In einer SV-Situation halte ich den Vorkampf für sehr wichtig, und denke, dass er in fast allen KKs und SVs viel zu wenig realitätsnah trainiert wird. Und das ist ja auch nicht einfach zu trainieren.
Ganz wichtig ist der Anfang, der in der Regel aus einer Lapalie oder einem „aufgesetzten“ Grund besteht, mit Dir streit anzufangen.
Zum Beispiel eine folgende Situation:
Aggressor: „Was guckst Du?“
Verteidiger: „Ich gucke gar nicht.“
A: „Was, was, Du hast doch eben meine Freundin angeguckt.“
V: „Nein, hab ich nicht.“
A: „Findest Du meine Freundin hässlich, oder was?“ (kommt näher)
V: „Nee.“
A: „Wieso guckst Du sie dann nicht an?“ (kommt noch näher)
V: „Weiß nicht.“
A: „Bist Du schwul oder was?“ (kommt ganz nah)
V: „Ich bin nicht schwul. Was willst Du denn?“
A: „Ey, du hast meine Freundin angemacht! Keiner guckt einfach meine Freundin an.“
…
In der Regel kann man in einem solchen Fall argumentativ nur verlieren, weil sie alles so drehen, wie sie es brauchen. Sagt man in so einem Fall, man hat sie angeguckt, ist es auch Mist.
Deswegen kommen wir zur ersten, meiner Meinung nach wichtigsten Phase im Vorkampf:
Distanz
Es ist enorm wichtig, sich der Distanz zum Gegner bewusst zu sein. Erst die nahe Distanz macht einen Kampf überhaupt möglich. Klassicher Fall der Distanzvergrößerung ist das Wegrennen. Ist aber nicht immer möglich.
Deswegen muss man sich bewusst sein, ob man außer Reichweite von Tritten/Waffen steht oder schon so nah dran ist, dass es jederzeit losgehen könnte.
Steht man nun (z.B. in der U-Bahn) schon so nahe, dass kein Ausweichen möglich ist, halte ich es für unerlässlich, seine Arme bereits oben zu haben.
Das geht auf viele Arten, OHNE das Du gleich in Deine „offizielle“ Vorkampfstellung (z.B. Boxerdeckung) übergehst. Damit verrätst Du nämlich in der Regel dem Gegner Deinen Stil und er kann sich drauf einstellen.
Ich habe beste Erfahrungen mit den „redenden Händen“ gemacht. Man stellt sich einen aufbrausenden Italiener vor, der mit den Händen seine Aussagen „unterstreicht“. Versuche möglichst durch die Hände schon eine Distanz zu erzeugen, in dem du so ausschweifend gestikulierst, dass er nur näher kommen kann, wenn er Deine Hände berührt. Das ist meiner Erfahrung nach eine Hemmschwelle für den Gegner. Auf keinen Fall statisch mit den Händen bleiben (ähnelt dann sehr einer Vorkampfstellung). Die Dynamik zeigt dem gegenüber, dass Du „schnelle Hände“ hast. Wenn Du sie statisch hältst, kommt oft ein „Nimm Deine Hände runter! Oder hast Du schiss?“. Auch dann würde ich aber in keinem Fall die Hände runter nehmen, denn das schwächt Deine verteidigungsfähig enorm ab. Und deswegen will er ja auch, dass Du die Hände runter nimmst…
Alternativ, wenn Du zum Beispiel etwas bewachen sollst und Stärke zeigen musst, stellst Du Dich mit den Armen vor der Brust übereinander hin.
Das mit den „redenden Händen“ musst Du natürlich etwas üben. Am Besten zuhause vor dem Spiegel. Es muss so aussehen, als redest Du immer so.
Körperliche Angstreaktionen kennen, kontrollieren und nutzen
Zu diesem Zeitpunkt solltest Du eigentlich schon einen deutlich gestiegenen Adrenalinspiegel haben. Dein Herz schlägt schneller, deine Sicht verengt sich, du bekommst weiche Knie. Das ist völlig normal. Jeder Kämpfer hat das vor einem Fight und das hat auch seinen Sinn. Dadurch wird der Körper in einen Alarmzustand versetzt, der nicht nur starke Kräfte freisetzen kann sondern auch die Schmerzempfindung deutlich reduziert. Deswegen merkt man von Kampfverletzungen meist erst später etwas.
Ich selbst hatte mal einen sehr bedrohlichen Fight. Nachdem der Fight vorbei war, und der Aggressor verschwunden, konnte ich nicht mehr stehen. Meine Knie waren so weich wie Butter, und ich musste mich erstmal setzen.
Mittlerweile kann ich das ganz gut kontrollieren, allerdings sind die Erscheinungen wie Herzrasen etc. immer dabei.
