Vollständige Version anzeigen : Diplomarbeit Yiquan/ZhanZhuang
Vielleicht interessant für den einen/die andere:
https://core.ac.uk/download/pdf/16427425.pdf
(Habe selbst nur ganz grob reingeschaut bisher.)
marasmusmeisterin
14-06-2020, 09:01
Göttlichgeil, danke dafür!
>Autoethnographie< ... das dürfte der neue Trend sein. "Innerlichkeit" verwissenschaftlicht; jetzt wirds spannend. Genau das, was ich gerade jetzt für eine größere Monographie brauche. Mensch! Geil!
:klatsch:
Lind, Takuan, Deshimaru als Quellen in der Diplomarbeit und dann noch Wu-Wei mit „Nicht-Handeln“ übersetzt. Das wäre in den 90erm evtl. noch in Ordnung gewesen, aber doch nicht mehr 2012 in einer wissenschaftllichen Arbeit...
Lind, Takuan, Deshimaru als Quellen in der Diplomarbeit und dann noch Wu-Wei mit „Nicht-Handeln“ übersetzt. Das wäre in den 90erm evtl. noch in Ordnung gewesen, aber doch nicht mehr 2012 in einer wissenschaftllichen Arbeit...
Ich denke, das verdeutlicht halt ein weit verbreitetes Problem heutzutage. Sie schreibt die Arbeit ja im Bereich "Kultur- und Sozialanthropologie". Das heißt, da ist weder sprachkundiges noch ein praxiskundiges Personal zu erwarten.
Ähnlich wie (in der Regel) bei den Sportwissenschaftler und Psychologen.
Trotzdem verbreiten sich dadurch dann die Vorstellungen darüber, was es mit solchen Praktiken auf sich hat.
Das ist das Institut:
https://ksa.univie.ac.at
Sie schreibt die Arbeit ja im Bereich "Kultur- und Sozialanthropologie". Das heißt, da ist weder sprachkundiges noch ein praxiskundiges Personal zu erwarten.
Genau das habe ich mir auch gedacht :halbyeaha
Leider werden solche Arbeiten dann herangezogen um „wissenschaftliche“ Belege zu erbringen.
Huangshan
14-06-2020, 12:15
Julian Braun,kanken:
Ja die Quellenlage ist ein wichtiger Punkt.
Leider gibt es zum Thema chinesische Kampfkünste etc. nur wenige bekannte gute wissenschaftliche Werke in deutscher Sprache, viel mehr gibt es in englisch.
Die Verfasser greifen dann zu den wenigen bei Amazon oder in Uni Büchereien erhältlichen Werken, um sie für ihre akademischen Arbeiten zu verwenden.
Deshalb schaue ich immer die Quellenangaben an und Rezessionen von Fachleuten bevor ich z.B. Bücher kaufe oder laaange Arbeiten lese!
Wie ich schon geschrieben habe, der Bunbu Forschungskreis ist ein Lichtblick!
Lind, Takuan, Deshimaru als Quellen in der Diplomarbeit und dann noch Wu-Wei mit „Nicht-Handeln“ übersetzt. Das wäre in den 90erm evtl. noch in Ordnung gewesen, aber doch nicht mehr 2012 in einer wissenschaftllichen Arbeit...
OMG...
Auch die Definitionen von Kampfkunst vs. Kampfsport zementieren ein bereits vorhandenes Bild.
FireFlea
14-06-2020, 13:22
Bzgl. Karate gibt es ja auch einige dieser Arbeiten mit Lind & Co. Es ist halt schlicht und einfach so, dass die Prüfer keine Ahnung vom Thema haben und schauen, ob die wissenschaftliche Herangehensweise plausibel ist. Inhaltlich können sie das Thema ja kaum verorten.
Huangshan
14-06-2020, 14:44
Hier der Abstract der Diplomarbeit .
In dieser Arbeit liegt der Fokus auf der Beschreibung der inneren Bewegung in der von außen unverändert erscheinenden Übungsposition
zhanzhuang gong, welche auch als Übung der Himmel-Erd-Säule
bezeichnet wird. Zhanzhuang gong wird als zentrale Übungspraxis der
inneren Kampfkunst Yiquan vorgestellt.
In narrativen autobiographischen Texten wird die Phänomenologie
meiner Wahrnehmung des Trainings beschrieben, welche sich im Text in
bildhafter Sprache wie eine innere Landschaft der kinetischen Erfahrung
entfaltet. Neben dem evozierenden autoethnographischen Forschungsansatz bietet die theoretische Auseinandersetzung mit den Bereichen
Autoethnographie und Kampfkunst, sowie eine Präsentation weiterer
empirischer Daten der Feldforschung, eine umfassende Sicht auf das
Forschungsfeld an.
Definition Autoethnografie :
Autoethnografie ist eine innovativer qualitativer Forschungsansatz, „der sich darum bemüht, persönliche Erfahrung (auto) zu beschreiben und systematisch zu analysieren (grafie), um kulturelle Erfahrung (ethno) zu verstehen. Er stellt kanonische Gepflogenheiten, Forschung zu betreiben und zu präsentieren, infrage und behandelt Forschung als einen politischen und sozialen Akt. Forschende nutzen Grundsätze der Autobiografie und Ethnografie, um Autoethnografie zu betreiben und zu schreiben. Daher bezeichnet Autoethnografie sowohl eine Methode/einen Prozess als auch ein Produkt“ – so eine Definition der amerikanischen Soziologin Carolyn Ellis in einem aktuellen, 2010 erschienen Sammelband („Handbuch Qualitative Methoden in der Psychologie“ von Günter Mey und Katja Mruck).
Bücherwurm
14-06-2020, 19:20
Vielleicht interessant für den einen/die andere:
(Habe selbst nur ganz grob reingeschaut bisher.)
Ich hab mich bis Seite 30 durchgefräst und möchte eigentlich gar nix dazu sagen. Kommt mir so vor wie hier was gelernt, dort was, da was, umgerührt, und dann eine Kelle gemixtes auf den Teller ...
.. kommt die Philosophie noch?
Pansapiens
14-06-2020, 19:43
Ich hab mich bis Seite 30 durchgefräst und möchte eigentlich gar nix dazu sagen. Kommt mir so vor wie hier was gelernt, dort was, da was, umgerührt, und dann eine Kelle gemixtes auf den Teller ...
.. kommt die Philosophie noch?
Ist das nicht philosophisch?
„ (...) die kämpferische Bewegung (stellt sich) als von innen nach
außen gerichtet, anderes Äußeres abweisend, aber anderes Inneres eindringend dar (...) Kämpfen ist expansiv, distanzierend, aber
auch gleichzeitig distanzüberwindend, aggressiv-vereinigend
(Antagonismus-Ambivalenz).“ (Binhack 1998: 150)
aber auf Seite 30 geht es doch - bezüglich Yiquan - erst richtig los..
Hat jemand etwas an dem historischen Abriss und der Darstellung des Übungsweges zu korrigieren?
Die Autorin beschäftigt sich ja schon seit acht Jahren damit unter einem Meisterschüler von Yao Cheng Rong.
aber auf Seite 30 geht es doch - bezüglich Yiquan - erst richtig los..
Hat jemand etwas an dem historischen Abriss und der Darstellung des Übungsweges zu korrigieren?
Die Autorin beschäftigt sich ja schon seit acht Jahren damit unter einem Meisterschüler von Yao Cheng Rong.
Es ist ziemlich aufwendig, bei einer solchen Arbeit die vielen - meist kleinen - Probleme oder Fehler herauszustellen und zu analysieren. (Zumindest mir ist es zu aufwendig, das hier zu tun.) Die Arbeit ist nicht schlecht, und die Autorin sicher nicht blöd; und sie hat bestimmt auch eine gewisse Übungspraxis. Aber es fehlt dann halt doch viel, vieles ist zu vereinfacht, und einiges falsch.
Ein Beispiel auf die Schnelle: S. 35 beschreibt sie fali
Problem: Sie übersetzt "Methode" (fa) der "Kraft" (li) Fa ist aber nicht "Methode" sondern "Aussenden". Beide werden Chinesisch fa ausgesprochen, allerdings mit unterschiedlichem Ton und mit anderen Schriftzeichen geschrieben. Methode = 法; Aussenden = 発. Das sollte man wissen, selbst wenn man nicht Chinesisch spricht; zumindest wenn man tiefer in seinen Stil eindringt.
Der historische Abriss ist schon auch sehr dürftig.
Aber es ist ja auch keine Arbeit über Yiquan als traditionelle CMA mit sinologischem Anspruch. Man müsste sie wohl schon auch unter ihrem eigenen Anspruch lesen und schauen, ob man was für sich rausziehen kann.
Bücherwurm
14-06-2020, 21:05
Ist das nicht philosophisch?
Ein Anflug von Ironie? Das solltest du pflegen.
Es ist ziemlich aufwendig, bei einer solchen Arbeit die vielen - meist kleinen - Probleme oder Fehler herauszustellen und zu analysieren. (Zumindest mir ist es zu aufwendig, das hier zu tun.)
Das, genau.
Pansapiens
14-06-2020, 21:29
Es ist ziemlich aufwendig, bei einer solchen Arbeit die vielen - meist kleinen - Probleme oder Fehler herauszustellen und zu analysieren. (Zumindest mir ist es zu aufwendig, das hier zu tun.) Die Arbeit ist nicht schlecht, und die Autorin sicher nicht blöd; und sie hat bestimmt auch eine gewisse Übungspraxis. Aber es fehlt dann halt doch viel, vieles ist zu vereinfacht, und einiges falsch.
Ein Beispiel auf die Schnelle: S. 35 beschreibt sie fali
Problem: Sie übersetzt "Methode" (fa) der "Kraft" (li) Fa ist aber nicht "Methode" sondern "Aussenden". Beide werden Chinesisch fa ausgesprochen, allerdings mit unterschiedlichem Ton und mit anderen Schriftzeichen geschrieben. Methode = 法; Aussenden = 発. Das sollte man wissen, selbst wenn man nicht Chinesisch spricht; zumindest wenn man tiefer in seinen Stil eindringt.
Ich hätt' ja an der Stelle der Dame meinem Lehrer die Arbeit mal zum Durchlesen gegeben.
Allerdings 144 Seiten...
Aber es ist ja auch keine Arbeit über Yiquan als traditionelle CMA mit sinologischem Anspruch. Man müsste sie wohl schon auch unter ihrem eigenen Anspruch lesen und schauen, ob man was für sich rausziehen kann.
O.k. danke.
Mir scheint das eher ein Versuch der Darstellung der autoethnographischen Methode an dem Gegenstand Yiquan zu sein.
Pansapiens
14-06-2020, 21:30
Ein Anflug von Ironie? Das solltest du pflegen.
Woran erkennt man denn "Philosophie" im professionellen Sinne?
Pansapiens
14-06-2020, 21:57
und dann noch Wu-Wei mit „Nicht-Handeln“ übersetzt....
Hab ich jetzt nicht gefunden, außer in einem Zitat von ihm hier (https://www.springer.com/de/book/9789048129263#aboutAuthors) und da ist das in '' gesetzt.
die Autorin selbst sagt:
"Im Verlauf der Forschung habe ich meine Verwendung des Begriffs wu wei als
natürlich Handeln definiert."
genauer schreibt sie:
Der Begriff wu wei geht auf die Shun-Zeit und somit 1800 Jahre vor
Laozi (2300 v. Chr.) zurück. Laozi setzte den Begriff wu wei in Bezug zu
dem Begriff des Dao, wodurch es zur kosmischen Grundlage und zentral
im daoistischen Denken wurde (vgl. Chung 2006: 14). In der Geschichte
des Daoismus erfuhr der Begriff wu wei viele Rezeptionen, die wu wei mit
unterschiedlichen Aspekten von philosophischen Überlegungen verband.
Darauf näher einzugehen ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Kurz
jedoch möchte ich, in Erwähnung der zwei wohl bekanntesten Strömungen des Daoismus, klarstellen, dass das Konzept wu wei in Verbindung
mit dem Dao nach Laozi auf die Wirkungsweisen in der „Kunst des
Regierens“ (Chung 2006: 34) angewendet wurde, während Zhuangzi die
Vereinigung mit dem kosmischen Dao betont und somit „auf Meditation
ausgerichteten Aspekte“ (ebenda) hervorhebt.
Der Begriff wu wei bedeutet, situativ angemessen zu handeln, ohne Ziele
zu verfolgen oder das Geschehen zu bewerten (vgl. Hackethal 114 ff.). Im
Kontext von wu wei steht im Daoismus die Frage nach einer idealen
Funktionsweise und damit die Frage nach dem besten Weg, etwas zu
erreichen, im Vordergrund (vgl. Möller 2001: 30).
"Im Verlauf der Forschung habe ich meine Verwendung des Begriffs wu wei als
natürlich Handeln definiert."
genauer schreibt sie:
Der Begriff wu wei geht auf die Shun-Zeit und somit 1800 Jahre vor
Laozi (2300 v. Chr.) zurück. Laozi setzte den Begriff wu wei in Bezug zu
dem Begriff des Dao, wodurch es zur kosmischen Grundlage und zentral
im daoistischen Denken wurde (vgl. Chung 2006: 14). In der Geschichte
des Daoismus erfuhr der Begriff wu wei viele Rezeptionen, die wu wei mit
unterschiedlichen Aspekten von philosophischen Überlegungen verband.
Darauf näher einzugehen ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Kurz
jedoch möchte ich, in Erwähnung der zwei wohl bekanntesten Strömungen des Daoismus, klarstellen, dass das Konzept wu wei in Verbindung
mit dem Dao nach Laozi auf die Wirkungsweisen in der „Kunst des
Regierens“ (Chung 2006: 34) angewendet wurde, während Zhuangzi die
Vereinigung mit dem kosmischen Dao betont und somit „auf Meditation
ausgerichteten Aspekte“ (ebenda) hervorhebt.
Der Begriff wu wei bedeutet, situativ angemessen zu handeln, ohne Ziele
zu verfolgen oder das Geschehen zu bewerten (vgl. Hackethal 114 ff.). Im
Kontext von wu wei steht im Daoismus die Frage nach einer idealen
Funktionsweise und damit die Frage nach dem besten Weg, etwas zu
erreichen, im Vordergrund (vgl. Möller 2001: 30).
Wie kann man so etwas als wissenschaftlich durchgehen lassen? Selbst ohne jegliche Fremdsprachenkenntnisse ließe sich anhand von Sekundärliteratur herausfinden, dass das Mumpitz ist. Einen kurzen Blick in ein paar sinologische Publikationen kann man bei so einem Thema erwarten. Zumindest, könnte man wissen, dass das Daodejing nicht von einem Autor verfast wurde und der gute alte Shun einer der mythischen Kaiser war. Auch eine grobe Ahnung, aus welcher Zeit die ältesten Aufzeichnungen stammen, die wir aus China haben, ohne die für Orakel genutzten Schildkrötenpanzer mit einzubeziehen, um das Ganze in einen historischen Kontext einzuordnen, lässt sich schnell bekommen. Das mit der Übersetzung wird halt schwerer ohne sich länger mit klassischem Chinesisch auseinandergesetzt zu haben, aber ein paar Übersetzungen kann man da schon vergleichen, sodass Dantian dann nicht mehr als "das Meer der Energie" übersetzt wird.
Darüber, dass das Konstrukt einer "Autoethnographie" zwangsläufig keine wissenschaftliche Arbeit ermöglicht, da ihm die Tautologie immanent ist, braucht man sich da schon gar nicht mehr auslassen. Darüber hinaus dreht sich der arme Husserl bei der Verwendung des Begriffs Phänomenologie in dieser Arbeit im Grabe.
Die Dame scheint sich ja durchaus mit Yiquan auseinandergesetzt zu haben, aber den Willen, so etwas im universitären Umfeld zu verbraten, ohne es halbwegs historisch und kulturell einordnen zu können, kann ich nicht nachvollziehen.
Ich würde es auch für schwierig erachten, über 4300 Jahre hinweg die unterschiedlichen Verwendungen eines Begriffs nachvollziehen zu wollen. Wortwörtlich und vom Tun her ist man mit Nicht-Handeln gar nicht so weit weg bei 無 (https://en.wiktionary.org/wiki/%E7%84%A1)爲 (https://en.wiktionary.org/wiki/%E7%88%B2). :)
Pansapiens
15-06-2020, 07:19
Wie kann man so etwas als wissenschaftlich durchgehen lassen? Selbst ohne jegliche Fremdsprachenkenntnisse ließe sich anhand von Sekundärliteratur herausfinden, dass das Mumpitz ist.
Aha, was ist denn Deiner Meinung nach die wörtliche Übersetzung von wu wei und welches Bedeutungsspektrum hat der Begriff im Daoismus bzw. den CMA im Allgemeinen und im Yiquan bzw. im Bezug auf die stehende Säule im Besonderen?
marasmusmeisterin
15-06-2020, 07:57
Moin zusammen,
ohne die Arbeit jetzt im einzelnen gelesen zu haben, sind doch von vornherein ein paar, nennen wir es Desiderata, sonnenklar.
Die Autoethnographie als Methode ist über die Anfänge noch nicht hinaus. Also bleibt, besonders für eine M.-A.-Arbeit, nichts anderes übrig, als das Ganze eher >narrativ< aufzuziehen.
Mit den weitergehenden Implikationen beschäftie ich mich gerade, aber für eine Doktorarbeit; da kann bzw. muß man schon wesentlich tiefer bohren.
Dann kommen wir aber im Umkreis von Bewegung ganz schnell in die (Sport-) Psychologie bzw. Neurologie.
Dafür findet man in den Kulturdisziplinen überhaupt keinen Prüfer mehr, ich weiß was ich sage, ich suche seit ca. 30 Jahren. Die Sportwissenschaft will vom Kulturgedöns nichts wissen und so fortan.
Kurz gesagt: wie soll sie´s sonst machen. Andererseits scheint das mit den Quellen ja wirklich ein böses Manko zu sein. Was allerdings mit einer soliden Quellenkritik aufzufangen gewesen wäre. Ich muß wohl doch noch mal geneuer reingucken.
Was wären denn die verfügbaren Quellen der Zeit 2300 v.Chr. ? Oder sind das Referenzen in Briefen 2000 Jahre später ?
Huangshan
15-06-2020, 08:58
Eine Frage an die Geisteswissenschaftler ,
sind 135 Seiten für eine Magister/Diplom Arbeit nicht einwertig dünn?
wie soll sie´s sonst machen. Andererseits scheint das mit den Quellen ja wirklich ein böses Manko zu sein. Was allerdings mit einer soliden Quellenkritik aufzufangen gewesen wäre.
Bin kein Sinologe,Japanologe oder Philosoph...., das Problem ist aber, dass viele primär Quellen in klassischen Chinesisch , Altchinesisch verfasst sind und die Übersetzungen oft fehlerhaft oder nicht objektiv sind.
Muttersprachler haben schon Probleme klassisches Chinesisch, Altchinesich zu verstehen, zu lesen .. !(z.B. meine Frau hat u.a. klassisches Chinesisch in der Schule gelernt, hat aber auch Probleme einige Texte zu lesen)
Deshalb ist man oft auf gute Fach Sekundärliteratur in englischer oder deutscher ....Sprache angewiesen , die aber selten ist.
PS:Ich hätte an ihrer stelle z.B. Sinologen gefragt welche Quellen empfehlenswert sind.
Lubo ILC
15-06-2020, 09:10
Eine Frage an die Geisteswissenschaftler ,
sind 135 Seiten für eine Magister/Diplom Arbeit nicht einwertig dünn?
Bin kein Sinologe,Japanologe oder Philosoph...., das Problem ist aber, dass viele primär Quellen in Chinesisch oder Altchinesisch sind und die Übersetzungen oft fehlerhaft oder nicht objektiv sind.
Muttersprachler haben schon Probleme Altchinesich zu verstehen, zu lesen .. !(Meine Frau hat klassisches Chinesisch in der Schule gelernt, hat aber auch Probleme einige Texte zu lesen)
Deshalb ist man auf gute Sekundärliteratur in englischer oder deutscher Sprache angewiesen , die aber selten sind.
Ich hätte an ihrer stelle z.B. Sinologen gefragt welche Quellen empfehlenswert sind.
Falls jemand Anna Teichgräber kontaktieren möchte um ihr konstruktive Kritik zu geben oder auch mehr über sie und ihr Training erfahren möchte: http://www.einfach-stehen.at/
Ich kenne sie nicht persönlich aber wir haben gemeinsame Freunde aus dem YiQuan in Österrech.
Aha, was ist denn Deiner Meinung nach die wörtliche Übersetzung von wu wei
„Die Leere wirken lassen“ nach Geldsetzer und Hong
Eine Frage an die Geisteswissenschaftler ,
sind 135 Seiten für eine Magister/Diplom Arbeit nicht einwertig dünn?
Jedes Fach hat da seine eigenen Traditionen. Ich habe z.B. die Richtlinien von meinem Institut, ab wann die Länge per se ausreichend ist, und das wären bei Masterarbeiten bereits ca. 100 Seiten (wobei die Zeichenzahlen ausschlaggebend sind, nicht die Seitenzahlen). Tendenziell sind Masterarbeiten im Vergleich zu Magisterarbeiten eher kürzer geworden, auch wenn es immer Ausnahmen gibt. Dazu kommt die Sichtweise darüber, was eine Masterarbeit ist und tun soll. Ich kenne Institutsleiter, die strikt die Auffassung vertreten, dass eine Masterarbeit KEINE eigenständige Forschungsarbeit ist, auch keine Arbeit mit Primärquellen, sondern eine methodische Arbeit mit Sekundärliteratur. Da ist dann wieder relevant, was das entsprechende Fach bzw. der Betreuer vorschreiben. Im Prinzip kann mit der richtigen Quellenkrititk alles, ungeachtet des Jahrgangs, in den Diskurs einbezogen werden. Die Quellenkritik ist wiederum fachspezifisch, nicht zwingend themenspezifisch. Und schliesslich möchte ich noch am Rande anmerken, dass es bei Abschlussarbeiten immer eine grosse Spanne bei den Bewertungen gibt, was kein Urteil zur vorliegenden Arbeit darstellen soll. Wenn bei mir z.B. eine sehr gute Arbeit eingereicht wird, ermutige ich üblicherweise dazu, diese auch separat zu publizieren, aber sonst wird man im Leben meistens nicht mehr gefragt, was man so in seiner Masterarbeit geschrieben hat... zumindest nicht, wenn man in der Academia bleibt.
Beste Grüsse
Period.
Darüber, dass das Konstrukt einer "Autoethnographie" zwangsläufig keine wissenschaftliche Arbeit ermöglicht, da ihm die Tautologie immanent ist, braucht man sich da schon gar nicht mehr auslassen.
Dem darf ich insofern widersprechen, als dass Wissenschaftsdisziplinen ihre eigenen fachinternen Traditionen und Regeln haben. Der Terminus "unwissenschaftlich" ist an dieser Stelle daher unpassend, nachdem diverse Wissenschaftsdisziplinien, u.a. die Europäische Ethnologie (es gibt entsprechende Strömungen im Narrativ aber z.B. auch bei der Archäologie) einen grossen Fokus auf die Eigenperspektive legen, nachdem sie die Möglichkeit eines objektiven Betrachters von vorne herein negieren.
Beste Grüsse
Period.
Huangshan
15-06-2020, 09:43
period danke für deine Erläuterung.
Ich habe Ingenieurwissenschaften studiert und da sah,sieht es eben anders aus, deshalb meine Frage.
wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt, bleibt dumm! ;)
Gruss
Huangshan
marasmusmeisterin
15-06-2020, 09:51
Darüber, dass das Konstrukt einer "Autoethnographie" zwangsläufig keine wissenschaftliche Arbeit ermöglicht, da ihm die Tautologie immanent ist, braucht man sich da schon gar nicht mehr auslassen.
Da bist du nicht auf dem neuesten Stand der Theoriebildung in Sozial- und Kultur-, also Geisteswissenschaften. Da wird seit den Neunziger Jahren an, zusammengefaßt, >subjektzentrierten< Theorien gearbeitet. Wie gesagt, die Autoethnographie fängt gerade an, als wissenschaftliche METHODE (um die es hier ja geht) erarbeitet zu werden. Ich empfehle Heewon Chong, "Autoethnography as Method". Ohne es schon selbst gelesen zu haben.
Darüber hinaus dreht sich der arme Husserl bei der Verwendung des Begriffs Phänomenologie in dieser Arbeit im Grabe. .
Nein. Hier geht es nicht um Erkenntnisphilosophie im Geist Husserls, sondern um ... also die Fortsetzung Kants - wir erinnern uns, >Ding an sich< - in, siehe oben, subjektzentrierte Theorien zum Thema Leiblichkeit. Merleau-Ponty und... wie heißt der Schmidt vorne - Herbert? Hermann! - sind da Referenzgrößen. Ich empfehle Alloa, Bedorf, Grüny, Klass (Hrsg.) "Leiblichkeit".
Basst scho, göi.
Wenn man sieht dass Wu "nicht", "kein" usw. bedeutet, und Wei "tun", "erzeugen", "überwachen", "sein" (im Sinne von bedeuten), dann ist das keine Übersetzung sondern eine Interpretation der Bedeutung. So als würde man das deutsche Wort Fussball als "counterpressing and short-pass ball possession" übersetzen, statt als "football" oder "soccer". Das eine ist die Wortbezeichnung, das andere die Bedeutung.
Klaus, lies die Quelle die ich genannt habe („Chinesische Philosophie - Eine Einführung“ von Geldsetzer und Hong). „Nicht-Handeln“ ist „Bu Wei“ und nicht „Wu Wei“.
Die Leere, bzw. das Nichts, wirken lassen beinhaltet eben NICHT nichts zu tun, im Gegenteil. Man tut etwas, aber eben mit dem Blick auf die Harmonie von Yin und Yang welche aus dem Nichts entstehen.
marasmusmeisterin
15-06-2020, 10:08
So, ich hab ihr jetzt ein NETTE Einladung zu uns hier geschickt. Vielleicht hören wir wirklich noch was von ihr.
Weil sich dadurch die Transliteration von https://en.wiktionary.org/wiki/%E7%84%A1 "uuuuu" und https://en.wiktionary.org/wiki/%E7%82%BA#Chinese "uei" im Deutschen ändert ? Oder meinst du dass 無 das falsche Zeichen im Terminus ist ? Den Fehler hätte sie dann mit hunderten von anderen Leuten die es auch verwenden gemein, da wäre dann die Frage wo die das alle herhaben. Zugang zu Originalen von 300 v. Chr. habe ich leider nicht, da könnte man es erkennen.
Ich weiss was das bedeutet, und dass es eine Reaktion auf eine Konfrontation oder "challenging situation", "taboo break" usw. ist bei der man scheinbar nicht reagiert. Wobei es da noch die Unterformen "tatsächlich nicht reagieren" und "eine innere Verbindung eingehen bei der tatsächlich doch was passiert" gibt. Würde mich aber nicht überraschen wenn es dafür noch eigene spezielle Bezeichnungen gäbe.
Klaus, wie gesagt, lies was die beiden Autoren schreiben, sie erklären es sehr gut und Ihre Qualifikation ist über jeden Zweifel erhaben. Geldsetzer ist Professor für Philosophie und Hong Professor an der Akademie der Geisteswissenschaften in Beijing.
Ich denke mal schon dass die Wissen wie man „Wu“ zu übersetzen hat, zumal sie es ja auch sehr gut erklären.
Vielleicht interessant für den einen/die andere:
https://core.ac.uk/download/pdf/16427425.pdf
(Habe selbst nur ganz grob reingeschaut bisher.)
Vielen Dank. Ich fand's interessant wenngleich sie sich auch häufig wiederholt.
Liebe Grüße
DatOlli
Die Frau schreibt das doch selbst explizit an einer Stelle:
Der Strom der Gedanken lässt nach, das ’innere Radio’ wirdabgeschaltet. Ein Zustand wird erfahren, wo „wu wei er wu bu wei“ (Möller2001: 40), also ’Nicht-Handeln und nichts bleibt ungetan’, Teil derausdrücklichen Gewissheit wird.
Hinweis: der Satz stammt aus dem Daodejing, und lautet dort - dao chang wu wei er wu bu wei 道常無為而無不為
Hier stehen also gegenüber:
無為 wu wei
不為 bu wei
Bu: 不 "not" https://en.wiktionary.org/wiki/%E4%B8%8D#Glyph_origin
Vielleicht wird da eher fehlinterpretiert was "andere" über "wei wu wei" und "wuwei er wu buwei "meinen" ... hier steht der gleiche Gedanke, wie auch immer der Autor auf diese Idee kommt:
https://books.google.de/books?id=kNsZAwAAQBAJ&pg=PA214&lpg=PA214&dq=%22bu+wei%22+daoism&source=bl&ots=SBEMjBR19w&sig=ACfU3U3KQcxDadZ8gW-lEU6UUewLqexgKA&hl=en&sa=X&ved=2ahUKEwjS2Ofo4oPqAhUowqYKHesKAH8Q6AEwAHoECAUQA Q#v=onepage&q=%22bu%20wei%22%20daoism&f=false
Jedenfalls steht da im Kaiserpalast, von kundiger Hand vor einiger Zeit geschrieben, wuwei, in genau jenen Lettern:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c5/Wuwei.jpg
Ich gestehe jetzt ein, dass mir der Terminus "buwei" 不為 als feststehender historischer Begriff mit einer entsprechenden Schreibweise bisher nicht geläufig war. Da es inzwischen 50 jahre her ist dass ich das gehört habe, will ich nicht beschreien dass die murmelnden alten Männer von denen ich das gehört habe "buuh" und nicht "uuuh" gemurmelt haben.
Ein kundiger Sinologe kann ja was zur Geläufigkeit des Begriff 不為 darlegen, da ist mein Gedächtnis überfordert. Ich halte es aber für starken Tobak, der Frau einfach vorzuwerfen sie könnte 無為 nicht lesen, weil jemand in einem anderen Buch ohne jeden Grund anderen Leuten vorwirft sie würden wu und bu durcheinanderwerfen. Ich interpretiere mal frei, ich vollziehe eine innere, nicht gesprochene, mir nicht mal bewusste (ausser als Empfindung) Absicht aus der Verbindung zum Dao durch Nicht-Handeln, was sowohl tatsächlich gar nichts machen ausser Ruhe bewahren wenn einem jemand gegenübersitzt und von seinen (tatsächlichen, nicht erfundenen) Bluttaten vor Jahren erzählt, als auch innere Dialoge ohne Reden aufnehmen beinhaltet. Ich meine "die" hätten dafür einen anderen Begriff benutzt, bai jing ? Ist aber etwas her. Der Bluttäter aus dem Hooligan-Milieu, "Olli", hat sich hinterher bei mir bedankt, mit den Worten "Du bist cool, du hörst zu". Wirklich bewusst was ich "gemacht" habe war mir nicht, ich empfand es aber als gut. Sogar ziemlich gut, ich wäre liebend gerne wieder da, wo ich vor einem Vorfall vor 20 Jahren gewesen bin.
Klaus, was Du meinst zu wissen oder in den Begriff hineininterpretierst ist ziemlich wurscht.
Ein chinesischer Professor der chinesischen Philosophie übersetzt den Begriff Wu Wei mit „Das Nichts wirken lassen“ und eben nicht mit „Nicht-Handeln“. Im Gegenteil beide Autoren legen sehr schön dar warum Wu eben nicht mit “Nicht-Handeln” übersetzt werden sollte.
Auch wenn im Westen dieser Irrtum oft rumgeistert ist er eben nicht richtig. Im Yiquan und Bagua läßt man dieses “Wu” übrigens auch wirken, und auch dort hat es überhaupt nichts mit “Nicht-Handeln” zu tun.
Ich würde jetzt einfach mal sagen, "nicht-Handeln" im Sinne einer Nicht-Einmischung durch das selbstverhaftete Ich führt dazu, dass "das nichts wirken kann". Ist also eine Frage, welchen Teil des Geschehens man betrachtet.
"nicht-Handeln" im Sinne einer Nicht-Einmischung durch das selbstverhaftete Ich führt dazu, dass "das nichts wirken kann".
Exakt. Leider wird das halt oft nicht unterschieden, dabei werden diese intrapersonellen Dinge im Daoismus sehr differenziert betrachtet.
Der MENSCH selbst handelt, nur eben nicht aus dem selbstverhafteten Ich, sondern indem Xing wirkt und das Handeln bedingt.
Durch die Neue Age Welle wurde da halt ein “Nicht-Handeln” draus, eben weil tieferes Verständnis im Westen oft fehlte.
Ich vereinfache das nochmal, unabhängig davon was Frau Dingens gemeint oder interpretiert hat (was richtig, halbrichtig, falsch, oder Mehr- oder Mindermeinung sein mag, auch "die Wissenschaft" ist ja bekanntermassen nicht immer der gleichen Meinung):
無為 wu wei und不為 bu wei heisst beides wortwörtlich "nicht - handeln".
Unabhängig vom Kontext ist es also nicht "falsch", die entsprechende deutsche Transliteration zu verwenden, um den Begriff vor dem Erörtern zu erwähnen. Alles weitere ist eine Interpretation bzw. Bedeutungsdiskussion. Eine Kirche kann ein Gebäude oder eine Organisationsform sein, in beiden Fällen wäre die englische Bezeichnung "church" nicht falsch, egal ob die nachfolgende Diskussion von wem auch immer unterstützt wird. Ein Auto kann auch Ford heissen, obwohl es noch da ist.
無為 wu wei und不為 bu wei heisst beides wortwörtlich "nicht - handeln".
Nein. Der Kontext ist wichtig, und im daoistischen Kontext heißt Wu Wei “Das Nichts wirken lassen” und eben nicht “Nicht-Handeln”.
Wie Julian (der ja auch Sinologe ist und etwas von Philosophie versteht ;) ) es sehr schön zusammengefasst hat wirkt das Nichts durch das Nicht-Handeln des selbstverhafteten Ichs.
Es bedeutet ja damit eben nicht „Nicht-Handeln“ im Allgemeinen. Man kann sehr wohl Handeln und das Nichts wirken lassen. Das ist der entscheidende Punkt.
Wie Julian (der ja auch Sinologe ist und etwas von Philosophie versteht ;) ) es sehr schön zusammengefasst hat wirkt das Nichts durch das Nicht-Handeln des selbstverhafteten Ichs.
Danke. Japanologe! Aber wie hat ein bekannter Sinologie mal vertraulich gesagt: "Japanologen sind eh die besseren Sinologen." :blume:
(Wenngleich ich das nicht für mich in Anspruch nehmen mag.)
Aha, was ist denn Deiner Meinung nach die wörtliche Übersetzung von wu wei und welches Bedeutungsspektrum hat der Begriff im Daoismus bzw. den CMA im Allgemeinen und im Yiquan bzw. im Bezug auf die stehende Säule im Besonderen?
Kanken und Julian Braun haben dazu nun ja dankenswerterweise ausreichend geschrieben. Nur noch der Hinweis @Klaus, dass die Verbalnegation 不 nicht 無 entspricht, da 無 in dem modernen 沒有
sein Pendant findet. Der Begriff im Kaiserpalast widerspricht den oben genannten Übersetzungen in keinster Weise, sondern passt sehr gut in die Idealvorstellungen einer Regierung bei diversen Autoren der Huanglao-Tradition.
Eine Arbeit, die sämtliche Bedeutungsnuancen des Begriffs "wu wei" im Daoismus, also unter anderem Tianshi, Wudoumi, Quanzhen usw. umfasst wäre sicher spannend, aber wohl etwas zu umfangreich.
Dem darf ich insofern widersprechen, als dass Wissenschaftsdisziplinen ihre eigenen fachinternen Traditionen und Regeln haben. Der Terminus "unwissenschaftlich" ist an dieser Stelle daher unpassend, nachdem diverse Wissenschaftsdisziplinien, u.a. die Europäische Ethnologie (es gibt entsprechende Strömungen im Narrativ aber z.B. auch bei der Archäologie) einen grossen Fokus auf die Eigenperspektive legen, nachdem sie die Möglichkeit eines objektiven Betrachters von vorne herein negieren.
Beste Grüsse
Period.
Ich bin mir der unterschiedlichen Wissenschaftsdefinitionen diverser Disziplin durchaus bewusst und freue mich auch über die teilweise spannenden Ergebnisse der experimentellen Archäologie. Allerdings stehen experimentelle Archäologen meines Wissens nach in der Regel in regem Austausch mit bspw. Museen und Historikern, um ihre Ergebnisse entsprechend einzuordnen. Ähnliches gilt meines Wissens ja auch für die Ethnologie und deren Narrative. Bei einer Autoethnographie hingegen, stellt das eigene Erleben, das sich eben einer empirischen, logischen oder sonst einer Verifikation entzieht im Mittelpunkt, (Wenn es eine Testreihe autoethnographischer Experimente zu diesem Thema wäre, könnten wir uns dem Problem mit den Methoden der Sozialwissenschaften nähern.) sodass der Beobachtende zum "Historiographen" seiner selbst wird. Bei so etwas tue ich mir schwer, noch den Begriff der Wissenschaft zu verwenden, aber eine Diskussion über Wissenschaftstheorie gehört hier auch nicht rein. Ich habe mich aber, wie ich gern zugebe, ein wenig harsch ausgedrückt.
Nein. Hier geht es nicht um Erkenntnisphilosophie im Geist Husserls, sondern um ... also die Fortsetzung Kants - wir erinnern uns, >Ding an sich< - in, siehe oben, subjektzentrierte Theorien zum Thema Leiblichkeit. Merleau-Ponty und... wie heißt der Schmidt vorne - Herbert? Hermann! - sind da Referenzgrößen. Ich empfehle Alloa, Bedorf, Grüny, Klass (Hrsg.) "Leiblichkeit".
Basst scho, göi.
Danke, sonst wäre ich davon ausgegangen, eine erkenntnistheoretische Schrift im Sinne eines Freges oder Husserls vor mir zu haben. Auch hier habe ich ein wenig überspitzt formuliert. Der Begriff Phänomenologie ist nunmal - ob man das positiv finden mag oder nicht, sei dahingestellt - stark durch Hegel und Husserl geprägt. Insofern hätte ich zumindest eine ausführliche Fußnote erwartet, die hier eine Abgrenzung zu der vorherrschenden Verwendung des Begriffs liefert.
