Hallo,

zu den historischen Hintergründen von „Graduierungen“ im Karate habe ich ein eigenes Kapitel in meinem „Band III“ (S. 197 ff.) geschrieben.

Ziemlich genau vor hundert Jahren wurden die ersten Shodan-Lizenzen im Karate (d. h. 1. Dan) ausgegeben, und zwar von G. Funakoshi (1868–1957). Danach waren erst mal etwa zwei Jahrzehntelang je nach Gruppe der 4. Dan (unter G. Funakoshi) bzw. der 5. Dan die „höchsten“ erreichbaren Stufen in der Karate-Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg emanzipierten sich dann einige Karateka von der Einstelligkeit und verliehen Anderen und/oder sich selbst auch den 10. Dan. Da gab es nie so etwas wie eine „zentrale Prüf- und Genehmigungsstelle“ für alle (!) Karate-Menschen und/oder -Gruppen. Dementsprechend gab es auch Niemanden, der den Tod einer Person überprüfte, um ihr den Jūdan (10. Dan) im Karate verleihen zu können.

Um mal nur für Karate-Dō Shōtōkan-Ryū zu schreiben, da wäre seinem „Gründer“ gemäß der Godan (5. Dan) nach wie vor die höchste Rangstufe. Mein eigener Lehrer z. B. war sein Leben lang Godan und Punkt. Ein Senior meines Lehrers, ebenfalls Godan, kritisierte in den 1980er Jahren für japanische Verhältnisse recht deutlich den Übergang einiger Funakoshi-Schüler zum Zehn-Stufen-Modell, da es die ursprüngliche Autorität der Rangstufen untergrabe. Wer G. Funakoshis Lehre zu verinnerlichen sucht, braucht auch nicht lange, um zu verstehen, dass Dan jenseits des Godan nicht wirklich im Einklang mit ihr und damit mit Shōtōkan-Ryū an sich stehen …

Grüße,

Henning Wittwer