Zitat von
Spud Bencer
Sehr einseitige und falsche Sicht der Dinge.
Der Westen hat brilliert weil er sehr, sehr lange Zeit, teilweise bis ins 20. Jahrhundert, die berechneten, formalisierten Lehrsysteme der Oberschicht überlassen hat. Die "Handarbeiter", die wirklich ran mussten, hatten anderer Methoden.
Beispiel 1: Britische Armee im 19. Jahrhundert. Die kämpfenden Truppen bestanden zum großen Teil aus Schwerverbrechern denen man den King's Shilling statt Gefängnis- oder Todesstrafe angeboten hatte. Gab da erwartungsgemäß unschöne Szenen, aber effektiv waren sie.
Beispiel 2: Renaissance, Zeitalter der Kolonisierung. Da wurde schon verkopft gefochten - im Duell oder in der Fechtschule. Die Kampfkunst des einfachen Soldaten war viel grobmotorischer und simpler, nach heutigen Maßstäben würde man es wahrscheinlich nicht mal mehr einen Stil oder ein System nennen. 4, 5 Schläge bis zum Erbrechen geübt und fertig. Das ist dann auch das, was in die FMA rübergeschwappt ist, cinco teros usw.
In Renaissance-Fechtbüchern liest man bereits des Öfteren von dem Topos, daß der verkünstelte Meister vom Straßenschläger wegrasiert wird - im Mittelalter gabs das noch nicht. Zufall?
Beispiel 3: Die Sturmtruppeneinheit Arditi, Italien 1. Weltkrieg, rekrutierte nicht die technisch besten Kämpfer, sondern die Brutalsten. Nach eigener Auffassung hatten die Arditi mehr mit Wilden gemein als mit Italienern, und sie waren stolz darauf. Deutsche Sturmtruppen wurden ähnlich ausgewählt, die hatten im Gegensatz zu den Arditi nicht mal eine Kampfsportausbildung.
Beispiel 4: Jägereinheiten in napoleonischer Zeit. Das Konzept ging auf die Franzosen zurück, weil die nach der Revolution ziemliche Probleme hatten, mit den fitten Bergjäger der Vendeé fertig zu werden. Diese Erfolge der "ungeübten" verwilderten Landbevölkerung wurde auf deren natürliche Rohheit, die dem organisierten Training der Städter überlegen war, geschoben. Führte dann dazu, daß erst Napoleon, dann Resteuropa Jägereinheiten zusammenstellte (s. Artikel "Versuch einer Instruction zur Abrichtung von Scharfschützen" in Neue Bellona. Oder Beiträge zur Kriegskunst und Kriegsgeschichte von 1806, gibt's auf Google Books).
Das sind jetzt nur 4 Beispiele, es gibt in der Geschichte noch viele Weitere (Man denke auch an Rogers' Rangers in Amerika, den Einsatz der "wilden" Bayern gegen die französischen Turcos im preussisch-französischen Krieg und dergleichen mehr).
Wie man sehen kann ist das Thema natürölicher vs trainierter Kämpfer bereits seit Langem bekannt und nicht nur eine komische Romantisierung von "einfacheren Zeiten".
Meines Erachtens gibt es einen sweet spot bei der Intellektualisierung des Kämpfens, der wegen diminishing returns nicht überschritten werden sollte, so wie ein Kugelstoßer auch keine 200kg Bankdrücken muss, um seine Maximalweite zu erzielen.