Es ist vermutlich sinnlos, aber die Deutung würde nur Sinn machen wenn zum Zeitpunkt als das Daodejing geschrieben wurde das 無為 bereits ein feststehender Alltagsbegriff aus älteren Texten und Lehren war, mit einer "klaren" Bedeutung im Alltag, und nicht mehr im Sinne der Einzelworte verwendet wurde. Dann erkläre doch mal einer wo da das Tu-Wort ist: 道 常 無 為.
Die Dame die so generös zerrissen wird verwendet das Wort erstens selbst als zusammengesetzten Konstrukt (Nicht-Handeln mit Bindestrich) und damit als deutschen Eigen-Kurznamen für ein Konstrukt mit 25 Worten und Nebensätzen (natürlich nur aus Gründen der wissenschaftlichen Vollständigkeit), und erwähnt anderen Ortes auch die Interpretation als "absichtsloses Tun". Was auch wieder verkürzt ist, und irgendwie erstaunlich nahe am "wirken lassen der Leere im grünen Kosmos der Dunkelheit" (!!! und nicht anders !!!) ist. Aber, natürlich hat sie die vollständige Wahrheit nicht verstanden, weil sie sie gar nicht ertragen kann.
Und jetzt lassen wir die Ente zu Wasser.
Und jetzt lassen wir die Ente zu Wasser.
https://www.youtube.com/watch?v=4pTITcV-Se8
Glaube die Bedeutung des Wu-Wei-Begriffes als Ideal bzw. dessen Auslegung hat sich über die Zeit mehrfach geändert, jedenfalls nach Edward Slingerland. Schon alleine bezogen auf das Verhältnis zwischen Übung und dem mühelosen Tun. Einmal ist die Rede davon alles künstliche komplett abzustreifen und gar nichts mehr irgendwie absichtlich zu tun, dann ist die Rede davon das man nicht an Grashalmen ziehen soll um denen beim wachsen zu helfen, oder davon, dass man Mühelosigkeit nur durch harte Arbeit erlangen kann. Wobei es auch nicht nur die Daoisten sind die den Begriff benutzen. Bin kein Sinologe offensichtlich, das ist nur was von Slingerlands Büchern hängen geblieben ist.
Pansapiens
15-06-2020, 21:20
Klaus, lies die Quelle die ich genannt habe („Chinesische Philosophie - Eine Einführung“ von Geldsetzer und Hong). „Nicht-Handeln“ ist „Bu Wei“ und nicht „Wu Wei“.
Die Leere, bzw. das Nichts, wirken lassen beinhaltet eben NICHT nichts zu tun, im Gegenteil. Man tut etwas, aber eben mit dem Blick auf die Harmonie von Yin und Yang welche aus dem Nichts entstehen.
An welcher Stelle in der Diplomarbeit wird denn wu wei mit "nichts tun" übersetzt?
Die Autorin zitiert einen chinesischen Professor:
"die Menschen sollten nicht wider die Natur handeln,
sondern durch ’Nichthandeln’ (wuwei) dem Gesetz der Natur folgen.“
und schreibt weiter:
Zusammenfassend ist klarzustellen, dass wu wei nicht den Gegensatz
zum Tun darstellt, was die Übersetzung ’Nicht Tun’ nahe legen könnte,
sondern im Kontrast zum „künstlichen, absichtlichen Tun steht“ (Chung
2006: 15).
So, ich hab ihr jetzt ein NETTE Einladung zu uns hier geschickt. Vielleicht hören wir wirklich noch was von ihr.
was kann daran nett sein, die Arme hierher einzuladen?:o
marasmusmeisterin
15-06-2020, 21:34
Bei einer Autoethnographie hingegen, stellt das eigene Erleben, das sich eben einer empirischen, logischen oder sonst einer Verifikation entzieht im Mittelpunkt, (Wenn es eine Testreihe autoethnographischer Experimente zu diesem Thema wäre, könnten wir uns dem Problem mit den Methoden der Sozialwissenschaften nähern.)
Da sprichst du ein Grundproblem aller Geisteswissenschaften, vulgo "Laberfächer", an. Der Ethnologe hat eben kein Labor bzw. normierbare Instrumente, ob physisch oder immateriell, aber er hat Methoden. Argumentieren, zitieren, Tagebücher schreiben, Interviews auswerten, emische Deutungen, Fachdiskussionen etc. zur Überprüfung - eben "Labern", bzw. Schreiben - aber eben nicht mit Narrativen arbeiten. Es sei denn die sind reflektiert, absichtlich eingesetzt etc. Aber das ist noch ein weiter Weg, die Methode etabliert sich ja gerade erst. Insbesondere im Bereich der bewegungsmäßigen Eigenwahrnehmung als Forscher und gleichzeitig Erforschtes eröffnen sich da aber ganz neue Perspektiven.
Im Übrigen bin auch ich bin der Meinung, daß gerade bei der Autoethnographie die Grenze zur Kunst wirklich dünn und durchlässig ist.
Pansapiens
15-06-2020, 21:35
Ich würde jetzt einfach mal sagen, "nicht-Handeln" im Sinne einer Nicht-Einmischung durch das selbstverhaftete Ich führt dazu, dass "das nichts wirken kann". Ist also eine Frage, welchen Teil des Geschehens man betrachtet.
Da würd' ich mal sagen: "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen". :hehehe:
marasmusmeisterin
15-06-2020, 21:48
"wirken lassen der Leere im grünen Kosmos der Dunkelheit" (!!! und nicht anders !!!)
Also wenn du dir DAS selbst ausgedacht hast (aber wozu dann die Anführungsstriche) - Respekt.
Du tupfst da mit leichter Hand Widersprüch hin, die sich - Metaebene- schließlich aufheben.
Leere oder Kosmos, grün oder dunkel : ja wattdennu?!
Beides. Und zwar gleichzeitig und immer. Wenn man davon ausgeht, daß die MÖGLICHKEIT zu all dem ständig vorhanden ist, also alles virtuell immer schon da ist, und bleibt.
Etwa so wie der Bastard Assistant from Hell eine Lehrveranstaltung ankündigt: die Veranstaltung findet solange in keinem Raum statt, bis jemand die Tür zu ihr öffnet. Dann findet sie hinter dieser Tür statt.
NEIN, ich hab nichts Falsches geraucht, aber ich liebe Zen-Buddhismus.
Es ist vermutlich sinnlos, aber die Deutung würde nur Sinn machen wenn zum Zeitpunkt als das Daodejing geschrieben wurde das 無為 bereits ein feststehender Alltagsbegriff aus älteren Texten und Lehren war, mit einer "klaren" Bedeutung im Alltag, und nicht mehr im Sinne der Einzelworte verwendet wurde. Dann erkläre doch mal einer wo da das Tu-Wort ist: 道 常 無 為.
Die Dame die so generös zerrissen wird verwendet das Wort erstens selbst als zusammengesetzten Konstrukt (Nicht-Handeln mit Bindestrich) und damit als deutschen Eigen-Kurznamen für ein Konstrukt mit 25 Worten und Nebensätzen (natürlich nur aus Gründen der wissenschaftlichen Vollständigkeit), und erwähnt anderen Ortes auch die Interpretation als "absichtsloses Tun". Was auch wieder verkürzt ist, und irgendwie erstaunlich nahe am "wirken lassen der Leere im grünen Kosmos der Dunkelheit" (!!! und nicht anders !!!) ist. Aber, natürlich hat sie die vollständige Wahrheit nicht verstanden, weil sie sie gar nicht ertragen kann.
Und jetzt lassen wir die Ente zu Wasser.
Das Chinesisch der Zhanguo-Zeit ist nahezu komplett monosyllabisch, auch wenn sich hier und da erste Ansätze hin zu bisyllabischen Konstruktionen ausmachen lassen. Zwischen einer Verbalnegation und einem Ausdruck für "nicht existent" besteht nunmal ein Unterschied. Das hat nichts aber auch gar nichts mit merkwürdigen Deutungen, die Du hier unterstellst zu tun. Vgl. http://hy.httpcn.com/html/kangxi/29/PWXVRNTBCQMECQPWCQ/ und http://hy.httpcn.com/html/kangxi/30/PWRNPWKOILMEPWKOPW/ - die Links zeigen das Spektrum halbwegs auf und das Kangxi Zidian ist nun wirklich weit davon entfernt, irgendwelche esoterischen Deutungen vorzunehmen. Der Morohashi wäre noch besser, aber für die Onlineversion sollte man wohl Japanisch können und daran mangelt es bei mir.
Auch die Analyse mithilfe unserer "Schulgrammatik" stößt schnell an ihre Grenzen, auch wenn es an vielen Unis nach wie vor so gelehrt wird. Insofern ist die Frage nach dem Verb eines Satzes hier nicht immer zielführend. Bei dem Beispiel 道 常 無 為 könnte ich 無 , das oftmals als Verbalpräfix klassifiziert wird, durchaus als Verb ansehen und müsste das üblicherweise verbal verwendete 為 entsprechend in der Übersetzung nominalisieren. Allerdings ist dies dann eher die Grammatik der Übersetzung. Sinnvoller wäre es, sich entweder der, wenn auch rudimentären Grammatik, die die Chinesen selbst für das Wenyan entwickelt haben zu bedienen, oder eine generische/Dependenzgrammatik zu nutzen. Letztere wird mittlerweile auch in einigen Fakultäten in den USA genutzt, um klassisches Chinesisch zu analysieren - bin da aber auch nicht mehr auf dem Laufenden, da meine Zeit als Student doch etwas zurückliegt. Bei Interesse an der Thematik kann ich den zwar alten, aber immer noch guten Gabelentz empfehlen. Alternativ: https://crossasia-books.ub.uni-heidelberg.de/xasia/reader/download/506/506-42-86246-2-10-20190822.pdf
Da sprichst du ein Grundproblem aller Geisteswissenschaften, vulgo "Laberfächer", an. Der Ethnologe hat eben kein Labor bzw. normierbare Instrumente, ob physisch oder immateriell, aber er hat Methoden. Argumentieren, zitieren, Tagebücher schreiben, Interviews auswerten, emische Deutungen, Fachdiskussionen etc. zur Überprüfung - eben "Labern", bzw. Schreiben - aber eben nicht mit Narrativen arbeiten. Es sei denn die sind reflektiert, absichtlich eingesetzt etc. Aber das ist noch ein weiter Weg, die Methode etabliert sich ja gerade erst. Insbesondere im Bereich der bewegungsmäßigen Eigenwahrnehmung als Forscher und gleichzeitig Erforschtes eröffnen sich da aber ganz neue Perspektiven.
Im Übrigen bin auch ich bin der Meinung, daß gerade bei der Autoethnographie die Grenze zur Kunst wirklich dünn und durchlässig ist.
Dann sind wir uns dahingehend offenbar weitestgehend einig. Ich wäre ja froh, wenn mehr Geisteswissenschaften ihre eigene Methodik derart kritisch hinterfragten wie bspw. die Historiker, um endlich den Ruf der "Laberfächer" loszuwerden. Als künstlerischer oder narrativer Ansatz, bietet Autoethnographie sicherlich Möglichkeiten, interessante Ergebnisse zu liefern, nur ist es m. E. dann eben Forschung und keine Wissenschaft, was ich hier gar nicht abwertend meine.
kloeffler
16-06-2020, 00:29
Mir ist der Bezug zur angewandten Kampfkunst nicht klar. Wen bringt so etwas in seiner eigenen Praxis weiter? Wäre vielleicht im Subforum „Sinologie“ besser aufgehoben. Geht ja anscheinend nicht um Yi Quan oder Xing Yi in dieser Diskussion, sondern um linguistische Feinheiten und akademischen Stolz. Darum werden mit Sicherheit die unvermeidlichen Karawanen- und Palastwächter anno dazumal auch gerungen haben ;-)
Wenn ich mich das nächste mal an italienischer Kochkunst versuche, werde ich vorher zumindest Machiavelli studieren. Wie das alle italienische Hausfrauen so machen. Nur um sicher zu gehen.
Unabhängig vom Kontext ist es also nicht "falsch", die entsprechende deutsche Transliteration zu verwenden, um den Begriff vor dem Erörtern zu erwähnen. Alles weitere ist eine Interpretation bzw. Bedeutungsdiskussion. Eine Kirche kann ein Gebäude oder eine Organisationsform sein, in beiden Fällen wäre die englische Bezeichnung "church" nicht falsch, egal ob die nachfolgende Diskussion von wem auch immer unterstützt wird. Ein Auto kann auch Ford heissen, obwohl es noch da ist.
Das erinnert mich an einen anderen Klassiker der chinesischen Philosophie, der mit der Frage "Kann man sagen, daß ein weißes Pferd kein Pferd ist?" beginnt, und ein Problem beschreibt, das überhaupt nur in der chinesischen Sprache besteht:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gongsun_Longzi
Ich bin kein Sinologe, aber mir scheint, die chinesische Sprache bezieht sich mit ihren Schriftzeichen so sehr auf reale Dinge, daß abstraktere nur sehr schwer auszudrücken sind (das hab' ich auch bei Bauer ("Geschichte der chinesischen Philosophie") gelesen). Und was dann wirklich gemeint ist, ist noch schwerer in eine westliche Sprache zu übersetzen, bzw. gar nicht. Es ist eben ein anderes Denken, das wir letztlich nicht vollständig nachvollziehen können. Hinzu kommt, daß Sprache und Denken der antiken Gelehrten nochmal ganz anders war als heute im Jahr 2020.
Für meinen Alltagsgebrauch finde ich "Nicht-Handeln" für "Wu wei" gar nicht so schlecht. Wie schon gesagt, wirkt dann, wenn man nicht handelt, das Nichts von selbst auf die Dinge ein.
Ich persönlich verstehe das so: Man beobachtet den natürlichen Lauf der Dinge, im Aikido z.B. wie der Gegner sich gerade bewegt. Dabei erfolgt dieses "Beobachten" gleichzeitig mit dem Verstand und der Intuition. Man handelt dann so lange nicht, bis genau der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Dann muß man nur noch eine minimale Bewegung machen, und die Dinge entwickeln sich scheinbar mühelos in eine für einen selbst günstige Richtung. So (https://lh4.googleusercontent.com/proxy/sC54XyCuiRKEMJIOi76QoTQ9S4lUHecCefJdywz4afItA819AG vttb121EtKjY2WkpmwIlxqxjx31kjfjUAzQKP6FL7RjD_czFCN 5t655aCXc1A).
Die Meditation (z.B. im Zhan Zhuang) hilft einem, den Geist freizubekommen, so daß er für den natürlichen Lauf der Dinge offen wird, und also die Intuition gesteigert wird.
Diese Prinzipien kann man z.B. auch in der Politik (Bismarck) oder an der Börse einsetzen. Will man z.B. Aktiengewinne machen, muß man die Lage des Unternehmens genau beobachten, und so lange nicht handeln, bis genau der richtige Zeitpunkt zum Kaufen gekommen ist, die Kurse also gerade auf dem Tiefpunkt sind. Reinstes Wu Wei. ;) Aber wie man weiß, gelingt das nicht immer, und die Börse ist keine Einbahnstraße.
So verstehe ich das. Und halte "Nicht-Handeln" für keine so schlechte Übersetzung. Eine wirklich gute kann es wahrscheinlich nicht geben.
Man kann das Gesagte aber auch gern korrigieren, wenn man es besser weiß. Ich lerne gern dazu.
Ich bin mir der unterschiedlichen Wissenschaftsdefinitionen diverser Disziplin durchaus bewusst und freue mich auch über die teilweise spannenden Ergebnisse der experimentellen Archäologie. Allerdings stehen experimentelle Archäologen meines Wissens nach in der Regel in regem Austausch mit bspw. Museen und Historikern, um ihre Ergebnisse entsprechend einzuordnen. Ähnliches gilt meines Wissens ja auch für die Ethnologie und deren Narrative. Bei einer Autoethnographie hingegen, stellt das eigene Erleben, das sich eben einer empirischen, logischen oder sonst einer Verifikation entzieht im Mittelpunkt, (Wenn es eine Testreihe autoethnographischer Experimente zu diesem Thema wäre, könnten wir uns dem Problem mit den Methoden der Sozialwissenschaften nähern.) sodass der Beobachtende zum "Historiographen" seiner selbst wird. Bei so etwas tue ich mir schwer, noch den Begriff der Wissenschaft zu verwenden, aber eine Diskussion über Wissenschaftstheorie gehört hier auch nicht rein. Ich habe mich aber, wie ich gern zugebe, ein wenig harsch ausgedrückt.
Ich bezog mich prinzipiell mehr auf die Strömung der Post-Processual Archaeology nach Ian Hodder, die den individuellen Zugang und das individuelle Verständnis betont. Ich persönlich bin tatsächlich der Meinung, dass die Kollegen da ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen sind und bevorzuge einen Zugang, der im weitesten Sinne experimentell ist (post processual archaeology: "Wir sind alle Menschen, daher können wir andere Menschen und ihre Motive verstehen, auch wenn es letztlich keine Sicherheit geben kann"; experimentalarchäologischer Zugang [frei ausgelegt] "Mit ähnlichem Hintergrund- z.B. altes Handwerk, traditionelle Landwirtschaft etc. - ist es möglich, konkrete Arbeitsschritte und bestimmte Aspekte in Hinblick auf Standortwahl etc. im Einzelnen nachzuvollziehen und auch zu prognostizieren."). Teil der wissenschaftlichen Theorie im Fach ist aber beides. Es gibt durchaus gewissen Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Methoden, denn in beiden Fällen beschreibt man, was man denn selbst tut und ggf. auch empfindet, ob das nun abstrakt ist (post-processual) oder sehr konkret (z.B. "Die Schneideigenschaften einer frisch geschlagenen Feuersteinklinge sind überraschend gut und können eine frisch geschliffene Stahlklinge sogar übertreffen, auch wenn Arbeit damit über längere Zeit zu Druckstellen an den Händen führen kann. Durch einen Lederflecken, eine Holzschäftung o.ä. lässt sich dieses Problem aber weitestgehend umgeben."). Auch in der Landschaftsarchäologie gibt es Ansätze, die in diese Richtungen gehen.
Beste Grüsse
Period.
Geht ja anscheinend nicht um Yi Quan oder Xing Yi in dieser Diskussion, sondern um linguistische Feinheiten und akademischen Stolz. Darum werden mit Sicherheit die unvermeidlichen Karawanen- und Palastwächter anno dazumal auch gerungen haben ;-)
Daoistische und buddhistische Ideen spielen eine wichtige Rolle im XingYi, Yiquan und Bagua und sind elementarer Bestandteil der Didaktik. Im Yiquan werden sie halt oft nicht mehr mit “den alten Begriffen” benannt, da WXZ die Sprache “modernisiert” hat, das Wesen der Ideen ist aber immer noch vorhanden und Kern der Lehre.
Deswegen ist es schon essentiell ob man, wenn man schon die “alten Begriffe” nutzt, das Wesen der Begriffe verstanden hat.
Wenn dann jemand sagt Wu Wei sei “Nicht-Handeln”, dann zeigt dass einfach dass da jemand ganz essentielle Dinge nicht vermittelt bekommen hat.
kloeffler
16-06-2020, 07:20
Daoistische und buddhistische Ideen spielen eine wichtige Rolle im XingYi, Yiquan und Bagua und sind elementarer Bestandteil der Didaktik. Im Yiquan werden sie halt oft nicht mehr mit “den alten Begriffen” benannt, da WXZ die Sprache “modernisiert” hat, das Wesen der Ideen ist aber immer noch vorhanden und Kern der Lehre.
Deswegen ist es schon essentiell ob man, wenn man schon die “alten Begriffe” nutzt, das Wesen der Begriffe verstanden hat.
Wenn dann jemand sagt Wu Wei sei “Nicht-Handeln”, dann zeigt dass einfach dass da jemand ganz essentielle Dinge nicht vermittelt bekommen hat.
Mag sein. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, daß die Kämpfer damaliger Zeiten, die ja eher aus wenig gebildeten Schichten stammten, so tief in die daoistische Gedankenwelt (im Sinne von "akademischer Theologie") eingestiegen sind wie die Ausübenden heutiger Zeit (sowohl in China als auch hier im Westen), zumal ja das Xing Yi Quan auch in einem muslimischen Kontext steht. Damals wurde sicherlich nicht so ein Brimborium um Worte gemacht.
... vielleicht stoße mich an der Nutzung dieser "alten Begriffe". Ich unterstelle mal, daß es einem Gros derer, die damit um sich werfen, eher um Selbstdarstellung als um Praktikabilität geht.
Dong Haichuan war extrem in dieser Welt drin. Der hat massig daoistische Rituale praktiziert (Mudras, Talismane etc.).
Religion war früher in allen Schichten Chinas omnipräsent und hat den Alltag aller Menschen bestimmt und natürlich auch die Kampfkunst!
kloeffler
16-06-2020, 08:18
DHQ war extrem in dieser Welt drin. Der hat massig daoistische Rituale praktiziert (Mudras, Talismane etc.).
Religion war früher in allen Schichten Chinas omnipräsent und hat den Alltag aller Menschen bestimmt und natürlich auch die Kampfkunst!
Da ging es aber eher um Volksglauben als um einen akademischen Diskurs, wie er heute geführt wird. Soweit ich weiß ist der religiöse Daoismus weit vom philosophischen Daoismus entfernt.
Aus heutiger Sicht in die Geisterwelt dieser Zeiten abzutauchen halte ich für mehr als problematisch - Theoretisieren ist da wahrscheinlich nicht hilfreich.
Für mein Training erachte ich das nicht für zielführend - ich habe da noch ausreichend handfeste Baustellen zu bearbeiten.
Huangshan
16-06-2020, 09:17
Ich wäre ja froh, wenn mehr Geisteswissenschaften ihre eigene Methodik derart kritisch hinterfragten wie bspw. die Historiker, um endlich den Ruf der "Laberfächer" loszuwerden.
Ja die Brotlosenkünste und die ewigen Diskussionen!
Aber was wäre ein Forum ohne lange Romane und Debatten....;)
Religion war früher in allen Schichten Chinas omnipräsent und hat den Alltag aller Menschen bestimmt und natürlich auch die Kampfkunst!
Ergänzend:
Es gab früher nur wenige Literaten d.h. Leute die z.B. den Daoismus als Philosophie verstanden haben, die Mehrheit bestand aus Analphabeten die
Anhänger verschiedener Volksglaubensrichtungen(Mischung z.B. aus Ahnenkult,Konfuzianismus,Daoismus,Buddhismus, Schamanismus, Animismus etc. je nach Gegend und Volkszugehörigkeit) oder Anhänger verschiedener rel. Geheimbünde waren,Ausnahmen siehe Buddhisten, Moslems,Christen etc. in China.(In der VR China leben über 90 Ethnien mit verschieden Kulturen ,Glaubensrichtungen etc.)
Seit der Republikanischen Zeit und dann in der VR China wurden auch die Volksmassen in Schulen unterrichtet.(Rückgang des Analphabetismus)
Also nur wenige befassten sich mit dem philosophischen Daoismus und konnten die Werke lesen,verstehen.....
Als Einstieg zum Thema :
https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/ID101323751.html
PS: Heutzutage gibt es in der VR China viele Atheisten, Elemente aus dem Volksglauben werden aber weiter praktiziert und sind stark in ländlichen Regionen präsent wie ich es selber feststellen konnte.
Da ging es aber eher um Volksglauben als um einen akademischen Diskurs, wie er heute geführt wird. Soweit ich weiß ist der religiöse Daoismus weit vom philosophischen Daoismus entfernt.
Das ist richtig, aber auch im Volksglauben spielt natürlich Wuwei eine Rolle, ebenso die Hun und Po Seelen, Dämonen etc.
Da wurde diese Dinge nur sehr handfest in das Alltagsleben integriert und bestimmten die Abläufe des Tages, Trainings etc.
Mir ist der Bezug zur angewandten Kampfkunst nicht klar. Wen bringt so etwas in seiner eigenen Praxis weiter?
Vergleiche es einfach mit 'Flow'.
Wenn du durch dein Ego beschränkt bist, dann agierst du nicht spontan genug.
Einfaches Beispiel wäre einer der nicht tanzen kann. Er hat Angst sich zu blamieren, denkt er könne es nicht und versteift sich deswegen sosehr, dass die er die Musik nicht fühlen kann.
Geschieht das im Kampf kann das nicht gut gehen.
Oder nehmen wir den Waffenkampf als Beispiel. Hast du Angst zu sterben oder jemanden zu verletzen wirst du nicht richtig reagieren. Bist du hingegen übermütig, selbstverliebt und meinst du seist sowieso besser, dann wird es ebenso gefährlich.
Eine aus dem Augenblick geborene Technik verstehe ich ebenso in diesem Kontext.
Alles in allem ergibt sich daraus eine wichtige Komponente die etwas Aufmerksamkeit verdient.
Ob das jezt in welcher Wissenschaft auch immer korrekt ist, ist mir egal. Für mich macht das absolut Sinn und daraus ziehe ich einen Mehrwert.
kloeffler
16-06-2020, 11:53
Das ist richtig, aber auch im Volksglauben spielt natürlich Wuwei eine Rolle, ebenso die Hun und Po Seelen, Dämonen etc.
Da wurde diese Dinge nur sehr handfest in das Alltagsleben integriert und bestimmten die Abläufe des Tages, Trainings etc.
Klar. In diesem Thread wurde aber bisher Wu Wei als philosophischer Begriff diskutiert. Volksglauben (besonders die „Patchwork“-Religion Daoismus) hat es aber an sich, daß die Gläubigen die Begriffe und Symbole mit Sinn füllen und nicht andersrum. Siehe auch die Heiligenverehrung im katholischen Volksglauben. Daher wurden diese Begriffe wohl in verschiedenen Zeiten und Orten höchst individuell interpretiert. Je nach Situation, der man sich als Gläubiger gegenüber sieht. Hier einen allgemein gültigen Sinn postulieren zu wollen halte ich für verfehlt.
kloeffler
16-06-2020, 13:02
Ob das jezt in welcher Wissenschaft auch immer korrekt ist, ist mir egal. Für mich macht das absolut Sinn und daraus ziehe ich einen Mehrwert.
Wenn es Dir hilft einen exotischen Terminus zu verwenden, um die von Dir genannten Fähigkeiten zu verbessern, ist das doch prima.
Andererseits besteht in meinen Augen besonders in den sogenannten traditionellen Kampfkünsten die Gefahr, sich selbst etwas vorzumachen und seine eigene „Kunst“ zu überhöhen, indem man mit eben diesen esoterisch anmutenden Begriffen hantiert.
Bei mir schrillen die Alarmglocken, wenn sich jemand im Besitz der Deutungshoheit wähnt und meint familienübergreifend für andere Substile des selben Systems oder gleich ganz für die chinesischen Kampfkünste im Allgemeinen zu sprechen. Diese Kultur ist einfach zu divers, als das man sie über einen Kamm scheren könnte.
Hier wurde ja schon mehrmals die experimentelle Archäologie erwähnt. Finde da den Gedanken interessant, dass der "Daoismus" ursprünglich vielleicht nur ein Versuch war universelle, kulturunabhängige Grundprinzipien des Lebens mit Hilfe kulturabhängiger Bilder zu erklären. Wobei ich dann denken würde, dass es eine gute Idee sein könnte diese Grundprinzipien unabhängig vom kulturellen Rahmenprogramm zu erforschen und dann erst die Nomenklatur in Kontext zu setzen. Also anstatt sich direkt daran aufzuhängen. Vorausgesetzt der "Daoismus" ist tatsächlich erfahrbar für jemanden der nie etwas von China und so weiter gehört hat.
Pansapiens
16-06-2020, 21:06
Mir ist der Bezug zur angewandten Kampfkunst nicht klar. Wen bringt so etwas in seiner eigenen Praxis weiter? Wäre vielleicht im Subforum „Sinologie“ besser aufgehoben. Geht ja anscheinend nicht um Yi Quan oder Xing Yi in dieser Diskussion, sondern um linguistische Feinheiten und akademischen Stolz. Darum werden mit Sicherheit die unvermeidlichen Karawanen- und Palastwächter anno dazumal auch gerungen haben ;-)
In irgend so einem Buch, das Laotse nicht geschrieben hat, steht ja auch "wer weiß redet nicht und wer redet, weiß nicht".
(Eventuell eine Falschübersetzung von "Wer Scheiß redet, weiß nicht", oder so...)
Ein anderer Daoist, stellte sich darauf hin die IMO nahe liegende Frage, warum denn jemand, der dieser Ansicht ist, ein Buch über Daoismus verfasst.
Jetzt wo wir wissen, dass Laotse das Buch gar nicht geschrieben hat, ergibt das natürlich wieder Sinn....:idea:
Hier einen allgemein gültigen Sinn postulieren zu wollen halte ich für verfehlt.
Das musst Du jetzt nur noch dem chinesischen Philosophieprofessor erklären... :biglaugh:
Wuwei hat auch im Volksglauben nix mit Nicht-Handeln zu tun. Auch da soll man das Nichts wirken lassen.
Im Volksglauben werden da nur die konkreten körperlichen Übungen dazu betont und es wird weniger theoretisiert. Inhaltlich bleibt es dennoch gleich. Wuwei ist Wuwei und nicht Buwei.
Wuwei hat auch im Volksglauben nix mit Nicht-Handeln zu tun. Auch da soll man das Nichts wirken lassen.
Wiki:
Er wird definiert als Nichthandeln im Sinne von „Enthaltung eines gegen die Natur gerichteten Handelns“.
Du hängst zu sehr an exakt definierten Begrifflichkeiten. Sprache kommt aus dem Leben und Leben ist dynamisch, das darf interpretiert werden. Erst war mal was, dann kam das Wort dazu.
Müsste man jedes gesprochene Wort immer erst definieren und erklären käme man nicht voran.
Jede Kultur, jede Person füllt ein Wort mit eigenen Erfahrungen. Fehlen solche Erfahrungen müssen externe Quellen herbeigezogen werden und ein wirkliches Verständnis wird einem verwehrt.
Das musst Du jetzt nur noch dem chinesischen Philosophieprofessor erklären... :biglaugh:
Wuwei hat auch im Volksglauben nix mit Nicht-Handeln zu tun. Auch da soll man das Nichts wirken lassen.
Im Volksglauben werden da nur die konkreten körperlichen Übungen dazu betont und es wird weniger theoretisiert. Inhaltlich bleibt es dennoch gleich. Wuwei ist Wuwei und nicht Buwei.
Och, ich glaube, das wäre recht einfach. Auch wenn sich der Signifikant, in diesem Falle das Graphem, seit über 2.000 Jahren (die Kurzzeichen mal außenvor) nicht geändert hat, ist es mehr als zweifelhaft, ob ein Daoist der Tianshi-Schule während der Han-Dynastie den Begriff genauso verstand, wie ein Anhänger der Quanzhen-Schule in der Song-Zeit, der sich wohl wiederum von unserer Lesart unterscheidet. Insofern sind wir, wenn wir "wu wei" als Teil des Trainings benutzen, wieder am Anfang, nämlich dem autoethnographischen Narrativ. Ob das nun einen direkten Bezug zum Training aufweist, mag ein jeder für sich definieren. Ich trenne die Beschäftigung mit chinesischer Kultur von meinem Training, auch wenn es hier und da Vorteile hat, sich damit auseinandergesetzt zu haben, finde die sich entwickelnde Diskussion dazu aber interessant.
Ja die Brotlosenkünste und die ewigen Diskussionen!
... so brotlos sind die gar nicht, ich habe schon Tagungen mit wirklich sagenhaften Buffets erlebt :-§ Die kulinarischen Vorlieben nicht weniger Angehöriger der aktuellen Professoren-Generation sind auch so offenkundig erkennbar, dass man mit wiederholt darauf hingewiesen hat, ich müsse noch beträchtlich an meinem "professoralen Umfang" arbeiten, sonst würde nie was aus mir! :D Das gibt dem Begriff "akademisches Schwergewicht" eine ganz andere Bedeutung...
Beste Grüsse
Period.
kloeffler
17-06-2020, 00:00
Das musst Du jetzt nur noch dem chinesischen Philosophieprofessor erklÄren... :biglaugh:
Wuwei hat auch im Volksglauben nix mit Nicht-Handeln zu tun. Auch da soll man das Nichts wirken lassen.
Im Volksglauben werden da nur die konkreten körperlichen Übungen dazu betont und es wird weniger theoretisiert. Inhaltlich bleibt es dennoch gleich. Wuwei ist Wuwei und nicht Buwei.
Ich bin da bestimmt nicht so gut im Thema wie Du. Wenn man sich aber bspw. einmal die Geschichte des frühen Christentums zu Gemüte führt, sieht man, daß die zentralen Begriffe von Anbeginn verschieden verstanden und kontrovers diskutiert wurden - und zwar von den führenden Apologeten (z.B. erstes Konzil von Nicäa). Beim einfachen Volk werden die religiösen Vorstellungen noch vielfältiger gewesen sein.
Ich wüsste nicht, warum das beim religiösen Daoismus anders gewesen sein sollte, muss aber zugeben, dass ich nur oberflächlich informiert bin.
Na ja, Jesus ist ja auch nicht in Bayern Gottes Sohn und in Schleswig-Holstein der Cousin 2. Grades.
Bestimmte Dinge sind schon essentiell...;)
kloeffler
17-06-2020, 06:39
Na ja, Jesus ist ja auch nicht in Bayern Gottes Sohn und in Schleswig-Holstein der Cousin 2. Grades.
Bestimmte Dinge sind schon essentiell...;)
Aber erst seitdem sich die katholische Kirche durchgesetzt hat.
Vorher war Jesus bei einer Fraktion menschlicher Natur, bei einer andern göttlicher Natur, bis sich irgendwann bei den vorherrschenden Vertretern auf die Zwei-Naturen-Lehre geeinigt wurde und in Folge alle anders Glaubenden als Häretiker diskreditiert wurden. So ist das nunmal mit der Deutungshoheit ;-)
Essentieller geht es wohl kaum.
Wenn man dann noch Islam und Christentum als Sekten, die sich aus dem Judentum heraus entwickelt haben, betrachtet, sind wir schnell in dem Bereich „Cousin 2. Grades“ ...
Mir ist das Konzil von NIcäa sehr wohl bewusst und mir ging es auch nicht um die göttliche Natur, sondern um die Verwandschaftsverhältnisse.
Im Christentum wird Jesus als Gottes Sohn angesehen und natürlich gibt es auch da, vor allem in der christlichen Mystik, auch Stimmen die nicht an die direkten Göttlichkeit festhalten, sondern uns alle ebenfalls als Gottes Kinder sehen (Brüder und Schwestern) und damit auf den göttlichen Funken in uns allen verweisen. Das wird nur von der Kirche nicht gerne gesehen, da wir ja eigentlich schon alle erlöst sind und keine Ablassbriefe brauchen. Christentum ist das dennoch und Gottes Sohn ist da auch essentiell.
Kernpunkte sind halt gleich und Wuwei ist so ein Kernpunkt.
Na ja, Jesus ist ja auch nicht in Bayern Gottes Sohn und in Schleswig-Holstein der Cousin 2. Grades.
Bestimmte Dinge sind schon essentiell...;)
Schlußendlich ist es gar nicht so anders. Sowohl Thomas von Aquin als auch Nikolaus von Kues sind beide katholische Scholasten, aber ihre Gottesbilder äußerst verschieden, obwohl beide sich auf Aristoteles berufen. Man füge bei von Kues lediglich noch ein Prise Neoplatonismus nach Plotin (das Eine - τὸ ἕν - als Coincidentia oppositorum) hinzu und schon sind wir bei grundlegenden Unterschieden. Anders ist es in der Historie des Daoismus, unter anderem durch den Einfluss diverser buddhistischer und auch neokonfuziuanischer Schulen auch nicht, zumal es hier trotz der großen Vielfalt an Interpretationen keinen organisierten "theologischen" Diskurs gibt bzw. gab. Insofern halte ich es für schwer, eine Deutung für sämtliche Strömungen des Daoismus für die letzten ~2.600 Jahre zu postulieren. Eine übergreifende Kategorie bzw. eine Bandbreite reicht für unsere Zwecke aber auch aus, denn alles andere erfordert eine äußerst detaillierte Untersuchung des Begriffs und müsste u.a. auch dialektale Unterschiede des klassichen Chinesisch einbeziehen und da wird es gerade für die Zhanguo-Periode ziemlich dünn.
Wenn wir es als Kernpunkt ansehen, dessen Bedeutung und Interpretation eben changiert, können wir, glaube ich, alle gut damit leben.
kloeffler
17-06-2020, 07:54
Kernpunkte sind halt gleich und Wuwei ist so ein Kernpunkt.
Der Kernbegriff im Christentum ist "Erlösung". Und der wird in den verschiedenen Spielarten mit unterschiedlichem Sinn gefüllt. Die Bandbreite reicht da von "Jesus hat mit seiner Kreuzigung gleich alle Christen in einem Abwasch miterlöst" bis hin zu "der Christ soll ordentlich rackern und sich seine Erlösung gefälligst selbst verdienen".
Das Bild vom Jenseits, daß sich die Menschen konstruiert haben, war übrigens vor der "Gleichschaltung" durch die katholische Kirche, nicht festgelegt.
... und sah sicherlich nicht so aus:
https://www.tagesspiegel.de/images/heprodimagesfotos810220161106s4_paradies_3195_1_20 161020190441566-jpg/14767060/3-formatOriginal.jpg
... und auch nicht so ..
https://i.pinimg.com/236x/ef/14/f9/ef14f9090cd5a17d2782b76c3d58b72d.jpg
Hölle und Fegefeuer sind nach meiner Erinnerung auch erst im Laufe der Zeit hinzugekommen und wurden als Drohkulisse gegenüber den Schäfchen genutzt.
Da hat die Fraktion, die sich gegen die anderen Strömungen durchgesetzt hat, bis in die Neuzeit hinein immer wieder erheblich an der Bedeutung des im Zentrum stehenden Begriffs der Erlösung manipuliert.
Ein typisch menschliches Vorgehen, daß in meinen Augen einen Vergleich mit der Geschichte des religiösen Daoismus zulässt.
