen, wenn er der Meinung war, dass sie einen schlechten Einfluss auf das Vereinsklima hatten (schlechte Vorbildwirkung aufgrund von Faulheit, exzessivem Feiern, schlechtem Umgangston usw.).
Link zu meinem Gratis-Ebooks https://archive.org/details/john-fla...protoversion-1 & https://archive.org/details/FlaisSeiStark1_1
Selbstverständlich erwarte ich das auch z. B. von einem BJJ Schwarzgurt, wie bereits oben gesagt außerhalb einer kleinen Blase an Leistungssportlern. Das ist kein Thema das sich aufs Ringen oder Grappling oder den Kampfsport beschränkt. Das ist eine grundsätzliche Frage gemeinnütziger (Sport-)Vereine.
Wenn das Training so ein toller Service ist, wieso bieten die Leute das dann nicht kommerziell an? Das ist ja in diversen anderen Kampfsportarten gang und gäbe, womit ich auch überhaupt kein Problem habe. Ein privatwirtschaftliches Gym kann selbstverständlich frei entscheiden wen es als Kunden haben will und wen nicht. Wir reden hier ja aber explizit von einem gemeinnützigen Verein und hier zahlt im Wesentlichen die Allgemeinheit die Rechnungen. Über Förderungen, Nutzung öffentlicher Gebäude, etc. Mit den 70 Euro Jahresbeitrag der Mitglieder wurde ja die Sporthalle nicht gebaut. Keine Ahnung wie das jetzt konkret bei Euch organisiert ist, es ging ja von Anfang an (auch) um die Wald- und Wiesenvereine. Da ist es schlicht und einfach selbstverständlich, dass die Teilnahme der Allgemeinheit auch offensteht.
Das habe ich nie bestritten. Ich hatte ja oben explizit geschrieben, dass auch die Anfänger ihren Teil beitragen müssen zu einem ernsthaften Training. Das ändert aber nichts ander Tatsache, dass ein ernsthaft interessierter Anfänger nicht als Bittsteller zu einem gemeinnützigen Verein kommt um dort auf ein Privileg zu hoffen.
Es gibt ja zum Teil auch kommerzielle Angebote, wenn auch praktisch immer im Rahmen von Grappling- und MMA-Gyms, und da eben praktisch ausschliesslich Standgrappling. Das allgemeine Interesse am Bodenkampf im Ringen ist in der Regel begrenzt. Es steht auch jedem Interessierten frei, eine Absprache mit Trainern oder Aktiven zu Privattrainings zu treffen, egal ob kostenlos oder gegen Entgeld.
Wie gesagt erwarte ich das nicht und bin auch nicht der Meinung, dass man das erwarten kann – wie durch die Beispiele im Fussball, Boxen etc. illustriert. Ich verweise hier auch nochmals auf die Diskrepanz zwischen dem Gürtelsystem im BJJ (das nicht zuletzt den technischen Kenntnisstand und die Lehrbefähigung wiedergibt, nicht aber den Leistungsstand) und gürtellosen Systemen wie Ringen oder Boxen, wo die Trainerlaufbahn ein separates Thema ist.
Was die Gemeinnützigkeit angeht: in der Schweiz gilt beispielsweise «Gemeinnützigkeit ist kein geschützter Begriff. Im Gegensatz zu gewissen Labeln oder Zertifizierungen (wie bspw. Zewo) kann sich jede Organisation gemeinnützig nennen. Hinzu kommt, dass es keine allgemeingültige Definition gibt – jede und jeder versteht ein bisschen etwas anderes darunter. Zwei Kriterien scheinen aber den meisten Definitionen gemein zu sein: die «Uneigennützigkeit» und das «nicht Gewinnorientierte».
Uneigennützig bedeutet, dass die Tätigkeit einer Person nicht ihr selbst, sondern anderen und damit meist einem grossen Personenkreis zugutekommt. Ob das nun die allgemeine Öffentlichkeit oder nur eine spezifische Zielgruppe – bspw. Kinder mit einer Krebskrankheit – ist, spielt dabei keine Rolle.» Quelle: https://blog.stiftungschweiz.ch/wer-...gemeinnuetzig/ Der Wortlaut der deutschen Gesetzgebung ist etwas abweichend, die Auflistung der als gemeinnützig anzuerkennenden Ziele impliziert aber eine ähnliche Auslegung. Die Ausrichtung des Vereins wird ja u.a. in der Vereinssatzung festgelegt, folglich kann die Ausrichtung durchaus auf den Leistungssport abzielen.
