Hallo Forum,
mein Webmaster hat mich auf dieses informative Forum hingewiesen und gebeten einen Beitrag zu den laufenden threads zu posten.
Kurz zu meiner Person, mein Name ist Bob Dubljanin und ich unterrichte JKD, Kali und Silat in Mannheim.
Für ein besseres Verständnis und einen tieferen Einblick in Bruce Lee´s Arbeitsmethoden empfehle ich die Lektüre des folgenden Artikels meines Freundes Chris Kent.
Viel Spaß beim lesen und let the discussion begin. Gerne beantworte ich eure Fragen.
Beste Grüße und ein frohes neues Jahr,
Bob Dubljanin
Verwende Bruce Lees Notizen für Dich
Die echten Geheimnisse des Jeet Kune Do
von Chris Kent
Viele male wenn ich Jeet Kune Do unterrichte, sei es in einer Klasse oder auf einem Seminar, stelle ich folgende Frage: "Es besteht kein Zweifel, dass der Ellbogen eines der vielen Werkzeuge des JKD ist; da Bruce Lee selbst dieses in seinen Notizen, die später als Tao of Jeet Kune Do (in Deutschland als Bruce Lee´s Jeet Kune Do) veröffentlicht wurden, beschreibt. Doch steht irgendwo in dem Buch wie man den Ellbogen auszuführen hat?
Meistens denken diejenigen die das Buch gelesen haben kurz nach und schütteln den Kopf. Sie sind überrascht, wenn ich ihnen erkläre, dass dies natürlich im Buch zu finden ist. Dort steht natürlich nirgends daß, der Ellbogen in einem Winkel von 73° zu schlagen ist und die andere Hand am Kopf decken sollte usw. Doch was in den Notizen zu finden ist, sind die fundierten Prinzipien, die definieren und bestimmen auf welche Art und Weise Technik eingesetzt wird. Der Schlag sollte „nicht-telegraphisch“ und mit Wirtschaftlichkeit der Bewegung ausgeführt werden, während man eine gute defensive Position beibehält, so dass man eine schnelle Rückzugsmöglichkeit hat, um weiter anzugreifen oder wenn nötig sich gegen Konter verteidigen kann. Obwohl die Notizen keine exakte technische Beschreibung oder Aufgliederung liefern, erklären sie wie man einen Ellbogen, einen Punch, einen Kick oder jede andere Technik auszuführen hat.
Um das gesamte Spektrum von JKD zu gebrauchen ist es wesentlich zu verstehen, wie man Bruce Lee´s Notizen für sich selbst verwenden kann. Wie man diese Aufzeichnungen "lebendig" werden lässt, dass sie einem helfen das volle Potential als Kampfkünstler, unabhängig von dem jeweiligen Stil oder Methode die man ausübt, zu erreichen.
Bruce Lee´s Notizen wurden mit Hinweisschildern oder Leitgedanken verglichen; die das Individuum zu seinem eigenen Ausdruck in den Kampfkünsten führen sollen. Doch helfen Hinweisschilder sehr wenig oder gar nicht, falls man nicht versteht wie diese korrekt zu lesen und interpretieren sind. Demnach muß zunächst erlernt werden wie man Bruce Lee`s Notizen untersucht. Dieses ist kein leichtes Unterfangen. Beim Lesen von Lee´s Notizen sollten drei intrinsische Prinzipien dein Studium leiten.
1) Verstehe die Aussage der Notizen
Du musst die Natur des Geschriebenen sehen und klar erkennen können. Was wird da in diesem bestimmten Abschnitt, Leitsatz, Prinzip gesagt?
2) Interpretiere die Notizen
Das Wort "interpretieren" bedeutet hier die Bedeutung der Aufzeichnungen hervorzubringen oder zu erklären. Also welchen Sinn hat das Gelesene? Viele Kampfkünstler überspringen die Interpretationsphase, um schnell zur konkreten Anwendung von Lee´s Lehren zu gelangen, sie möchten wissen was die Notizen für sie bedeuten, bevor sie verstanden haben welche Bedeutung Lee ihnen zumass.
3) Bewerte die Notizen
Etwas zu bewerten bedeutet den Nutzen oder die Qualität von etwas zu bestimmen. Mit anderen Worten, ist das Prinzip richtig oder falsch, gültig oder ungültig? Bitte begehe hier nicht den Fehler vieler Schüler und bewerte Lee´s Worte ohne die ersten beiden Schritte durchgangen zu sein. Ansonsten bewertest du ein bestimmtes Prinzip ohne seine Aussage verstanden zu haben und seine Bedeutung interpretiert zu haben.