Bücherwurm
17-06-2020, 09:47
... und sah sicherlich nicht so aus:
https://www.tagesspiegel.de/images/heprodimagesfotos810220161106s4_paradies_3195_1_20 161020190441566-jpg/14767060/3-formatOriginal.jpg
... und auch nicht so ..
https://i.pinimg.com/236x/ef/14/f9/ef14f9090cd5a17d2782b76c3d58b72d.jpg
Hölle und Fegefeuer sind nach meiner Erinnerung auch erst im Laufe der Zeit hinzugekommen und wurden als Drohkulisse gegenüber den Schäfchen genutzt.
Da hat die Fraktion, die sich gegen die anderen Strömungen durchgesetzt hat, bis in die Neuzeit hinein immer wieder erheblich an der Bedeutung des im Zentrum stehenden Begriffs der Erlösung manipuliert.
Ein typisch menschliches Vorgehen, daß in meinen Augen einen Vergleich mit der Geschichte des religiösen Daoismus zulässt.
Interessant, wo das hier hingeht.
Bei den Katholiken wird selbst heute noch an den Definitionen geschraubt und der letzte Papst hatte die Vorhölle für ungetaufte Kinder abgeschafft.
Es hat auch alles eine Macht-Komponente. Wenn du eine etablierte Priesterkaste hast, die von bestimmten Glaubensinhalten profitiert und einen angenehmen Lebensstil pflegt, dann wird die bestimmt nicht weniger autoritär werden und irgendwann sagen, ihr braucht uns eigentlich gar nicht, oder, Gott ist für jeden individuell ohne Mittelsmann fassbar. In der Hinsicht ist vielleicht spannend inwiefern irgendwelche Labersäcke bzw. Hochstapler ihren Fußabdruck in der Folklore hinterlassen haben. Im Bezug zum Daoismus ist man noch vor ein paar Jahren bei einem magisch angehauchten Scammer gelandet, wenn man [auf Youtube] nach einer Definition gesucht hat. Vielleicht weiß hier einer wen ich meine, auf jeden Fall ist dessen zweifelhafter Lebensstil irgendwann öffentlich geworden.
Soll nicht heißen der authentische Kram würde nicht existieren, aber manche nutzen es um Geld zu machen und früher wird es auch nicht anders gewesen sein. Da schafft man Abhängigkeiten und stellt Dienstleistungen in Kasse, deren Notwendigkeit man selber erst geschaffen hat. Meinetwegen die Austreibung irgendwelcher bösen Geister oder die [spirituelle] Reinigung irgendwelcher Lokalitäten. Ist jedenfalls mein ungebildeter Eindruck.
kloeffler
17-06-2020, 13:30
Wenn wir es als Kernpunkt ansehen, dessen Bedeutung und Interpretation eben changiert, können wir, glaube ich, alle gut damit leben.
Danke! Genau darauf will ich hinaus mit meinem Christentum-Vergleich. Begriffe bleiben, Inhalte ändern sich. Wäre doof, wenn nicht.
Soll nicht heißen der authentische Kram würde nicht existieren, aber manche nutzen es um Geld zu machen und früher wird es auch nicht anders gewesen sein. Da schafft man Abhängigkeiten und stellt Dienstleistungen in Kasse, deren Notwendigkeit man selber erst geschaffen hat. Meinetwegen die Austreibung irgendwelcher bösen Geister oder die [spirituelle] Reinigung irgendwelcher Lokalitäten. Ist jedenfalls mein ungebildeter Eindruck.
Und heute müssen selbst Unternehmen Kirchensteuer bezahlen.
Oder schaut mal bei der nächsten Lohnumfrage was ein Pfarrer verdient im Vergleich zur Privatwirtschaft.
Gib mir deine irdischen Güter und ich erlöse dich von deinem Leid.
carstenm
17-06-2020, 17:10
Und heute müssen selbst Unternehmen Kirchensteuer bezahlen.Kannst du ausführen, worauf du diese Aussage gründest? Und kannst du ggf. eine Quelle verlinken?
Ich bin nicht so firm in Verwaltungsangelegenheiten. Aber es ist mein Kenntnisstand, daß seit einem Urteil des BVG in den 60er Jahren nur Einzelpersonen Mitglied und damit kirchensteuerpflichtig sein können.
Oder schaut mal bei der nächsten Lohnumfrage was ein Pfarrer verdient im Vergleich zur Privatwirtschaft.Kannst du etwas ausführen, was du mit Vergleich sagen möchtest?
Ich verdiene als evangelischer Pastor, angestellt in einer diakonischen Einrichtung, etwas weniger als ein Studienrat. Wie ordnest du das für dich ein?
Kannst du ausführen, worauf du diese Aussage gründest? Und kannst du ggf. eine Quelle verlinken?
Ich bin nicht so firm in Verwaltungsangelegenheiten. Aber es ist mein Kenntnisstand, daß seit einem Urteil des BVG in den 60er Jahren nur Einzelpersonen Mitglied und damit kirchensteuerpflichtig sein können.
Kirchensteuer (https://de.wikipedia.org/wiki/Kirchensteuer_(Schweiz))
Kannst du etwas ausführen, was du mit Vergleich sagen möchtest?
Ich verdiene als evangelischer Pastor, angestellt in einer diakonischen Einrichtung, etwas weniger als ein Studienrat. Wie ordnest du das für dich ein?
Medianlohn (https://www.jobs.ch/de/lohn/?canton=CH&term=pastor)
Musst nicht weit suchen. Finden sich etliche Links bei Google.
carstenm
17-06-2020, 17:54
Ah, merci vielmals.
Schweiz ... ok ... das ist denn doch in Deutschland sehr deutlich sehr anders.
Gibt hier seit etwa fast 20 Jahren kein 13. Monatsgehalt mehr.
Und was da an "Nebenleisungen" steht ... erstaunlich ...
Hier muß ein Pastor Miete für sein Pfarrhaus zahlen.
Rabatte und Aktien? lol
Essensvergünstigungen? Ich muß die Kantinenpreise als geldwerten Vorteil versteuern ...und fahren tue ich mit meinem Privatwagen ...
Wow. Klingt ja wie im Paradies.
Nur schade, daß ihr da keine Küste habt ... ;-)
Jedenfalls: Ist offenbar eher ein schweizer Ding. Und ich dachte schon uns ginge es Gold hier.
Gottes Gesezte scheinen nicht allgemeingültig zu sein.
Bücherwurm
17-06-2020, 18:28
Gottes Gesezte scheinen nicht allgemeingültig zu sein.
:biglaugh:
carstenm
18-06-2020, 10:27
Ich persönlich verstehe das so: Man beobachtet den natürlichen Lauf der Dinge, im Aikido z.B. wie der Gegner sich gerade bewegt. Dabei erfolgt dieses "Beobachten" gleichzeitig mit dem Verstand und der Intuition. Man handelt dann so lange nicht, bis genau der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Dann muß man nur noch eine minimale Bewegung machen, und die Dinge entwickeln sich scheinbar mühelos in eine für einen selbst günstige Richtung.Das beschreibt m.E. weder aikidô zutreffend, noch das, was auf dem verlinkten Bild zu sehen ist. Noch trifft es m.E. die Bedeutung dessen, was wu wei meint.
So verstehe ich das. Und halte "Nicht-Handeln" für keine so schlechte Übersetzung. Eine wirklich gute kann es wahrscheinlich nicht geben.Sowohl von den aikidô Lehrern, bei denen ich übe, als auch in der nei gong Schule, in der ich übe, wird wuwei ausnahmlos übersetzt mit "das Nicht(s) handeln (lassen)".
Das ist natürlich nur dann sinnvoll möglich, wenn man eine Vorstellung davon hat, was dieses "Nicht(s)", das da handeln soll, denn überhaupt sei. In der Sprache von Ueshiba Morihei - der einer shintô Sekte angehörte, die daoistische Wurzeln hat - findet man Entsprechungen in der "Einheit von Himmel und Erde" oder dem "Universum" und dergleichen Sprachbildern. Daß da nicht einfach z.B. wuji steht oder dao oder dergleichen, hat wohl damit zu tun, daß bei ihm die Kosmologie des shintô integriert ist mit der des Daoismus. Es ist also alles nochmal etwas verschwurbelter. Nichtsdestotrotz ist der Gedanke derselbe: Das Universum sorgt für sich, das Nicht(s) handelt (vergl. z.B. ddj 32; insb. 天地相合).
Dort wo ich übe, hat das dann auch eine ganz praktische Relevanz. "Nicht handeln" oder "das Nicht(s) handeln lassen" sind konkrete unterschiedene Übungsmethoden.
Es geht eben gerade nicht um Passivität im Sinne z.B. von "man handelt dann so lange nicht, bis ..." (und dann aber erst recht, wenn auch minimal). Sondern es geht um eine Aktivität, die aber nicht aus meinem Ego heraus geschieht. Sondern aus dem "wahren Selbst" oder dem Nicht-Ich. Was das konkret physisch meint, wird durch Übungen unterrichtet und geübt.
Lubo ILC
18-06-2020, 10:28
Daoistische und buddhistische Ideen spielen eine wichtige Rolle im XingYi, Yiquan und Bagua und sind elementarer Bestandteil der Didaktik. Im Yiquan werden sie halt oft nicht mehr mit “den alten Begriffen” benannt, da WXZ die Sprache “modernisiert” hat, das Wesen der Ideen ist aber immer noch vorhanden und Kern der Lehre.
Deswegen ist es schon essentiell ob man, wenn man schon die “alten Begriffe” nutzt, das Wesen der Begriffe verstanden hat.
Wenn dann jemand sagt Wu Wei sei “Nicht-Handeln”, dann zeigt dass einfach dass da jemand ganz essentielle Dinge nicht vermittelt bekommen hat.
Mag sein. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, daß die Kämpfer damaliger Zeiten, die ja eher aus wenig gebildeten Schichten stammten, so tief in die daoistische Gedankenwelt (im Sinne von "akademischer Theologie") eingestiegen sind wie die Ausübenden heutiger Zeit (sowohl in China als auch hier im Westen), zumal ja das Xing Yi Quan auch in einem muslimischen Kontext steht. Damals wurde sicherlich nicht so ein Brimborium um Worte gemacht.
... vielleicht stoße mich an der Nutzung dieser "alten Begriffe". Ich unterstelle mal, daß es einem Gros derer, die damit um sich werfen, eher um Selbstdarstellung als um Praktikabilität geht.
Mein Lehrer Sam Chin sagt: "Change with the change, to maintain not to change!" Vielleicht ist einer der Gründe wieso er in seiner Lehre ganz wenige chin. Begriffe verwendet, daß es zu vielen Missverständnissen und Diskussionen führt, gerade wenn es um Prinzipien geht.
Aber an welcher Stelle in der Arbeit übersetzt Anna T. Wu Wei mit "nicht handeln"?
Es geht eben gerade nicht um Passivität im Sinne z.B. von "man handelt dann so lange nicht, bis ..." (und dann aber erst recht, wenn auch minimal). Sondern es geht um eine Aktivität, die aber nicht aus meinem Ego heraus geschieht. Sondern aus dem "wahren Selbst" oder dem Nicht-Ich. Was das konkret physisch meint, wird durch Übungen unterrichtet und geübt.
Die Abwesenheit einer Handlung kann eben auch eine Handlung sein und umgekehrt. Ich glaube es geht da um Authentizität und Natürlichkeit. Wenn ich auf Toilette muss gehe ich auf Toilette, wenn ich Hunger habe esse ich, und so weiter. Beobachte ich dann meine Gedanken verhält das sich imho ähnlich, von wegen dass da ein innerer Drang entsteht und wieder verschwindet. Ich glaube wenn man das auf äußere Prozesse erweitert, plakativ z.B. Ebbe und Flut, gibt es genug Dynamiken um ein ganzes Leben quasi per Unfall zu leben. Theoretisch.
Pansapiens
18-06-2020, 19:47
Aber an welcher Stelle in der Arbeit übersetzt Anna T. Wu Wei mit "nicht handeln"?
Nach meinem Eindruck gar nicht.
Hab ich auch schon angemerkt:
Hab ich jetzt nicht gefunden, außer in einem Zitat von ihm hier (https://www.springer.com/de/book/9789048129263#aboutAuthors) und da ist das in '' gesetzt.
die Autorin selbst sagt:
"Im Verlauf der Forschung habe ich meine Verwendung des Begriffs wu wei als
natürlich Handeln definiert."
Sowohl von den aikidô Lehrern, bei denen ich übe, als auch in der nei gong Schule, in der ich übe, wird wuwei ausnahmlos übersetzt mit "das Nicht(s) handeln (lassen)".
Das ist natürlich nur dann sinnvoll möglich, wenn man eine Vorstellung davon hat, was dieses "Nicht(s)", das da handeln soll, denn überhaupt sei. In der Sprache von Ueshiba Morihei - der einer shintô Sekte angehörte, die daoistische Wurzeln hat - findet man Entsprechungen in der "Einheit von Himmel und Erde" oder dem "Universum" und dergleichen Sprachbildern. Daß da nicht einfach z.B. wuji steht oder dao oder dergleichen, hat wohl damit zu tun, daß bei ihm die Kosmologie des shintô integriert ist mit der des Daoismus. Es ist also alles nochmal etwas verschwurbelter. Nichtsdestotrotz ist der Gedanke derselbe: Das Universum sorgt für sich, das Nicht(s) handelt (vergl. z.B. ddj 32; insb. 天地相合).
Klingt mir deutlich zu esoterisch. Nichts, was ich üben wollen würde. Glaube auch nicht, daß man diesen esoterischen Überbau braucht, um jemanden per Kampfkunst bei Bedarf zu verhauen.
"Das Universum sorgt für sich" - 1945 waren die Kampftechniken Ueshibas schon bekannt. In diesem Jahr hat das Universum ja wirklich toll für die Japaner gesorgt.
"Das Nichts handelt" - Mir scheint eher der gute alte Grundsatz zu stimmen: "Von Nichts kommt nichts".
Pansapiens
19-06-2020, 02:55
Die Abwesenheit einer Handlung kann eben auch eine Handlung sein und umgekehrt. Ich glaube es geht da um Authentizität und Natürlichkeit. Wenn ich auf Toilette muss gehe ich auf Toilette,
Wäre es nicht natürlicher, in die Hose zu scheißen, oder gar keine an zu haben?:sport146:
Das Prinzip des Wuwei als "absichtsloses" oder "nicht Ego verhaftetes" Handeln in Bezug auf Kampfkunst hab ich noch nie verstanden.
Ist so ähnlich, wie wenn man einen allgemeinen, für alle Menschen gültigen Gott als Kriegsgott ansieht und entsprechend Bomben segnet?
Solange der Gott der abrahamitischen Religionen noch der Kriegsgott der Israeliten war, konnte der natürlich parteiisch sein und die Feinde seiner Anhänger vernichten.
Aber nachdem Paulus die christliche Variante des Judentums auch für Nichtjuden geöffnet hat, und Gott plötzlich Gott aller Menschen ist, ist das irgendwie komisch.
Augustinus hat dann den gerechten Krieg erklärt und gemeint, dass ein An-Führer durch Gottes Willen an die Mach gekommen sei und wenn der Kriege gewinnt, dann war das wohl auch Gottes Willen.
Naja, Adolf glaubte ja auch an die Vorsehung, die ihn bei seiner politischen Karriere und bei seinem Husarenstück im Blitzkrieg unterstützte, aber sich dann, zig Millionen Tote später, anders entschied.
Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt.
Also: Wenn ich nicht die Absicht habe, einen Kampf zu gewinnen und/oder ich auch nicht an meiner vergänglichen Existenz hafte: Warum sollten die Leere mich gegenüber meinem Gegner bevorzugen?
Also: Wenn ich nicht die Absicht habe, einen Kampf zu gewinnen und/oder ich auch nicht an meiner vergänglichen Existenz hafte: Warum sollten die Leere mich gegenüber meinem Gegner bevorzugen?
Warum erwartest du, dass dich irgenwas bevorzugt? Genau darum geht es nach meiner Auffassung beim Wuji, denn dies ist Ausdruck deines Egos und hindert dich daran einfach das zu tun was nötig ist.
Heruntergebrochen auf die Kampfkunst und als praktisches Werkzeug ist es nichts weiter als Meditation zur Bewältigung einer Aufgabe. Auslöschung der vielen Nebengedanken und Gefühle, damit man im Moment der Gegenwart ist und entsprechend den Gegebenheiten agiert.
https://www.youtube.com/watch?v=NTUC1Gdgl9Q
Wäre es nicht natürlicher, in die Hose zu scheißen, oder gar keine an zu haben?:sport146:
Vielleicht ist Natürlichkeit das falsche Wort. Wie gesagt, manchmal ist das bewusste Nicht-Handeln eben auch eine Handlung und wir sind eigentlich alle so erzogen worden, dass wir nicht in die Hose machen und es sich unnatürlich anfühlt. Davon ab wäre das mit mehr Arbeit verbunden als einfach auf die Toilette zu gehen. Natürlichkeit kommt im dem Sinne wohl auch auf den Kontext an.
Das Prinzip des Wuwei als "absichtsloses" oder "nicht Ego verhaftetes" Handeln in Bezug auf Kampfkunst hab ich noch nie verstanden.
Ist so ähnlich, wie wenn man einen allgemeinen, für alle Menschen gültigen Gott als Kriegsgott ansieht und entsprechend Bomben segnet?
Solange der Gott der abrahamitischen Religionen noch der Kriegsgott der Israeliten war, konnte der natürlich parteiisch sein und die Feinde seiner Anhänger vernichten.
Aber nachdem Paulus die christliche Variante des Judentums auch für Nichtjuden geöffnet hat, und Gott plötzlich Gott aller Menschen ist, ist das irgendwie komisch.
Augustinus hat dann den gerechten Krieg erklärt und gemeint, dass ein An-Führer durch Gottes Willen an die Mach gekommen sei und wenn der Kriege gewinnt, dann war das wohl auch Gottes Willen.
Naja, Adolf glaubte ja auch an die Vorsehung, die ihn bei seiner politischen Karriere und bei seinem Husarenstück im Blitzkrieg unterstützte, aber sich dann, zig Millionen Tote später, anders entschied.
Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt.
Also: Wenn ich nicht die Absicht habe, einen Kampf zu gewinnen und/oder ich auch nicht an meiner vergänglichen Existenz hafte: Warum sollten die Leere mich gegenüber meinem Gegner bevorzugen?
Das ist halt das Pradox. Absichtsvolle Absichtslosigkeit ist genauso widersprüchlich wie sich Wunschlosigkeit zu wünschen. Glaube auch nicht, dass es darum geht irgendwie vom Dao oder was weiß ich bevorzugt zu werden, sondern sowas wie ein Momentum zu erfühlen und konstruktiv damit umzugehen. Siehe das mal im Vergleich zur klassischen Hybris aus der griechischen Tragödie. Wobei ich denke, dass sich die höhere Dynamik überhaupt nicht für unsere Interpretation von Gut und Böse interessiert, egal nach welchen Regeln sie letztendlich funktioniert. Wir sind klein und unwichtig und müssen irgendwie mit der Welt leben.
Münsterländer
19-06-2020, 07:32
[...]Glaube auch nicht, dass es darum geht irgendwie vom Dao oder was weiß ich bevorzugt zu werden, sondern sowas wie ein Momentum zu erfühlen und konstruktiv damit umzugehen. [...]
ich verstehe nicht allzu viel davon, das möchte ich voranschicken.
Aber ich hab das immer in etwa so verstanden wie Segeln.
Stumpf dagegen geht halt nicht.
Einfach treiben lassen ist auch Käse, dann kommt man ja nicht da hin, wo man hin will*g*
Man muss lernen, MIT dem Wind dahin zu kommen wo man hin will. Dann kann man ihn auch nutzen.
Grüße
Münsterländer
Pansapiens
19-06-2020, 07:59
Warum erwartest du, dass dich irgenwas bevorzugt? Genau darum geht es nach meiner Auffassung beim Wuji, denn dies ist Ausdruck deines Egos
Nein, das ist Ausdruck meines logischen Denkens:
Wenn weder ich, noch etwas anders mich bevorzugt, warum soll ich denn dann einen Kampf gewinnen?
und hindert dich daran einfach das zu tun was nötig ist.
Wer oder was bestimmt denn, was "nötig ist", wozu?
Heruntergebrochen auf die Kampfkunst und als praktisches Werkzeug ist es nichts weiter als Meditation zur Bewältigung einer Aufgabe.
Und wer oder was bestimmt diese Aufgabe?
Auslöschung der vielen Nebengedanken und Gefühle, damit man im Moment der Gegenwart ist und entsprechend den Gegebenheiten agiert.
https://www.youtube.com/watch?v=NTUC1Gdgl9Q
Ist die "Leere" nichts anderes, als das Unbewusste, dass hoffentlich durch Training vorher genügend Handlungsoptionen automatisiert hat, so dass das langsame Bewusstsein sich zurücklehnen kann und das schnelle Unbewusste machen lassen kann?
Die "Leere wirken lassen" ist dann das Unbewusste wirken lassen (das natürlich noch Wünsche, Absichten etc..... hat)?
Das Prinzip des Wuwei als "absichtsloses" oder "nicht Ego verhaftetes" Handeln in Bezug auf Kampfkunst hab ich noch nie verstanden.
Ist so ähnlich, wie wenn man einen allgemeinen, für alle Menschen gültigen Gott als Kriegsgott ansieht und entsprechend Bomben segnet?
Deshalb ist das je nach Kontext und "Kreis" auch was völlig Konkretes, etwas das man tun üben und lernen kann. Es ist mehr oder weniger die Verweigerung von Knee-Jerk-Reaktionen, und erstmal in "etwas" zu verbleiben was einem emotionale Ruhe als Werkzeug an die Hand gibt. Das merkt man auch. Und man merkt auch wenn einer das nicht hat, ich merke das bei mir, und man merkt es auch dem einen oder anderen Menschen an. Die allerwenigstens Menschen verweilen in so einer Ruhe und lassen Dinge erstmal stehen, bis dass entweder ein Impuls von großer Klarheit kommt, oder nicht. Diese Leere die man als Aktion jemandem vor die Rübe stellt der gerade eine Reaktion aus einem leiern will WIRKT, konkret. Wenn auch vermutlich in erster Linie emotional, als durch göttliche Führung per Karma-Schlagschrauber. Und es kommt öfter mal vor, dass sich "komische" Gespräche entwickeln, bei denen die erzählten Worte nicht der Inhalt sind, man fühlt eine starke emotionale Übertragung. Man sagt sowas wie "das ist aber eine schöne Pistole", und sagt emotional was anderes.
Auf großer Bühne, wo es um Handlungen von Millionen geht und nicht um jemanden den ich konkret vor mir habe, gibt es das auch als emotionale Einstellung. Man lässt solche Dinge einfach laufen, weil man das Gefühl hat dass es für irgendwas sinnvoll ist dass Menschen das erleben. Auch den Schrecken. Es reicht, wenn ich selbst eine emotionale Meinung dazu habe, und die empfinde, das "sendet" sich, und springt als Funke von Mensch zu Mensch. Allerdings ist das ein etwas längerer Vorgang der im Gegensatz zu "ich schlage euch alle zu Brei" nicht direkt wirkt, so oder so. Es geht da um nachhaltige, langfristige Wirkung von freiwilliger Erkenntnis und echter Wandlung.
carstenm
19-06-2020, 10:32
Klingt mir deutlich zu esoterisch. Nichts, was ich üben wollen würde.Das mußt du ja auch nicht. Ich habe lediglich deiner Auffassung von wu wei das Verständnis gegenübergestellt, das in zwei japanischen Schulen, die u.a. auch daoistische Wurzeln haben und in einer chinesischen, explizit daoistischen, Schule, in denen ich übe, übereinstimmend unterrichtet wird.
Aufgehängt habe ich mich aber vor allem an deiner Beschreibung des aikidô, die du aus deiner Auffassung abgeleitet hast.
Glaube auch nicht, daß man diesen esoterischen Überbau braucht, um jemanden per Kampfkunst bei Bedarf zu verhauen.Um Leute zu verhauen, muß man nach meiner Erfahrung üben, Leute zu verhauen.
In diesem Jahr hat das Universum ja wirklich toll für die Japaner gesorgt."Himmel und Erde kennen keine Vorliebe. Ihnen sind die abertausend Wesen wie Opferhunde aus Stroh." ddj 5 Mal abgesehen davon, daß genau diese Erfahrung wesentlich Einfluß hatte auf Ueshiba.
Mir scheint eher der gute alte Grundsatz zu stimmen: "Von Nichts kommt nichts".Als Umschreibung für wuwei?
GilesTCC
19-06-2020, 11:39
Man muss lernen, MIT dem Wind dahin zu kommen wo man hin will. Dann kann man ihn auch nutzen.
Lustigerweise ist das ein (Sinn)bild, dass ich oft fürs Unterrichten von Tuishou bzw. stimmigen Anwendungen benutze.
Basisansatz = Mit dem Wind segeln. Du kannst sogar manchmal vor dem Wind kreuzen, also dich auch in eine Richtung bewegen, die einigermaßen gegen den Wind ist. Trotzdem borgst du immer die Kraft des Windes und lässt dich von ihm bewegen. Du kannst ihn nie ignorieren. Und der Wind entscheidet seine Richtung selbst, nicht du.
Ich frage mich gerade inwiefern man den Wind als Sinnbild auch auf innere Prozesse anwenden kann, wo dann je nach interner Wetterlage mal Donnerwetter herrscht oder die Sonne scheint. Also Gedanken, Emotionen, Erinnerungen, und so weiter als Aspekte einer inneren Landschaft zu sehen, anstatt diese mit dem Selbst gleichzusetzen. Vielleicht kann man da nicht nur lernen das Segel richtig in den Wind zu stellen, sondern auch lernen sich leichter zu machen und sich nach Bedarf auch von einer leichten Brise tragen zu lassen. Manche Übungen sind da möglicher Weise nur das Equivalent zum nassen Finger, den man in die Luft hält.
marasmusmeisterin
19-06-2020, 16:46
So, jetzt hab ich Antwort von Anna Teichgräber. Zur Erinnerung: das ist die Autorin der Abschlußarbeit, die hier so intensiv diskutiert wird.
Sie will sich hier nicht beteiligen, da ihr der Zeitaufwand zu groß ist.
So, jetzt hab ich Antwort von Anna Teichgräber. Zur Erinnerung: das ist die Autorin der Abschlußarbeit, die hier so intensiv diskutiert wird.
Sie will sich hier nicht beteiligen, da ihr der Zeitaufwand zu groß ist.
Eine weise Entscheidung:)
Sie will sich hier nicht beteiligen, da ihr der Zeitaufwand zu groß ist.
Irgendwo verständlich, finde ich. Wobei ich ja persönlich finde bzw. auch von z.T. aus dem Board ausgestiegenen Kollegen so gehört habe, dass der emotionale Aufwand z.T. deutlich grösser ist als der Zeitaufwand. Wenn jemand in meinen Arbeiten von vor acht Jahren herumkramen würde, wäre mir das den Diskussionsaufwand u.U. auch nicht mehr wert, schon gar nicht, wenn für mich nichts mehr davon abhängt. Und dann wärs für mich primär eine Frage des Interesses bzw. des in der Diskussion angeschlagenen Tons.
Beste Grüsse
Period.
Bücherwurm
19-06-2020, 18:15
Eine weise Entscheidung:)
:biglaugh:
GilesTCC
20-06-2020, 11:18
Ich frage mich gerade inwiefern man den Wind als Sinnbild auch auf innere Prozesse anwenden kann, wo dann je nach interner Wetterlage mal Donnerwetter herrscht oder die Sonne scheint. Also Gedanken, Emotionen, Erinnerungen, und so weiter als Aspekte einer inneren Landschaft zu sehen, anstatt diese mit dem Selbst gleichzusetzen. Vielleicht kann man da nicht nur lernen das Segel richtig in den Wind zu stellen, sondern auch lernen sich leichter zu machen und sich nach Bedarf auch von einer leichten Brise tragen zu lassen. Manche Übungen sind da möglicher Weise nur das Equivalent zum nassen Finger, den man in die Luft hält.
Ich selber bezog ein "mit dem Wind segeln" nicht auf innere, vor allem emotionale Prozesse. Sondern mit "Wind" meinte ich die konkreten, kinetischen Impulse von einem Gegenüber (Push, Schlag, Griff, Tritt, Wurfansatz etc.). Impulse, die ich nicht ignorieren kann oder soll, sondern mich davon bestimmen lasse (bis zu einem bestimmten Punkt) und zugleich für mich nutze, um 'voranzukommen'. "Mit dem Wind segeln" halt. Ich weiß, dass es dir um etwas anderes ging, und bei Münsterländer weiß ich nicht, auf welchen Ebene(n) er das meinte. Ich habe die Idee oder das Wort aufgegriffen.
Jedenfalls hat so ein Üben eine Qualität (wenn's ganz gut läuft), die ich für mich als Wu Wei einordnen würde. Ich habe nicht das Gefühl, etwas zu entscheiden (zumindest nicht im Voraus), sondern bin einfach 'da', passe auf meine Struktur auf, und was kommt, kommt. Manchmal kommt dann auch etwas 'Effektives' oder 'Zackiges' dabei raus, wobei ich subjektiv das Gefühl habe, das eher zu beobachten als zu machen.
Ich will nun nicht behaupten, das ist Wu Wei, aber es fühlt sich gut an.
Ich selber bezog ein "mit dem Wind segeln" nicht auf innere, vor allem emotionale Prozesse. Sondern mit "Wind" meinte ich die konkreten, kinetischen Impulse von einem Gegenüber (Push, Schlag, Griff, Tritt, Wurfansatz etc.). Impulse, die ich nicht ignorieren kann oder soll, sondern mich davon bestimmen lasse (bis zu einem bestimmten Punkt) und zugleich für mich nutze, um 'voranzukommen'. "Mit dem Wind segeln" halt. Ich weiß, dass es dir um etwas anderes ging, und bei Münsterländer weiß ich nicht, auf welchen Ebene(n) er das meinte. Ich habe die Idee oder das Wort aufgegriffen.
Oh, ich wollte da nicht für dich sprechen, hatte dich auch so ungefähr verstanden. Das war einfach nur ein Einschub meinerseits, wobei das Prinzip auf innere Prozesse übertragen habe. Konkrete Impulse und Dynamiken, aber eben psychologisch. Körperlich ist das imho auch ein Faktor für die Ausdauer. Meinetwegen bei alten Hasen, die genau wissen wann sie anziehen müssen und wann nicht, oder wo sie sich entspannen können.
Jedenfalls hat so ein Üben eine Qualität (wenn's ganz gut läuft), die ich für mich als Wu Wei einordnen würde. Ich habe nicht das Gefühl, etwas zu entscheiden (zumindest nicht im Voraus), sondern bin einfach 'da', passe auf meine Struktur auf, und was kommt, kommt. Manchmal kommt dann auch etwas 'Effektives' oder 'Zackiges' dabei raus, wobei ich subjektiv das Gefühl habe, das eher zu beobachten als zu machen.
Ich will nun nicht behaupten, das ist Wu Wei, aber es fühlt sich gut an.
Ich meine das Gefühl auch zu kennen. Vor Allem bei Sachen die ich wirklich oft gedrillt habe und die dann einigermaßen instinktiv kommen. Das könnte ungefähr der konfuzianischen Auslegung von Wu Wei entsprechen, bin mir nicht sicher. Also Mühelosigkeit als Frucht harter Arbeit. Siehe auch die Flow-Thematik und Mihaly Csikszentmihalyi.
https://i.pinimg.com/originals/d0/83/25/d08325ca34f96ab10c3e15d77cd9dbf2.jpg
Pansapiens
21-06-2020, 06:01
Ich habe nicht das Gefühl, etwas zu entscheiden (zumindest nicht im Voraus), sondern bin einfach 'da', passe auf meine Struktur auf, und was kommt, kommt.
Ich fand es mal witzig, als der Sohn eines bekannten chinesischen Taijilehrers sagte: "Ich bin ein aktiver Typ, kein reaktiver"
Wobei man natürlich auch passend auf eine Situation reagieren kann, die man durch seine Aktion geschaffen hat.
https://www.youtube.com/watch?v=rAicu-IPjMw
das Gegenteil wäre, stumpf einen vorher festgelegten Plan durch zu ziehen, egal, was passiert.
So wie der Autist, der sich immer auf den gleichen Platz im Bus setzt, egal ob da nun schon einer sitzt oder nicht.
Ich hab das Paradoxon (absichtslos oder "egolos" einen Kampf zu gewinnen) für mich so gelöst:
Eine grobe Absicht ist vorhanden, z.B. Dein "passe auf meine Struktur auf" oder eben den Kampf zu gewinnen, aber innerhalb dieses Rahmens ist die konkrete Umsetzung flexibel und der jeweiligen Situation angemessen.
GilesTCC
21-06-2020, 11:21
Oh, ich wollte da nicht für dich sprechen, hatte dich auch so ungefähr verstanden. Das war einfach nur ein Einschub meinerseits, wobei das Prinzip auf innere Prozesse übertragen habe. Konkrete Impulse und Dynamiken, aber eben psychologisch. Körperlich ist das imho auch ein Faktor für die Ausdauer. Meinetwegen bei alten Hasen, die genau wissen wann sie anziehen müssen und wann nicht, oder wo sie sich entspannen können.
Alles klar, und danke für die weitere Erklärung!
Ich meine das Gefühl auch zu kennen. Vor Allem bei Sachen die ich wirklich oft gedrillt habe und die dann einigermaßen instinktiv kommen. Das könnte ungefähr der konfuzianischen Auslegung von Wu Wei entsprechen, bin mir nicht sicher. Also Mühelosigkeit als Frucht harter Arbeit.
Das Ergebnis von Drills spielt sicherlich auch mit rein, dafür sind sie ja auch gedacht :). Das, worauf ich mich bezog, geht allerdings nicht nur um das Einschleifen von bestimmten Techniken. Die Techniken können oder sollen durchaus immer wieder auftauchen, auch wenn in stets abgewandelter Form. Für mich ist das Wichtigste (im Bezug auf diesen Thread), dass - ob eine erkennbare Technik auftaucht oder nicht - es passiert etwas Richtiges und du hast das Gefühl, "Ich habe das nicht gemacht; es hat das gemacht." Was auch immer "es" ist in dem Moment...
(Das ust überhaupt nicht etwas, wozu ich konsequenten Zugang habe. Schön wär's...)
Siehe auch die Flow-Thematik und Mihaly Csikszentmihalyi.
https://i.pinimg.com/originals/d0/83/25/d08325ca34f96ab10c3e15d77cd9dbf2.jpg
Das ist schön - kannte ich nicht.
GilesTCC
21-06-2020, 11:47
@ Pansapiens
"Ich bin ein aktiver Typ, kein reaktiver" + Video
Dieser Ansatz im Tuishou wie z.B. von Chen Ziqiang ist an sich sehr gut - vor allem, wenn man (Wettkampf)Tuishou als Ziel an sich betrachtet. Wie er sagt (so ungefähr): "Was ist aber, wenn der andere nicht aktiv ist, abwartet etc.? Dann muss ich selber aktiv werden und eine Reaktion von ihm provozieren." Ich bin mir ziemlich sicher, dass er in einer solchen Situation auch mit mir den Boden fegen würde. Allerdings setze ich Tuishou meist in einen anderen Kontext, und zwar näher an den Gedanken von Selbstverteidigung. Im Grunde genommen wird immer einen ersten Impuls vom anderen kommen, bzw. der Wind wird schon wehen, auch wenn es 'nur' ein Greifen oder ein Herantreten ist. Wenn "der andere" gar nichts tut, nur passiv abwartet, dann bin ich schon dabei, mich zu entfernen. Es hält mich ja nichts auf :). Ein Monkey-Dance ist prinzipiell zu vermeiden. Aber ist der andere doch irgendwie zu mir unterwegs, entweder schon mit Körperkontakt oder noch davor, dann 'weht der Wind' und ich sollte bereit sein, auf irgendeine Weise mitzusegeln (ggf. auch 'vorm Wind kreuzen'). Also in diesem Sinne trainiere ich, eher reaktiv zu sein, und wenn's gut ist, ist meine Reaktion weniger von mir ausgedacht, sondern entsteht.
-- Präemptiv kann u.U. auch reaktiv sein.
Caveat: Natürlich kann es Situationen geben, wo man anders 'aktiv eingreifen' muss, z.B. um einer dritte Partie zur Hilfe zu kommen. Aber darum geht es mir hier nicht.
Die Methodik wurde ja mal entwickelt, um was zu machen wenn der andere Typ wenig zugänglich zu freundlichen Unterhaltungen ist, und im Begriff mir uncharmant Aua zu machen. Nicht als Wettkampf gegen Leute die sich so weit wie irgendmöglich auf ihr hinteres Bein sinken lassen bis der Schiedsrichter Zeichen gibt. Da hilft im realen Leben "ok, war nett mit Ihnen, schönen Abend!".
„Die Leere wirken lassen“ nach Geldsetzer und Hong
Meinst du du kannst das komplette Zitat hier posten, oder mir vielleicht zuschicken da es vielleicht zu sehr off topic ist. Hab leider keinen Zugriff auf das Lexikon. Find die Übersetzung interessant und durchaus möglich, aber auch etwas problematisch. Mich würde deren Begründung und Überlegung interessieren. Nur so ist es schwer sich darüber eine Meinung zu bilden. Danke Dir.
Das Thema wird leider über mehrere Seiten abgehandelt und teilweise auch an anderen Stellen immer wieder aufgenommen und weiter entwickelt. Dazu kann man leider nicht „mal eben“ ein ganzes Zitat abschreiben, dazu fehlt mir die Lust und die Zeit. Tut mir leid.
Hast Du's aus dem Wörterbuch, oder den "Grundlagen der chin. Philosophie"?
Mich würde vor allem explizit eine genaue Angabe interessieren wo zumindest die Definition wie du Sie oben genannt hast steht. Auch wenn es über mehrere Seiten entwickelt wird muss die Übersetzung ja irgendwo konkret auftauchen. Danke Dir
KK-Baghira
29-06-2020, 13:52
Ich hab das Buch 'Grundlagen der chin. Philosophie' diese Woche vorliegen und hätte Zeit, das genauer aufzubereiten.
