Zitat:
Titel: Ausrichtung im Shotokan
Beitrag von: Gibukai am Oktober 15, 2007, 09:19:43
Hallo,
[...] Hier möchte ich einmal einen anderen Gedanken, der mit dem Training zusammenhängt, aufwerfen. Durch das Training im Karate soll ja mein Körper in einer ganz bestimmten Weise ausgebildet und so weit es geht an ein mir im Kopf hängendes Idealbild angenähert werden. Dieses Idealbild ist dann – vorausgesetzt, mein Übungsziel ist kämpferischer Natur, denn nur darüber schreibe ich hier – ein für den Kampf tauglicher Körper. Wahrscheinlich hat nun jeder sein persönliches Idealbild, das ihm da in den Sinn kommt.
Im Shōtōkan (1938-1945) war Yoshitaka, der dritte Sohn G. Funakoshis, direkt hinter seinem Vater die technische Instanz schlechthin. Er forderte seine Schüler häufig auf, wie eine Katze zu werden. Die Katze ist also das Idealbild, dem ich mich durch mein Training annähern werde, falls ich gedenke, mich als Anhänger der Shōtōkan-Strömung zu betrachten.
(Nur um einem vorzubeugen, damit ist nicht gemeint, daß Shōtōkan-Karate ein „Tigerstil“ ist, weil es so ein Markenzeichen mit einem Tiger gibt.)
Wenn ich mir nun Vertreter der Shōtōkan-Strömung betrachte, sehe ich persönlich in vielen Fällen alles, nur keine „Katzen“. Innerhalb des JKA-Shōtōkan fällt mir im Grunde nur eine einzige Person ein, die irgendwo diesem „Katzenkörperbild“ entspricht.
Falls ich mich diesem Bild unterwerfen möchte, muß mein Training darauf ausgerichtet sein. Welchem Ziel kann ich mich aber durch ein „hirntotes Bahnen schrubben“ und ein Wiederholen von Kata-Abläufen ohne zu denken (der Zen-Einfluß!) annähern? Die Antwort ist einfach – keinem kämpferischen Ziel! Diese Art des Trainings entstammt klar zwei unterschiedlichen Denkansätzen, die, wenn man sie kennt, ganz andere Ziele verfolgen. Als erstes haben wir den preußischen Drill, der über Itosu und später die japanischen Studentenklubs die Trainingsmethode im Karate durchtränkte und heute bestimmt. Dabei war das Ziel das Funktionieren in einer militärischen Formation. Als zweiter Punkt kommt das, was ich „Sodoku-Denken“ nenne, ins Spiel. Sodoku war die gebräuchliche Form des Lernens im edozeitlichen Japan (1603-1867). Dabei wurde eine Textstelle immer und immer wieder herunter gerasselt und Ziel war eine charakterliche Formung des Schülers. Man nahm an, daß er mittels dieser Methode zum „Durchhalten“ erzogen und so seine Tugend genährt werden würde. Da die okinawanischen Lehrmeister aus diesem Umfeld stammten, sah häufig auch ihre Lehrmethode so aus.
Nun ist es ja nicht schlecht, wenn ich mich zu einem tugendhaften Menschen entwickle, der auch noch in einer Armee gut funktionieren kann. Allerdings ist in meinem Fall das Ziel ein anderes. Wenn sich mein Ziel und mein Training nicht im Einklang miteinander befinden, habe ich gegebenenfalls ein kleineres Problem. Es gibt natürlich auch die Träumer, die zwar das Problem erkennen, aber felsenfest daran glauben, das ersehnte Ziel mit einer völlig untauglichen Trainingsmethode zu erlangen, irgendwann... Für mich ist die einzige Lösung ein radikales Überdenken der „traditionellen“ Übungsmethoden, die ja so „traditionell“ gar nicht sind.
G. Funakoshis Unterrichtsmodel war natürlich von diesem Drill-Sodoku-Gedanken geprägt. Aber er schreibt selbst sehr, sehr deutlich, daß das eben nicht alles ist (vgl. seine Texte „Karate-Fieber“ und „Seikan“). Nur ist es so, daß viele seiner Schüler, die später selber Lehrmeister wurden, auf Grund einer eher kurzen Lernzeit auf dieser Stufe hängengeblieben sind.
Meiner Meinung nach, kann ein kämpferisch ausgerichtetes Training nur im kleinen Rahmen stattfinden. Je größer die Gruppe ist, desto breiter gefächert sind auch die individuellen Vorstellungen von dem, was erreicht werden soll (mal abgesehen von denen, die einfach nur da sind, um da zu sein...). Erinnern wir uns daran, daß vor A. Itosu der Unterricht im Karate eins zu eins stattfand, manchmal auch in sehr kleinen Grüppchen. Kann man sagen, je größer die Gruppe, desto geringer die Trainingsqualität?
Wenn ich mit zwei, vielleicht drei Personen trainiere, die von sich aus auf dasselbe Ziel ausgerichtet sind wie ich, ist für mich persönlich ein optimales Trainingsumfeld gegeben. Um zu dieser „Erkenntnis“ zu gelangen, mußte ich mir ein paar Fragen stellen: Ist mein Training auf ein Ziel ausgerichtet? Wie sieht dieses Ziel aus? Steht dem Erreichen dieses Ziels irgend etwas im Wege? Und was zur Hölle meint er damit, man soll wie eine Katze werden?
Grüße,
Henning Wittwer
(