Die Situation kannst Du auch mit einem Freund durchspielen:
Lass Dich mal von Deinem Freund anpöbeln. So richtig übel. Wichtig ist, dass er dich auch bedrängt, also auf dich zukommt und dabei LAUT „böse“ Sachen SCHREIT. „Ey, ich hau Dir in die Fresse! Arme runter! Was bist Du denn für ein Penner! *****! Gleich heulst Du nur noch! Lusche! Nimm Deine Arme runter! (Schlägt gegen die Arme) Heh, und nun! Komm doch! Schlag zu! Weichei!“
Auch wenn euch das am Anfang komisch vorkommt und ihr vielleicht lachen müsst, versucht es trotzdem ernsthaft durchzuziehen. Ich komme dann, zumindest was den Adrenalinspiegel angeht, auch mächtig auf Touren.
Der Verteidiger sollte dabei versuchen, die Distanz zu kontrollieren und zu halten und auch in dieser Stresssituation auf dumme Sprüche reagieren.
Als Variante kann der Angreifer einige populäre „Starter“ probieren: Schelle, Schwinger, Schubser. Schau, wie Du aus der Situation damit umgehen kannst.
Deeskalation
Wenn Du wirklich daran interessiert bist, den Streit zu deeskalieren, also es nicht zu einem Kampf kommen zu lassen, ist Grips und Kreativität gefragt. Prinzipiell geht es darum, ihn in eine Diskussion zu verwickeln. Dabei muss man sich meist sehr stark in die Person einfühlen, die Wörter sehr genau wählen und sich in der Regel auch „verbiegen“ also Sachen sagen, die man eigentlich gar nicht so sieht.
Je länger geredet wird, umso seltener kommt es zum Kampf.
Es gilt alle „provozierenden“ Äußerungen sein zu lassen. Also nicht „Was, ich hau DIR gleich auf die Fresse!“, sondern ein „Was hast Du davon, wenn Du mich schlägst?“
Gleichzeitig sollte man dabei aber keine Schwäche zeigen, also auch nicht „Bitte, bitte, schlag mich nicht!“
Das ist ein Drahtseilakt, der auch nicht immer gut geht. Wichtig ist, ihm eine Möglichkeit anzubieten „ehrenvoll“ aus dem Ganzen herauszukommen.
„Ehrenvoll“ geht das in der Regel mit einer Entschuldigung. „Sorry, wenn ich Deine Freundin angeguckt habe! Wollte ich nicht!“
Auch wenn das in der Regel mit einer hohen Überwindung einhergeht, weil es natürlich bescheuert ist, sich dafür zu entschuldigen.
Eine andere gute Möglichkeit ist augenscheinliche „Gemeinsamkeiten“ hervorzuheben. Also zum Beispiel „Yo, ich hasse das auch, wenn jemand meine Freundin anguckt. Aber keine Sorge, ich bin glücklich mit meiner Freundin! So schön wie Deine ist sie nicht, aber …“
Das hat den Vorteil, dass er eigentlich dagegen nicht sagen kann, weil es ja seiner Einstellung entspricht. Natürlich muss man sich hier auch „verbiegen“, um so was über die Lippen zu kriegen.
Auch eine Möglichkeit ist das „Kompliment“, denn jeder hört gern Komplimente. Wie eben schon angedeutet „Ey, na klar, Deine Freundin ist total hübsch! Da MUSS MANN doch hingucken! Und sie kann auch ganz schön stolz auf Dich sein, dass Du sie so verteidigst!“
Damit kann man ihn in die Zwickmühle bringen, dass er nichts gegen sagen kann, denn dann würde es ja heißen, dass er es anders sieht.
Eine ganz andere Taktik kann man mit der Androhung von „Konsequenzen“ erreichen. Das ist allerdings gefährlich, weil es in Richtung Provokation zielt. „Wenn Du mich jetzt schlägst, ist die Party für uns vorbei und du hast ne Anzeige am Hals. Wozu denn der ganze Stress? Lass uns einfach in Frieden auseinander gehen und dann ist alles gut! Ich gucke Deine Freundin garantiert nicht mehr an.“
Wichtig hierbei ist, dass Du ihm eine Lösung anbietest, bei der er „unbeschadet“ davon kommt. Sollte man daraufhin wirklich auseinander gehen, empfehle ich, sich auch wirklich aus der Sichtweite des Aggressors zu entfernen.
Also, Fazit:
Gemeinsame Identifikationsmerkmale hervorheben, Provokation vermeiden, „ehrenvolle“ Lösung anbieten.
Und, sollte er euch zum Schluss ein Handshake anbieten: Nehmt ihn an, aber seit auf eine eventuelle Schelle oder Ähnliches mit dem anderen Arm gefasst!
Vom Vorkampf zum Kampf
Sollte nun eine Schlägerei unvermeidlich sein, gilt es den ersten Schlag abzuwehren, bzw. auszuführen. Ihr solltet euch voll auf euer Gelerntes verlassen, und es durchziehen.
Meiner Meinung nach liegt die größte Hürde in der Überwindung der Distanz zum Gegner.
Aber dazu kommt demnächst noch mal ein extra-Posting, hier ging es mir um den Vorkampf.