Ich hab mir das mal kurz angeschaut jetzt. Das was Geldsetzer/Hong in Grundlagen der chin. Philosophie schreiben würde ich schon sehr kritisch sehen (kritisch! ich kann das schon differenziert betrachten. Nicht dass mir jetzt gleich unterstellt wird ich würde sagen das ist alles Quatsch was die sagen).
Vorne weg vielleicht ganz allgmein. Ich denke alle sind sich einig, dass wuwei nicht einfach nur nichts tun bedeutet, sondern ein tun im Sinne des Dao meint. Das wiederum im Kontext verstanden, dass es eben kein egoistisches tun ist. Geldsetzer/Hong haben das ja an dem Gegensatz Kongzi=Vertreter des Menschendao/Kultur und Laozi=Vertreter des Himmelsdao/Natur aufgespannt.
Hier wären wir dann schon am zweiten Punkt. Wuwei sollte immer im Kontext von Ziran verstanden werden. Ziran bedeutet wortwörtlich 'das was durch sich selbst so ist'. Im weiteren Sinne dann als Natur übersetzt. Z.B. die Sonne geht jeden Morgen auf und Abends unter und nicht eben mal so wie sie gerade Lust hat. Beim MEnschen kommt eben die Komponente des 'Ego' mit rein, welches sich über die Natur bis zu einem gewissen Punkt erheben kann und sie durcheinander bringen kann. Youwei, tun, steht bei Laozi eben im Kontext des von Menschenhand, kulturschaffenden Tuns, welches die Natur in Unordnung bringt. Wuwei meint ein Verhalten!, welches im Einklang mit Ziran/Natur steht und nicht der Natur irgendwelche Ideen überstülpt die sich der Mensch im Kopf ausgedacht hat.
Darauf aufbauend, hat wuwei ursprünglich nichts mit Kampfkunst zu tun gehabt, sondern es waren spätere Kampfkünstler, die sich dieses Konzept zunutze gemacht haben. Hier muss man auch wieder differenzieren: fürs Training? oder als Konzept für den Kampf? Persönlich finde ich eignet es sich durchaus als Konzept um bestimmte Aspekte des Trainings zu beschreiben, aber auch nur bedingt. Als Konzept für den Kampf wohl eher nur bedingt. Denn Kampf bedeutet fast immer, wenn man jetzt nicht einfach dem Kampf aus dem Weg geht, letztendlich jemanden "brechen", oder "gebrochen zu werden". Das hat mit wuwei dann einfach nichts mehr zu tun.
Jetzt zu meiner Kritik an Geldsetzer/Hong. Sie übersetzen 'wu' mit 'Nichts' und 'you' mit 'Sein' und wuwei mit 'das Nichts wirkt' und youwei mit 'das Sein wirkt'. Entscheidend ist nach ihrem Verständnis das nicht Handeln!!!, buwei, des Menschen (also eigentlich genau das, was viele als Missverständnis des Begriffes wuwei kritisieren. Wie und ob das so ist mag ich jetzt ist im Detail hier nicht auseinander nehmen). Denn dadurch kommen wuwei und youwei der Natur wieder in ein Gleichgewicht. Zitat: "Wo aber der Mensch nicht handelt sondern ruht, da wirkt und schafft die Natur - Ziran - aus ihren eigenen Antagonismen von Sein und Nichts (you bzw. wu Anm. v. m.), und je nachdem was da vorherrscht, ergibt sich youwei -das Sein wirkt - oder wuwei - das Nichts wirkt......" (vgl. S.107 Reclamausgabe).
Ich hab jetzt keine Zeit und Lust die ganze Problematik hier kritisch fein sauber darzustellen. Aber es gibt zwei Hauptprobleme. Einmal wird der Begriff wu und you, bzw. wuwei und youwei als feststehender Begriff behandelt. Das war er im Daodejing noch nicht, sondern ist erst im Laufe der Zeit dazu gemacht worden. Es entsteht der Eindruck, dass wu bzw. wuwei und you bzw, youwei als fester Begriff so gelesen und verstanden wird. Im Daodejing ist die Verwendung besagter Wörter aber sehr weit gefächert und nicht mit der sehr einengenden Interpretation von Geldsetzer/Hong zu vereinbaren.
Dann ist die Übersetzung mit Nichts und Sein an sich schon sehr Problematisch. Leere wie Kanken das zitiert hatte haben sie nicht geschrieben, das hätte das Problem noch etwas eindeutiger gemacht. Denn der Buddhismus später hat sich in seiner Übersetzungsarbeit natürlich stark am Daoistischen Vokabular bedient und da einiges geniales aber auch einiges Chaos mit reingebracht. Das 'Unbedingte' (asamskrita) wurde mit wuwei übersetzt und das 'Bedingte' (samskrita) mit youwei übersetzt. asamskrita taucht auch oft in Kombination mit asamskrita shunyata auf, die unbedingte Leere, daher erst der spontane Gedanke Geldsetzer/Hong haben sich da zu sehr von buddhistischen Interpretationen leiten lassen wuwei und youwei zu verstehen. Da Kanken das aber falsch zitierte und sie von Nichts und Sein reden ist dieser Verdacht zwar nicht ganz aus dem Weg geräumt, aber nicht mehr so ganz eindeutig.
Wenn man die Worte im Daodejing aber im Kontext versteht muss man sich nicht so sehr verbiegen sondern meistens (eigentlich immer) ist die Bedeutung recht eindeutig. Wu hat oft die Bedeutung 'ohne', während bu 'nicht' bedeutet. Wuwei bedeutet also 'ohne tun' während buwei 'nicht tun' bedeutet. Buwei meint also tatsächlich ein nicht Handeln im Sinne von Tatenlos zu sein, während wuwei ein tun ohne extra zutun meint. Buwei ist also eine direkte Aufforderung das Tun zu unterlassen, während wuwei ein Aufforderung ist eine bestimmte Art von Tun zu unterlassen, also ein Tun, dass ohne das Tun ist das wider die Natur geht, aber alles Tun im Sinne der Natur einschliesst.
Substantiviert kann man es analog wiedergeben. Es ist nicht der Kontrast 'Nichts' und 'Sein', sondern von 'Ohne' und 'Haben'. You ist also alles was irgendwie konkret ist, also etwas hat, während Wu nicht einfach Nichts ist, sondern eben etwas meint was Ohne ist. Es ist, aber es ist ohne alles das was You ist. Und damit ist es nicht Nichts. In diesem Kontext muss es verstanden werden. Was das Ohne jetzt letztendlich ist muss man offen lassen. Das hat auch das Daodejing. Und das Wort Ohne bringt diese konkrete Offenheit auch sehr schön zum Ausdruck. Im I. Kapitel des Daodejing werden Wu und You dann beschrieben als zwei Seiten einer Sache und einen Ursprunges, der aber im Dunkeln liegt und durch das alles wunderbare in Erscheinung tritt.Ich möchte jetzt nicht soweit gehen, aber es würde viel Näher liegen Wu mit dem Sein an sich in Verbindung zu bringen als mit You mit Sein. Wu mit Nichts zu übersetzten wird dem Kontext des Daodejing Meiner Meinung nach einfach nicht gerecht.
Hab Geldsetzer/Hong jetzt nur bezüglich der Wuwei Problematik gelesen. Von dieser Perspektive aus betrachtet würde ich das Werk aber eher mit Vorsicht genießen und es vielleicht eher als Zusatz zu anderen Einführungswerken lesen und nicht als Standardwerk lesen.
Grüße
Beni
Ach ja, zur Diplomarbeit. Versteh jetzt ihren methodischen Ansatz nicht wirklich, aber mir scheint die Arbeit schon eher eine ziemlich subjektive Wiedergabe ihres eigenen Verständnisses und Erfahrung von Yiquan zu sein. Mit einer wirklichen Auseinandersetzung was Yiquan ist oder sein kann hat es meiner Meinung nach nicht viel zu tun (oder dann nur sehr mangelhaft). Es entzieht sich auch meinem Verständnis wo der wissenschaftliche Wert einer solchen Arbeit liegt? Vielleicht kann da nochmal jemand Licht ins Dunkel bringen?
Es handelt sich laut Mara... ja um eine relativ neue Methodik, die anhand dieser Arbeit quasi praktisch ausprobiert wurde. Die Methodik selbst habe ich allerdings nicht verstanden. :)
Pansapiens
30-06-2020, 06:43
I
Ach ja, zur Diplomarbeit. Versteh jetzt ihren methodischen Ansatz nicht wirklich, aber mir scheint die Arbeit schon eher eine ziemlich subjektive Wiedergabe ihres eigenen Verständnisses und Erfahrung von Yiquan zu sein.
ich glaube, das ist der methodische Ansatz...
Autoethnografie ist eine innovativer qualitativer Forschungsansatz, „der sich darum bemüht, persönliche Erfahrung (auto) zu beschreiben und systematisch zu analysieren (grafie), um kulturelle Erfahrung (ethno) zu verstehen.
https://systemisch-forschen.de/service/rezensionen/autoethnography-as-method/
Gibt es Begriffe aus anderen Denkschulen die ungefähr mit Wuwei, Buwei, und so weiter vergleichbar sind? Siehe zum Beispiel die Meersstille der Seele aus der Stoa, vielleicht.
Hab Geldsetzer/Hong jetzt nur bezüglich der Wuwei Problematik gelesen. Von dieser Perspektive aus betrachtet würde ich das Werk aber eher mit Vorsicht genießen und es vielleicht eher als Zusatz zu anderen Einführungswerken lesen und nicht als Standardwerk lesen.
Schön dass ein Internetexperte das so sieht, das wird die Herren Professoren freuen zu hören...
Nichts und “Leere” erläutern sie übrigens auch, und ja, man kann es gleichsetzen, wie es auch einige daoistische Strömungen getan haben. Eskildsen hat das schön ausgearbeitet, der wird es ja aber auch nicht verstehen, ist ja auch nur ein Sinologe mit Schwerpunkt darin.
Julian Braun hat ja schon eine schöne Übersetzung des Begriffs Wuwei geliefert und die deckt sich mit dem was Geldsetzer/Hong meinen oder auch was Draga, Eskildsen etc. schreiben.
Schön dass ein Internetexperte das so sieht, das wird die Herren Professoren freuen zu hören...
Mit denen könnten man wenigsten kritisch und differenziert diskutieren. Bring doch mal einen konstruktiven Beitrag anstatt hier anderen immer nur zu unterstellen sie hätten keinen Plan wenn sie nicht gleich Deiner Meinung sind.
Nichts und “Leere” erläutern sie übrigens auch, und ja, man kann es gleichsetzen, wie es auch einige daoistische Strömungen getan haben. Eskildsen hat das schön ausgearbeitet, der wird es ja aber auch nicht verstehen, ist ja auch nur ein Sinologe mit Schwerpunkt darin.
Ich hatte dich ja gefragt nach dem Zitat. Ich hab das Buch vorliegen und habe mir das Kapitel über Wuwei sehr genau durchgelesen. Vielleicht magst Du mir einen Hinweis geben wo das im Buch so genau erläutert wird?
Julian Braun hat ja schon eine schöne Übersetzung des Begriffs Wuwei geliefert und die deckt sich mit dem was Geldsetzer/Hong meinen oder auch was Draga, Eskildsen etc. schreiben.
Mit der Bedeutung (nicht der Übersetzung!) sind sich hier ja auch alle einig. Der Grund warum ich mich überhaupt hab hinreissen lassen hier nochmal was zu schreiben ist die künstliche Verkomplizierung eines eigentlich klaren Sachverhalts. Man sollte erstmal die Dinge so belassen wie sie sind und möglichst von einer direkten Übersetzung ausgehen und sich darauf aufbauend dann ein weiteres Bedeutungsfeld im übertragenen Sinne erarbeiten.
Wörtlich steht da halt: ohne tun (wuwei). Ohne Tun ist was anderes als nicht tun (buwei). (Dann gibt es noch wuwei (毋為nicht無為)mit einem anderen Zeichen, das sogar oft vertauscht benutzt wird, da nehmen es die alten Chinesen manchmal nicht so ganz genau, das heisst dann man darf nicht, oder soll nicht tun)
Im DDJ ist der Sachverhalt aber sehr eindeutig. Ohne Tun steht im Kontext von Ziran und meint eben, wie es die Autorin, Julian und auch viele andere hier sehr schön gesagt haben, ein absichtsloses Tun, also ein Tun OHNE! extra dazu Tun (Ziran: das was durch sich selbst/von selbst so ist). Wenn man ohne Tun liest schwingt da eben zwischen den Zeilen immer mit, dass es ohne (künstliches/menschliches) dazu-tun ist. Das haben Geldsetzer/Hong ja im Prinzip auch so gesagt. Deswegen habe ich weniger ein Problem inhaltlich mit ihnen, als viel mehr mit der Übersetzungsweise.
Wenn ich von Nichts und Sein rede, bzw. von das Nichts wirkt und das Sein wirkt, beschreibe ich etwas das von "Aussen" auf mich wirkt. Im Daodejing ist es ganz klar eine Aufforderung an den Leser wuwei zu TUN!!! (Kap.3; Kap 37, Kap. 48, Kap63), also wei wuwei und meint nicht buwei zu tun, also nicht! nicht zu handeln und das Nichts und das Sein alles machen zu lassen. Das macht den Sachverhalt künstlich kompliziert und der Text gibt meiner Meinung nach so eine Interpretaion an den wuwei Stellen gar nicht her.
Im ersten Kapitel kann man wu und you schon als Eigenbegriff lesen (macht mMn. auch am meisten Sinn) und meint Ohne bzw. Mit, also das was Ohne ist und das was Mit ist, oder das was 'Etwas' hat und das was ohne 'Etwas' IST!. Aber Ohne/ohne Etwas ist ganz klar etwas anderes als Nichts. Das ist ja gerade der Grund warum die buddhistischen Übersetzer sich daran anlehnen konnten. Das Unbedingte ist eben nicht Nichts, sondern es ist Unbedingt und steht im Kontext des Bedingten. Und das Bedingte kann man nicht einfach so mit Sein gleichsetzen. Dafür würde sich schon viel eher das Unbedingte bzw. das 'Ohne' anbieten (würde sich zumindest für eine Diskussion anbieten). Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass die Chinesen den Begriff "Nichts" gar nicht kennen, sondern für sie war immer klar das da immer etwas IST. Nur ab einem bestimmten Punkt entzieht es sich dem menschlichen Verständnis.
Nichts und Sein sind Begriffe mit denen sich unsere Pilosophen die Köpfe zerbrochen haben. Da sollte man vorsichtig sein das in andere Kulturen zu übertragen. Und Nein!! Nichts und Leere kann man nicht gleichsetzen!!!! Es ist ein Unterschied ob etwas Leer ist (damit ist es offen, dass es durchaus noch etwas ist) oder ob es nichts ist. Wenn Nichts ist, dann ist da per Definition NICHTS mehr. Wenn sich im Nichts aber irgendwo noch etwas versteckt, dann ist es eben nicht nichts, sondern höchstens unbeschreibbar, unbedingt, dunkel usw.. Das ist ja der ganze Witz am Begriff der Leere.
Lange Rede Kurzer Sinn. Ich wollte einfach nur für die Problematik der Begriffe die Geldsetzer/Hong in ihrer Deutung von wuwei/youwei eingeführt haben sensibilisieren. Manchmal ist weniger mehr.
(jetzt muss ich echt über mich selbst lachen. Aber das Zen ist ja auch angetreten mit dem Anspruch der direkten Übertragung der Lehre ohne Schriften zu verfassen und jetzt haben sie einen riesen Schriftenkanon lol)
Ich wollte einfach nur für die Problematik der Begriffe die Geldsetzer/Hong in ihrer Deutung von wuwei/youwei eingeführt haben sensibilisieren.
Das ist ja schön dass ein Schreiber im Internet die Leute dafür sensibilisieren möchte das zwei Professoren, in seinen Augen, problematische Übersetzung gemacht haben. Das ehrt dich natürlich. :biglaugh:
Im DDJ ist der Sachverhalt aber sehr eindeutig. Ohne Tun steht im Kontext von Ziran und meint eben, wie es die Autorin, Julian und auch viele andere hier sehr schön gesagt haben, ein absichtsloses Tun, also ein Tun OHNE! extra dazu Tun (Ziran: das was durch sich selbst/von selbst so ist).
Magst du vielleicht einmal erklären, wie du das konkret im Training umsetzt? Das ist in meinen Augen das eigentlich spannende.
Magst du vielleicht einmal erklären, wie du das konkret im Training umsetzt? Das ist in meinen Augen das eigentlich spannende.
Durch Bewusstsein/Wahrnehmung zu lernen seinen Körper motorisch so zu (re-)organisieren, dass er immer effizienter und optimaler arbeitet. D.h., ich muss erst wahrnehmen lernen wie mein Körper von Natur aus eigentlich strukturiert und organisiert ist. Das Grundlagentraining besteht eben genau darin das eigene, dem Körper aufgezwungene Tun immer mehr zu reduzieren und die von Natur aus angelegte Organisation des Körpers zu fördern. Das kann man als wuwei Konzept im Training verstehen wenn man so will.
Die konkrete Methode im Yiquan ist das Stehen. Das Stehen ist ja nicht einfach nur ein Stehen in einer bestimmten Haltung und dann nichts zu tun (buwei), sondern es eben gerade eine Methode des Tuns. Nicht dem Körper etwas aufzuzwingen, sondern wieder neu zu lernen sich in die für ihn vorgesehene Ordnung einzufügen, wuwei also.
Ich hatte dich ja gefragt nach dem Zitat. Ich hab das Buch vorliegen und habe mir das Kapitel über Wuwei sehr genau durchgelesen. Vielleicht magst Du mir einen Hinweis geben wo das im Buch so genau erläutert wird?
Eine der wichtigen Passagen ist auf Seite 111. Das Prinzip von You Wei und Wu Wei muss in allen Dingen gewahrt werden. Eben auch im Menschen (der ja zu den Dingen zählt).
Das “Schaffe Leere bis zum äußersten”, “Ich schaue zu wie sie sich wandeln”, “Rückkehr zur Wurzel” etc. sind ja alles Dinge die sich auf die intrapersonelle Ebene beziehen. Da hat Julian es ja perfekt zusammengefasst:
Ich würde jetzt einfach mal sagen, "nicht-Handeln" im Sinne einer Nicht-Einmischung durch das selbstverhaftete Ich führt dazu, dass "das nichts wirken kann". Ist also eine Frage, welchen Teil des Geschehens man betrachtet.
Diese intrapersonelle Landschaft, die sich in den diversen daoistischen Schulen ausbreitet, ist da extrem wichtig. Das “Ich” wird im Daoismus sehr schön aufgeteilt und in den Kontext der Natur der Dinge gestellt. Begriffe wider “Yi”, “Shen” “Xing”, aber auch “Qi”, “Ming“, “Jing” gehören da essentiell zu.
Ich empfehle dazu die Arbeit von Darga.
Gerade dieses “Schaffen der Leere” ist ja eines der wichtigsten Aspekte des körperlichen Übens des “Yiquan”, wie ich es lerne und wird durch die Zusammenarbeit von Yi und Shen erreicht.
Wollte mich nur kurz, bei allen, für den interessanten Faden bedanken.
Liebe Grüße
DatOlli
Vorne weg vielleicht ganz allgmein. Ich denke alle sind sich einig, dass wuwei nicht einfach nur nichts tun bedeutet, sondern ein tun im Sinne des Dao meint. Das wiederum im Kontext verstanden, dass es eben kein egoistisches tun ist.
Wenn man Wu Wei für die Kampfkunst einsetzt, und es bei der Kampfkunst darum geht, einen anderen zu schlagen und möglichst nicht selbst dabei geschlagen zu werden, dann wird das Wu Wei sehr wohl sehr egoistisch eingesetzt.
Wo kommt dieses "altruistisch" her? Mir scheint das ein christlicher Gedanke zu sein, der im alten chinesischen Denken so gar nicht vorkommt.
Wenn z.B. Herkules einen Fluß umleitet, um einen Stall auszumisten und dadurch eine seiner Aufgaben zu erfüllen, dann macht er sich den natürlichen Gang der Natur durch leichte Abwandlung (vgl. Aikido) zu eigenen Zwecken zu Nutze.
Herkules war nun kein Chinese, aber ich denke - immer noch, so ist das gemeint mit dem "Nicht-Handeln". Er macht den Stall halt nicht selbst sauber, sondern läßt die Natur / den natürlichen Lauf der Dinge - in diesem Fall den Fluß - die Arbeit für ihn erledigen.
Solche Gedanken sind ja auch in unserer Tradition nicht unbekannt. Schon die alten Griechen ...
Denn Kampf bedeutet fast immer, wenn man jetzt nicht einfach dem Kampf aus dem Weg geht, letztendlich jemanden "brechen", oder "gebrochen zu werden". Das hat mit wuwei dann einfach nichts mehr zu tun.
Doch, hat es. Bauer, "Geschichte der chin. Philosophie" schreibt irgendwo auch, der Daoismus habe einen gewissen Ruf, "fies" zu sein, gerade weil seine Vertreter sich darauf verstehen, den Gang der Natur zu ihrem Vorteil zu nutzen. Denk' z.B. an Sun Tzu.
Man darf den (alten) Chinesen keine christlichen Gedanken unterschieben. Allgemeine Nächstenliebe gab es dort nur bei Mo Di (https://de.wikipedia.org/wiki/Mozi), und die hat sich dort nicht durchgesetzt. Der Rest handelte egoistisch - für sich, und für die Familie. Dann vielleicht noch für den Kaiser und also den Staat. Aber bestimmt nicht für einen Fremden.
Ach ja, zur Diplomarbeit. Versteh jetzt ihren methodischen Ansatz nicht wirklich, aber mir scheint die Arbeit schon eher eine ziemlich subjektive Wiedergabe ihres eigenen Verständnisses und Erfahrung von Yiquan zu sein. Mit einer wirklichen Auseinandersetzung was Yiquan ist oder sein kann hat es meiner Meinung nach nicht viel zu tun (oder dann nur sehr mangelhaft). Es entzieht sich auch meinem Verständnis wo der wissenschaftliche Wert einer solchen Arbeit liegt? Vielleicht kann da nochmal jemand Licht ins Dunkel bringen?
Julian Braun hatte oben das Institut genannt:
https://ksa.univie.ac.at/
Heute stehen vielfach die mit Kolonialismus, Globalisierung und den weltweiten Migrationsströmen der Gegenwart verbundenen Prozesse, wie etwa die Redefinition von Identitäten und kulturellen Abgrenzungen, im Mittelpunkt der Forschung. ... Über die wissenschaftliche Forschung hinaus ist die praktische Anwendung kultur- und sozialanthropologischer Kompetenzen in vielen Bereichen, wie etwa Flüchtlingsarbeit und Integration, ...
Nach dieser Selbstbeschreibung scheint mir, dieses "Institut" ist derart politisch-ideologisch aufgeladen, daß man nicht erwarten kann, daß da noch objektiv-wissenschaftlich gearbeitet wird.
Gibt es irgendwelche mit Wuwei vergleichbare Konzepte aus anderen Kulturkreisen bzw. dem Westen?
Bücherwurm
01-07-2020, 21:07
Gibt es irgendwelche mit Wuwei vergleichbare Konzepte aus anderen Kulturkreisen bzw. dem Westen?
Flow.
Bücherwurm
01-07-2020, 21:17
Nach dieser Selbstbeschreibung scheint mir, dieses "Institut" ist derart politisch-ideologisch aufgeladen, daß man nicht erwarten kann, daß da noch objektiv-wissenschaftlich gearbeitet wird.
User "Eistee", bisher bekannt für eher schlichte Auffassungen zum Thema Taiji, beginnt, kleine feine Körnchen zu streuen. Dankeschön. ;)
Wenn man Wu Wei für die Kampfkunst einsetzt, und es bei der Kampfkunst darum geht, einen anderen zu schlagen und möglichst nicht selbst dabei geschlagen zu werden, dann wird das Wu Wei sehr wohl sehr egoistisch eingesetzt.
Wo kommt dieses "altruistisch" her? Mir scheint das ein christlicher Gedanke zu sein, der im alten chinesischen Denken so gar nicht vorkommt.
Wenn z.B. Herkules einen Fluß umleitet, um einen Stall auszumisten und dadurch eine seiner Aufgaben zu erfüllen, dann macht er sich den natürlichen Gang der Natur durch leichte Abwandlung (vgl. Aikido) zu eigenen Zwecken zu Nutze.
Herkules war nun kein Chinese, aber ich denke - immer noch, so ist das gemeint mit dem "Nicht-Handeln". Er macht den Stall halt nicht selbst sauber, sondern läßt die Natur / den natürlichen Lauf der Dinge - in diesem Fall den Fluß - die Arbeit für ihn erledigen.
Solche Gedanken sind ja auch in unserer Tradition nicht unbekannt. Schon die alten Griechen ...
Doch, hat es. Bauer, "Geschichte der chin. Philosophie" schreibt irgendwo auch, der Daoismus habe einen gewissen Ruf, "fies" zu sein, gerade weil seine Vertreter sich darauf verstehen, den Gang der Natur zu ihrem Vorteil zu nutzen. Denk' z.B. an Sun Tzu.
Man darf den (alten) Chinesen keine christlichen Gedanken unterschieben. Allgemeine Nächstenliebe gab es dort nur bei Mo Di (https://de.wikipedia.org/wiki/Mozi), und die hat sich dort nicht durchgesetzt. Der Rest handelte egoistisch - für sich, und für die Familie. Dann vielleicht noch für den Kaiser und also den Staat. Aber bestimmt nicht für einen Fremden.
Wenn es hier eine sinnvolle Diskussion geben soll, würde ich ganz gerne Kontext bezogen und konkret diskutieren.
Der Begriff 'wuwei' hat seinen für uns faßbaren Ursprung im Daodejing. Also sollten wir vielleicht erst mal im Kontext vom Daodejing bleiben und klar bekommen was 'wuwei' dort meint.
Wuwei hat im Daodejing den Kontext von Ziran und Himmel und steht im Kontrast zu youwei. Das sind die Vorbilder. Wie schon gesagt heißt es wörtlich "ohne tun". Der Mensch in seiner Psyche ist natürlich etwas problematischer als Himmel und Erde und hat eben ständig die Tendenz das zu tun was ihm und seiner Umwelt nicht gut tut. Das muss man im Kontext mitdenken. Also heißt wuwei "(tun) ohne (egoistisches) tun.
Jetzt können wir natürlich alle möglichen anderen Spezialfelder und Menschen mit heranzuziehen die irgendwie etwas mit Daoismus oder dem Daodejing zu tun haben oder sich darauf berufen und mal schauen was die so sagen und wie das im Verhältnis zum wuwei des Daodejing steht.
Mit dem Daodejing haben wir dann einen klares Diskussionszentrum und gleiten nicht ständig in uferlose Argumente und Hypothesen ab.
Was die Kampfkunst angeht hatte ich ja schon gesagt. Trainingsdidaktisch bin ich der Meinung kann man sehr wohl eine 'wuwei' Methodik in sein Training integrieren. Was den Kampf angeht sehe ich das eher kritisch, da man eben in der Regel versucht den anderen irgendwie zu brechen, sei es im Wettkampf oder auf Leben und Tod. Der "stärkere" gewinnt. Ausser ich kämpfe nicht und überlebe alle Kämpfer. Dann habe ich sie letztendlich auch besiegt ;-)
Wie du jetzt auf den Altruismusgedanken gekommen bist ist mir noch ein Rätsel?? Kann da jetzt spontan keine Verbindung zu 'wuwei' herstellen wen du das meinst?
Ich denke in der ganzen chinesischen Geschichte muss man wieder aufpassen zu differenzieren zwischen den Klassikern an sich und dem wie sie sich die Herrscher politisch zunutze gemacht haben und wie die Gesellschaft dadurch in jeder Dynastie mehr oder weniger vergewaltigt wurde. Wenn du unter Altruismus verstehst uneigennützig anderen Gutes zu tun, würde ich schon sagen, dass es zumindest im Lunyu und bei Mengzi ein Thema ist. Zumindest bei Mengzi fällt mir da gleich die berühmte Geschichte mit dem Kind das in den Brunnen fällt ein. Mengzi argumentiert, dass es aus einem inhärenten Mitgefühl gutes zu tun gerettet wird und nicht wegen opportunistischer Motive oder einfach nur weil das Schreien nervt....
Im Lunyu kreist vieles um den Gedanken von 'ren' (仁), Mitgefühl, d.h. um das Verhältnis zweier Menschen zueinander. Oder der Satz: "Was man selber nicht will soll man auch keinem anderen zufügen."
Auch wenn das alte chinesische Denken nicht christlich ist im Sinne der christlichen Dogmatik, oder wie es die Jesuiten versucht haben dort zu finden, so gibt es schon Vergleiche die man ziehen kann. Das Christentums ist ja auch nicht vom Himmel gefallen sondern hat sich durch das Denken und die Sprache der 'Heiden' ausgedrückt und so langsam zu einer eigenen Sprache gefunden. Es ist sogar Programm des Christentums die 'Heiden' zu integrieren. Dass da Ideal und Realität historisch wieder weit auseinander klaffen und viel böses Blut geflossen ist, ist ein anderes Thema. Aber es ist eine Tatsache, dass das Christentum nicht einfach Tabula Rasa mit allen Kulturen gemacht hat und etwas komplett Neues gebracht hat, sondern ganz viel altes integriert hat und in eigener Erfahrung neu gedeutet hat. Dazu kann man einen Blick in "Assmann: Moses der Agypter" werfen; oder "Adolf Weiß: Madonna Platytera"; oder die Ursprünge des Vater unser.....
Taijiquan gibt es mit viel Wohlwollen seit dem 17. Jahrhundert, das Daodejing wenn ich dem Internet trauen darf seit mindestens dem 4. Jahrhundert VOR Christus. Da ist eher kein "Kampfkunstbezug" gemeint.
Kann man sagen Wuwei meint so etwas wie die Abwesenheit von Künstlichkeit?
Pansapiens
02-07-2020, 03:04
-
Pansapiens
02-07-2020, 04:14
Wie du jetzt auf den Altruismusgedanken gekommen bist ist mir noch ein Rätsel?? Kann da jetzt spontan keine Verbindung zu 'wuwei' herstellen wen du das meinst?
Ich nehme mal an, dass Eistee Altruismus als Komplement zu Egoismus versteht.
D.h. wenn Du schreibst (worauf er sich ja bezog), dass wuwei kein egoistisches tun ist, wäre es - in diesem Verständnis - altruistisch:
Vorne weg vielleicht ganz allgmein. Ich denke alle sind sich einig, dass wuwei nicht einfach nur nichts tun bedeutet, sondern ein tun im Sinne des Dao meint. Das wiederum im Kontext verstanden, dass es eben kein egoistisches tun ist.
auch Julian Braun schrieb ja:
Ich würde jetzt einfach mal sagen, "nicht-Handeln" im Sinne einer Nicht-Einmischung durch das selbstverhaftete Ich
Wenn man allerdings Altruismus nicht als Komplement zum Egoismus (alles was nicht egoistisch ist, ist altruistisch) auffasst, sondern als Gegensatz (das egoistische Handeln bevorzugt die eigene Person, das altruistische alle anderen Personen), kann es noch eine dritte Postion geben.
Diese wird ja auch durch das mosaische Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ ausgedrückt:
Weder soll man sich selbst mehr lieben, als die anderen, noch soll man sich selbst weniger lieben als die anderen, sondern sich selbst und die anderen gleichermaßen.
Zum Gewinnenwollen passt es dennoch nicht, denn das bevorzugt ja die eigene Person...
In einem sportlichen Wettkampf könnte man noch sagen: "Ich bevorzuge Gegner, keine Opfer" und strengt sich dann vielleicht seinerseits ordentlich an um dem anderen ein würdiger Gegner zu sein.
Wenn es nicht um den Kampf an sich geht, sondern der Mittel zum Zweck ist, sieht die Sache wieder anders aus.
Das Christentums ist ja auch nicht vom Himmel gefallen sondern [...]
...wurde einer Jungfrau in den Schoß gelegt. :blume:
Gibt es irgendwelche mit Wuwei vergleichbare Konzepte aus anderen Kulturkreisen bzw. dem Westen?
Ja, die Aufgabe des eigenen Wollens und die Hingabe an Gott.
Der Islam trägt das sogar im Namen:
Das arabische Wort Islām (islām / إسلام) ist ein Verbalsubstantiv zu dem arabischen Verb aslama („sich ergeben, sich hingeben“). Es bedeutet wörtlich das „Sich-Ergeben“ (in den Willen Gottes), „Sich-Unterwerfen“ (unter Gott), „Sich-Hingeben“ (an Gott), oft einfach mit Ergebung, Hingabe und Unterwerfung wiedergegeben
Die Christen sollen laut Jesus beten "Dein Wille geschehe"
und in Sprüche 16 finden wir:
Befiehl dem HERRN deine Werke, so wird dein Vorhaben gelingen.
Im Buddhismus strebt man auch danach, das egoistische Wollen zu überwinden.
Allerdings ist es leichter, den eigenen Willen mit dem Gottes zu verwechseln, oder zu meinen, man würde nach dem Himmel, Dao, aus der Leere heraus... handeln, als es wirklich zu tun.
Und dann gibt es natürlich Leute, die behaupten, die Vertreter Gottes zu sein, und man solle sich daher ihnen und ihrem Willen (der angeblich der Wille Gottes sei) unterwerfen.
Bücherwurm
02-07-2020, 06:01
Kann man sagen Wuwei meint so etwas wie die Abwesenheit von Künstlichkeit?
Würd ich so sehen, wenn man es nur auf Naturgesetze bezieht.
Wie schon gesagt heißt es wörtlich "ohne tun".
Nein, es heißt „Das Nichts wirkt“, jedenfalls wenn man Herrn Hong, dem muttersprachlichen Professor an der Akademie der Geisteswissenschaften aus Beijing, glauben darf.
Ralph, organisier Dir einen Sinologen, am besten einen Professor und Muttersprachler, dann können wir uns von mir aus irgendwo in Deutschland treffen und ich bin gerne bereit das zu diskutieren.
Es ist ja nicht so, dass diese Lesart frei von jedem Kontext nicht undenkbar wäre, das muss ich den Herren Geldsetzer/Hong schon zugestehen, aber im Kontext des Daodejing ist sie schon sehr an den Haaren herbeigezogen. Das kann ich sehr klar begründen. Was das Daodejing angeht bin ich sogar bereit eine Wette einzugehen. Wenn ich recht behalte finanzierst Du mir ein Jahr lang meine Übersetzertätigkeit. Im Gegenzug dazu werde ich dich auch ehrenhaft als großzügigen Spender erwähnen. Sollte ich falsch liegen, komme ich in Deiner Schule vorbei und werf mich im Staub vor Dir nieder und entschuldige mich für meine Rechthaberei. Davon kannst Du auch gerne ein Erinnerungsphoto machen und hier im KKB posten um wissenschaftlich korrekt zu beweisen, wie du das ja immer so gerne tust, dass du recht hast. Dazu stehe ich.
Wenn man Wuwei im Kontext des Menschen betrachtet, dann muss man sich zuerst die psychische Komponente des Menschen angucken.
Dort meint es „das Nichts wirken lassen“. Das Dao west in der Einheit von Sein und Nichts (bei Geldsetzer und Hong sehr schön auf S. 212f ausgearbeitet)
Da „Sein“ und „Nichts“ eine Manifestation von Yang und Yin in der Welt sind muss man sich angucken was das „Nichts“ im daoistischen Sprachgebrauch im Bereich der menschlichen Psyche ist. Dazu hat Darga ja eine schöne Übersetzung als Promotion gemacht.
Dieses „Nichts“ und dieses „Sein“ sind natürlich in der Welt nicht immer „rein“ sondern werden durch die acht Trigramme dargestellt.
Der Mensch wird unterteilt in Psyche (Yang) und Körper (Yin). Die Psyche wird wieder unterteilt in Verstand (Yi, Yang) und Geist (Shen, Yin).
Das Schriftzeichen für „Dao“ ist ein „Kopf über Weg“. Geldsetzer und Hong zeigen sehr schön die Idee dahinter: Man muss seinen Kopf in Bewegung setzen, es ist eine Denkbewegung, oder auch die Bewegung des Denkens selbst. Man kann es auch so sehen das es der Kopf ist als Ausgang für eine Bewegung. Daher kommt die Bedeutung des Prinzips des Erstens (Geldsetzer/Hong S. 208).
Im Kontext des Menschen wird das Dao also durch Xing (die Wesensnatur, mit ihren Komponenten Yi und Shen) im Kopf verstanden. Dazu muss man aber Shen und Yi harmonisieren.
Xing kann man aber nur harmonisieren wenn man auch Ming (die Lebenskraft, bestehend aus Qi und Li) harmonisiert. Letztlich müssen dann das harmonisierte Xing UND das harmonisierte Ming harmonisiert werden damit man, als Mensch, das Dao verwirklichen kann.
Das wiederum bringt uns dann zur daoistischen Lebenspflege, den körperlichen Übungen (um eben Ming zu harmonisieren) und der Arbeit mit „Ideen“ (um Xing zu harmonisieren). Die „TCM“ baut dann wiederum auch auf diesem „Menschenbild“ auf, da sie von außen auf die Harmonisierung mit Nadeln, Ernährung, Tees, Gymnastik etc. einwirkt. Dazu gehören dann natürlich auch noch die 5 Elemente, die die acht Trigramme ergänzen.
Im Kontext des Kampfes (jedenfalls im Bagua und Yiquan) bedeutet Wuwei das Nichts, die Leere, zu nutzen. Dazu muss man aber verstehen was diese Leere alles im Menschen und der Natur ist. Damit man das aber verstehen kann muss man wissen wie es mit seinem Yang Partner interagiert und was dieser Yang Partner (das Sein) im Menschen und der Natur alles ist.
Ralph, organisier Dir einen Sinologen, am besten einen Professor und Muttersprachler, dann können wir uns von mir aus irgendwo in Deutschland treffen und ich bin gerne bereit das zu diskutieren.