Ergo gibt es keine Regelung, dass ein Verein die Teilnahme von x-beliebigen Personen an allen seinen Tätigkeiten (in dem Fall z.B. dem Training der Kampfmannschaft) begrüssen oder zulassen muss (auch wenn er als gemeinnützig eingetragen ist), auch ergibt sich dadurch keine Verpflichtung zur Einrichtung einer eigenen Anfängergruppe. In anderen Sportarten (Turnen beispielweise) ist es ja auch nicht so, dass man einfach so am Training der erwachsenen Leistungsgruppe teilnehmen kann. Welche Tätigkeiten ein Mitglied im Verein konkret übernehmen muss (z.B. das Trainieren von Anfängern) ist ebenfalls nicht allgemein definiert und daher meiner Meinung nach nicht selbstverständlich.
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Wenn man es nicht schaffen kann, einen Anfänger in annehmbarer Zeit up to scratch zu kriegen, dann sind schlicht und ergreifend die Trainingsmethoden falsch. Punkt. Sich die Elite rauszupicken und ihr dann nur noch den Feinschliff zu verpassen ist keine Kunst. Es degeneriert auch den Sport, s. Boxen in den USA: Früher ein normalen Breitensport wo jeder Trainer aus nem Schlaffi ein Tier machen konnte, heute mehr oder weniger Glückssache, wo Vorerfahrung/Talent des Sportlers wichtiger sind als das eigentliche Training.
Da muss man sich über Nachwuchssorgen nicht wundern!
Statt aus dem obersten einen Prozent noch das letzte Quentchen Leistung heraus zu quetschen, sollte man sich lieber darüber Gedanken machen, wie man den normalen Mann von der Strasse auf Profiniveau hebt, dann kommt der Nachwuchs nämlich von selbst. Leider sind die zuständigen Stellen diesem Gedanken in besonderer Weise abhold.
Man muss von diesem pseudo-puritanischen Genetikkult wegkommen, der besagt, man wäre entweder zu Sportart XY geboren oder würde es nie zu etwas bringen.
Siehe: 400m Hürden. Weltmeister und Rekordhalter ein Norweger, die Amis fielen aus allen Wolken weil OMG ein Weisser, wie kann das sein? Die Erklärung ist einfach: Hamstring-basierende Lauftechnik wie vor 100 Jahren statt Quad-basierende Lauftechnik wie ein Schwarzer*.
Man kann jeden zu allem trainieren, man muss halt nur wissen wie.
* Kurze Erklärung: Moderne "schwarze" Technik ist mehr wie nach vorne springen oder sich nach vorne abstossen. Hier wird vor allem der Quadrizeps genutzt. Die alte "weisse" Technik ist ein hamstring-dominantes Ziehen: Man macht einen möglichst grossen Schritt und "zieht" sich mit dem vorderen Bein nach vorne. Warum man jetzt lange alle gleich trainieren hat lassen ungeachtet physiologischer Unterschiede und dabei in Kauf nahm dass ein Teil des Teams suboptimale Leistungen brachte - wer weiss?
@period schade, dass du nicht die ZDF dok über mma in dagistan gesehen hast und wie der vater das ringen und mma für sich kommerzialisiert hat.
Ist das so? Das würde bedeuten, dass das Niveau heute und damals gleich sind und die Professionalisierung überhaupt keinen Einfluss hat. Ich schau mir gerne an, wie Du innerhalb von zwei, drei Jahren aus einem "Mann von der Strasse" jemanden machst, der mit Leuten mithalten kann, die den Sport beim gleichen Alter z.T. schon 20 Jahre lang machen und einen ebenso lange andauernden Selektionsprozess durchlaufen haben. Meinetwegen auch im Boxen, wo zumindest das Arsenal an Techniken um ca. den Faktor 200 kleiner ist als im Ringen. Ich würde auch den Punkt anders sehen, dass der Elite den Feinschliff zu verpassen keine Kunst ist - die Elite erwartet nämlich, dass der Trainer sie auch weiterbringen kann. Ist das nicht der Fall, ist sie schneller woanders als Du schauen kannst.
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Hmmmmm, es geht doch gar nicht darum das Nachwuchs im Ringen nicht gefördert wird, sondern darum das ältere Sportler (die nur noch in seltenen Ausnahmen in dieser Sportart etwas reißen können) es halt eher schwierig haben noch ein gutes Training zu bekommen.
