Im Fiocruz-Krankenhaus in Rio haben wir seit einem Monat maximale Auslastung - manchmal liegen wir sogar drüber. Derzeit kommen nur dann neue Patienten auf die Intensivstation, wenn andere entlassen werden - oder sterben. Man kann nicht sagen, dass es momentan schlimmer ist - denn wir sind bereits seit etwa drei Wochen überlastet.
....Auf der Intensivstation des Fiocruz-Krankenhauses, die ich leite, haben wir seit gestern keinen einzigen Patienten mehr über 80. Das zeigt ganz klar, welche Rolle die Impfungen in der Pandemie spielen. Aktuell sind die Jüngeren betroffen. Denn die Politik hält sie an, aus dem Haus zu gehen und sich dem Virus damit auszusetzen. Und die Konsequenz ist, dass sie eben auch krank werden.
Welche Altersgruppe ist derzeit am häufigsten betroffen?
Die Mehrheit ist zwischen 30 und 70 Jahren alt. Wenn ich das noch mehr in Altersgruppen eingrenzen soll, würde ich die 40 bis 60-Jährigen nennen, die wohl am schwersten betroffen sind.
Die Zentralregierung hat schon gesagt, dass es keinen Lockdown geben wird. Hielten Sie einen Lockdown für angebracht?
Daran gibt es keinen Zweifel. Hier in Brasilien ist die Stadt Araraquara ein gutes Beispiel. Dort gab es einen Lockdown, derzeit gibt es wieder einen, und sie haben gerade Null Tote registriert! ... Impfungen werden nicht verhindern, dass die Menschen sich anstecken. Aber sie werden verhindern, dass sich viele gleichzeitig infizieren. Und der Lockdown führt dazu, dass die Leute weniger durch die Gegend laufen. Aber all das wurde ja schon so oft debattiert. Ich weigere mich, jetzt, im April 2021, 14 Monate nach Beginn der Pandemie, den Leuten zu erklären, dass ein Lockdown hilft. Er hilft und ist ein sehr nützliches Instrument. Wir brauchen auch ausreichend Mittel. Denn es kann doch nicht sein, dass 700 Patienten einfach sterben, weil sie auf der Warteliste für ein Intensivbett stehen. Wir kommen mit unserer Arbeit einfach nicht mehr nach....
Manche Wissenschaftler rechnen mit noch höheren Todeszahlen. Sind Sie eher Pessimist oder Optimist?
Ich glaube, dass wir noch zwei oder drei Monate mit hoher Sterblichkeit rechnen müssen. Da kann es eventuell 5000 oder 6000 Tote pro Tag geben.
In dem Fall wird alles zusammenbrechen. Kommt dann der Kollaps? Nein, er kommt nicht erst: Der Kollaps ist längst da. Wir sind mitten drin.
Der Infektiologe David Sufiate arbeitet an vorderster Front in mehreren Krankenhäusern von Rio de Janeiro.