Wieso sollte ich das mit einem Internetschreiberling wie Dir diskutieren wollen? Das ist sinnlos. Ich diskutiere das mit verschiedenen Sinologen, die übrigens der Meinung von Geldsetzer und Hong sind.
Das, was ich im Bagua und Yiquan lerne, ist übrigens exakt das was all diese Leute auch sagen.
Du kannst gerne deine krude Meinung haben und sie verbreiten. Du musst aber nun einmal damit leben dass die Fachwelt das anders siehst als Du (und nein, ich bin nicht „die Fachwelt“ sondern Leute Geldsetzer, Hong, Darga, Eskildsen etc.).
Wieso sollte ich das mit einem Internetschreiberling wie Dir diskutieren wollen? Das ist sinnlos. Ich diskutiere das mit verschiedenen Sinologen, die übrigens der Meinung von Geldsetzer und Hong sind.
Das, was ich im Bagua und Yiquan lerne, ist übrigens exakt das was all diese Leute auch sagen.
Du kannst gerne deine krude Meinung haben und sie verbreiten. Du musst aber nun einmal damit leben dass die Fachwelt das anders siehst als Du (und nein, ich bin nicht „die Fachwelt“ sondern Leute Geldsetzer, Hong, Darga, Eskildsen etc.).
Mit Martina Darga könnte man wenigsten vernünftig diskutieren. Hab ihren Unterricht besucht als ich in München an der Sinologie war LOL.
Zum Rest sag ich mal lieber nichts mehr. Sonst gibt das hier noch eine Doktorarbeit. Mein Angebot steht Ralph. Zeig doch mal Kante und leg die Karten auf den Tisch und versteck dich nicht immer hinter Deiner Rechthaberei. Mit Martina könnte ich mir das z.B. gut vorstellen das mal anzuschauen. Du scheinst ja einen guten Draht zu Ihr zu haben. Schreib Sie an und lass uns einen Nachmittag über wuwei reden. Ich lad euch beide zum Essen und zum Tee ein. Allen Ernstes.
carstenm
02-07-2020, 09:49
... macht er sich den natürlichen Gang der Natur durch leichte Abwandlung (vgl. Aikido) zu eigenen Zwecken zu Nutze.Noch einmal: Ich weiß nicht, in welcher Traditionslinie, oder bei welchem Lehrer du übst, aber deine Vorstellung von aikidô beruht auf einem trivialisierten Verständnis, das den Zugang zu den ursprünglichen, eigentlichen Inhalten des Übens offenbar verloren hat.
Mein Angebot steht Ralph.
Wie gesagt, ein Treffen mit Dir ist sinnlos. Du weißt es ja eh besser als die Sinologen und muttersprachlichen Professoren. Da werde ich nicht meine Zeit mit Dir vergeuden.
Wie gesagt, ein Treffen mit Dir ist sinnlos. Du weißt es ja eh besser als die Sinologen und muttersprachlichen Professoren. Da werde ich nicht meine Zeit mit Dir vergeuden.
Ich hatte schon einen Blick in die Glaskugel geworfen und gesehen das die Antwort kommt ;-)
Dort meint es „das Nichts wirken lassen“. Das Dao west in der Einheit von Sein und Nichts (bei Geldsetzer und Hong sehr schön auf S. 212f ausgearbeitet)
Wie kannst du Nichts und Leere gleichsetzen?!!! Die Leere wirken lassen, wie du es ja am Anfang geschrieben hattest, wäre ja noch ein interessanter Ansatz gewesen. Aber Nichts ist nicht Leere.
Vers 11 aus dem Daodejing den Geldsetzer/Hong auf S.212 zitieren ist übrigens ein Paradebeispiel dafür, dass man 'wu' nicht mit Nichts übersetzen kann und 'you' nicht mit Sein. Die Sache mit dem dialektischen Prinzip bei Laozi gar keine Einwände, aber alles andere sehe ich sehr kritisch. Sie stolpern ja im Prinzip über sich selbst, da sie erst ziemlich erzwungen vom 'leeren Nichts' reden, dann aber nur noch vom 'leer' reden im weiteren Verlauf der eher freien Zitierung des Verses.
Im ganzen Vers geht es ja darum, dass das was Leer ist eben gerade den Nutzen und Sinn des gesamten ausmacht. Dass also das, was scheinbar immer übersehen wird und für nutzlos und wertlos gehalten wird den eigentlich Nutzen ausmacht. Das erste ist die Nabe am Rad; das zweite das Gefäß das hohl/leer ist und das dritte der Raum mit dem Fenster.
Die Nabe ist leer und ermöglicht daher die Funktion des Rades. 'You' bedeutet 'haben' und weil es Speichen und andere Sichtbare Teile HAT (you) ergibt sich in seiner Zusammensetzung die Nabe, die nicht Nichts ist, sondern sich durch ihre Leerheit (wu, ohne, eben ohne all das sichtbare und konkrete) auszeichnet und dadurch einen ganz konkreten Zweck erfüllt. 'You' beschreibt also das Konkrete im Sichtbaren, während 'wu' ein sehr konkretes Wirken im Unsichtbaren beschreibt. Das Wirken tut aber nicht gewollt etwas, sondern allein durch sein Vorhandensein wirkt es. 'Wu' ist also ein konkretes "sein", ein Vorhandensein. Das ist ja genau der springende Punkt warum die Gegenüberstellung von Sein und Nichts in dem Kontext hier kein dialektisches Paar bilden können. Wir würden dem Sein ja auch eher das Nichtsein gegenüberstellen. Das lässt die Problematik offen, wie es im Daodejing auch ist. Mann könnte also vielleicht noch von 'Sein' (wu) und 'Haben' (you) reden. Dann würde aber 'wu' mit Sein übersetzt werden und nicht 'you'.
Dazu kommt noch, dass 'wu' und 'wuwei' nicht einfach beliebig gleichgesetzt werden können. Wenn von 'wu' die Rede ist, ist damit ein gewisses Phänomen gemeint. Wenn von 'wuwei' die Rede ist, ist damit eine Aufforderung an den Menschen gemeint sich in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten.
Die Buddhisten haben dann aus 'wuwei' und 'youwei' einen Fachterminus gemacht, der das 'Unbedingte' (Leere, oder auch unbedingte Dharmas (wuweifa)), bzw. das 'Bedingte' (bedingte Dharmas (youweifa)) meint. Gerade deshalb fand ich es ja noch interessant 'wuwei' im Daodejing als 'das Leere wirkt' zu verstehen (vielleicht besser 'die Leere wirken lassen'. Leere wäre dann hier wieder mit Dao gleichzusetzen). Das hätte im Gegensatz zum Nichts ja noch Sinn gemacht. 'Das Leere wirkt' ist im buddhistischen Kontext ja schon fast eine wörtliche Übersetzung von 'unbedingt', oder 'unbedingte Leere'.
Da „Sein“ und „Nichts“ eine Manifestation von Yang und Yin in der Welt sind muss man sich angucken was das „Nichts“ im daoistischen Sprachgebrauch im Bereich der menschlichen Psyche ist. Dazu hat Darga ja eine schöne Übersetzung als Promotion gemacht.
Eine tolle, richtungsweisende Arbeit! Kann man wirklich nur jedem der sich in der Richtung interessiert an's Herz legen.
Vers 11 aus dem Daodejing den Geldsetzer/Hong auf S.212 zitieren ist übrigens ein Paradebeispiel dafür, dass man 'wu' nicht mit Nichts übersetzen kann und 'you' nicht mit Sein. Die Sache mit dem dialektischen Prinzip bei Laozi gar keine Einwände, aber alles andere sehe ich sehr kritisch. Sie stolpern ja im Prinzip über sich selbst,
Wie gesagt, du weißt es besser als die Professoren.
Nur noch einmal zur Erinnerung: Geldsetzer ist Professor für Philosophie und Hong Professor an der Akademie der Geisteswissenschaften in Beijing.
Aus genau diesem Grund lohnt es sich nicht sich mit Dir abzugeben. Verschwendete Lebenszeit.
Wie gesagt, du weißt es besser als die Professoren.
Nur noch einmal zur Erinnerung: Geldsetzer ist Professor für Philosophie und Hong Professor an der Akademie der Geisteswissenschaften in Beijing.
Nicht besser, nur hab ich eine andere Meinung die ich begründen kann und die für jeden nachvollziehbar ist. In dem konkreten Fall hier würde ich sogar sehr weit gehen weil es einfach wirklich problematisch ist was die Herren Geldsetzer/Hong zu Papier gebracht haben.
Es scheint ja gerade zu symptomatisch für unsere Zeit zu sein, dass eine begründete andere Meinung nicht mehr diskutiert werden muss wenn nur ein Leitwolf vorne sagt das ist Quatsch. Milgram lässt grüßen lieber Ralph.
Ist das Nichts aus Wuwei ungefähr das Gleiche wie das Mu aus dem Zen?
wu aus wuwei ist dasselbe Zeichen wie mu aus dem Zen. Wird nur anders ausgesprochen. Wird aber in einem anderen Kontext gebraucht.
carstenm
02-07-2020, 14:32
... macht er sich den natürlichen Gang der Natur durch leichte Abwandlung (vgl. Aikido) zu eigenen Zwecken zu Nutze.Noch einmal: Ich weiß nicht, in welcher Traditionslinie, oder bei welchem Lehrer du übst, aber deine Vorstellung von aikidô beruht auf einem trivialisierten Verständnis, das den Zugang zu den ursprünglichen, eigentlichen Inhalten des Übens offenbar verloren hat.Es geht dem Verständnis von wuwei im aikidô - und m.E. auch sonst - nicht darum, den Menschen als einen Akteur zu beschreiben, der aber nicht agiert. Sondern den Menschen zu beschreiben als einen, der dem dao Raum gibt zu handeln. So daß das dao, das Nichts "durch ihn hindurch" agieren kann. Das Nichts / dao handelt.
Um das zu erreichen, gibt es Übungswege, die dazu helfen, diesen Raum zu geben, psychisch und aber in Künsten wie aikidô - oder insbesondere auch nei gong - tatsächlich auch physisch.
Nach Ueshiba ist 合気道 ein Weg, "Frieden" zu erreichen. Im Denken Ueshibas (Ômoto kyô, eine neo-shintô Sekte mit daoistischen Wurzeln. Und zur Zeit Ueshibas mit einem Führer, der sich dem Daoismus noch einmal ganz neu intesiv zugewandt hat.) meint "Frieden" das entsprechende Hexagramm tai, das sich aus kun (oben) und qian (unten) zusammensetzt.
Aufgabe des geistigen und vor allem aber auch physischen Übens ist es, im Übenden die Harmonie von Himmel und Erde = 合気 = tai herzustellen. Und diese Harmonie von Himmel und Erde im Menschen dann wirken zu lassen auf einen anderen Menschen, den sog. Angreifer der sich dazu in Kontakt begibt. Es ist also nicht der Übende, der etwas nicht tut. (wu wei) Sondern er macht (wei), daß das Nichts, dao, Friede handeln kann (wu wei), ohne von dem Übenden gehindert zu werden (was dem Hexagramm pi entspräche: qian oben, kun unten).
Es geht also in dem Verständnis von Ueshiba - und also beim Üben von aikidô - weniger darum, nicht zu handeln oder dergleichen, sonder darum, im eigenen Körper 合気 zu erzeugen. Damit das dao handeln kann.
Konkret erlebt man das beim Üben dann z.B. in dem Phänomen des Erzeugens von Ungleichgewicht unmmittelbar bei und durch den Kontakt selber. Oder überhaupt, wenn es gelingt, die Struktur des Angreifers zu betreffen, ohne sich selbst äußerlich zu bewegen.
... so in etwa ungefähr ...
In dem konkreten Fall hier würde ich sogar sehr weit gehen weil es einfach wirklich problematisch ist was die Herren Geldsetzer/Hong zu Papier gebracht haben.
Q.e.d.
Könnt ihr mal ein paar Beispiele nennen wie angewandtes Wuwei in der Praxis ausschauen könnte? Wie verhält sich jemand der das Prinzip verinnerlicht hat und woran kann man so jemanden erkennen?
Bücherwurm
02-07-2020, 17:05
Könnt ihr mal ein paar Beispiele nennen wie angewandtes Wuwei in der Praxis ausschauen könnte? Wie verhält sich jemand der das Prinzip verinnerlicht hat und woran kann man so jemanden erkennen?
Wenn mir der unterschwellige Haß hier zu groß wird, dann halt ich meine Fresse und verschwende keine Zeit mehr auf das Forum.
Könnt ihr mal ein paar Beispiele nennen wie angewandtes Wuwei in der Praxis ausschauen könnte? Wie verhält sich jemand der das Prinzip verinnerlicht hat und woran kann man so jemanden erkennen?
Er antwortet hier nicht weiter. :) Gelingt mir ehrlich auch nicht immer.
Könnt ihr mal ein paar Beispiele nennen wie angewandtes Wuwei in der Praxis ausschauen könnte? Wie verhält sich jemand der das Prinzip verinnerlicht hat und woran kann man so jemanden erkennen?
https://media.giphy.com/media/B0vFTrb0ZGDf2/giphy.gif
https://media.giphy.com/media/dYTfJZ2dCQBhK/giphy.gif
carstenm
02-07-2020, 19:32
Könnt ihr mal ein paar Beispiele nennen wie angewandtes Wuwei in der Praxis ausschauen könnte? Wie verhält sich jemand der das Prinzip verinnerlicht hat und woran kann man so jemanden erkennen?In der Schule, in der ich nei gong übe, wird wu wei zunächst nicht verstanden im Sinner einer Maxime der äußeren Handlungen.
Sondern als eine psychische und physische Qualität, die zu üben ist, um bestimmte Transformationsprozesse möglich zu machen. Nicht sie zu erzeugen, sondern dem Geist und dem Körper bestimmte Veränderungsprozesse zu erlauben, die aus sich selbst heraus dann erfolgen.
Ein - für mich leitender - Satz des Lehrers meiner Lehrerin in diese Richtung ist: "To create change under the action of release."
Das bedeutet auch, daß wir nicht arbeiten mit Bildern oder Vorstellungen. Sondern mit Lauschen (ting): "Use attention. Not intention."
Auch wenn das hier natürlich abstrakt klingt, gewinnt das im Üben ganz konkret Gestalt.
In meinem buddhistischen Üben korrespondiert dem vor allem die Arbeit mit den 59 Slogans des lojong.
Interessanerweise habe ich mein zen-Üben - bzw. das was meine Lehrer vermittelt haben, ich selber habe nur etwas über zwei Jahre geübt - immer als vergleichsweise sehr "aktiv" erlebt. Das, was ich inzwischen unter (wei) wu wei verstehe, habe ich so im zen nicht kennengelernt.
--- nachtrag ---
und das, was die beiden Bilder zeigen, da oben :-)
Man kann sogar ein Video von "so einem" zeigen. :)
https://www.youtube.com/watch?v=Ry4pInRxfLs
Pansapiens
02-07-2020, 23:07
Könnt ihr mal ein paar Beispiele nennen wie angewandtes Wuwei in der Praxis ausschauen könnte?
2. Der Koch
[54] Der Fürst Wen Hui hatte einen Koch, der für ihn einen Ochsen zerteilte. Er legte Hand an, drückte mit der Schulter, setzte den Fuß auf, stemmte das Knie an: ritsch! ratsch! – trennte sich die Haut, und zischend fuhr das Messer durch die Fleischstücke. Alles ging wie im Takt eines Tanzliedes, und er traf immer genau die Gelenke.
Der Fürst Wen Hui sprach: »Ei, vortrefflich! Das nenn' ich Geschicklichkeit!« Der Koch legte das Messer beiseite und antwortete zum Fürsten gewandt: »Der SINN ist's, was dein Diener liebt. Das ist mehr als Geschicklichkeit. Als ich anfing, Rinder zu zerlegen, da sah ich eben nur Rinder vor mir. Nach drei Jahren hatte ich's soweit gebracht, daß ich die Rinder nicht mehr ungeteilt vor mir sah. Heutzutage verlasse ich mich ganz auf den Geist und nicht mehr auf den Augenschein. Der Sinne Wissen hab' ich aufgegeben und handle nur noch nach den Regungen des Geistes. Ich folge den natürlichen Linien nach, dringe ein in die großen Spalten und fahre den großen Höhlungen entlang. Ich verlasse mich auf die (anatomischen) Gesetze. Geschickt folge ich auch den kleinsten Zwischenräumen zwischen Muskeln und Sehnen, von den großen Gelenken ganz zu schweigen.
Ein guter Koch wechselt das Messer einmal im Jahr, weil er schneidet. Ein stümperhafter Koch muß das Messer alle Monate wechseln, weil er hackt. Ich habe mein Messer nun schon neunzehn Jahre lang und habe schon mehrere tausend Rinder zerlegt, und doch ist seine Schneide wie frisch geschliffen. Die Gelenke haben Zwischenräume; des Messers Schneide hat keine Dicke. Was aber keine Dicke hat, dringt in Zwischenräume ein – ungehindert, wie spielend, so daß die Klinge Platz genug hat. Darum habe ich das Messer nun schon neunzehn Jahre, und die Klinge ist wie frisch geschliffen. Und doch, so oft ich an eine Gelenkverbindung komme, sehe ich die Schwierigkeiten. Vorsichtig nehme ich mich in acht, sehe zu, wo ich haltmachen muß, und gehe ganz langsam weiter und bewege das Messer kaum merklich – plötzlich ist es auseinander und fällt wie ein Erdenkloß zu Boden. Dann stehe ich da mit dem Messer in der Hand und blicke mich nach allen Seiten um. Ich zögere noch einen Augenblick befriedigt, dann reinige ich das Messer und tue es beiseite.« Der Fürst Wen Hui sprach: »Vortrefflich! Ich habe die Worte eines Kochs gehört und habe die Pflege des Lebens gelernt.«
http://www.zeno.org/Philosophie/M/Zhuang+Zi+(Dschuang+Dsi)/Das+wahre+Buch+vom+s%C3%BCdlichen+Bl%C3%BCtenland/1.+Esoterisches/Buch+III/2.+Der+Koch
Pansapiens
02-07-2020, 23:12
Wenn mir der unterschwellige Haß hier zu groß wird, dann halt ich meine Fresse und verschwende keine Zeit mehr auf das Forum.
Nett von den Moderatoren, dass die Dich regelmäßig dabei unterstützen..:)
Pansapiens
02-07-2020, 23:36
woran kann man so jemanden erkennen?
https://www.youtube.com/watch?v=ObbVO3A3BvA&feature=youtu.be&t=110
Das bedeutet auch, daß wir nicht arbeiten mit Bildern oder Vorstellungen. Sondern mit Lauschen (ting): "Use attention. Not intention."
Das wird Chuck Norris* nicht freuen. Alle IMA benutzen Bilder oder sie machen es eben falsch. Leere ist nur für dumme, soweit ich das mitbekommen habe. Ohne 1000 Bilder/sec. kein Fortschritt!
(*Kankens Interpretation von Pauls Bagua und IMA im Generellen über ganz China und alle Zeit)
Wie Mr. Spock aus Star Trek der versucht Emotionen analytisch und wissenschaftlich, anhand von Fachliteratur und Quellen, zu definieren und allgemeingültig zu erklären.
**troll modus, off.
Das wird Chuck Norris* nicht freuen. Alle IMA benutzen Bilder oder sie machen es eben falsch. Leere ist nur für dumme, soweit ich das mitbekommen habe. Ohne 1000 Bilder/sec. kein Fortschritt!
(*Kankens Interpretation von Pauls Bagua und IMA im Generellen über ganz China und alle Zeit)
Wie Mr. Spock aus Star Trek der versucht Emotionen analytisch und wissenschaftlich, anhand von Fachliteratur und Quellen, zu definieren und allgemeingültig zu erklären.
**troll modus, off.
Genau lesen musst, junger Jedi. Carsten schreibt hier von seiner Neigong-Schule, nicht von IMA.
Genau lesen musst, junger Jedi. Carsten schreibt hier von seiner Neigong-Schule, nicht von IMA.
Neigong, also spelled nei kung, neigung, or nae gong, refers to any of a set of Chinese breathing, meditation and spiritual practice disciplines associated with Daoism and especially the Chinese martial arts
Könnt ihr mal ein paar Beispiele nennen wie angewandtes Wuwei in der Praxis ausschauen könnte? Wie verhält sich jemand der das Prinzip verinnerlicht hat und woran kann man so jemanden erkennen?
Das hatte ich ja oben (https://www.kampfkunst-board.info/forum/showthread.php?190141-Diplomarbeit-Yiquan-ZhanZhuang&p=3745774#post3745774) schon beschrieben. Bin dafür natürlich gleich kritisiert worden.
Hatte auch ein Bild (https://lh4.googleusercontent.com/proxy/sC54XyCuiRKEMJIOi76QoTQ9S4lUHecCefJdywz4afItA819AG vttb121EtKjY2WkpmwIlxqxjx31kjfjUAzQKP6FL7RjD_czFCN 5t655aCXc1A) von Ueshiba gepostet, wie das dann aussehen kann. Wie also jemand aussieht, der diese Prinzipien verinnerlicht hat. Kommt natürlich gleich einer, und schreibt, so ist das im Aikido alles gar nicht, und das Bild ist ganz anders gemeint. Ja, klar.
Deckt sich aber ziemlich genau mit dem, was der Koch oben (https://www.kampfkunst-board.info/forum/showthread.php?190141-Diplomarbeit-Yiquan-ZhanZhuang&p=3747727#post3747727) macht: Die Natur sowohl mit Verstand als auch mit Intuition beobachten, die Gegebenheiten verinnerlichen (also z.B. die Stellen, wo beim geschlachteten Ochsen die Gelenke sind) und dann mühelos die Gegebenheiten für eigene, ggf. egoistische Zwecke nutzen (z.B. um den geschlachteten Ochsen zu zerteilen oder um den Gegner im Aikido zu Fall zu bringen).
Auch Herkules wußte genau, an welcher Stelle er den Fluß umleiten mußte, damit er in den Stall des Augias fließt.
" ... indem ich "durch ihn durch" schiebe, wo sind seine weichen und harten Stellen, wann wechselt er (https://youtu.be/c8EXMHTt_o0?t=140)" (J.S.)
Genau das. Beobachten und Ausnutzen der bereits bestehenden Gegebenheiten. Nicht handeln. Stattdessen wissen. Wissen, wann der rechte Zeitpunkt gekommen ist und was dann zu tun ist. Erst dann handeln. Dann ist nur noch eine minimale Aktion nötig.
Der Koch, Ueshiba, Silberstorff - Stimmt alles überein. Wird dann wohl so sein.
P.S.: Hab mal wieder ein bißchen in "Geschichte der chinesischen Philosophie" (Bauer) geschmökert.
Das Prinzip "Wu Wei" kommt ja schon im Daodejing vor, das bekanntlich um 500 v. Chr. verfaßt wurde.
"Der Wissende redet nicht", kommt mir in den Sinn, auch hier also ein Nicht-Handeln. "Tue nichts, und alles ist getan".
Das heißt, seit 2500 Jahren versuchen auch die chinesischen Philosophen zu verstehen, was mit diesem "Wu wei" nun genau gemeint ist. Auch da gab es in dieser halben Ewigkeit verschiedene Interpretationen.
Und dann kam auch noch der Buddhismus. Danach ist sogar das Lebensziel des Weisen das Nirvana, also das Nichts, das Nicht-Handeln. Damit bekamen diese Begriffe noch einmal eine weitere Färbung.
Wenn Gelehrte in 2500 Jahren nicht verständlich erklären konnten, was genau dieses "Wu Wei" eigentlich ist, dann werden wir das in ein paar Forenpostings auch nicht schaffen.
Da können wir uns gut den Mund fusselig reden. Ich denke, stattdessen ist Toleranz gefragt, wenn der eine das so, der andere das anders versteht.
Vielleicht sind die Vorstellungen von "Wu wei" letztlich so unterschiedlich wie die Vorstellungen von Gott. Auch darüber läßt sich viel, aber nicht gewinnbringend streiten.
Deswegen denke ich mir, dass es vielleicht eine gute Idee ist die Schnittmenge mit anderen Denkschulen zu suchen, oder auch mit der modernen Wissenschaft und Konzepten wie Flow. Klar ist da nicht alles deckungsgleich, aber wen Wuwei auf etwas konkretes abzielt und wirklich funktioniert (innerer Frieden und so weiter) dann werden das Prinzip auch andere entdeckt haben. Für mich als Laie hört sich https://de.wikipedia.org/wiki/Mushin z.B. schon grob danach an. Will sagen, vielleicht ist das nicht nur eine Frage für Sinologen und Philosophen sondern auch für vergleichende Religionswissenschaften.
Was "Der Wissende redet nicht" angeht könnte damit vielleicht auch nur so etwas wie der Dunning-Kruger-Effekt gemeint sein. Im Sinne dessen, dass die fachlich kompetenten Leute ein gewisses Maß an Unsicherheit haben und vorsichtig sind was sie sagen. Aber das ist nur meine spontane Annahme.
Ich meine nicht, dass diese Geisteshaltung als Werkzeug von Soziopathen gemeint ist. An sich fehlt es in dem Zustand an der Absicht, also auch an der Absicht irgendwas zu wollen. Man übernimmt die Absicht vom Dao, wobei ich nicht ausschliessen möchte dass es auch eine Mediation eigener, innerer Absichten (vom Shentai oder so) mit denen einer übergeordneten Instanz geben könnte. Mal handelt man, mal handelt man nicht, mal hört man nur zu, mal sagt man was, mal tut man was, mal lässt man was sein. Und ich weiss es vorher nicht, noch weiss ich genau wofür es gut gewesen ist. Gut, ein bisschen merkt man das natürlich. Frieden scheint schon eine dieser höheren Absichten zu sein. Wenn man sich vorher vornimmt was man alles nicht machen möchte, ist es nicht echt.
Ein reines Werkzeug nur um die Dinge "besser" umzusetzen die man will ist es definitiv nicht. Es ist aber nicht alles "wuwei" was irgendjemand irgendwo irgendwie mit oder bei daoistischen Praktiken machen könnte.
Neigong, also spelled nei kung, neigung, or nae gong, refers to any of a set of Chinese breathing, meditation and spiritual practice disciplines associated with Daoism and especially the Chinese martial arts
1)
Das ist die erste Zeile der englischen Wikipedia und eine Behauptung bzw. These. Dass jede mit "dem Daoismus" verbundene chinesische Atemübung, Meditation und spirituelle Praktik nei gung ist, scheint mir auf Anhieb definitiv zu sehr verallgemeinert. Damit wäre ja alles was irgendwie im Zusammenhang mit Daoismus steht neigong. Könnte man natürlich so definieren, nur macht der Begriff dann keinen Sinn mehr. Denn neigong steht ja in der Tradition als Gegenpart zu waigong, welches nicht nur buddhistische Praktiken bezeichnet, sondern auch z. B. die Unterscheidung zwischen innerem und äußerem Elixier der Unsterblichkeit beinhaltet, welches eine interne taoistische Unterscheidung ist. (Wie sinnvoll diese Unterscheidungen letztlich sind, hängt eh immer davon ab, wie gut man sie erläutert und mit mit welchem Zweck.)
2)
Aber das sagt ja vor allem noch nichts darüber aus, ob jedes neigong mit Visualisierungen, Bildern und Intention stattfinden muss.
3)
Dass neigong insbesondere als Begriff mit den Kampfkünsten in Verbindung steht, müsste ja auch belegt werden. Also wann taucht der Begriff in welchen Texten auf und in welchem Kontext? Dazu steht aber gar nix im Wiki-Artikel.
Wenn Gelehrte in 2500 Jahren nicht verständlich erklären konnten, was genau dieses "Wu Wei" eigentlich ist, dann werden wir das in ein paar Forenpostings auch nicht schaffen.
Da können wir uns gut den Mund fusselig reden. Ich denke, stattdessen ist Toleranz gefragt, wenn der eine das so, der andere das anders versteht.
Das Problem ist weniger 'wuwei' nicht verstehen oder verständlich erklären zu können als vielmehr, dass im Laufe der Geschichte verschiedene Menschen und Schulen schlicht anderer Meinung waren.
Das andere ist, dass man nur darauf hinweisen kann, man kann nur ein Gefühl davon vermitteln. Die Umsetzung im eigenen Leben ist immer was lebendiges und kein festes Schema. Da ist eben auch jeder mehr oder weniger offen dafür.
Mit der Toleranz ist halt immer so eine Sache. Da gibt es eine sehr verschwommene Linie zwischen Offenheit, Unwissenheit und Manipulation. Da ist es manchmal schwer die Grenzen richtig abzuwägen und das kann dann auch mal zu Auseinandersetzungen führen. Aber alles und allem gegenüber einfach tolerant sein ist meiner Meinung nach nicht unbedingt sehr förderlich. Ich denke ein wenig in Richtung Orwellscher Neusprech. Das mit der Verdrehung der Sprache hatte übrigens Konfuzius schon kritisiert.
Für mich als Laie hört sich https://de.wikipedia.org/wiki/Mushin z.B. schon grob danach an.
Mushin, auf chin. wuxin, heisst wörtlich ohne Absicht, oder dann auch einfach absichtslos zu sein. D.h. leer und offen sein für das was kommt und intuitiv situationsbedingt handeln. D.h. eben nicht nach bestimmten Anwendungsmustern, Stilen und Techniken handeln. Musashi ist da ja ein Paradebeispiel dafür.
Mushin no shin, auf chin. wuxin zhi xin, bedeutet ohne Absicht Bewusstsein. shin/xin heißt wörtlich Herz. Damit wird dann ein sehr breites Bedeutungsspektrum verbunden, je nach Kontext. Z.B. Gedanken, Sinn, Gefühl, als zusammengesetztes Wort: böse Absichten hegen, mit vollem Einsatz, absichtslos uvm.. Eine Bedeutung ist davon Zentrum, Mitte. Davon ausgehend hat es dann die Bedeutung von Bewusstsein entwickelt. Das kann dann so Ausdrücke wie Mushin No Shin oft sehr kryptisch erscheinen lassen und es hat sich der Ruf entwickelt dass das alles kaum zu verstehen ist. Letztendlich haben sich die Leute die so was in die Welt gesetzt haben !meistens! aber etwas sehr konkretes dabei gedacht. Das Problem liegt dann oft eher beim Leser als dass die Sache an sich nicht verständnisvoll erklärt werden kann.
Was "Der Wissende redet nicht" angeht könnte damit vielleicht auch nur so etwas wie der Dunning-Kruger-Effekt gemeint sein. Im Sinne dessen, dass die fachlich kompetenten Leute ein gewisses Maß an Unsicherheit haben und vorsichtig sind was sie sagen. Aber das ist nur meine spontane Annahme.
Da muß ich schmunzeln. Bei den "fachlich kompetenten Leute" geht es ja in dem Fall nicht um westliche Professoren oder Ingenieure, sondern gemeint sind daoistische Meister.
Wie das Daodejing möglicherweise entstanden sein könnte, hatte Bertold Brecht in einem ganz schönen Gedicht (https://www.deutschelyrik.de/legende-von-der-entstehung-des-buches-taoteking-auf-dem-weg-des-laotse-in-die-emigration.html) dargestellt. Da ist also ein alter Mann, der genug hat von der Welt und insbesondere von der Politik, und sich deshalb, auf einem Ochsen reitend (https://c8.alamy.com/compde/axnay4/bronzestatue-des-alten-chinesischen-taoistischen-philosophen-laotse-reiten-ein-ochse-in-duffryn-gardens-south-glamorgan-wales-uk-axnay4.jpg), als Einsiedler in die Natur zurückziehen will.
Der redet dann nicht mehr, weil er die Hoffnung längst aufgegeben hat, daß ihn der Zuhörer verstehen könnte oder wollte. (Deshalb zieht er sich ja zurück.)
Konfuzius, der Zeit seines Lebens ein Mann von Welt blieb, war da noch optimistischer:
Konfuzius sprach: “Wer nicht begeisterungsfähig ist, den unterrichte ich nicht. Wer nicht selbst nach Worten sucht, den leite ich nicht an. Wer mir nicht die restlichen drei Ecken zeigt, wenn ich eine Ecke aufgezeigt habe, den unterweise ich nicht weiter.” Lunyu 7.8
Er kann sich also noch vorstellen, unter Umständen jemanden zu finden, der wert ist, daß er mit ihm redet. Groß ist seine Hoffnung freilich nicht.
Wenn man einen daoistischen Meister nach dem Wesen seiner Weisheit fragt, kann er diese auch gar nicht in Worte fassen. Was sollte z.B. ein Zen-Bogenschütze über seine Kunst sagen?
Wahrscheinlich nicht viel mehr als dieser Meister der Teezeremonie (ich mochte das immer):
Der Teemeister Rikyu wurde von einem Schüler gefragt, was der Sinn des Teeweges sei. Rikyu antwortete: „Wasser holen, Feuer anzünden, Wasser erhitzen, Tee schlagen und trinken, das ist alles!“
Darauf sagte der Schüler: „Das kann ich schon alles.“,
Rikyu antwortete: „Dann möchte ich dein Schüler werden.“
Sen Soki (Soeki) Rikyû (1522-1591)
Man kann diese Dinge also höchstens in ein Gedicht fassen, von dem man dann möglicherweise auf eine merwürdige Art emotional angesprochen wird. Vielleicht sind die Sprüche des Daodejing auch so gemeint.
Ich denke das ist sogar ganz sicher so, abgesehen von den Passagen die aus einer Diskussion mit einer ganz bestimmten Person oder Fraktion entstanden sind. Also die eigentlich Briefe an jemanden sind.
Pansapiens
04-07-2020, 05:15
Da muß ich schmunzeln. Bei den "fachlich kompetenten Leute" geht es ja in dem Fall nicht um westliche Professoren oder Ingenieure, sondern gemeint sind daoistische Meister.
Ich verstehe das ähnlich, würde es so ausdrücken:
es geht nicht um "Wissen", dass man sich durch Bücher, Lehranstalten oder durch Forschung aneignen und über das man freilich sprechen kann sondern um spirituelles "Wissen" oder die Wiedergabe von entsprechenden Erfahrungen, die sich der sprachlichen Vermittlung entzieht.
Natürlich behaupten Leute, die ohne Wissen wissend erscheinen wollen (auch irgendwie "die Leere wirken lassen"), auch von Ersterem, dass es sich einer sprachlichen Vermittlung entzöge, aber die werden durch zahllose wissenschaftliche Publikationen und andere sprachliche Darlegungen von Leuten, die das hervorragend hinkriegen (weil sie Wissen vermitteln wollen und nicht Unwissen verbergen) widerlegt.
Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen;
und wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen
-Ludwig Wittgenstein-
So ist mit "wer weiß redet nicht" IMO nicht derjenige gemeint, der Sagbares weiß.
Allerdings scheint sich der Dunning-Kruger-Effekt sich auch auf das Unsagbare und Spirituelle zu erstrecken.
Wie das Daodejing möglicherweise entstanden sein könnte, hatte Bertold Brecht in einem ganz schönen Gedicht (https://www.deutschelyrik.de/legende-von-der-entstehung-des-buches-taoteking-auf-dem-weg-des-laotse-in-die-emigration.html) dargestellt. Da ist also ein alter Mann, der genug hat von der Welt und insbesondere von der Politik, und sich deshalb, auf einem Ochsen reitend (https://c8.alamy.com/compde/axnay4/bronzestatue-des-alten-chinesischen-taoistischen-philosophen-laotse-reiten-ein-ochse-in-duffryn-gardens-south-glamorgan-wales-uk-axnay4.jpg), als Einsiedler in die Natur zurückziehen will.
Der redet dann nicht mehr, weil er die Hoffnung längst aufgegeben hat, daß ihn der Zuhörer verstehen könnte oder wollte. (Deshalb zieht er sich ja zurück.)
schon wieder Brecht...
Tatsächlich hat sich Brecht das ja nicht ausgedacht, und aufgrund dieser Darstellung der Rahmenereignisse habe ich mir schon vor vielen Jahren gedacht, warum man sich jemanden zum Vorbild nehmen soll, der offensichtlich mit seinen Bemühungen in der Welt gescheitert ist, und frustriert aussteigt?
Also wenn man selbst einigermaßen erfolgreich unter den Menschen leben will und nicht selbst zum Einsiedler werden?
Man kann es auch so sehen: Keiner hat sich für das interessiert was er zu sagen hatte und hat sich dann halt damit begnügt woanders in Ruhe zu leben.
In dem Punkt sind sich Laozi und Konfuzius übrigens ziemlich einig. Gleich im ersten Kapitel des Lunyu ist ein Spruch: Wenn man nicht verstanden wird (oder wenn man keine Anerkennung findet) und darüber keinen Groll aufkommen lässt, ist derjenige nicht auch ein Edler?
Oder: Man sollte sich nicht Sorgen darüber machen, dass einen die Leute (die Welt) nicht verstehen, sondern sich sorgen die Leute (die Welt) nicht zu verstehen.
Konfuzius hat sich übrigens ein Leben lang in der Welt abgerackert und wollte sie verbessern und ist dann aber einsam und alt gestorben weil er nicht akzeptiert wurde. Mit "scheitern" und "frustriert" würde ich daher vielleicht eher Konfuzius beschreiben (wobei letzteres laut seinem ersten Spruch ja eher auch nicht zutrifft). Schaut man sich aber von heute her an was aus dem Vermächtnis von Konfuzius geworden ist und das was "Laozi" zurückgelassen hat, dann muss sich schon fragen, wer war hier jetzt eigentlich "erfolgreicher"? Konfuzius' eigentlich sehr gut gemeinte Absicht wurde im Laufe der Geschichte systematisch mißbraucht und die Menschen damit gegängelt, während "Laozi" sich aus dem Staub gemacht hatte und noch ein paar gute Sprüche zurückgelassen hat, die einmal wohl weniger Schaden in der Welt angerichtet haben und zum anderen vielleicht dem ein oder anderen viel geholfen hat...... Ich denke, das ist ein gutes Beispiel für gelebtes Wuwei.
Pansapiens
04-07-2020, 06:00
Deswegen denke ich mir, dass es vielleicht eine gute Idee ist die Schnittmenge mit anderen Denkschulen zu suchen, oder auch mit der modernen Wissenschaft und Konzepten wie Flow.
