nihonto Lieber Creativ,
die politischen Ideologien der 20. Jahrhunderts sind die legitimen Nachkommen der religiösen Ideologie. Letztere hatten infolge ihrer Irrationalität, innerer Krisen und der durch sie ausgelösten extremen Exzesse (Religionskriege, die große Teile Europas verwüstet haben, Verfolgung und massenhafte Tötung Andersdenkender, Unterdrückung der Frauen etc. pp.) seit dem 16. Jahrhundert immer mehr an Glaubwürdigkeit verloren, was natürlich auch in den nie eingelösten Heilsversprechungen begründet lag.
Die politischen Ideologien, die zumeist ihre Wurzeln im 18. und 19. Jahrhundert haben, also in einer Zeit, die auf die Aufklärung folgt, stellen nun den Versuch dar, ähnliche gesellschaftliche Ordnungsmuster zu schaffen wie die Religionen, nur eben ohne esoterischen Götter-Firlefanz. Damit hatten sie aber auch ein Problem: Götter sind ein sehr eleganter philosophischer Kniff, mit dem sich Leerstellen im eigenen Gedankengebäude übertünchen lassen. Und solange nur die meisten Menschen naiv genug sind, an Wesen zu glauben, die zwar noch nie jemand gesehen hat, von denen aber gemunkelt wird, sie seien mehr oder weniger allmächtig, lässt sich mit Verweis auf eben diese Götter alles rechtfertigen und eben auch eine höchst irdische Machtstruktur aufbauen. Die Geschichte des allerchristlichsten Mittelalters ist ein sehr schönes Beispiel, wie gut sowas funktioniert. Vor allem, wenn man so etwas wie eine Gedankenpolizei hat, die das Volk kontrolliert. Die Inquisition ist ein recht gut passendes Beispiel für so eine Gedankenpolizei.
Den politischen Ideologien fehlte aber der alles rechtfertigende "letzte Grund". Er musste anders hergeleitet werden. Und was lag in einer Zeit der Nationenbildung und großer ökonomischer Umbrüche näher, als
a) sich auf künstliche aber massenwirksame Konstrukte wie Nation oder "Rasse" zu berufen
b) sich auf eine besonders große Gruppe zu berufen, die durch die ökonomischen Umwälzungen benachteiligt und infolge dessen gewalt- und revolutionsbereit war
Wo man sich vorher im Namen nicht existenter Götter abgeschlachtet hat, wurde nun im Namen der Nation/Rasse bzw. des "Proletariats" gemordet und unterdrückt.
Da nun aber ausgerechnet Charles Darwin hinein zu ziehen, stellt eine extrem grobe und ärgerliche Verzerrung der Realität dar. Darwin kommt das große Verdienst zu, einen ebenso plausiblen wie logischen und aufgrund fossiler Funde immer besser belegten Nachweis für die Entwicklung der Artenvielfalt auf diesem Planeten geliefert zu haben. Indem Darwin nachwies, dass die Artenvielfalt natürlicher Evolution zu verdanken ist und es sich nicht um die Kopfgeburt irgendeiner Märchenfigur auf Wolke 7 handelt, hat er fast jeder Religion den Boden entzogen. Was ihm von den Religionsideologen natürlich bis heute übel genommen wird .
Leider sind seine wissenschaftlichen Erkenntnisse teils bewusst teils unbewusst zweckentfremdet und für die politischen Ideologien instrumentalisiert worden. Dieser sogenannte Sozialdarwinismus wurzelt allerdings in Vorstellungen und Ideen, die lange vor Darwin entstanden. Seine Erkenntnisse wurden nun aber missbraucht, um die scheinbare Gesetzmäßigkeit der politischen Ideologien zu belegen. Diese waren aber ganz klar auf ein "Endziel" ausgelegt - im Fachjargon "teleologisch" (gr. Telos = Ziel bzw. Sinn). Allein hierin lag aber schon ein großes Missverständnis. Denn Darwins Evolution aufgrund natürlicher Selektion hatte eben keinen "Masterplan" zur Grundlage. Die politischen Ideologien sollten demgegenüber ein Programm, eine zielgerichtete Entwicklung vom "niedrigsten" zum "höchsten" beschreiben, mit der "das Volk" gewonnen und sogenannte Feinde bekämpft werden sollten.
Der Bezug auf Darwin stellt also eine Verdrehung der Tatsachen dar!!!
P. s.: Kann es sein, dass sich Dein Nick aus dem Namen jener neuen Religionsideologie herleitet, die sich "Creationismus" nennt und die Darwin zu ihrem Lieblingsfeind erkoren hat?