Ringen ist halt auch nicht wirklich so populär. Als ich meinen Sohn animieren wollte zum Ringen zu gehen (weil er bei mir im "Karate" viel Spaß an Würfen und Bodenkampf hatte) wollte nicht nur er selbst nicht, auch von meiner Frau und anderen hörte sich viele Einwände. Erwachsenen die sich überlegten mit Ringen anzufangen habe ich bisher nur mit KK/KS Vorerfahrung erlebt, und da auch nur sehr, sehr wenige (mich eingeschlossen). Warum sollte es dann also ein Angebot geben, was hätten die Vereine davon?
Leute die mit ü20 oder gar noch älter in andere Kampfsportarten einsteigen wollten findet man eh schon eher selten und selbst von denen schaffen es die wenigsten ins Probetraining (zumindest die ü30). Personen die dann länger dabei bleiben sind nochmal rarer gesät. Dabei gibt es in vielen KS und KK auch die Option diese als Breitensport zu betreiben (da genug Interesse vorhanden) und auch genug die an Stelle von WK Ambitionen gerne unterrichten (was nicht immer gut ist).
Bei nicht KK und SV Angeboten ohne Wettkampfschwerpunkt sieht es natürlich bei älteren besser aus, da sind diese Gruppen sogar oft eine bevorzugte Zielgruppe.
Geändert von ThomasL (22-10-2021 um 19:04 Uhr)
Viele Grüße
Thomas
https://www.thiele-judo.de/portal/
The reality is, you can say ANYTHING you want. You just have to be willing to face the consequences of your choice.
Mal abgesehen davon, dass ich das in Anbetracht der Folgen nicht für eine besonders clevere Idee halte - keine Ahnung. Es gibt im Bareknuckle schon gewisse Vorläufer, aber ich weiss zu wenig über Alis Trainer und dessen Stil, um das beurteilen zu können. Kannst ja mal Ali fragen, wie er das so sehen würde...
Jein. Wir unterscheiden zwischen aktivem ("wettkampffest beherrschten") und passivem (mechanisch verstandenem und technisch korrekt vorführbarem) Repertoire. Das aktive Repertoire sind nicht selten nur eine Handvoll Techniken, auch wenn die Topleute meistens ein paar mehr Techniken mit mehr Risiko in petto haben, die sie schlicht nie zeigen müssen. Das passive Repertoire ist in allen Fällen deutlich umfangreicher, je nach Schule eben mehrere hundert Techniken. Je umfangreicher das passive Repertoire, desto besser sind die technischen Veraussetzungen, ein guter Trainer zu werden (auch wenn ich nicht behaupte, dass das die einzige oder auch die wichtigste ist). Das passive Repertoire ist auch deswegen wichtig, weil die wenigsten Leute automatisch richtig reagieren, wenn sie das erste Mal mit einer neuen Technik konfrontiert werden.
Aber ob Du das gelten lassen willst oder nicht ist im Prinzip egal, es gilt in ähnlicher Weise für die Automatisierung von fünf bis zehn Techniken. Ich bin so oder so gespannt, wie Du einen Lehrweg von in der Regel fünfzehn bis zwanzig Jahren auf einen Bruchteil herunterkürzen willst.
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Sagen wir mal, das adaptive Reaktionsrepertoire auf Bewegungen des Gegners muss im Ringen wesentlich mannigfaltiger sein.
Diese Diskussion sollte meines Erachtens über BJJ geführt werden.
Da ich schon probeweise in Ringvereinen mittrainiert habe - als langjähriger Wettkampfjudoka aufgewachsen - würde ich dieses Experiment nicht empfehlen, aber für hilfreich halten.
Findet, es wäre schon schade um es :
Das Gürteltier
P.S. : Beim Ringen hätte Ali sich das nicht erlauben können ...
"We are voices in our head." - Deadpool
Äh, doch, ich!
Sicher nicht zur Wettkampfvorbereitung, aber sonst, warum nicht?
Müssen ja nicht gleich mehrere Runden sein, aber ab und an mal eine 5-Minuten-Runde rollt / sparrt bei uns jeder mit jedem (BJJ, MMA, K1).
...und irgendwann gehen die Anfänger dann doch lieber auf die anderen zu!
"Eternity my friend is a long f'ing time!"
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