Über "Flow" nach Csikszentmihalyi gibt es in der hier "diskutierten" Diplomarbeit übrigens einen eigenen Abschnitt, daraus:
Nun möchte ich flow im Kontext der Stehpraxis von Yiquan beschreiben,
um herauszufinden, inwieweit eine nach innen gerichtete Wahrnehmung
zu flow führen kann. Erlebnisberichten von flow Erlebnissen zufolge
25
weisen diese ein Merkmal auf, welches auch bei meditativen Zuständen
als charakteristisch gilt. Der Bewusstseinszustand wird bewusst erlebt
und wahrgenommen, sobald jedoch eine Reflexion über den Bewusstseinszustand auftritt, merkt der Erlebende, sich damit aus dem meditativen Zustand heraus katapultiert zu haben.
Irgendwo (bedrucktes Papier) habe ich mal eine Differenzierung zwischen verschiedenen Ausprägungen von Samadhi (https://de.wikipedia.org/wiki/Samadhi) gelesen.
Das waren nach meiner Erinnerung drei und "Flow" passte auf eine davon, wenn sich der Mensch selbstvergessen in einer Tätigkeit aufgeht.
Das zählte aber noch zu relativem Samadhi, nicht zu absolutem.
Was "Der Wissende redet nicht" angeht könnte damit vielleicht auch nur so etwas wie der Dunning-Kruger-Effekt gemeint sein.
Ja, allerdings, wie gesagt, mit der Einschränkung auf das Unsagbare.
Der Satz steht ja in einem Kontext, in dem das Dao als unsagbar definiert wird.
Das Dao, von dem man sprechen kann,
ist nicht das immerwährende Dao.
Der Name, den man benennen kann,
ist nicht der immerwährende Name.
Das findet sich natürlich auch in anderen Traditionen.
Man denke an "Du sollst Dir kein Bild von Gott machen" oder dieses Mantra aus dem Sikhismus, das IMO die Eigenschaften Gottes beschreibt:
Ajai Alai - Invincible, Indestructible.
Abhai Abai - Fearless, Unchanging.
Abhoo Ajoo - Unformed, Unborn.
Anaas Akaas - Imperishable, Etheric
Aganj Abhanj - Unbreakable, Impenetrable.
Alakkh Abhakkh - Unseen, Unaffected.
Akaal Dy-aal - Undying, Merciful
Alaykh Abhaykh - Indescribable, Uncostumed.
Anaam Akaam - Nameless, Desireless.
Agaah Adhaah - Unfathomable, Incorruptible.
Anaathay Pramaathay - Unmastered, Destroyer.
Ajonee Amonee - Beyond birth, Beyond silence.
Na Raagay Na Rangay - Beyond love, Beyond color.
Na Roopay Na Raykhay - Beyond form, Beyond shape.
Akarmang Abharmang - Beyond karma, Beyond doubt.
Aganjay Alaykhay - Unconquerable, Indescribable.
https://www.youtube.com/watch?v=LI-uGYmzMVM
Pansapiens
04-07-2020, 06:11
Man kann es auch so sehen: Keiner hat sich für das interessiert was er zu sagen hatte und hat sich dann halt damit begnügt woanders in Ruhe zu leben.
Mag sein.
Als junger Mensch, der auch Orientierung suchte, fragte ich mich halt, ob so was für mich erstrebenswert ist.
In dem Punkt sind sich Laozi und Konfuzius übrigens ziemlich einig. Gleich im ersten Kapitel des Lunyu ist ein Spruch: Wenn man nicht verstanden wird (oder wenn man keine Anerkennung findet) und darüber keinen Groll aufkommen lässt, ist derjenige nicht auch ein Edler?
Wer sich Gedanken drüber macht, ob er ein "Edler" ist, strebt IMO nach Anerkennung und Selbsterhöhung und ist kein Weiser im Sinne des Daodejing.
Konfuzius hat sich übrigens ein Leben lang in der Welt abgerackert und wollte sie verbessern und ist dann aber einsam und alt gestorben weil er nicht akzeptiert wurde. Mit "scheitern" und "frustriert" würde ich daher vielleicht eher Konfuzius beschreiben (wobei letzteres laut seinem ersten Spruch ja eher auch nicht zutrifft). Schaut man sich aber von heute her an was aus dem Vermächtnis von Konfuzius geworden ist und das was "Laozi" zurückgelassen hat, dann muss sich schon fragen, wer war hier jetzt eigentlich "erfolgreicher"? Konfuzius' eigentlich sehr gut gemeinte Absicht wurde im Laufe der Geschichte systematisch mißbraucht und die Menschen damit gegängelt,
also so ähnlich wie das Christentum?
Sobald man die ursprüngliche Lehre verlassen hat, super erfolgreich?
Bücherwurm
04-07-2020, 07:36
Wie das Daodejing möglicherweise entstanden sein könnte, hatte Bertold Brecht in einem ganz schönen Gedicht (https://www.deutschelyrik.de/legende-von-der-entstehung-des-buches-taoteking-auf-dem-weg-des-laotse-in-die-emigration.html) dargestellt. Da ist also ein alter Mann, der genug hat von der Welt und insbesondere von der Politik, und sich deshalb, auf einem Ochsen reitend (https://c8.alamy.com/compde/axnay4/bronzestatue-des-alten-chinesischen-taoistischen-philosophen-laotse-reiten-ein-ochse-in-duffryn-gardens-south-glamorgan-wales-uk-axnay4.jpg), als Einsiedler in die Natur zurückziehen will.
Der redet dann nicht mehr, weil er die Hoffnung längst aufgegeben hat, daß ihn der Zuhörer verstehen könnte oder wollte. (Deshalb zieht er sich ja zurück.)
Das ist ja genial! Kannte ich noch nicht. Bin begeistert und danke. ...ihr naht Euch wieder, schwankende Gestalten ...
schon wieder Brecht...
Also wenn man selbst einigermaßen erfolgreich unter den Menschen leben will und nicht selbst zum Einsiedler werden?
Was wären denn deine Kriterien dafür?
Wer sich Gedanken drüber macht, ob er ein "Edler" ist, strebt IMO nach Anerkennung und Selbsterhöhung und ist kein Weiser im Sinne des Daodejing.
Wer nach Anerkennung und Selbsterhöhung strebt, ist auch kein Edler im Sinne der Lunyü.
Mag sein.
Als junger Mensch, der auch Orientierung suchte, fragte ich mich halt, ob so was für mich erstrebenswert ist.
Das Leben ist halt ein Prozess und durchläuft die verschiedensten Stadien. "Laozi" hat seinen Beitrag geleistet. Er hatte ja auch schon einige Jährchen auf dem Buckel als er sich entschied gen Westen zu reiten. Ich glaube nicht, dass es ein Panazee gibt das in ein paar Worten zu jeder Zeit in jeder Lebenslage auf einen Schlag alle Probleme löst und alles in Klarheit erstrahlen lässt.
Wer sich Gedanken drüber macht, ob er ein "Edler" ist, strebt IMO nach Anerkennung und Selbsterhöhung und ist kein Weiser im Sinne des Daodejing.
Vielleicht solltest du Dich etwas damit auseinandersetzen was Junzi ("Edler") im chin. Altertum bedeutet hat. So weit belesen wie du bist, oder Dich zumindest hier darstellst, solltest du doch für so einen Kontext ein bisschen offener sein oder? Wenn man will kann man alles verdrehen.
also so ähnlich wie das Christentum?
Sobald man die ursprüngliche Lehre verlassen hat, super erfolgreich?
Vielleicht was das Ergebnis angeht. Über die Motive könnte man sich Gedanken machen. Konfuzius wollte halt das Leben und die Gesellschaft ordnen und regeln. Da steht natürlich Tür und Tor offen für Missbrauch.
Wer nach Anerkennung und Selbsterhöhung strebt, ist auch kein Edler im Sinne der Lunyü.
Wenn auch ein Satz reicht :halbyeaha
Pansapiens
04-07-2020, 12:16
Das Leben ist halt ein Prozess und durchläuft die verschiedensten Stadien. "Laozi" hat seinen Beitrag geleistet. Er hatte ja auch schon einige Jährchen auf dem Buckel als er sich entschied gen Westen zu reiten. Ich glaube nicht, dass es ein Panazee gibt das in ein paar Worten zu jeder Zeit in jeder Lebenslage auf einen Schlag alle Probleme löst und alles in Klarheit erstrahlen lässt.
Wenn einer seinen Beitrag leistet und sich dann nicht weiter darum kümmert was daraus wird, wäre das durchaus in der Richtung in der ich den daoistischen "Weisen" verstanden habe.
In der Rahmenerzählung klang das nur nach meiner Erinnerung eher frustriert, was ja impliziert, dass man nicht erreichte, was man gerne erreicht hätte.
Vielleicht solltest du Dich etwas damit auseinandersetzen was Junzi ("Edler") im chin. Altertum bedeutet hat.
Warum?
Was würde das ändern? Ich kann den Begriff "Edler" durch beliebige andere Etikett, dass man Menschen anheftet, ersetzen, ohne dass sich die Aussage meines Satzes ändert. Auch den daoistischen Weisen:
Wer sich Gedanken* drüber macht, ob er ein Weiser im Sinne des Daodejing ist, strebt IMO nach Anerkennung und Selbsterhöhung und ist kein Weiser im Sinne des Daodejing.
Ich wurde sogar ursprünglich "Edler" schreiben, war mir aber nicht sicher, ob im Konfuzianismus mit "Edler" das gleiche meint oder zumindest die gleiche Einstellung in Bezug auf Anerkennung und Selbsterhöhung vertritt.
Julian Braun hat das ja nun bestätigt.
Man kann sein Ego an allem aufblasen, auch in der Vorstellung, besonders egolos zu sein.
') mit "Gedanken machen" meine ich nicht einfach, darüber nachdenken, sondern bestimmte Etikette anzustreben oder abzulehnen.
Nur der Vollständigkeit halber, das mit dem "die Leere (Dunkelheit) wirken lassen" ist genauso wenig falsch, wie es eineindeutig richtig ist. Mehrdeutigkeit im Sinne von mehr als Karo einfach war ja ein Markenzeichen nicht weniger "Sinnsprüche" und Abhandlungen. Es ist ein Aspekt, nicht mehr, und nicht weniger.
Wenn Zhuangzi liest scheint ein Großteil der angeführten Vorbilder selber gar nichts vom Daoismus zu wissen. Zum Beispiel wenn da die Rede von einem besonders guten Lehrer ist, der nichts besonderes macht und nichts sagt was man speziell zitieren könnte und trotzdem einen positiven Einfluss hat. Der ist einfach nur ein Mensch, wobei ein weniger gutes Vorbild mal Recht und mal Unrecht hat bzw. hier und da was sinnvolles sagt und sich als Lehrer gibt. Finde ich interessant, weil es so ausschaut als ob die Heiligen/Seeligen des Daoismus bis auf die Beschreibung durch die Daoisten nichts mit dem Daoismus zu tun hätten. Damit meine ich nicht die Unsterblichen oder sowas, sondern die Protagonisten dieser kleinen Moralgeschichten.
Was ich mich frage und worauf gewöhnlich nicht eingegangen zu werden scheint ist die Frage nach dem Sündenfall, aus der Sicht der Daoisten. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen der Vergangenheit oft idealisiert werden und inwiefern früher natürliche Harmonie geherrscht hat, aber irgendwas muss dann ja schiefgegangen sein.
GilesTCC
04-07-2020, 13:52
Ich glaube nicht, dass es ein Panazee gibt das in ein paar Worten zu jeder Zeit in jeder Lebenslage auf einen Schlag alle Probleme löst und alles in Klarheit erstrahlen lässt.
Das finde ich aber nun sehr enttäuschend, und kann ich wirklich nicht gut heißen. Ich hatte auf ein baldigen Link zum entsprechenden Download gehofft... :(
.
;)
Pansapiens
04-07-2020, 14:25
Wenn Zhuangzi liest scheint ein Großteil der angeführten Vorbilder selber gar nichts vom Daoismus zu wissen. Zum Beispiel wenn da die Rede von einem besonders guten Lehrer ist, der nichts besonderes macht und nichts sagt was man speziell zitieren könnte und trotzdem einen positiven Einfluss hat. Der ist einfach nur ein Mensch, wobei ein weniger gutes Vorbild mal Recht und mal Unrecht hat bzw. hier und da was sinnvolles sagt und sich als Lehrer gibt. Finde ich interessant, weil es so ausschaut als ob die Heiligen/Seeligen des Daoismus bis auf die Beschreibung durch die Daoisten nichts mit dem Daoismus zu tun hätten. Damit meine ich nicht die Unsterblichen oder sowas, sondern die Protagonisten dieser kleinen Moralgeschichten.
Der barmherzige Sameriter war auch kein Jude oder Christ.
Dennoch hatte er insofern mit dem Christentum zu tun, dass er in der Geschichte so handelte, wie Jesus meinte, dass man handeln solle.
Was ich mich frage und worauf gewöhnlich nicht eingegangen zu werden scheint ist die Frage nach dem Sündenfall, aus der Sicht der Daoisten. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen der Vergangenheit oft idealisiert werden und inwiefern früher natürliche Harmonie geherrscht hat, aber irgendwas muss dann ja schiefgegangen sein.
2. Stufen des Verfalls
[174] Die Männer des höchsten Altertums lebten inmitten des Unbewußten. Sie waren eins mit ihrem Geschlecht und erreichten Ruhe und Vergessenheit. Zu jener Zeit war Licht und Dunkel in stillem Einklang; Geister und Götter störten nicht; die Jahreszeiten hatten ihre Ordnung; alle Wesen blieben ohne Verletzung, und die Schar der Lebenden kannte keinen vorzeitigen Tod; die Menschen hatten wohl Erkenntnis, aber sie gebrauchten sie nicht: das war die höchste Einheit.
Zu jener Zeit handelte man nicht, sondern ließ stets der Freiheit ihren Lauf. Als dann das LEBEN verfiel, kamen Feuerspender (Sui Jen) und Brütender Atem (Fu Hi) zur Herrschaft über die Welt. Darum ging wohl alles seinen Gang, aber die Einheit war nicht mehr vorhanden.
Als dann das LEBEN noch weiter verfiel, da kamen der göttliche Landmann (Schen Nung) und der Herr der gelben Erde (Huang Di) zur Herrschaft über die Welt. Darum herrschte wohl Friede, aber die Dinge gingen nicht mehr ihren Lauf.[174]
Als dann das LEBEN noch weiter verfiel, da kamen Yau und Schun zur Herrschaft über die Welt. Sie brachten die Strömung des Ordnens und Besserns in Lauf, befleckten die Reinheit, zerstreuten die Einheit, verließen den SINN und stellten statt seiner das Gute auf, gefährdeten das LEBEN und stellten statt seiner die Tugenden auf. Von da ab ging die Natur verloren, und man folgte dem Verstand. Verstand tauschte mit Verstand die Kenntnisse aus, und doch war man nicht mehr fähig, der Welt eine feste Ordnung vorzuschreiben. Darauf fügte man Formenschönheit hinzu und häufte die Kenntnisse. Aber die Formenschönheit zerstörte den Inhalt, und Kenntnisse ertränkten den Verstand. Da wurden die Leute vollends betört und verwirrt, und kein Weg führte mehr zurück zur wahren Natur und zum Urzustand.
http://www.zeno.org/Philosophie/M/Zhuang+Zi+(Dschuang+Dsi)/Das+wahre+Buch+vom+s%C3%BCdlichen+Bl%C3%BCtenland/2.+Exoterisches/Buch+XVI/2.+Stufen+des+Verfalls
oder aus dem Daodejing (nach Richard Wilhelm, vielleicht hat hier jemand ja eine bessere Übersetzung?)
Geht der große SINN zugrunde,
so gibt es Sittlichkeit und Pflicht.
Kommen Klugheit und Wissen auf,
so gibt es die großen Lügen.
Werden die Verwandten uneins,
so gibt es Kindespflicht und Liebe.
Geraten die Staaten in Verwirrung,
so gibt es die treuen Beamten.
Tut ab die Heiligkeit, werft weg das Wissen,
so wird das Volk hundertfach gewinnen.
Tut ab die Sittlichkeit, werft weg die Pflicht,
so wird das Volk zurückkehren zu Kindespflicht und Liebe.
Tut ab die Geschicklichkeit, werft weg den Gewinn,
so wird es Diebe und Räuber nicht mehr geben.
In diesen drei Stücken ist der schöne Schein nicht ausreichend.
Darum sorgt, daß die Menschen sich an etwas halten können.
Zeigt Einfachheit, haltet fest die Lauterkeit!
Mindert Selbstsucht, verringert die Begierden!
Gebt auf die Gelehrsamkeit!
So werdet ihr frei von Sorgen.
https://www.iging.com/laotse/LaotseD.htm#18
Erinnert mich durchaus an den biblischen Sündenfall, der ja auch im Erkennen (Unterscheiden) von Gut und Böse bestand:
.Der jüdische Thora-Gelehrte Friedrich Weinreb erklärt: „Sobald der Mensch vom Baum der Erkenntnis nimmt, ist der Weg zum Baum des Lebens, der Weg zum Tempel, verschlossen.“ Dieses Verschließen des Zugangs zu Tempel und Lebensbaum geschieht automatisch, wo der Mensch anfängt, nach dem Sichtbaren bzw. der bloßen „Wahrnehmung, nach dem Beweisbaren zu urteilen“ und die unsichtbare Welt des Himmels vergisst.[13] Mit dem ‚Baum des ewigen Lebens‘ ist hier das ewige Wort Gottes oder die Thora im geistigen oder mystischen Verständnis gemeint; durch dieses innere Verständnis hat sie erst eine innere Einheit – Einheit bedeutet hier zugleich Geist und ewiges Leben. Demgegenüber lässt das Essen vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse aus der kontemplativen Einsicht herausfallen in eine an der Oberfläche bleibende Wahrnehmung der Welt, ein Vielwissen ohne Einheit, was gleichbedeutend ist mit ‚Staub‘ (Materie) und Tod (vgl. Gen 3,19 EU).
https://de.wikipedia.org/wiki/Baum_der_Erkenntnis#Deutungszusammenhang_von_Urges chichte_und_Eschatologie
================================================== =========
Selig sind die geistig Armen,
denn sie stecken nie die Nase
in den Brunnenschacht des Lebens
voll gefährlich gift'ger Gase.
Trinken oben aus dem Becken
fromm mit Ochs und Schaf zugleich.
Und dereinst, wenn sie sich strecken,
erben sie das Himmelreich.
Christian Morgenstern
Wir reden hier auch von politischen Verwirrungen in der Zhou-Dynastie, noch vor den Qin, ca. 1100-260 v. Chr. Also nicht wirklich in moderner Zeit.
carstenm
04-07-2020, 20:07
Kommt natürlich gleich einer, und schreibt, so ist das im Aikido alles gar nicht, und das Bild ist ganz anders gemeint. Ja, klar.Ich widerspreche dir - hier erneut - weil ich in deinen Äußerungen nicht erkennen kann, daß du das Üben von aikidô, bzw. dessen tatsächlichen Wirkmechanismes aus eigener Erfahrung, eigenem Lernen oder Unterrichten kennst. Wenn das so stimmt, dann würde ich mich freuen, wenn du erläutern würdest, warum du es hier in einer Dsikussion im Forum chinesische Kampf- und Bewegungskünste als Beleg einführst.
Und - immer noch voraussgesetzt, du übst oder unterrichtest selber nicht - es würde mich interessieren, warum du der Ansicht bis, die Wirkweise des aikidô besser zu verstehen, als ich, der es seit einiger Zeit übt (und seit mehr als zwanzig Jahren selbst unterrichtet). Das meine ich nicht arroganzverstärkend. Sondern ich wüßte tatsächlich wirklich gerne, woraus du die Autorität deiner Interpreation ableitest, bzw. die meine in Frage stellst. Damit würde ich mich dann auseinandersetzen.
Falls du selber übst oder unterrichtest, dann würde ich gerne von wissen, ob es in deiner/eurer Traditionslinie ausschließlich ein solches äußeres Verständnis der Wirkweise des aikidô gibt?
Oder ob ihr daüberhinaus auch innere Arbeit betreibt. Also Arbeit an der eigenen Struktur, Arbeit an der Gestaltung des Kontaktes. Und dergleichen. In der Traditionslinie, die von Yamaguchi sensei herkommt, und in der ich übe, ist eben das der eigentliche Kern. Und ich selber kenne bisher tatsächlich keine authentische* Traditionslinie, die das Üben auf diesen äußerliche Aspekt " ... sowohl mit Verstand als auch mit Intuition beobachten, die Gegebenheiten verinnerlichen und dann mühelos die Gegebenheiten nutzen ..." beschränkt.
Und mich würde interessieren, von welchem Lehrer deine Interpretation des Bildes von Ueshiba osensei stammt, die du hier vertrittst. Denn ich habe über mehr als ein Jahrzehnt bei Endô sensei geübt, der Ueshiba osensei ja noch erlebt hat. Wenn auch nicht besonders lange und intesiv. Der aber eben, wenn der dieses Bild betrachtet, es fundamental anders interpretiert als du, bzw. derjenige, von dem du ggf. deine Interpretation übernimmst. Entsprechend auch mein unmittelbarer Lehrer, der in seiner Zeit in Japan bei Yamaguchi sensei geübt hat.
Eine solche Diskussion über unterschiedliche Auffassungen des irimi nage von Ueshiba o sensei sollten wir dann aber in das Japan-Forum verlegen.
Deckt sich aber ziemlich genau mit dem, was der Koch macht: Die Natur sowohl mit Verstand als auch mit Intuition beobachten, die Gegebenheiten verinnerlichen und dann mühelos die Gegebenheiten ... nutzen ... um den Gegner im Aikido zu Fall zu bringen.Noch einmal: Das ist - nach allem, was ich im Laufe der Jahre gelernt zu haben glaube - nicht die Weise, in der die Techniken des aikidô funktionieren. Sondern ist - m.E. - ein populäres Mißverständnis.
* Die Authentizität wäre dann ggf. auch ein Diskussionsthema.
carstenm
04-07-2020, 20:49
Alle IMA benutzen Bilder ... In der Schule, in der ich übe, wird das nei gong ausdrücklich gegen IMA abgegrenzt. Es ist ausschließlich als innerer Transformationsprozeß verstanden, der für sich allein geübt werden kann.
Das einzige Bild, auf das ich hier in meinem Arbeitszimmer immerzu gucke ist das neijing tu. (Und ein kleiner van Gogh mit noch kleineren Japanern, die über eine Brücke gehen.)
Neigong, also spelled nei kung, neigung, or nae gong, refers to any of a set of Chinese breathing, meditation and spiritual practice disciplines associated with Daoism and especially the Chinese martial arts puuuuhhh ... zum einen ist jetzt wikipedia vielleicht nicht so die allerfundierteste tiefgründigste Quelle, wenn es um die Feinheiten der Inhalte japanischer oder chinesischer Schulen geht?
Zum anderen steht vier Zeilen weiter unten: "There is both martial and non-martial neigong." Wir üben ein ganzungar non-martiales nei gong.
Und ich selber ganz persönlich mit dem Ziel der Selbstkultivierung und der spirituellen Entwicklung.
Nichtsdestotrotz ...
... lassen sich die körperlichen Transformationsprozesse, die da geschehen, ganz hervorragend auch in martialen Künste nutzen. Und das geschieht dann in meinem Falle in den beiden japanischen budô, die ich übe. Die beide u.a. auch daoistische Wurzeln haben. Und da gucken wir dann auch wieder Bilder.
Das finde ich aber nun sehr enttäuschend, und kann ich wirklich nicht gut heißen. Ich hatte auf ein baldigen Link zum entsprechenden Download gehofft... :(
.
;)
Das war ich auch. Hab mich dann aber irgendwann damit abgefunden mir einfach den Zug der weißen Wolken von meinem Stuhl aus anzuschauen. :rolleyes:
Das wird Chuck Norris* nicht freuen. Alle IMA benutzen Bilder oder sie machen es eben falsch. Leere ist nur für dumme, soweit ich das mitbekommen habe. Ohne 1000 Bilder/sec. kein Fortschritt
Das einzige Bild, auf das ich hier in meinem Arbeitszimmer immerzu gucke ist das neijing tu. (Und ein kleiner van Gogh mit noch kleineren Japanern, die über eine Brücke gehen......
.
.
.
...Und da gucken wir dann auch wieder Bilder.
Altes Reizthema hier. Bild und Idee (yi) sind halt nicht das Gleiche. Mittel und Ziel unterscheiden sich auch und dann sollte man noch zwischen Training und Anwendung unterscheiden. Im chinesischen wird immer von yi geredet. Wenn man da nicht genau differenziert kann es schnell problematisch werden. Eigentlich hat es mit Bilder nicht viel zu tun. Die liefern nur den Ansatz für die Idee. Aber letztendlich muss das alles über Bord geschmissen werden und immer mehr in ein direktes Gefühl, in Fleisch und Blut übergehen..... So wird es jedenfalls im Yiquan beschrieben.
carstenm
04-07-2020, 21:37
--- OT --- wenn man mal davon absieht, daß es durch die Seidenstraßen einen kulturellen Austausch mit China gab ---
Der barmherzige Sameriter war auch kein Jude oder Christ. Dennoch hatte er insofern mit dem Christentum zu tun, dass er in der Geschichte so handelte, wie Jesus meinte, dass man handeln solle. Hmmmm ...
Da spricht ein jüdischer νομικός, also einer, der autorisiert ist, in Bezug auf die Rechtsvorschriften der thora Entscheidungen zu fällen (Bauer, ThWNT), einen anderen als διδασκαλε an, also als jemanden, dem er die Autorität zubilligt, einen νομικός in Fragen des Gesetzes zu unterweisen (u.a. Bovon zur Perikope, Ekk III/2).
Der jüdische νομικός akzeptiert die Antwort des jüdischen διδάσκαλος und fragt dann nach den "Ausführungsbestimmungen".
Die erläutert der jüdische διδασκαλε indem er - wie es in der rabbinischen Tradition bis heute üblich ist - ein Beispiel erzählt. In dem zwei jüdische Funktionsträger des Jerusalemer Tempels (Priester und Levit) auf dem Rückweg von ihrem Tempeldienst die Situation nicht klären. Dann aber klärt ein שַמֶרִים, d.h. wörtlich übersetzt Hüter im Sinne von Hirte, also Bewahrer (Gesenius) des jüdischen Geseztes, nämlich des Pentateuch. Denn auch wenn die Samaritaner in jener Zeit den gemeinsamen Gott des Volkes Israel יהוה nicht im Jerusalemer Tempel verehrt haben (vergl. Priester u. Levit als dessen Repräsentanten), war die Autorität ihrer Lehrer in sie in Bezug auf die Auslegung des Pentateuch ganz unbestritten. Dieser Bewahrer des jüdischen Gesetzes, legt durch sein Tun Lev 19, 18 beispielhaft und gültig aus.
Anders als in der Frage von Oxcart in der es ihm um die Darstellung bestimmte Ideale des Daoismus anhand von nicht-Daoisten geht, so ich das richtig verstanden habe, sind in dieser Episode alle Akteure profilierte Vertreter der einen selben Religion, nämlich des Judentums. Und führen allesamt unmittelbare oder mittelbare Titel dieser Religion: νομικός, διδάσκαλος und שַמֶרִ. Und gelangen in einem klassischen Lehrprozeß zu einer gültigen Gesetzesauslegung.
--- OT Ende ---
Pansapiens
04-07-2020, 21:40
puuuuhhh ... zum einen ist jetzt wikipedia vielleicht nicht so die allerfundierteste tiefgründigste Quelle, wenn es um die Feinheiten der Inhalte japanischer oder chinesischer Schulen geht?
Ich hab meine Bezugsgruppe aus der Plattenbausiedlung befragt, und die verstehen unter "neigong" alle das gleiche wie Wikipedia. :)
Zum anderen steht vier Zeilen weiter unten: "There is both martial and non-martial neigong." Wir üben ein ganzungar non-martiales nei gong.
Ach, ich dachte Du hast - im Zuge Deiner persönlichen Entwicklung - das Differenzieren aufgeben?
Ich habe mich in einem früheren Leben ganz und gar ausgiebig mit Differenzierungen wie z.B. dem Unterschied von Korinthen und Rosinen befaßt. Oder auch mit dem Abzählen von Hülsenfrüchten. Ich habe aber im Laufe der Zeit die Erfahrung gemacht, daß ich allermeistens nicht Recht hatte. Und zwar interssanterweise dann vor allem nicht, wenn ich Recht hatte. [...]
Seit meine Interessen nicht mehr das Trennende, Differenzierende sind, sich also weniger um Dörrobst oder Hülsenfrüchte drehen, hat sich mein in-der-Welt-sein fundamental verändert. Auch was das anbetrifft.
Vielleicht hast Du nun wieder nicht Recht, obwohl Du Recht hast?:idea:
Ich hab meine Bezugsgruppe aus der Plattenbausiedlung befragt, und die verstehen unter "neigong" alle das gleiche wie Wikipedia. :)
Das Gefälle des Fussbodens von einer Raumseite zur anderen ?
carstenm
04-07-2020, 22:43
Ich habe in der Diskussion bisher einen Aspekt nicht wahrgenommen - oder vielleicht auch überlesen? - der in unserem Üben zentral ist für das Verständnis von wuwei.
Es scheint mir als würde wuwei hier zumeist als eine Handlungsmaxime verstanden. Also eine Weise, zu agieren - oder nicht zu agieren - für die eine Person sich entscheiden kannt, wenn sie denn möchte. Um sich dann gemäß dieser Entscheidung zu verhalten.
Ich kenne es so, daß wuwei als eine Qualität verstanden ist, die zunächst überhaupt erst einmal hergestellt werden muß.
D.h. dem Ego ist wuwei nicht wirklich möglich. Es kann sich dafür nicht entscheiden können. Und auch diese Entscheidung selbst wäre ja schon in sich selbst kein nicht-Handeln mehr.
Um wuwei geschehen lassen zu können, ist daher der Weg hinter das Ego unabdingbar. Nicht-Ich, wahres-Selbst, ... . Und weil das Ego sich immer auch im Körper manifestiert, ist es dann eben nicht nur ein geistiges, sondern gerade auch ein körperliches Üben, das näher zu der Qualität von wuwei führen kann.
Habe ich diesen Aspekt in euren Beiträgen über euer Verständnis von wuwei überlesen?
Oder ist das tatsächlich ein Aspekt, der eurem Verstehen von wuwei nicht entstpricht?
Pansapiens
04-07-2020, 22:45
Da spricht ein jüdischer νομικός, also einer, der autorisiert ist, in Bezug auf die Rechtsvorschriften der thora Entscheidungen zu fällen (Bauer, ThWNT), einen anderen als διδασκαλε an, also als jemanden, dem er die Autorität zubilligt, einen νομικός in Fragen des Gesetzes zu unterweisen (u.a. Bovon zur Perikope, Ekk III/2).
Der jüdische νομικός akzeptiert die Antwort des jüdischen διδάσκαλος und fragt dann nach den "Ausführungsbestimmungen".
Die erläutert der jüdische διδασκαλε indem er - wie es in der rabbinischen Tradition bis heute üblich ist - ein Beispiel erzählt. In dem zwei jüdische Funktionsträger des Jerusalemer Tempels (Priester und Levit) auf dem Rückweg von ihrem Tempeldienst die Situation nicht klären. Dann aber klärt ein שַמֶרִים, d.h. wörtlich übersetzt Hüter im Sinne von Hirte, also Bewahrer (Gesenius) des jüdischen Geseztes, nämlich des Pentateuch. Denn auch wenn die Samaritaner in jener Zeit den gemeinsamen Gott des Volkes Israel יהוה nicht im Jerusalemer Tempel verehrt haben (vergl. Priester u. Levit als dessen Repräsentanten), war die Autorität ihrer Lehrer in sie in Bezug auf die Auslegung des Pentateuch ganz unbestritten. Dieser Bewahrer des jüdischen Gesetzes, legt durch sein Tun Lev 19, 18 beispielhaft und gültig aus.
Nun zumindest in der Übersetzung führt Jesus als Beweggrund des Hilfeleistenden nicht seine Schriftgelehrtheit an, sondern Mitgefühl und auch der angesprochene Schriftgelehrte, der laut Luther-Übersetzung Jesus mit der Frage "versuchte", was nun IMO auf gewisse Zweifel an Jesus Autorität schließen lässt, nennt als Kriterium, einem Menschen der Nächste zu sein, "Barmherzigkeit".
Es heißt ja auch der "barmherzige Samariter" und nicht der "schriftgelehrte Samariter".
Was steht denn da im Original?
-
Anders als in der Frage von Oxcart in der es ihm um die Darstellung bestimmte Ideale des Daoismus anhand von nicht-Daoisten geht, so ich das richtig verstanden habe, sind in dieser Episode alle Akteure profilierte Vertreter der einen selben Religion, nämlich des Judentums. Und führen allesamt unmittelbare oder mittelbare Titel dieser Religion: νομικός, διδάσκαλος und שַמֶרִ. Und gelangen in einem klassischen Lehrprozeß zu einer gültigen Gesetzesauslegung.
Was ist mit Kindern?
Waren die auch unbestrittene autorisierte Ausleger des jüdischen Gesetzes?
13 Da brachte man Kinder zu ihm, damit er sie berühre. Die Jünger aber wiesen die Leute zurecht. 14 Als Jesus das sah, wurde er unwillig und sagte zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn solchen wie ihnen gehört das Reich Gottes. 15 Amen, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. 16 Und er nahm die Kinder in seine Arme; dann legte er ihnen die Hände auf und segnete sie.
Das haben manche katholische Priester dann vielleicht etwas falsch ausgelegt....
Macht aber nix, es geht ja um Autorität und Gelehrtheit und nicht um Mitgefühl...
:-§ :ironie:
Pansapiens
04-07-2020, 23:03
Es scheint mir als würde wuwei hier zumeist als eine Handlungsmaxime verstanden. Also eine Weise, zu agieren - oder nicht zu agieren - für die eine Person sich entscheiden kannt, wenn sie denn möchte. Um sich dann gemäß dieser Entscheidung zu verhalten.
Ich kenne es so, daß wuwei als eine Qualität verstanden ist, die zunächst überhaupt erst einmal hergestellt werden muß.
aha
Und man entscheidet sich nicht nicht, diese Qualität diese Qualität herzustellen?
Sondern.... ja wie entsteht die?
Buddha wurde auch vorgehalten, dass das der Wunsch nach Wunschlosigkeit (im Sinne von Begierde, mir fällt gerade kein besserer Begriff ein) doch auch ein Wunsch sei und irgendwie paradox.
Die Entgegnung war nach meiner Erinnerung, dass sich dieser Wunsch mit Erreichen des Ziels von selbst auflöse und so das Ziel dennoch erreicht würde.
D.h. dem Ego ist wuwei nicht wirklich möglich. Es kann sich dafür nicht entscheiden können. Und auch diese Entscheidung selbst wäre ja schon in sich selbst kein nicht-Handeln mehr.
Um wuwei geschehen lassen zu können, ist daher der Weg hinter das Ego unabdingbar. Nicht-Ich, wahres-Selbst, ... . Und weil das Ego sich immer auch im Körper manifestiert, ist es dann eben nicht nur ein geistiges, sondern gerade auch ein körperliches Üben, das näher zu der Qualität von wuwei führen kann.
Habe ich diesen Aspekt in euren Beiträgen über euer Verständnis von wuwei überlesen?
Oder ist das tatsächlich ein Aspekt, der eurem Verstehen von wuwei nicht entstpricht?
Es war nach meiner Erinnerung die Rede von "absichtslosem Handeln", "Handeln frei von selbstverhaftetem Ego", "Die Leere wirken lassen".
Sehe ich jetzt keinen Unterschied.
Die Frage, wie die Absichtslosigkeit hergestellt wird, wurde nach meinem Eindruck nicht oder kaum behandelt.
Ich hab es mal durch Alkohol und Schlafmangel geschafft... ganz ohne Erfahrungen in IMA oder Studium daoistischer Schriften.
(Gut, war IMO eine relative Absichtslosigkeit, sonst hätte ich den (Wett-)Kampf nicht gewonnen, aber ich hatte bewusst nicht vor zu tun, was ich tat und ich wusste hinterher nicht mal, was genau passiert war, bis es mir einer erzählte).
Eine leichter reproduzierbare und wohl auch auf Dauer gesündere Möglichkeit wurde angesprochen durch die Verweise auf "Flow" und man kann auch aus dem Koch-Gleichnis herauslesen, wie man in so einen Zustand kommt.
carstenm
05-07-2020, 09:27
Im chinesischen wird immer von yi geredet. Wenn man da nicht genau differenziert kann es schnell problematisch werden. Ja. yi wird bei uns als einer der fünf Aspekte des shen verstanden, der sich jeweils in Verbindung mit einem der anderen Aspekte - wie z.b. hun oder zhi, wenn es um die Bilder und Vorstellungen geht, die in KKen gentutzt werden -dann scheinbar ganz unterschiedlich äußern kann.
Was versteht ihr unter den 5 Aspekten des Shen? Und was sind die anderen Aspekte alle? Als Beispiel hast ja schon hun (魂-Geistseele denke ich mal) und zhi (志-Wille wohl) genannt.
carstenm
05-07-2020, 10:08
--- also noch mehr offes Teh ---
Nun zumindest in der Übersetzung führt Jesus als Beweggrund des Hilfeleistenden nicht seine Schriftgelehrtheit an, sondern Mitgefühl und auch der angesprochene Schriftgelehrte, ...Mir geht es umd deine Aussage:"... Sameriter war auch kein Jude ... Dennoch hatte er insofern mit dem Christentum zu tun, dass er in ... so handelte, wie ... man handeln solle." Die du als Beleg dafür anführst, daß im Judentum das Handeln von nicht-Juden als paradigmatisch für jüdisches Handeln dargestellt werden könne, vergleichbar den von Oxcart angeführten nicht-Daoisten, an denen spezifisch daoisitsches Handeln paradigmatisch deutlich gemacht werden könne.
