Hallo,
wieder kann ich nicht für „alle“ sprechen/schreiben, aber ich denke nicht, dass „die es heute noch tun“ nicht beim Karate bleiben. Die beiden von mir erwähnten Lehrmeister blieben begeistert bei (ihrem) Karate. Deren jeweilige Seniorschüler blieben/bleiben begeistert bei (deren) Karate. Ich selbst habe kein anderes Trainingsziel und bleibe beim Karate. Tatsächlich ist es so, dass ich – auch wenn es ziemlich pathetisch klingen mag – heute kein Karate mehr trainieren würde, hätte ich nicht die beiden Lehrmeister getroffen und „in echt“ erlebt.
Aus meiner Sicht ist das nachvollziehbare „Problem“, dass die meisten vielleicht eine gewisse Neugier in diese Ausrichtung des Karate verspüren, aber schnell begreifen, dass es dabei um eine völlig andere Trainingsdimension geht. Jeder will bestimmt mal „cool“ mit seiner Karate-Fertigkeit aussehen. Was die beiden von mir erwähnten Lehrmeister vermochten, sah absolut „cool“ aus und fühlte sich auch so an. Doch um deren technisches Niveau zu erreichen, ist ein Trainingsaufwand von Nöten, den die wenigsten leisten möchten.
Es ist – für mich ganz und gar nachvollziehbar – sehr einfach, mittels „Sparring“, Real-Realistic-Street-Combat™-„Bunkai“, sportlichen Vergleich usw. Befriedigung im Training zu verspüren. Für Leute aus diesem Umfeld würde das Training unmittelbar frustrierend und unbefriedigend werden, weil eben keine (gewohnten), relativ schnellen Erfolge einsetzen – „Juhu, ich hab ihn getroffen!“, „Wow, dieses ‚Bunkai‘ ist voll realistisch und ich kapiere sofort, dass es ‚aus der Kata XY kommt‘“, „Urkunde fürs besser sein“ usw.
Vor ein paar Monaten trainierten zwei schon fortgeschrittenere „Schwarzgurte“ aus dem Verband Z mit mir und bestätigten eben diesen Frust. Dem Höhergraduierten zeigte ich, was „richtiges“ Timing (im Unterschied zu „Fake-Timing“) ist. Sein „Schüler“ (so wurde er mir vorgestellt) sollte ihn angreifen. Er konnte natürlich kein echtes Timing umsetzen, weil er es nicht kannte. Ich half ihm daraufhin, indem ich ihn körperlich bewegte (mit meinem Timing). Er meinte etwas wie „Was, das war doch viel zu zeitig!!!“ Er konnte das nicht verstehen. Sein „Schüler“ allerdings schüttelte verstört den Kopf und grinste mich an. Er konnte aus seiner Perspektive verstehen, was Sache war. Sein „Trainer/Lehrer/Sensei“ nicht. Natürlich versuchte er das dann besser/richtiger zu machen, aber scheiterte leider. Der Grund ist, dass selbst bei einer so scheinbar simplen Angelegenheit (1) viel Training, (2) korrekte/zielorientierte Trainingsmethoden und (3) echte Trainingspartner (keine „Schüler“) von Nöten sind. Dummerweise schließt das Training/Unterricht in größeren Gruppen von vornherein aus, was ein weiterer – sehr nachvollziehbarer – Grund für das Dessinteresse an einem derartigen Trainingsziel ist.
Für mich persönlich ist jedoch diese Art von Training, aufgrund ihrer Langfristigkeit und technischen Tiefgründigkeit, der ausschlaggebende Punkt, weshalb ich nicht zu „etwas anderem“ wechsle.
Grüße,
Henning Wittwer