Der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit durch eine Impfung erscheint vielen Menschen als unwesentlich: ein kleiner Piks in den Oberarm. Die Nebenfolgen der Impfung sind weit überwiegend allenfalls minimal. Aus „objektiver Sicht“, d.h. dem bei Juristen beliebten „verständigen Dritten“, könnte daher die Intensität des Grundrechtseingriffs als gering einzustufen sein. Doch eine solche Blickweise trägt nicht. Grundrechte schützen Freiheiten individueller Menschen. Entscheidend ist also die Wahrnehmung derer, die das Grundrecht in Anspruch nehmen. Es geht nicht um eine „objektive“ Beurteilung des Grundrechtseingriffs – die in Wahrheit immer die des Mainstreams ist –, sondern für Grundrechte kommt es auf das Selbstverständnis der Betroffenen an, welches allenfalls einer Plausibilitätskontrolle unterzogen werden kann. Für die Religionsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht dies mit großer Klarheit herausgestellt, aber dies gilt für alle Freiheitsrechte.
Für die Ablehnung einer Impfung kann es viele Gründe geben. Dazu mögen auch Gründe, die mit dem Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit nichts zu tun haben, wie etwa Wut auf „das System“ oder wirre Verschwörungserzählungen gehören. Es gibt aber auch Menschen, die der festen Überzeugung sind, dass Ihnen die Impfung gesundheitlich schadet. Aus der Perspektive solcher Betroffener ist die Impfung eben nicht eine lästige Bagatelle, sondern erscheint vergleichbar der Zuführung von Schadstoffen oder gar einem Gift. Eine solche Sichtweise mag vielen als absurd erscheinen, aber Grundrechte dienen eben gerade dem Schutz von Minderheiten. Dies gilt zumal, als inzwischen der enge Zusammenhang von psychischer und physischer Gesundheit bekannt ist. Die Eingriffsintensität ist also als äußerst hoch einzustufen.