Diese strukturelle Parallele läßt sich - meiner Ansicht nach - ausdrücklich nicht ziehen, da sie der jüdischen Auffassung ausrdrücklich widerspricht. Im Gegenteil lebt jüdische Theologie als eines von Gott in besonderer Weise hervorgehobenen Volkes gerade davon, sich abzugrenzen gegen andere Vorstellungen von Welt.
Darum ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, daß der von dir angeführte Text ein klassisches innerjüdisches Lehrgespräch darstellt.
εκπειράζω, das Luther mit "versuchen" übersetzt, kann tatsächlich eine Versuchung durch den Teufel meinen. Im Kontext des jüdischen Lehrgespräches von Schüler und Lehrer meint es aber die Herausforderung des Lehres - Jesus wird als διδασκαλε angesprochen - durch seinen Schüler. Wir kennen Vergleichbares in der Redefigur des advocatus diaboli.
Der Gesetzeskundige νομικός (das Wort bedeutet heute Rechtsanwalt) wird von den allermeisten Exegeten als mindestens zum weiteren Jüngerkreis Jesu gehörig verstanden. Bovon rechnet ihn wegen ανέστη nicht zum engeren Kreis um Jesus.
der laut Luther-Übersetzung Jesus mit der Frage "versuchte", was nun IMO auf gewisse Zweifel an Jesus Autorität schließen lässt, nennt als Kriterium, einem Menschen der Nächste zu sein, "Barmherzigkeit".
Es heißt ja auch der "barmherzige Samariter" und nicht der "schriftgelehrte Samariter". Was steht denn da im Original?Was genau meinst du damit? Die Überschriften gibt's ja den Texten nicht? Meinst du, ob das schon in der ersten Ausabe der biblia deutsch so von Luther überschrieben war? Da weiß ich nicht. - Ist mir persönlich aber auch nicht so bedeutsam, weil ich lieber auf den Originaltext schaue und mit den Intepretationen der Übersetzung Luthers oft nicht konform gehe. Und häufig mit deren modernen Redaktionen noch weniger. Dazu empfiehlt es sich, die Richtlinien der Übersetzungsentscheidungen zu lesen.
Also, im Text steht schlicht Σαμαρίτης. Und das ist eben, sofern der Leser des Hebräischen mächtig ist, ein Wortspiel. Das sich aber vor einer nicht Hebräisch sprechenden Leserschaft komplett verliert.
Inhaltlich geht es natürlich um die dargestellte Barmherzigkeit ελέοσ - die sich übrigens im kyrie eleison findet - als Auslegung von Lev 19,18. Keine Frage.
Aber eben im Rahmen eines komplett innerjüdischen, nach formalen Regeln ablaufenden Lehrgespräches, in dem alle Agierenden und auch alle Bedeutungsträger des Gleichnisses, man möchte sagen naturgemäß, jüdischen Glaubens sind. Anders ginge es nicht.
Die Anführung des Samaritaners als Vertreter der Kultstätte auf dem Garizim gegen die Verterter des Jerusalamer Kultes hat lediglich die - typisch jesuanische - Pointe, die Bedeutung des Glaubens-Handelns im Gegensatz zu dem kultischen Handeln zu betonen.
Das höchste aller Gebote ist nicht: Halte dich zum Jerusalemer Tempel. Sondern ist: Liebe deinen Nächsten.
Was ist mit Kindern?
Waren die auch unbestrittene autorisierte Ausleger des jüdischen Gesetzes?Sie waren jedenfalls durch ihre Mütter Angehörige des Volkes Israel und damit Repräsentanten des jüdischen Glaubens. Taugen also ebenfalls nicht als Parallele zu der Beobachtung von Oxcart.
Allerdings meint "Kinder" solche Menschen , die noch nicht Gemeinde konstituieren können (Zehn Männer ...). Es geht also nicht um das Verständnis nicht-jüdischer Menschen, sondern auch hier um den Hinweis, daß nicht formale, und nicht liturgische Aspekte das reche Verstehen jüdischen Glaubens bedingen. Sondern eine bestimmte innere Haltung.
Da aber jüdische Kinder von Geburt an durch die Initialkateches ihrer Mütter die Inhalte des jüdischen Glaubens kennenlernen und auch auswendig lernen, taugen sie eben nicht als Repräsentanten eines nicht-jüdischen Kontextes.
--- @ Pansapiens: Ich denke, diese Diskussion trägt hier in Bezug auf wuwei eher wenig aus. Wenn du meinst, das weiterführen zu müssen, dann versuch doch bitte, deine Rückfragen dazu dann wieder an das eigentliche Thema hier anzubinden. Aber wegen mir muß das wahrhaftig nicht sein. ---
carstenm
05-07-2020, 10:19
Was versteht ihr unter den 5 Aspekten des Shen? Und was sind die anderen Aspekte alle? Als Beispiel hast ja schon hun (魂-Geistseele denke ich mal) und zhi (志-Wille wohl) genannt.Ja.
Die Aspekte von yuan shen (!) sind shen 神 , hun 魂, yi 意, po 魄 und zhi 志 .
Aaaaber please:
Mein Englisch ist recht fluent. Und das ist die Sprache meiner nei gong Lehrerin und ihres Lehrers. Der nun wieder hat in China (u.a.) gelebt und hat seine eigenen Lehrer dort.
Mein Japanisch reicht, um nicht zu verhungern und um in Foren Kompetenz vorzutäuschen.
"Mein" Chinesisch hingegen googele ich ... ;) ... und werde wohl auch nicht nochmal anfangen eine neue Sprache zu lernen ...
Weißt du wo diese Ordnung ihre Wurzeln hat? Es ist nicht die "klassische" (die in vielen Schriften historisch greifbare) wie sie in vielen Klassikern des Neidan zu finden ist.
Meistens hat das ganze seinen Ursprung in einer Entwicklung aus Taiji - Yin/Yang - sixiang - wuxing - bagua. Aspekte des Bewusstseins werden da den 5 Elementen zugeordnet wobei shen in der Regel dem Süden und Feuer zugeordnet wird und in einer Gesamtheit mit xing (性) qing (情) jing (精) qi (气) shen (神) auftaucht. Dieses 5er System (bzw. 8er System) wird dann in Vor- und Nachhimmlisch unterteilt. Also egal welcher shen jetzt gemeint ist, er taucht immer als Teil des Ganzen auf und wird nicht in sich nochmal unterteilt. Mir würde auf Anhieb erhlich gesagt auch gar nichts einfallen wo in der chin. Tradition etwas deutlich davon abweicht. Daher die Frage.
Zusatz: Hun und Po, da dem konkreten Menschen zugeordnet, tauchen nur in der Nachhimmlischen Ordnung auf. Oben die Aufzählung war die Vorhimmlische.
,ein Bild[/url] von Ueshiba gepostet, wie das dann aussehen kann.
Wie sieht das denn aus? Wieso meinst du auf einem Foto, also dem Ausschnitt aus einem Bewegungsablauf erkennen zu können, wie die Bewegung eingeleitet oder vorbereitet wurde, wie sie sich entwickelt hat im Laufe von Jahrzehnten, welche Wirkung zu beobachten ist, auf welchen Mechanismen das beruht?
Die Natur sowohl mit Verstand als auch mit Intuition beobachten, die Gegebenheiten verinnerlichen (also z.B. die Stellen, wo beim geschlachteten Ochsen die Gelenke sind) und dann mühelos die Gegebenheiten für eigene, ggf. egoistische Zwecke nutzen (z.B. um den geschlachteten Ochsen zu zerteilen oder um den Gegner im Aikido zu Fall zu bringen).
Du meinst, das reicht aus? Einfach mit Intuition beobachten, und dann wird alles mühelos, und die Gegner fallen um, und die Ochsen auseinander?
Natürlich wehrt sich der Ochse nicht, der ist schon geschlachtet, mit Gegnern ist das nicht ganz so leicht, die fallen nicht einfach um weil man einen Schritt zur Seite geht. Das ist eine nette Vorstellung, aber leider total unrealistisch. Ich weiß das in manchen Aikido-kreisen immer noch solche Ideen herumgeistern, leider ist das nur Theorie, die sich aus irgendwelchen Idealvorstellungen vom friedlichen Krieger oder aus ähnlichen Ideen entwickelt hat.
Pansapiens
05-07-2020, 11:25
Mir geht es umd deine Aussage:"... Sameriter war auch kein Jude ... Dennoch hatte er insofern mit dem Christentum zu tun, dass er in ... so handelte, wie ... man handeln solle." Die du als Beleg dafür anführst, daß im Judentum das Handeln von nicht-Juden als paradigmatisch für jüdisches Handeln dargestellt werden könne,
ohne Auslassungen schrieb ich:
Der barmherzige Sameriter war auch kein Jude oder Christ.
Dennoch hatte er insofern mit dem Christentum zu tun, dass er in der Geschichte so handelte, wie Jesus meinte, dass man handeln solle.
ich habe also das Handeln nicht als paradigmatisch für jüdisches Handeln angesehen, sondern für christliches.
Jesus war zwar Jude und ob das Christentum auch für Nichtjuden bestimmt sei, wurde später entschieden, aber wenn alle Juden schon aufgrund ihres Judentums so gehandelt hätten, wie es von Jesus erwartet worden war, wäre er ja irgendwie überflüssig gewesen.
vergleichbar den von Oxcart angeführten nicht-Daoisten, an denen spezifisch daoisitsches Handeln paradigmatisch deutlich gemacht werden könne.
Diese strukturelle Parallele läßt sich - meiner Ansicht nach - ausdrücklich nicht ziehen, da sie der jüdischen Auffassung ausrdrücklich widerspricht. Im Gegenteil lebt jüdische Theologie als eines von Gott in besonderer Weise hervorgehobenen Volkes gerade davon, sich abzugrenzen gegen andere Vorstellungen von Welt.
Naja, so ganz übereinstimmend in ihren Auffassungen scheinen die nicht gewesen sein.
Evangelen und Katholen sind ja auch irgendwie alle Christen, dennoch wurden Mischehen in ländlichen Gebieten der BRD in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht so gerne gesehen.
der laut Luther-Übersetzung Jesus mit der Frage "versuchte", was nun IMO auf gewisse Zweifel an Jesus Autorität schließen lässt, nennt als Kriterium, einem Menschen der Nächste zu sein, "Barmherzigkeit".
Was genau meinst du damit? Die Überschriften gibt's ja den Texten nicht? Meinst du, ob das schon in der ersten Ausabe der biblia deutsch so von Luther überschrieben war?
Sowohl das Mitgefühl (das lese ich aus "jammerte ihn" raus) wie auch die Barhmherzigkeit steht im Textkörper der Lutherbibel von 1912
Es begab sich aber ungefähr, daß ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und da er ihn sah, ging er vorüber. 32 Desgleichen auch ein Levit; da er kam zu der Stätte und sah ihn, ging er vorüber. 33 Ein Samariter aber reiste und kam dahin; und da er ihn sah, jammerte ihn sein, 34 ging zu ihm, verband ihm seine Wunden und goß darein Öl und Wein und hob ihn auf sein Tier und führte ihn in die Herberge und pflegte sein. 35 Des anderen Tages reiste er und zog heraus zwei Groschen und gab sie dem Wirte und sprach zu ihm: Pflege sein; und so du was mehr wirst dartun, will ich dir's bezahlen, wenn ich wiederkomme.
36 Welcher dünkt dich, der unter diesen Dreien der Nächste sei gewesen dem, der unter die Mörder gefallen war? 37 Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihn tat. Da sprach Jesus zu ihm: So gehe hin und tue desgleichen!
Der Samaritaner hat sich also nicht von seiner Gelehrsamkeit oder irgendwelchen schriftlichen Vorschriften leiten lassen, sondern von seinem Mitgefühl.
Was Luther im Original geschrieben hat, weiß ich nicht. Vielleicht hat man das ja später korrigiert, um Luther in einem besseren Licht da stehen zu lassen.
Der war ja auch für die blutige Niederschlagung der Bauernaufstände, in denen er die gottgegebene Ordnung gefährdet sah.
Zeigte IMO also eher Parallelen zum (falsch verstandenen?) Konfuzianismus.
Inhaltlich geht es natürlich um die dargestellte Barmherzigkeit ελέοσ - die sich übrigens im kyrie eleison findet - als Auslegung von Lev 19,18. Keine Frage.
Na also.
Aber eben im Rahmen eines komplett innerjüdischen, nach formalen Regeln ablaufenden Lehrgespräches, in dem alle Agierenden und auch alle Bedeutungsträger des Gleichnisses, man möchte sagen naturgemäß, jüdischen Glaubens sind. Anders ginge es nicht.
Die Anführung des Samaritaners als Vertreter der Kultstätte auf dem Garizim gegen die Verterter des Jerusalamer Kultes hat lediglich die - typisch jesuanische - Pointe, die Bedeutung des Glaubens-Handelns im Gegensatz zu dem kultischen Handeln zu betonen.
Das höchste aller Gebote ist nicht: Halte dich zum Jerusalemer Tempel. Sondern ist: Liebe deinen Nächsten.
Naja, der Priester und der Levit sahen das offenbar anders und andere Gebote für wichtiger.
Sie waren jedenfalls durch ihre Mütter Angehörige des Volkes Israel und damit Repräsentanten des jüdischen Glaubens. Taugen also ebenfalls nicht als Parallele zu der Beobachtung von Oxcart.
Ach so, wenn man eine jüdische Mutter hat, dann hat man die Schrift und die Auslegungen insbesondere im christlichem Sinn per Nabelschnur oder Muttermilch übertragen bekommen. Wird bei den evangelischen Theologen tatsächlich angenommen, dass Jesus damit nur Kinder von jüdischen Müttern gemeint sei?
Dass Kindern nicht jüdischen Glaubens, das Himmelreich nicht gehöre?
Wird diese Stelle:
Amen, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen.
von evangelischen Theologen tatsächlich so ausgelegt, dass damit ausschließlich jüdische Kinder gemeint habe?
Da ist mir vermittelte katholische Auslegung (wohl für Laien) doch lieber.
Da ist der Samariter ein Beispiel dafür, dass es auf die Einstellung und Handlungen ankommt und nicht auf Titel, Autorität, Zugehörigkeit...
Gut, ich war neun oder so...
Eventuell sehen das katholische Theologen unter sich auch ganz anders und lachen sich im Stillen über die dumme Gemeinde, denen sie wohlgefällige Märchen erzählen, kaputt...
--- @ Pansapiens: Ich denke, diese Diskussion trägt hier in Bezug auf wuwei eher wenig aus. Wenn du meinst, das weiterführen zu müssen, dann versuch doch bitte, deine Rückfragen dazu dann wieder an das eigentliche Thema hier anzubinden. Aber wegen mir muß das wahrhaftig nicht sein. ---
Dann lassen wir es hier dabei bewenden. Ich nehme als Laie und ehemaliger katholischer Christ zur Kenntnis, dass der "barmherzige Samariter" aus Deiner professionellen Sicht als evangelischer Theologe nicht als Beispiel dafür taugt, dass das Handeln eines Nichtchristen vorbildlich sein kann, für christliches Handeln.
Betrachte meine Rückfragen als "rhetorische Fragen".
carstenm
05-07-2020, 12:10
Theologen tatsächlich angenommen, dass Jesus damit nur Kinder von jüdischen Müttern gemeint sei?In dem Text geht es schlicht und einfach um einen innerjüdischen Kontext. Und nicht um christliche Nabelschnuren oder was auch immer ... Schulterzuck
Dass Kindern nicht jüdischen Glaubens, das Himmelreich nicht gehöre?Der Text macht keine Aussage über Kinder nicht-jüdischen Glaubens. So isses halt einfach ... es kommen halt einfach keine vor in der Geschichte. Schulterzuck.
Da ist mir vermittelte katholische Auslegung (wohl für Laien) doch lieber.Mein theologischer Lehrer war Jesuit und hat dennoch an Evangelischen Fakultät Theologie unterrichtet. Und die römisch-katholischen Neutestamentler waren und sind im theologischen Diskurs insbesondere unte Exegeten hoch angeshene Gesprächspartner. Schulterzuck.
Da ist der Samariter ein Beispiel dafür, dass es auf die Einstellung und Handlungen ankommt und nicht auf Titel, Autorität, Zugehörigkeit...Naja, genau das habe ich ja auch als Ergebnis des Lehrgesrpäches formuliert? Schulterzuck.
Ich nehme als Laie und ehemaliger katholischer Christ zur Kenntnis, dass der "barmherzige Samariter" aus Deiner Sicht als evangelischer Theologe nicht als Beispiel dafür taugt, dass das Handeln eines Nichtchristen vorbildlich sein kann, für christliches Handeln.Damit ignorierst du meine Aussagen: Ich sprach und spreche von einem innerjüdischen Dialog. Der in der Tat nicht als als Beispiel dafür taugt, dass das Handeln eines Nicht-Juden vorbildlich sein kann, für die Auslegung der thora.
Pansapiens
05-07-2020, 12:10
Du meinst, das reicht aus? Einfach mit Intuition beobachten, und dann wird alles mühelos, und die Gegner fallen um, und die Ochsen auseinander?
Intuition ist - abseits von esoterischen Deutungen - unbewusstes Wissen. Dies wird natürlich vorher erworben, durch ausführliche Beschäftigung mit dem Thema.
Das wird auch in dem Koch-Gleichnis angesprochen, denn der Koch hat sich nicht einfach hingestellt und seinen Geist geleert, sondern mindestens drei Jahre lang ein Verständnis für die anatomische Beschaffenheit von Rindern entwickelt:
Als ich anfing, Rinder zu zerlegen, da sah ich eben nur Rinder vor mir. Nach drei Jahren hatte ich's soweit gebracht, daß ich die Rinder nicht mehr ungeteilt vor mir sah. Heutzutage verlasse ich mich ganz auf den Geist und nicht mehr auf den Augenschein. Der Sinne Wissen hab' ich aufgegeben und handle nur noch nach den Regungen des Geistes. Ich folge den natürlichen Linien nach, dringe ein in die großen Spalten und fahre den großen Höhlungen entlang. Ich verlasse mich auf die (anatomischen) Gesetze. Geschickt folge ich auch den kleinsten Zwischenräumen zwischen Muskeln und Sehnen, von den großen Gelenken ganz zu schweigen.
Natürlich wehrt sich der Ochse nicht, der ist schon geschlachtet,
Du kannst ja mal einen toten Ochsen zerteilen, ob der sich nicht "wehrt".
Du kannst ja mal einen toten Ochsen zerteilen, ob der sich nicht "wehrt".
Wie viele hast du denn schon?
Intuition ist - abseits von esoterischen Deutungen - unbewusstes Wissen. Dies wird natürlich vorher erworben, durch ausführliche Beschäftigung mit dem Thema.
Das wird auch in dem Koch-Gleichnis angesprochen, denn der Koch hat sich nicht einfach hingestellt und seinen Geist geleert, sondern drei Jahre lang ein Verständnis für die anatomische Beschaffenheit von Rindern entwickelt
Also nach dieser Methode beschäftigt man sich drei Jahre lang mit der Beschaffenheit von Angreifern, und ist dann in der Lage zu verstehen wie die sich bewegen, und sie einfach dadurch zum Umfallen zu bringen?
Pansapiens
05-07-2020, 12:27
Wie viele hast du denn schon?
Keinen, ich habe schon Mühe mit kleineren Körperteilen, bei denen ein erfahrener Toennies-Mitarbeiter wohl wenige Sekunden benötigt.
Daraus extrapoliere ich, dass ich mit einem ganzen Ochsen noch größere Schwierigkeiten hätte.
Meinst Du, auf Anhieb zu schaffen, wozu der Koch im Gleichnis drei Jahre benötigte?
carstenm
05-07-2020, 12:27
Weißt du wo diese Ordnung ihre Wurzeln hat? Ich kann nur verweisen auf den Artikel von Martina Dorga: "3. Neidan", unter dem Hauptartikel "wuzang" in der Routledge Encyclopedia of Taoism Bd. 2, S. 1081
Dort stellt sie den Term wuqi als im Kontex von neidan benutztes Synonym für wuzang (Lehre von den fünf Organen) dar. Und so wird es bei uns in der Tat auch gelehrt. hun-Leber,-Holz, shen-Herz-Feuer, yi-Milz-Erde, po-Lunge-Metall und zhi-Niere-Wasser.
Sie gibt eher allgemein Zhong-Lü als Quelle an.
Sowie Jindan sibai zi von Zahng Boduan; Zhonghe ji von Li Daochun und Xingming guizh von Yin Zenren.
Hilft dir da weite?
Wenn sie schreibt "The next stage ist to join thees refined pneumas into the Origin from which they were generated through the differentiation of the one qi", gibt das recht gut wieder, wie ich auch unser Üben verstehe.
Pansapiens
05-07-2020, 12:54
Intuition ist - abseits von esoterischen Deutungen - unbewusstes Wissen. Dies wird natürlich vorher erworben, durch ausführliche Beschäftigung mit dem Thema.
Das wird auch in dem Koch-Gleichnis angesprochen, denn der Koch hat sich nicht einfach hingestellt und seinen Geist geleert, sondern mindestens drei Jahre lang ein Verständnis für die anatomische Beschaffenheit von Rindern entwickelt:
Also nach dieser Methode beschäftigt man sich drei Jahre lang mit der Beschaffenheit von Angreifern, und ist dann in der Lage zu verstehen wie die sich bewegen, und sie einfach dadurch zum Umfallen zu bringen?
Nach welcher Methode?
Ein Gleichnis sollte man nicht zu wörtlich nehmen. Also z.B. die drei Jahre. Beim einen geht es schnell, ein mancher lernt's nie....
Und der Koch hat sein Verständnis für die Anatomie wohl nicht durch theoretisches Studium entwickelt, sondern durch praktische Auseinandersetzung mit toten Ochsen.
Meinst Du, auf Anhieb zu schaffen, wozu der Koch im Gleichnis drei Jahre benötigte?
Ich würde ein scharfes Messer kaufen und üben, nicht nur beobachten und Anatomie lernen (was man natürlich auch muss).
Genau wie man seinen Körper auf bestimmte Weise trainiert, damit bestimmte Dinge passieren können, Techniken wirksam werden, etc.
Angreifer fallen eben nicht um, weil man ein theoretisches Verständnis entwickelt, und den "Geist leert". Hört sich schön an, aber erst mal muss man andere Dinge können, und Fähigkeiten entwickeln.
Manche glauben, es gäbe eine Abkürzung. Und drei Jahre sind keine wirklich ausreichende Zeit um eine solche Meisterschaft zu erreichen, nach drei Jahren ist man gerade mit der Grundausbildung fertig.
Ich kann nur verweisen auf den Artikel von Martina Dorga: "3. Neidan", unter dem Hauptartikel "wuzang" in der Routledge Encyclopedia of Taoism Bd. 2, S. 1081
Dort stellt sie den Term wuqi als im Kontex von neidan benutztes Synonym für wuzang (Lehre von den fünf Organen) dar. Und so wird es bei uns in der Tat auch gelehrt. hun-Leber,-Holz, shen-Herz-Feuer, yi-Milz-Erde, po-Lunge-Metall und zhi-Niere-Wasser.
Sie gibt eher allgemein Zhong-Lü als Quelle an.
Sowie Jindan sibai zi von Zahng Boduan; Zhonghe ji von Li Daochun und Xingming guizh von Yin Zenren.
Hilft dir da weite?
Wenn sie schreibt "The next stage ist to join thees refined pneumas into the Origin from which they were generated through the differentiation of the one qi", gibt das recht gut wieder, wie ich auch unser Üben verstehe.
Hm, aber oben hattest du ja geschrieben, das ihr yi als einen der fünf Aspekte des shen versteht? Oder war das ein Verschreiber und du meintest einen der fünf Aspekte von qi (wuqi)?
carstenm
05-07-2020, 13:43
Nein. Dort, wo Darga von origin spricht, oder one qi, heißt es bei uns shen.
Nein. Dort, wo Darga von origin spricht, oder one qi, heißt es bei uns shen.
Ah, ach so, merci.
Ich kann nur verweisen auf den Artikel von Martina Dorga: "3. Neidan", unter dem Hauptartikel "wuzang" in der Routledge Encyclopedia of Taoism Bd. 2, S. 1081
Dort stellt sie den Term wuqi als im Kontex von neidan benutztes Synonym für wuzang (Lehre von den fünf Organen) dar. Und so wird es bei uns in der Tat auch gelehrt. hun-Leber,-Holz, shen-Herz-Feuer, yi-Milz-Erde, po-Lunge-Metall und zhi-Niere-Wasser.
Sie gibt eher allgemein Zhong-Lü als Quelle an.
Sowie Jindan sibai zi von Zahng Boduan; Zhonghe ji von Li Daochun und Xingming guizh von Yin Zenren.
Hilft dir da weite?
Ja, das sind im Prinzip genau die ganzen "klassischen" schriftlichen Quellen durch die das Neidan historisch fassbar wird. Dann ist aber in deiner Systematik etwas durcheinander geraten wie ich schon fast vermutete (ausser es ist doch irgendeine spezielle mündliche Quelle). Denn yuan shen wird in diesen Quellen nicht nochmal untergliedert in die von Dir oben beschriebenen Unterteilungen. Sondern es ist immer das 5er Raster, welches in Vor- und Nachhimmlisch und yin und yang unterschieden wird.
Vorhimmlisch: yuanshen (元神) - yuanqi (元气) - yuanjing(元精) - xing (性) - qing (情); analog dazugeordnet die fünf ursprünglichen Tugenden: li (礼) - xin (信) - zhi(智!!) - ren(仁) - yi(意); wieder analog die fünf Wandlungsphasen: Feuer - Erde - Wasser - Holz - Eisen
Nachhimmlisch: shishen(识神) - wangyi(妄意) - zhuojing(浊精) - youhun(游魂) - guipo(鬼魄); analog: le(乐) - yu(欲) - ai(哀) - xi(喜) - nu(怒); analog wieder die 5 Wandlungsphasen. Wen's interessiert und die Begriffe nicht kennt kann ja kurz copy and paste machen ;-)
Das ist zumindest die klassische Zuordnung im Neidan. Soweit ich weiss gibt es da kaum Nennenswerte Abweichungen die das ganze sehr anders erscheinen lassen seit es solche Zuordnungen gibt. Yuanshen unterteitl isch also nicht in shen usw. wie Du oben geschrieben hast, sondern er hat nur einen nachhimmlischen Aspekt und das ist shishen, der differenzierende Geist (Verstand). Zhi ist nicht 志 Wille sondern 智 Weisheit (die mit Wasser und Nieren assoziiert wird).
Pansapiens
05-07-2020, 14:02
Ich würde ein scharfes Messer kaufen und üben, nicht nur beobachten und Anatomie lernen (was man natürlich auch muss).
Genau wie man seinen Körper auf bestimmte Weise trainiert, damit bestimmte Dinge passieren können, Techniken wirksam werden, etc.
Angreifer fallen eben nicht um, weil man ein theoretisches Verständnis entwickelt, und den "Geist leert". Hört sich schön an, aber erst mal muss man andere Dinge können, und Fähigkeiten entwickeln.
Ein Gleichnis sollte man nicht zu wörtlich nehmen. Also z.B. die drei Jahre. Beim einen geht es schnell, ein mancher lernt's nie....
Und der Koch hat sein Verständnis für die Anatomie wohl nicht durch theoretisches Studium entwickelt, sondern durch praktische Auseinandersetzung mit toten Ochsen.
Manche glauben, es gäbe eine Abkürzung.
wer ist denn nun schon wieder "manche"?
Du bist hier im CMA-Unterforum, da geht es um Gong Fu und Chi Ku.
Es gibt keine Abkürzungen, aber sicherlich Umwege und Sackgassen.
carstenm
05-07-2020, 15:54
Ja, das sind im Prinzip genau die ganzen "klassischen" schriftlichen Quellen durch die das Neidan historisch fassbar wird. Dann ist aber in deiner Systematik etwas durcheinander geraten wie ich schon fast vermutete (ausser es ist doch irgendeine spezielle mündliche Quelle). ... Ich verstehe, was du meinst.
Nichtsdestotrotz scheint mir die Darstellung nicht durcheinandergeraten:45585
Sondern offenbar irgendwarum anders verstanden.
Da ich mich schlicht nicht gut genur auskenne, habe ich jetzt einfach mal nach zeitgenössischer Literatur über wushen geschaut und bin auf "Aspects of Spirit: Hun Po, Jing Shen, Yi Zhi in Classical Chinese Texts" von Elisabeth Rochat de la Vallee gestoßen. Wenn du es kennst, kannst du es ja einordnen. Ich muß warten, bis es eintrifft.
In der Doktorarbeit "The Body of Chinese Medicine and Contemporary Practice" von Mary Garvey fällt der Begriff wushen auch einige male in der Weise, in der ich es dargestellt hatte: "... the five postnatal shen (wushen) that differentiate from the inherited original shen". Und dort gibt's dann auch Literaturangaben zu finden, die das wohl belegt.
Danke für den Hinwweis!
Ich lerne weiter ...
Bin auch etwas auf dem Schlauch gestanden weil ich immer in der Neidan-Tradition gedacht habe in der du es erwähntest. Die Einteilung die du erwähntest hat sich in der traditionellen chin. Medizin etabliert.
Bei der Schlachter-Geschichte sollte man erwähnen, dass dort die Qualität des Metzgers anhand der Schärfe seiner Klinge gemessen wird. Der schlechte Metzger hackt, der nächste schneidet, und die Schneide des Meisters kommt gar nicht mit dem Fleisch in Berührung. Das Messer folgt dem natürlichen Lauf der Anatomie und taucht in die Öffnungen und Spalten. Dem entsprechend muss das Messer kaum geschliffen werden, im Gegensatz zur Klinge des hackenden Kollegen.
Wenn ich die Analogie auf die Kampfkunst übertragen müsste würde ich sagen, dass der eine mit der Brechstange stur nach vorne geht und austeilt dabei aber auch kassiert, andere haben mehr Finesse und behalten die Deckung oben wenn sie keine Kombinationen schlagen, der Meister sieht deine Intention schon an einem Hüft- oder Schulterzucken und haut selbst noch im Rückwärtsgang zielsicher in einer deiner Lücken, nachdem du selber ins Leere geschlagen hast. Der mit der Brechstange sieht im Alter aus wie Leberwurst und kann nur noch lallend bis Kartoffel zählen, während der Meister selbst im hohen Alter noch fit ist.
Ist vielleicht ein albernes Beispiel, aber so sehe ich das ungefähr.
Ich würde sagen, dass es Metzger C schlicht nicht gibt.
Was die Egolosgikeit angeht kann ich nur für mich sprechen, aber ich denke das funktioniert nicht wirklich. Kann sein, dass ich es falsch mache, aber mittlerweile glaube ich eher es geht darum die eigene Bedürfnisse zu erkennen und diese dann je nach dem sinnvoll zu integrieren. Wenn richtig verstanden erledigen sich viele Wünsche wieder von selber und andere verlieren ihre Dringlichkeit. So gesehen halte ich es für besser das Ego nur als einen gleichberechtigten Teil verschiedener kollaborierender Faktoren zu sehen, die in der Summe dann das Individuum darstellen. Also anstatt das Ego als absoutes Daseinszentrum zu betrachten, dem unbedingt Folge geleistet werden muss. Von wegen, dieses und jenes muss ich JETZT haben, wenn nötig auch mit der Brechstange.
carstenm
05-07-2020, 19:34
Was die Egolosgikeit angeht kann ich nur für mich sprechen, aber ich denke das funktioniert nicht wirklich.Falls die Frage nicht zu intim ist:
Mit welchen Übungsmethoden, auf welchen Wegen, im Kontext welcher Überlieferungstraditionen oder Schulen, übst du denn und versuchst dem näher zu kommen?
Ich frage deshalb, weil ich die für mich vollkommen überraschende Erfahrung gemacht habe, daß die Übungswege, die ich in den letzten Jahren begonnen habe, mich massiv verändert haben. Ich bin definitiv nicht der nächst Dalai Lama und werde auch demnächst ganz gewiß nicht als daoistischer Weiser ausgezeichnet werden. Aber es haben sich eben doch Aspekte meiner Persönlichkeit massiv und nachhaltig verändert, von denen ich das nie möglich gehalten hätte.
D.h. ich erlebe am eigenen Leib und Leben, daß die Methoden, die in unserer Schule unterrichtet werden, tatsächlich hochwirksam sind.
Darum meine Frage auch oben schon, auf welchem Wege wuwei, nicht-Ich, oder, wie du es formulierst, Egolosigkeit geübt werden kann.
Wie gesagt: Wenn's dir zu persönlich ist, dann kann ich das gut nachvollziehen.
carstenm
05-07-2020, 19:58
Bin auch etwas auf dem Schlauch gestanden weil ich immer in der Neidan-Tradition gedacht habe in der du es erwähntest. Die Einteilung die du erwähntest hat sich in der traditionellen chin. Medizin etabliert.Ich habe gerade noch mal auf gut Glück in Komjathy: The Way of Complete Perfection nachgeschaut. Einfach, weil das der größere Kontext unserer Schule ist.
Da findet sich in der Abteilung über Alchemical Tranfsormation auf S. 153 ein Diagramm, das u.a. "... Refining the spirit to Merge with the Dao" illustriert. Dort sieht man abgebildet die Aufteilung des Geistes in seine fünf "Fraktionen", wie ich sie oben so arglos dargestellt hatte. Der Text gibt dazu keine weiteren Erläuerungen.
Im Glossar der findet man:
"Five Qi (wuqi): the qi of the five yin-organs, namely, liver, heart, spleen, lungs, and kidneys. Sometimes appears as Five Spirits (wushen), wich are corresponding body-gods or energetic presences."
Und in den Texten des nei jing tu findet sich doch das Konzept von wushen ebenfalls: Der Geist des Herzen 心 神 , der Leber, Lunge, Niere und Milz.
Oder verstehe ich das falsch?
Pansapiens
05-07-2020, 20:26
Ich frage deshalb, weil ich die für mich vollkommen überraschende Erfahrung gemacht habe, daß die Übungswege, die ich in den letzten Jahren begonnen habe, mich massiv verändert haben. Ich bin definitiv nicht der nächst Dalai Lama und werde auch demnächst ganz gewiß nicht als daoistischer Weiser ausgezeichnet werden. Aber es haben sich eben doch Aspekte meiner Persönlichkeit massiv und nachhaltig verändert, von denen ich das nie möglich gehalten hätte.
D.h. ich erlebe am eigenen Leib und Leben, daß die Methoden, die in unserer Schule unterrichtet werden, tatsächlich hochwirksam sind.
Da könnte die Eigenwahrnehmung von der Fremdwahrnehmung abweichen....:p
Ich weiß natürlich nicht, wie Du früher warst....bzw. von welchem Zeitraum Du sprichst.
Ich habe gerade noch mal auf gut Glück in Komjathy: The Way of Complete Perfection nachgeschaut. Einfach, weil das der größere Kontext unserer Schule ist.
Da findet sich in der Abteilung über Alchemical Tranfsormation auf S. 153 ein Diagramm, das u.a. "... Refining the spirit to Merge with the Dao" illustriert. Dort sieht man abgebildet die Aufteilung des Geistes in seine fünf "Fraktionen", wie ich sie oben so arglos dargestellt hatte. Der Text gibt dazu keine weiteren Erläuerungen.
Im Glossar der findet man:
"Five Qi (wuqi): the qi of the five yin-organs, namely, liver, heart, spleen, lungs, and kidneys. Sometimes appears as Five Spirits (wushen), wich are corresponding body-gods or energetic presences."
Und in den Texten des nei jing tu findet sich doch das Konzept von wushen ebenfalls: Der Geist des Herzen 心 神 , der Leber, Lunge, Niere und Milz.
Oder verstehe ich das falsch?
Ne überhaupt nicht. Die arbeiten wie gesagt mit dem Konzept der trad. chin. Medizin. Die klassische Neidan Tradition hat das ein wenig anders strukturiert. Aber das ist mehr an der Oberfläche. Man kann den einen Kuchen auf verschiedene Art und Weise teilen und auch teilweise andere Namen geben. Trotzdem bleibt es der eine Kuchen um den es geht. Aber das jetzt hier im Detail auseinander zu fusseln ist etwas mühsam. Das wäre ziemlich Buchfüllend. Wie gesagt. Ich bin da einfach ein wenig auf dem Schlauch gestanden.
Mit welchen Übungsmethoden, auf welchen Wegen, im Kontext welcher Überlieferungstraditionen oder Schulen, übst du denn und versuchst dem näher zu kommen?
Keine Sorge, das ist eine berechtigte Frage. Ich wurde von meiner Oma ziemlich katholisch erzogen, war Messdiener, und habe dann als Teenager auf meine Art rebelliert und so eine Atheismus-Phase durchgemacht. Davor war ich wirklich gläubig und kann mich daran erinnern, dass bei uns an verschiedenen Zeitpunkten mindestens zwei Pater aus Afrika längerfristig wohnten, mit denen ich gut konnte. Eine Sache die da bei mir dann hängen blieb war als einer der Beiden vor der Kirche rassistisch angemacht wurde und der sich fast mit einem Anwohner geschlagen hätte. Irgendwann konnte ich mich durchsetzen und bin nicht mehr gegangen, bis die Küsterin bei uns aufschlug und ziemlich besorgt danach fragte was los ist. Ich habe mich ihr erklärt und empfand, dass sie erleichtert war. Im Nachhinein denke ich, dass sie anderweitige Vermutungen hatte. Damit hatte ich persönlich aber nichts zu tun.
Formativ war für mich als Jugendlicher imho die Illuminatus-Trilogie von Robert Anton Wilson. Dazu kam dann westliche Philosophie und darüber hinaus später durch den Sport fernöstlich angehauchter Esoterik. Buddhismus, Zen, der Daoismus, die Bhagavad Gita, und alles was irgendwie mit Erleuchtung zu tun hatte bzw. Budoromantik. Nichts strukturiertes, aber halt ein gesundes Interesse mit einer "gefährlichen" Experimentierfreudigkeit. Ich habe dann mehr oder weniger schlecht angefangen zu meditieren und in meinem Zwanzigern lange Phasen gehabt wo ich wirklich jeden Tag zwei Stunden geübt habe. Auch nicht sonderlich erfolgreich, aber mittlerweile mit etwas mehr Struktur aber auch nur autodidaktisch. Konzentration auf den Atem, Spielarten davon, Schritte zählen bei Wanderungen, versuchen den Körper einschlafen zu lassen und trotzdem wach zu bleiben, beobachten, und halt der Versuch so gewisse Ideen im alltäglichen Leben anzuwenden.