Diese drei intrinsischen Prinzipien allein reichen jedoch nicht aus, um Bruce Lee´s Notizen erfolgreich zu verstehen. Man benötigt hier auch drei wichtige extrinsische Hilfspunkte:
1) Erfahrung
Eigene Erfahrung ist der einzige Weg um das Gelesene interpretieren und relativieren zu können. Jemand der keine oder sehr wenig Erfahrung in Kampfkunst und/oder Philosophie hat wird eindeutig in Nachteil sein Bruce`s Notizen zu verstehen, interpretieren oder bewerten zu können. Ich mag vielleicht meine Meinung zu einem Van Gogh Gemälde äußern, jedoch werde ich nicht in der Lage sein es zu bewerten oder zu interpretieren wie ein studierter Kunstgelehrter es mit seiner Erfahrung und Bildung vermag. Erfahrung die verstanden und reflektiert wurde erleuchtet deine Analyse.
2) Andere Bücher
Bücher die zeitlich vor oder nach einem Lernthema erschienen sind können sehr bedeutsam sein. Oft geben Notizen oder Bücher mehr Sinn, wenn sie in Relation zu anderen Büchern oder Schriften gelesen werden. Ich habe das Privileg sämtliche Bücher aus Bruce Lees Privatbibliothek sichten zu dürfen, besitze jedoch auch meine eigene Bücherei, mit Titeln über die Kampfkünste, Fechten, Fitness, Bewegungslehre, Philosophie und Psychologie. Lektüre und Analyse dieser Bücher haben mir geholfen mein Verständnis für Bruce Lees Notizen zu erweitern. Lee wollte über ein Thema immer soviel wie möglich erfahren, mit einem offenen Geist, bereit neue Informationen und Quellen zu absorbieren. Wenn er heute leben würde, hätte er zweifellos alle (Bücher, Videos, Filme, usw.) aktuellsten Informationen über sämtliche Sachgebiete die ihn interessieren würden. Wir alle sollten, dass selbe tun.
3) Lebendiger Austausch
Der letzte Hilfspunkt ist lebendiger Austausch mit anderen, d. h. Interaktion zwischen Menschen die gemeinsam ein bestimmtes Sachgebiet erarbeiten. In meinem Falle, z. B. habe ich mit meinem engen Freund Cass Magda zahllose Stunden mit JKD Diskussionen verbracht, manchmal zu zweit andere male mit Freunden oder einigen unserer Senior-Schülern. Wenn wir bestimmte Sachverhalte, Techniken, Philosophien oder Einstellungen in Relation zu JKD diskutieren, entstehen dadurch oftmals neue Einsichten, die ohne diese Art Austausch nicht zustande kommen würden.
So wichtig es ist Lee´s Notizen erfolgreich zu erforschen, ist es genauso wichtig zu wissen wie man diese Erkenntnisse für sich selbst konkret einsetzt.
Für diesen Prozeß ist es wichtig Lee´s Notizen zu lesen ohne sie in etablierte Rubriken zu stecken. Das Ziel ist es einfach den Inhalt zu erfassen oder die Essenz wie Bruce dies nannte, um die Sache im Kern zu begreifen. Erwarte bekannte Sachen in neuem Licht zu sehen, wenn du die Notizen wiederholt liest und versuche nicht alles beim ersten male verstehen zu müssen. Es wird einige Wiederholungen brauchen, um alles zu verstehen. Alle von uns hatten schon mal das Erlebnis etwas immer wieder und wieder gelesen zu haben und dann plötzlich es verstanden zu haben. Dieser „Aha-Effekt“ katapultiert uns zu neuen Ebenen der Erfahrung und des Verstehens. Es wird hier von Nutzen sein bei verschiedenen Lesedurchgängen verschiedenfarbige Textmarker zu benutzen, um bestimmte Stellen zu kennzeichnen. Es ist ebenso hilfreich, ein Notizbuch zu führen, für Ideen und Impressionen während des Lesens festzuhalten. Der nächste Anwendungsschritt ist es herauszufinden warum Lee sich entschloss eine bestimmte Essenz einer Kampfkunst in seine Methode zu absorbieren. Hier ist es wichtig den Unterschied zwischen aneignen und anfügen zu erkennen. Etwas zu absorbieren bedeutet, es zu nehmen und zu integrieren, etwas anzufügen heisst die Zahl, Größe, Menge von etwas zu vergrößern. Frage dich: "Was ist es an dieser bestimmten Technik, dass Bruce sie für nützlich oder gültig hielt?" Analysiere durch das Aufteilen in Bestandteile und finde die Funktion oder Interdependenz zu anderem Material in Lees Aufzeichnungen.
Der dritte Schritt ist die Anwendung von deinen studierten Inhalten. Theorie ohne Praxis ist bedeutungslos für die Kampfkünste. Deine Untersuchungen müssen in die Trainingshalle gebracht werden um getestet zu werden. Du musst sehen, ob und wie gut Dinge unter Druck in echten Situationen funktionieren. Vergiß ebenso nicht, dass falls du es in einem bestimmten Moment nicht benutzen kannst oder einsetzen vermagst, die Technik nicht automatisch wertlos oder ungültig wird. Falls dir dein Lehrer eine komplexe Technikanwendung zum ersten male zeigt und du sie nicht sofort anwenden kannst, sagst du nicht automatisch: "Oh, das hier ist dumm, es funktioniert nicht."