Mittlerweile sind ein zwei Sachen hängen geblieben und ich glaube ich weiß ein bisschen was über dies und das, aber nichts womit man angeben könnte. Ich weiß, dass ich nichts weiß oder so. Was die Eso-Szene und sonstige "Erleuchte" angeht fühl ich mich früher oder später immer wie in der Kirche und denke halt, dass es das wieder nicht gewesen ist. Siehe zum Beispiel den spirituellen Materialismus, wo dann die eigene "Egolosigkeit" eigentlich nur die Verlagerung des Egos in andere Bereiche ist. Meinetwegen wo man dann anfängt damit anzugeben wer nun egoloser ist, oder wer länger meditieren kann, wer das geilere Zafu hat, aus der besseren Linie kommt, und so weiter. Zeitweise denke ich dann, dass das mit der Erleuchtung generell Bullshit sein könnte und fühle mich am besten wenn ich überhaupt nicht mehr suche und mich und mein Leben einfach als das akzeptiere was es gerade ist. Kein Buddha, kein dies kein das, einfach nur ich und das ist in Ordnung.
Keine Ahnung, kann alles ganz großer Quatsch sein, ich bin halt nur irgend ein Typ im Internet der gerne und viel schreibt. Ich kann nicht beurteilen ob es da was gibt das besser funktioniert, wo man dann auf Wasser laufen kann, aber selbst wenn glaube ich ist das auch nur temporär. Sandschlösser halt, wenn auch schöne. Ich glaube es kann nichts geben das einen langfristig erlösen wird.
Pansapiens
06-07-2020, 06:38
Was die Eso-Szene und sonstige "Erleuchte" angeht fühl ich mich früher oder später immer wie in der Kirche und denke halt, dass es das wieder nicht gewesen ist. Siehe zum Beispiel den spirituellen Materialismus, wo dann die eigene "Egolosigkeit" eigentlich nur die Verlagerung des Egos in andere Bereiche ist. Meinetwegen wo man dann anfängt damit anzugeben wer nun egoloser ist, oder wer länger meditieren kann, wer das geilere Zafu hat, aus der besseren Linie kommt, und so weiter.
+1
Man kann sein Ego an allem aufblasen, auch in der Vorstellung, besonders egolos zu sein.
carstenm
06-07-2020, 10:00
Keine Sorge, das ist eine berechtigte Frage.Vielen Dank für die so ausführliche und in der Tat sehr persönliche Antwort! Mit der ich in dieser Weise gar nicht gerechnet hatte.
Denn ich hatte meine Frage viel eher "einfach nur" technisch verstanden und dabei vorausgesetzt, daß du in einer wie auch immer gearteten daoistischen Schule beheimatet bist und enstprechend übst. Meine Frage ist mir entstanden, da mein Horizont in Bezug auf daoistisches Üben sehr beschränkt ist.
Um aber mindestens mittelbar an deine Antwort anzuknüpfen:
Mich haben seit jeher Übungswege fasziniert, die bei der Erfahrung und insbsondere bei der Körperlichkeit ansetzen. D.h. Übungswege, die keine Dogmen, Glaubensentscheidungen oder dergleichen voraussetzen, sonden die einerseits am Beispiel des Lehrers oder der Lehrerin unmittelbar erlebbar sind. Und die andererseits "nachgeübt" werden können. Am liebsten eben Übungswege, die im körperlichen Üben beginnen. Und damit zu eigener umittelbarer Erfahrung führen.
Das habe ich auf meinem Weg immer so erlebt. Und mir sind Lehrer begegnet, die das so vemitteln konnten und wollten.
Auch wenn sicher vieles bei mir sehr anders ist, als bei dir ... ich vermute ähnlich ist der Gedanke, nicht für irgendeine Heilserwartung zu leben oder zu üben, sei es nun Erleuchtung, der Himmel oder Nirvana oder was auch immer, sondern ganz im gegenwärtigen Moment zu leben. Das Leben zu leben, wie es eben jetzt gerade ist. Auch ich suche nicht was auch immer. Was mich finden will, findet mich.
Ich glaube es kann nichts geben das einen langfristig erlösen wird. Meiner Erfahrung nach sind wir immer schon längst erlöst.
Der mit der Brechstange sieht im Alter aus wie Leberwurst und kann nur noch lallend bis Kartoffel zählen, während der Meister selbst im hohen Alter noch fit ist.
Kennst du die entsprechenden Beispiele aus eigener Erfahrung, oder ist das deine Vorstellung?
Ich denke, die historischen Vorbilder entsprechen nicht unbedingt diesen Idealvorstellungen, dafür gibt es zu viele Gegenbeispiele.
Kennst du die entsprechenden Beispiele aus eigener Erfahrung, oder ist das deine Vorstellung?
Ich denke, die historischen Vorbilder entsprechen nicht unbedingt diesen Idealvorstellungen, dafür gibt es zu viele Gegenbeispiele.
Klaus hat wahrscheinlich Recht wenn er meint, dass es die Variante C nicht gibt, aber ist halt so ein Ideal oder ein Archetyp. Bernard Hopkins geht für mich so ungefähr in die Richtung, auch wenn ich ihn nicht persönlich kenne. Oder Anderson Silva. Für ein Negativbeispiel halte ich Chuck Liddell, was nicht heißen soll der wäre ein schlechter Kämpfer gewesen. Auf der anderen Seite hast du dann Leute wie Sakuraba, also stimmt schon. Ist eine limitierte Metapher.
Persönlich habe ich im Kleinen halt die Erfahrung gemacht das richtig hart später oft richtig kaputt ist, aber weiß nicht inwiefern das repräsentativ sein wird.
Wie sieht das denn aus? Wieso meinst du auf einem Foto, also dem Ausschnitt aus einem Bewegungsablauf erkennen zu können, wie die Bewegung eingeleitet oder vorbereitet wurde, wie sie sich entwickelt hat im Laufe von Jahrzehnten, welche Wirkung zu beobachten ist, auf welchen Mechanismen das beruht?
Tja. Reiner Calmund sagt, er könne bei (sehr) jungen Fußballern schon daran erkennen, ob sie Talent zum Fußball hätten, wenn er nur sehe, wie sie sich in der Umkleidekabine die Schuhe zubänden.
So zeigt auch das Foto von Ueshiba unmittelbar, was er da gemacht hat, ohne daß man da noch groß was erklären müßte. Schade, wenn Du das nicht siehst. Andere werden es sehen.
Du meinst, das reicht aus? Einfach mit Intuition beobachten, und dann wird alles mühelos, und die Gegner fallen um, und die Ochsen auseinander?
Natürlich wehrt sich der Ochse nicht, der ist schon geschlachtet, mit Gegnern ist das nicht ganz so leicht, die fallen nicht einfach um weil man einen Schritt zur Seite geht. Das ist eine nette Vorstellung, aber leider total unrealistisch. Ich weiß das in manchen Aikido-kreisen immer noch solche Ideen herumgeistern, leider ist das nur Theorie, die sich aus irgendwelchen Idealvorstellungen vom friedlichen Krieger oder aus ähnlichen Ideen entwickelt hat.
Aber darum geht es doch beim Aikido: Durch jahrelanges Training ein intuitives Wissen davon zu erlangen, wie sich die Körpermechanik verhält, also wie sich der (sich durchaus wehrende) Gegner bewegt, und was man dann noch tun muß, um ihn zu Fall zu bringen.
Das ist eben nicht nur eine Sache des Verstandes, sondern genausosehr von Körper, Intuition und sehr viel Übung. Das ist dann auch nicht nur eine geistige Sache, sondern manifestiert sich in den eigenen Bewegungen. Und dann kann es auch funktionieren. Aber nur dann.
Wenn man aber das Prinzip nicht versteht (oder es gar leugnet), kann man auch nicht richtig üben, und dann wird das auch nichts.
Na ja, vielleicht sollte ich wenigstens mal eine Stunde Aikido gemacht haben, bevor ich darüber schreibe. :p Aber für mich ist von der Philosophie (und von den Bildern) her völlig klar, wie das gemeint ist. Es ist auch schön anzusehen. Beim jungen Steven Seagal (https://www.youtube.com/watch?v=H0BUIYk2irQ) z.B..
Sehr viel schwerer finde ich dagegen, das hinter Tai Chi stehende Prinzip zu verstehen. Wenn einer in Zhan Zhuang steht, sieht man ja erstmal (fast) gar nichts. Und das mit der "Struktur", so daß dann Gegner ggf. von einem abprallen, ist auch nicht so offensichtlich. Und der Sinn von Push Hands erschließt sich mir bis heute auch nicht (Bei Kampfkünsten mit Schlagen und Treten würde ich lieber wie im Karate oder im Boxen üben: Kumite, Sparring, sowas - aber Push Hands? Was soll das denn sein?).
So zeigt auch das Foto von Ueshiba unmittelbar, was er da gemacht hat, ohne daß man da noch groß was erklären müßte. Schade, wenn Du das nicht siehst. Andere werden es sehen.
Also er hat rein durch intuitives Beobachten gelernt, wie man sich bewegen muss um einen Gegner zu Fall zu bringen, und das sieht man auf dem Foto?
Ja, schade, ich beneide diese Anderen.
Mein Aikido-Lehrer hat bei Ueshiba über einen Zeitraum von 10 Jahren trainiert, und seine Bewegungen genau studiert.
Es ist bis heute nicht in der Lage genau zu sagen, was Ueshiba "da gemacht hat", und du siehst das unmittelbar auf einem Foto? Das ist Wahnsinn, Eistee! Bitte unterrichte mich!
Aber darum geht es doch beim Aikido: Durch jahrelanges Training ein intuitives Wissen davon zu erlangen, wie sich die Körpermechanik verhält, also wie sich der (sich durchaus wehrende) Gegner bewegt, und was man dann noch tun muß, um ihn zu Fall zu bringen.
Danke dass du mir erklärst worum es beim Aikido geht!
Sehr viel schwerer finde ich dagegen, das hinter Tai Chi stehende Prinzip zu verstehen. Wenn einer in Zhan Zhuang steht, sieht man ja erstmal (fast) gar nichts. Und das mit der "Struktur", so dass dann Gegner ggf. von einem abprallen, ist auch nicht so offensichtlich.
Also beim Tai Chi ist das nicht offensichtlich, aber wenn die Angreifer von Ueshiba "abgeprallt" sind, oder durch Körperkontakt das Gefühl hatten dass sämtliche Kraft aus ihrem Körper entwichen war, sie sich plötzlich auf dem Boden liegend wiedergefunden haben, dann ist das "offensichtlich", weil du meinst auf einem Foto sehen zu können dass Ueshiba einfach nur intuitiv gewusst hat was man "machen muss" damit ein Gegner umfällt?
Und schön dass du bei Steven Seagal "sich wehrende" Gegner siehst, ich sehe da keine. Schade, dass ich auch da wieder anscheinend zu dumm bin.
Aber du hast doch bereits von Carsten erklärt bekommen, dass du irgendwie eine Vorstellung von Aikido hast, die mit der Realität nicht übereinstimmt, und du erklärst hier dass du noch nie Aikido trainiert hast.
Es ist echt irgendwie lustig wenn so jemand wie du erklärt, wie Aikido funktioniert und worauf es dabei ankommt, und meint es anhand eines Fotos sehen zu können.
Vielleicht finde ich ja eins wo Ueshiba sich die Schuhe zubindet, dann kannst du mir sicher auch die letzten Geheimnisse erklären, wie z.B. er diese Anziehungskraft entwickelt hat, aufgrund derer die Leute das Gefühl hatten in seine Bewegung "hineingesaugt" zu werden, warum die Beine sich bewegen obwohl man eigentlich stehen bleiben möchte, und so weiter.
Naja, ich sehe halt das offensichtliche nicht, bin nach 40 Jahren Aikido halt nicht so weit entwickelt wie du.
Nick_Nick
06-07-2020, 14:02
Tja, Inryoku und carstenm , wenn ihr vom Schuhebinden Ueshibas nicht dessen Aikido versteht, seid ihr selber schuld. Da helfen auch Jahrzehnte des Übens nicht. Ihr Amateure :D.
@ Eistee: https://de.wikipedia.org/wiki/Dunning-Kruger-Effekt
Pansapiens
07-07-2020, 06:25
Aber darum geht es doch beim Aikido: Durch jahrelanges Training ein intuitives Wissen davon zu erlangen, wie sich die Körpermechanik verhält,
Entsprechende Diskussionen mit langjährigen Aikidoka über einfache (Bio)Mechanik und prominente Beispiele wie Rokas Leonavicius lassen mich daran zweifeln, dass jahrelanges Aikidotraining hinreichend ist, Wissen über Körpermechanik zu erlangen.
, Wissen über Körpermechanik zu erlangen.
Ein paar Grundkenntnisse newtonscher Mechanik oder einfach "Bilder gucken", mehr braucht man doch nicht.
Echtes Wissen, sowas braucht kein Pan-sapiens.
Woher kommt denn deine Qualifikation eigentlich, die dich des Zweifelns befähigt?
carstenm
07-07-2020, 11:38
Die arbeiten wie gesagt mit dem Konzept der trad. chin. Medizin. Die klassische Neidan Tradition hat das ein wenig anders strukturiert.Danke für die Hinweise! :-)
Ich habe inzwischen in "Mapping the Daoist Body" von Louis Komjathy, sowie "Nature's medicine" von Seb Smith und "The five Spirits" von Roni Edlund (beide in: "Daoist Reflections from Scholar Sage" hg.v. Damo Mitchell) noch einige weitere Hinweise gefunden, daß und wie dieser Aspekt der CM in der Longmen Linie offenbar systematisch in das neigong und das neidan der Schule integriert ist. Wie auch ansonsten unser Üben - soweit ich es jedenfalls als Anfänger verstehe - eng verwoben ist mit der Gesundheitslehre.
(Was für mich ganz persönlich ein sehr motivierender Aspekt war, als ich vor acht Jahren begonnen habe zu üben, weil das Üben damals tatsächlich binnen kurzer Zeit eine chronische Erkrankung des Auges zum Stillstand gebracht hat. Gewissermaßen erwartungsgemäß, wie ich heute weiß. Und - @oxcart - verbunden auch mit einer einigermaßen drastichen und für Menschen, die mich kennen, auch im Außen deutlich wahrnehmbaren Veränderung bestimmter Attribute meiner "Persönlichkeit": Vollständiges und nachhaltiges Aufflösen von Wut und Aggression.)
Daß das möglicherweise (?) eine Besonderheit diese Linie ist - falls dem tatsächlich so ist - war mir bisher nicht bewußt.
Nicht falsch verstehen, ich wollte die Möglichkeit eines positiven Wandels gar nicht abstreiten und glaube euch schon, dass das strukturierte Üben unter Anleitung die Mühe wert ist. Wie gesagt, ich kann da nur für mich sprechen, aber ich denke kein Upgrade wird mein Grundproblem lösen. Also in dem Sinne, dass man immer irgendwas hinterher rennt von dem man meint es würde einen vervollständigen. Wenn ich könnte würde ich einfach nur in der Gegenwart leben, die Dinge nehmen wie sie sind und harmonisch auf meine Umwelt reagieren, anstatt immer nach einer Erlösung zu suchen. Ob das die ideale Beziehung ist, der richtige Job, oder was auch immer. Wobei ich damit keine schlabberige Teilnahmslosigkeit meine.
Alan Watts ist nur Pop-Philosophie, aber ich fand eine seiner Interpretationen bezüglich Zen interessant, wo wer meinte an sich wäre der Weg nur der Versuch Narren unter die Arme zu greifen und deren Torheit bis ins Absurde zu treiben, bis diese schliesslich weise werden würden. Das eigentliche Aha-Erlebnis ist dann wohl eher die Erkenntnis der eigenen Eselei und weniger das Erlangen dessen was man ursprünglich meinte zu suchen.
Pansapiens
08-07-2020, 00:39
Ein paar Grundkenntnisse newtonscher Mechanik oder einfach "Bilder gucken", mehr braucht man doch nicht.
Echtes Wissen, sowas braucht kein Pan-sapiens.
Woher kommt denn deine Qualifikation eigentlich, die dich des Zweifelns befähigt?
Ich soll ad verecundiam argumentieren, weil Dir die Kompetenz fehlt, meine zu erkennen?
Pansapiens
08-07-2020, 06:08
Wenn ich könnte würde ich einfach nur in der Gegenwart leben, die Dinge nehmen wie sie sind und harmonisch auf meine Umwelt reagieren,
Also mehr so auf dem geistigen Niveau, das die Utilitaristen (zumindest die, die gerne Rindfleisch essen) einer Kuh zu gestehen?
anstatt immer nach einer Erlösung zu suchen. Ob das die ideale Beziehung ist, der richtige Job, oder was auch immer.
Geht es darum, von etwas erlöst zu werden, also etwas los zu werden, was Du nicht magst, oder etwas zu bekommen, von dem Du meinst, dass es Dich glücklich macht?
https://www.youtube.com/watch?v=O2kZiiib1lA
Alan Watts ist nur Pop-Philosophie, aber ich fand eine seiner Interpretationen bezüglich Zen interessant, wo wer meinte an sich wäre der Weg nur der Versuch Narren unter die Arme zu greifen und deren Torheit bis ins Absurde zu treiben, bis diese schliesslich weise werden würden. Das eigentliche Aha-Erlebnis ist dann wohl eher die Erkenntnis der eigenen Eselei und weniger das Erlangen dessen was man ursprünglich meinte zu suchen.
so ähnlich, wie in diesem gespielten Witz?
https://youtu.be/MhCt9Z5EpHg?t=42
Ich soll ad verecundiam argumentieren, weil Dir die Kompetenz fehlt, meine zu erkennen?
Mach dich doch nicht lächerlich.
Schreib einfach, welche praktische Ausbildung du in Sachen Körper- oder Biomechanik hast, in welcher Lehrlinie du stehst, und dann kann man sich ein Bild davon machen ob du was davon verstehst und ob du die Kompetenz hast zu Beurteilen, wer nach wieviel Jahren Aikido wieviel Wissen darüber erlangt hat.
Ansonsten bleibst du einfach ein anonymer Troll, der sich wichtig machen will.
@Pansapiens: Hast Du deine Tage?:D
Ich hatte das eigentlich bisher als Scherz verstanden ...
carstenm
08-07-2020, 12:16
Ich soll ad verecundiam argumentieren, weil Dir die Kompetenz fehlt, meine zu erkennen?Ich kann die Anfrage von Inryoku nachvollziehen:
Dort, wo ich mich aufgrund meiner eigenen Fachkompetenz und/oder meiner eigenen Erfahrung in der Lage sehe, das zu beurteilen, habe ich dich wiederholt als nicht kompetent erlebt.
Jüngstes Beispiel ist die exegetische Diskussion um Lk 10. Dort wird aus deinen Aussagen klar, daß du kein exegetisches Fachwissen - weder methodisch, noch inhaltlich - besitzt.
Ein älteres Beispiel ist die Diskussion, die mir als "Rollbrett"-Diskussion erinnerlich geblieben ist. Dort war deutlich, daß dir die Fragestellung - die du immerhin selbst aufgeworfen hattest - in der Praxis gar nicht klar war. Daß darüber hinaus, oder vielleicht auch deswegen, deine Argumentation immer wieder klare Gedankenfehler enthalten hat. Und daß schließlich deine Argumentationsstrukturen insofern oberflächlich waren, als sie die eigentlichen biomechanischen Aspekte, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind, nicht erfaßt haben.
Ein drittes Beispiel ist die Nennung von Rokas jetzt im Sinne einer Bezugsgröße für aikidô. Das spricht dafür, daß dir der Unterschied zwischen einem youtube-Phänomen und dem was tatsächlich - und da vor allem in dôjô mit Anbindung an die historische Tradition - gebüt wird, nicht deutlich ist.
Nichtsdestotrotz bist du offenbar von der Gültigkeit deiner eigenen Aussagen mehr als überzeugt.
Daher kann ich nachvollziehen, daß sich die Frage nach der Autorität stellt, aus der heraus du diese Gültigkeit ableitest.
carstenm
08-07-2020, 12:27
... mann mann mann ...
... derweil ich mich hier auf der Suche nach wuwei durch Texte der longmen pai quäle ...
---- um mal dem Thema wieder ein klein wenig näher zu kommen ----
Eine Frage an die Bewanderten hier:
Gilt das neidan der longmen Schule dann nicht als "klassisch", insofern es wohl buddhistische Aspekte, wie auch Aspekte der CM aufnimmt?
Ich übe bisher, was man mir vorsetzt und studiere die entsprechenden Texte. Und das tut beides ausgesprochen gut.
Jedoch: Eine historische und vor allem auch ideengeschichtliche Einordung - so wie ich sie in Bezug auf das aikidô und die shintô ryû im japanischen Kontext vornehmen kann - ist mir in Bezug auf den chinesischen Kontext nicht möglich. Drum meine ... vielleicht etwas tapsigen ... Fragen ...
Was verstehst du unter "klassisch" ? Die Dragon-Gate-Sekte ist von etwa 10. Jahrhundert bis 13. Jahrhundert entstanden, mit den üblichen Heiligen vorne dran die alles erfunden haben. Die Praktiken sind eher nicht leicht zu rekonstruieren, man hat nicht alle Dokumente im Original die mal dagewesen sein könnten, man muss interpretieren bis der Arzt kommt (oder auch nicht) wenn man sich nur auf die Schriftform stützt. Das ist ein dynamisches Kuddelmuddel mit Strömungen, Ansichten, Reformismen, dringenden Ratschlägen interessierter Seite, und so weiter.
Was ich kürzlich gelesen habe:
https://books.google.de/books?id=Mq_K4jV0k3AC&printsec=frontcover&dq=inauthor:%22Peter+Acker%22&hl=en&sa=X&ved=2ahUKEwiPlf--3L3qAhXGsKQKHf7FBtcQ6AEwAHoECAAQAg#v=onepage&q&f=false
Da findet man dann, dass das Gefundene zum Thema Neidan sehr "inheterogenuous" ist und in einer schwierigen, individuellen Sprache verfasst, und das ist höflich formuliert.
Mein Gefühl aus etwas längerer Praxis - wenn man nicht warum auch immer eine Beruhigung im Studium der Schriften findet, sollte man sich auf die Praxis beschränken, und die Deutung der Ergebnisse der eigenen Intuition. Anders hat man das damals nämlich auch nicht gemacht, der Dogmatismus ist eher eine ärgerliche Erscheinung von Sprachfixierten, denen nichts existiert wenn man es nicht genau buchstabengetreu ausformulieren kann. 2+2=4. Ok, kann man verstehen. Und jetzt leite das jetzt mal exakt eineindeutig her, dass jeder einzelne Aspekt vollumfänglich und ohne jeglichen Interpretationsspielraum oder Voraussetzung erwähnt und fixiert ist. Ich vermute mal, das schafft man nicht mal wenn man es versucht, weil man über Sprachdialetik beliebige Nebenkriegsschauplätze aufmachen könnte, durch die man nie fertig wird. Was aber für das Summieren einstelliger Zahlen mit einem zufriedenstellend genauen Ergebnis irgendwie irrelevant ist.
Ein Zustand in dem etwas "Gutes, intelligentes" in einem wie ein immens großer stiller See mitspielt, einem Ruhe gibt, Anleitung, interessante Ideen, neue Möglichkeiten, alte Verletzungen heilt, ist machbar. Man kann ihn erleben, und er wird sich danach, wenn man einmal in die Dunkelheit gegangen ist, immer wieder einstellen. Egal wie sehr man sich zwischendurch zerlegt, oder wie sehr man durch die immense Wirkung wirklich heftiger Empfindungen solcher alten erheblichen Verletzungen wieder durcheinander kommt. Er kommt immer wieder. Immer. Immer gleich. Mag sein dass er immer mal neue Tricks mitbringt, aber es fühlt sich immer wieder so an. Etwas anderes entscheidendes möchte ich nicht thematisieren, weil ich gerade viel Crap gelesen habe in dem Zusammenhang. Wir sind etwas sehr altes, sehr großes, und etwas neues, und eine Interaktion mit dem gleichen "da draussen". Was wir an sich tun können ist, den Werkzeugkasten instand zu halten, und alles immer wieder zu reparieren, polieren, sauber machen. Vielen Menschen fallen immer wieder mal die Werkzeuge runter, und dann liegen die am Boden und sind kaputt. Oder tun nicht mehr so. Man kann aber nicht mehr machen als alles aufzuheben, und wieder in Gang zu setzen, und ist dabei auf viel Intuition angewiesen. Wenn der Hammer mal anders herum auf dem Boden liegt als meistens passen nämlich möglicherweise die Anleitungen nicht genau.
Mehr per PN.
Also mehr so auf dem geistigen Niveau, das die Utilitaristen (zumindest die, die gerne Rindfleisch essen) einer Kuh zu gestehen?
Ich meine damit nicht die Abwesenheit höherer Gedanken, eher die Nichtidentifikation damit bzw. die Kultivierung einer davon unabhängigen Perspektive. Angenommen das ist so überhaupt möglich.
https://i1.wp.com/aaronstrietzel.com/wp-content/uploads/2015/05/pre-trans-rational.png
Geht es darum, von etwas erlöst zu werden, also etwas los zu werden, was Du nicht magst, oder etwas zu bekommen, von dem Du meinst, dass es Dich glücklich macht?
Das eine muss das andere nicht ausschließen, aber wenn ich so darüber nachdenke ich das schwierig zu beantworten. Ich glaube alle Menschen fühlen ein gewisses Maß an Unzufriedenenheit, wobei manche eben mehr leiden als andere (auf Grund von sehr konkreten Problemen). In meinem Fall würde ich sagen, dass es mir an sich sehr gut geht und meine persönliche Unzufriedenheit subtiler und schwieriger zu begründen ist, als die von jemanden mit einem krebskranken Kind. Ich habe genug zu essen, ein Dach über den Kopf, etwas Geld, und genug Freizeit um hier schreiben zu können. Viele Menschen würden töten um an meiner Stelle zu sein und trotzdem bin ich irgendwie unzufrieden. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Leute denen es wesentlich besser sollte als mir und trotzdem ist das oft nicht der Fall, obwohl ich meine gerne an deren Stelle sein zu wollen.
Wir haben ja schon mal die Frage des Sündenfalls angeschnitten. Ich glaube grundsätzlich ist das hier eine Frage der persönliche Paradiesvorstelltung bzw. nach dem Idealzustand. Wahrscheinlich wäre mir lieber jeden Tag einfaches Essen genießen zu können, anstatt so luxusverwöhnt zu sein, dass mir selbst Kobe-Steak nicht mehr schmeckt. Wahrscheinlich braucht es den Mangel als Kontrast, um manche Dinge richtig wertzuschätzen, was dann so mancher Idealvorstellung widerstrebt. Sprich, ein nachhaltiger Idealzustand wäre imho nicht einfach nur die Abwesenheit des Mangels. Im Bezug auf Frauen z.B. möchte glaube ich niemand einen besseren Sex-Roboter, der niemals widerspricht und mit einem verstrahlten Dauergrinsen willenlos Befehle befolgt. Menschen wollen ein wenig Widerstand, denke ich. Oder nimm Videospiele, wo die langweilig werden so bald man anfängt zu cheaten. God-Mode und sowas. Da sind wir wieder beim Flow bzw. dem richtigen Verhältnis von Anforderung und Fähigkeit.
so ähnlich, wie in diesem gespielten Witz?
So ungefähr, ich meine das nicht im soziopathischen Sinn. Das wäre afaik Zizeks Argument bezüglich der Schattenseite fernöstlicher Ethikvorstellungen, wo das Schwert dann einfach nur ein weiteres Ding ist, dass sich wie eine Feder durch den Raum bewegt und irgendwie tötet, ohne dass sich der Handelnde mit der Handlung identifiziert. Der Gegner hat sich entschieden zu sterben als er sich in den Weg gestellt hat und die Tötungshandlung ist nur Teil der jeweiligen Kausalitätskette. Aber wenn ich nicht anders könnte würde ich mich lieber so fühlen als ein Leben lang PTSD zu haben. Schwierig.
Wie ich gelesen habe, ist die Drachentorschule als Zweig der nördlichen Tradition der daoistischen "Schule der vollkommenen Wirklichkeit" entstanden.
Diese beruht auf dem Werk von Wang Chongyang (1112-1170), dessen Lehrer Lü Dongbin maßgeblich an der Integration des Buddhismus und des Konfuzianismus beteiligt war (nachzulesen in: Der geheime Meister des Drachentors).
Also in meinen Augen durchaus als "klassisch" zu betrachten.
Die Longmen-Sekte war eine Untergruppe von diversen der Quanzhen-Schule, "ultimate reality", "complete perfection", teutonistisch der Weg der vollständigen Perfektion und vollständigen Wahrheit. Das ist tatsächlich eine Übungsmethode, sich der Wahrheit auszusetzen. Der jeweiligen, die man in einem Kontext empfindet. Der Gag daran ist, dass man diese Wahrheit nicht vorher formuliert und sich in den Kopf hämmert, sie ist nämlich schon da. Vage, unscharf, eine Empfindung aus dem Inneren, aber in sofern unbarmherzig als sie nichts beschönigt, nichts umformt, weglässt, oder erleichtert. Sie kann banal sein, oder komplex. Es können einem immer weitere Aspekte einfallen.
Mal als Beispiel, es könnte einem einfallen, dieser Mensch liebt dich nicht. Nächster Aspekt, ist aber auch egal, es gibt nämlich noch mehr als einen weiteren. Sogar ganz viele. Nächster Gedanke, von diesen ganz vielen werden einen auch ganz viele ebenfalls nicht lieben. Was daran liegt dass es dafür kein Rezept gibt, keine unumstössliche Formel. Aber es gibt Gesetzmäßigkeiten, Muster, wirksame Funktionen von Körper und Geist. Baijin, Shengzijin. Die helfen dabei, eine Menge != {} zu finden, die einen dann doch lieben. Wieso auch immer, entgegen all dieser Dinge die die andere Menge {!L} immer vorbringt. Man kann sich nicht aussuchen zu welcher Menge {L} oder {!L} ein ganz bestimmter Mensch gehört. Es kann auch einer wechseln, was man sich aber auch wieder nicht aussuchen kann. Manchmal kann man es beeinflussen, manchmal nicht. Manchmal bleibt jemand in {L} obwohl man viel Mist anstellt, manchmal geht jemand raus obwohl man alles richtig macht. Aus solchen Aspekten und Teilwahrheiten entsteht dann die "myriad of things". Man sucht sie sich aber nicht aus, oder lügt sich, man nimmt was kommt. Und jetzt kommt das unerhörte, unglaubwürdige, lachhafte, entsetzlich uncoole: aus der Verbindung zum Dao. Da muss man sich auch mal Sachen anhören die man nicht hören möchte. Wie oder warum dieses etwas mit einem redet, man weiss es nicht. Man kann auch aufhören zuzuhören. Der Trick von diesen Quanzhen-Spinnern ist aber, das nicht zu tun. Sondern immer weiter zuzuhören, egal was da kommt. Egal wie doof sich das anhört, weil die schönen Pläne nicht funktionieren werden. Manchmal ist so ne banale Wahrheit die da kommt aber auch einfach "du musst dich mehr loben".
Natürlich hat das Neidan der jeweiligen Richtung eine klassische Komponente. Es sind aber inzwischen etwa 1000 Jahre und 40 Generationen vergangen. Es gibt nicht den einen Klassiker in dem alles vollumfänglich beschrieben ist, jede Menge davon waren koujue, mündliche Übertragung. Keiner hat die Garantie, dass bei der stillen Post, oder beim Einflechten von Überzeugungen, alle unverändert blieben. Man kann nur nach den eigenen Erfahrungen mit seinem Kanon, und der eigenen Intuition gehen. Wenn man irgendwann den großen See von Ruhe und Inspiration erlebt, wird es wohl relativ richtig gewesen sein. Es gibt aber allerlei Zwischenzustände, von Wut, Angst, Trauer usw., da muss man durch. Zwischendurch sollte es sich aber so anfühlen, und das schon nach einigen Monaten.
Gilt das neidan der longmen Schule dann nicht als "klassisch", insofern es wohl buddhistische Aspekte, wie auch Aspekte der CM aufnimmt?
Es ist absolut klassisch und vor allem sehr viel konkreter in seinen Übungen als Klaus es hier versucht darzustellen.
Hinsetzen und einfach zuhören ist so ziemlich das Gegenteil von dem wie eine konkrete Übung im Neidan aussieht.
Sitzen und „Wirken“ lassen KANN ein Weg sein um bestimmte Aspekte des Dao wahrzunehmen, aber das ist eben nur ein Aspekt (und vor allem ein sehr kleiner, der nichts mit Bagua oder Yiquan zu tun hatte).
Im Neidan geht es, wie ich (oder auch Julian) schon schrieb um intrapersonelle Vorgänge und damit verbunden auch spezielle Körperarbeit. Diese Vorgänge hatten in China spezielle Begriffe und standen in direkten Kontext mit dem Weltbild (also der Erklärung der Vorgänge um einen herum).
Man muss die daoistischen Prinzipien halt immer relativ sehen und sie harmonisieren. Tathata, Dharmakaya oder auch Dharmadhatu dienten da zum verständlichmachen verstimmter Kernelemente, die auch im Daoismus beschrieben werden (ganz der Idee der philosophia perennis folgend).
Daoismus und Buddhismus haben sich halt oft vermischt und ergänzt.
Letztlich muss man halt die theoretische Betrachtung von der konkreten Übung trennen, denn es geht darum die Dinger zu FÜHLEN und ernst später kann man versuchen diese Gefühle theoretisch zu beschreiben. Daher sind die Ideen ja auch „natürlich“ und werden erst später konkreter in Richtung Philosophie.
Selbst Aspekte wie „Dämonenbeschwörung“ (ein wichtiger Teil der Drachentorsekte) kann man sich neurobiologisch erklären. Ist ziemlich lustig und interessant. Dazu sollte man aber auch wissen was man da physisch und psychisch bei tun muss. WXZ hat da zum Glück schon einiges an Vorarbeit geleistet und diese Dinge „entmystifiziert“.
Das absolut Wichtigste ist dabei jedoch dass man einen Lehrer hat der einem das vernünftig zeigt und erklärt. Frei von irgendeinem „Esogeschwurbel“, denn die Übungen sind sehr einfach und intuitiv.
45592
carstenm
08-07-2020, 17:37
Also in meinen Augen durchaus als "klassisch" zu betrachten.Ja, so hatte ich es bisher auch verstanden. Und die Geschichte sowohl des Quanzhen Daoismus allgemein ist mir geläufig, wie auch die der Longmen pai dann und des des Lehrers meiner Lehrerin ... also die Schildkröten alle, bis ganz runter. Aber eben nicht die Einordnung in den weitern Kontext.
Und bei den japanischen budô habe ich ja immer das Talent, Schulen zu wählen, die zwar uralt sind ... aber von manchen Vertretern dann eben doch nur als ein illegitime Abkömmlinge eingeordnet werden, so wie das kashima no tachi von Inaba sensei oder die shintô ryû des Sugino dôjô. Immerhin beim aikidô ist mein Stammbaum rein ... ;-)
Mein Frage knüpfte an beniwitt an:
Die arbeiten wie gesagt mit dem Konzept der trad. chin. Medizin. Die klassische Neidan Tradition hat das ein wenig anders strukturiert. ...
Danach würde mich halt interessieren, wie das neidan der Longmen Schule im Verhältnis zu dem, was er die klassische Neidan Tradition nennt, einzuordnen ist.
Die Übungen sind durchaus sehr konkret und buchstäblich "hands on", da sitzt man nicht einfach rum und schaut Fernsehen. Man gibt sich aber definitiv nichts vor was man "will", das wäre das Gegenteil dieser Schule.
carstenm
08-07-2020, 17:57
Es ist absolut klassisch und vor allem sehr viel konkreter in seinen Übungen ... Genau dieser Anfang im Konkreten verbunden mit einer "didakitsche Klarheit" ist es vor allem, die mich fasziniert, seit ich damals mit dem Üben begonnen habe. Zumal ich das Glück habe, daß ich eine Lehrerin gefunden habe (auch in England übrigens), die ich im Unterricht tatsächlich "hörenundverstehen" kann. Ist eben nich fluffy puffy, sondern sehr klar, mit dem Ansatz in der unmittelbaren, körperlichen - und dann auch geistigen - Erfahrung. Und mit klar benennbaren Entwicklungsschritten.
Im Neidan geht es, wie ich (oder auch Julian) schon schrieb um intrapersonelle Vorgänge und damit verbunden auch spezielle Körperarbeit. Ja. So kenne ich es.
Diese Vorgänge hatten in China spezielle Begriffe und standen in direkten Kontext mit dem Weltbild (also der Erklärung der Vorgänge um einen herum).Ich arbeite seit einiger Zeit daran, biblische Texte von dem konkreten daoistischen Üben und dessen weltanschaulichem her zu befragen. Das ist außerordentlich interressant für ein neues Verständnis der Texte. Finde ich jedenfalls. Zumal wenn man sich bewußt macht, daß es um die Zeitenwende herum enge Kontakte zwischen beiden Traditionen gegeben hat. Und daß sich in China seit dem 7. Jahrhundert daoistisch-christliche Gemeinden etabliert hatten. Die durchaus auch in den europäischen Raum ausgestrahlt haben.
Man muss die daoistischen Prinzipien halt immer relativ sehen und sie harmonisieren. Tathata, Dharmakaya oder auch Dharmadhatu dienten da zum verständlichmachen verstimmter Kernelemente, die auch im Daoismus beschrieben werden (ganz der Idee der philosophia perennis folgend).
Daoismus und Buddhismus haben sich halt oft vermischt und ergänzt.Die buddhistischen Aspekte sind ja ausdrücklich Bestandteil unserer Schule. Werden allerdings aktiv erst in einem fortgeschritteren Stadium als dem meinen unterrichtet. Allerdings scheint mein bisheriges Üben dort ganz gut aufgehoben.
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