Zitat:
Eigentlich kümmert sich Cihan Çelik als Pneumologe um schwere Fälle auf der Covid-Station des Klinikums Darmstadt. Plötzlich wurde er selbst zum Patienten – und fand sich auf der Intensivstation wieder. Das erste Interview nach seiner Erkrankung.
Herr Doktor Çelik, seit Anfang Mai haben Sie uns regelmäßig von Ihrer Arbeit als Funktionsoberarzt auf der Isolierstation für Covid-19-Kranke im Klinikum Darmstadt berichtet. Vor zwei Wochen sind Sie selbst positiv getestet worden. Wie geht es Ihnen?
Ich bin dabei, mich von den Strapazen einer Intensivtherapie und eines Krankenhausaufenthalts zu erholen. Das geht nicht spurlos an einem vorbei. Ich fühle mich immer noch schwach, der Kreislauf macht Probleme. Wegen der häuslichen Isolation kann ich ihn nicht durch Spaziergänge in Schwung bringen. Und ich höre natürlich tief in mich hinein, gerade weil ich weiß, worauf ich zu achten habe. Insgesamt geht es mir aber deutlich besser. Ich habe eine große Anteilnahme erfahren und Freunde und Familie, die sich sehr gut um mich kümmern.
Wie hat Ihre Erkrankung begonnen?
Ich habe vor zwei Wochen in der Nacht von Freitag auf Samstag so starke Kopfschmerzen bekommen, dass ich davon wach wurde, was sehr untypisch ist, auch für Covid. Dennoch hat mich das sehr irritiert – auch in dem Wissen, dass ich in der Woche vorher eine Risikobegegnung aufgrund eines medizinischen Notfalls auf der Station hatte. Deswegen habe ich noch stärker als sonst auf Symptome geachtet. Ich bekam dann noch in der Nacht Fieberschübe, am nächsten Tag wurde ich positiv getestet.
(...)
Wie ging es weiter, nachdem Sie positiv getestet wurden?
Bei meinem Krankheitsverlauf war vieles sehr untypisch. Ich bin 34 Jahre alt, bei jüngeren Menschen ohne Vorerkrankungen verläuft diese Krankheit mit großer Wahrscheinlichkeit eher milde. Aber ich habe es immer wieder gesagt: Es gibt dafür keine Garantie, der Einzelne passt nicht immer in die Statistik. Das musste ich jetzt auch erfahren. Mein Allgemeinzustand hat sich innerhalb von drei Tagen massiv verschlechtert, ich hatte hohes Fieber und Husten mit starkem Auswurf. Dann kam es zu einer Covid-Komplikation in meiner Lunge, die dazu geführt hat, dass sich mein Zustand innerhalb von wenigen Stunden so verschlechtert hat, dass ich am Montag auf die Intensivstation musste – also drei Tage nach Symptombeginn. Effektiv stand nur noch ein Lungenflügel zur Belüftung bereit. Der andere Lungenflügel war durch einen großen bakteriellen Infekt mehr oder weniger außer Gefecht gesetzt. Das war nicht das typische Bild einer Covid-Lungenerkrankung, aber Covid hat dazu geführt, dass sich eine bakterielle Superinfektion auf die Lunge draufgesetzt hat.
Hat es die Angst vergrößert, dass Sie die Krankheit so gut kennen?
Ich war in einem Zustand, in dem ich mir über Angst nicht mehr viele Gedanken machen konnte. Aber an der Reaktion meiner Kollegen, die mich ganz hervorragend betreut haben, war zu merken, dass es sich um einen sehr besonderen und sehr schweren Verlauf handelte, mit dem selbst auf der Intensivstation niemand gerechnet hat. Das hat viele Kollegen überrascht und schockiert – mich auch. Zum Glück hat sich eine deutliche Verbesserung gezeigt, nachdem wir mit einer starken medikamentösen Therapie begonnen haben. Und dann kam eben dazu, dass ich jung bin und keine Vorerkrankungen habe. Da kann sich die Lunge relativ schnell von so einer Entzündung erholen.
Es ging Ihnen so schlecht, dass Sie keine Angst hatten?
Wenn man im Krankenhaus arbeitet, kennt man das: Patienten, denen es wirklich schlecht geht, verfallen in eine Art Apathie mit starrem Blick. Man ist regungslos und emotionslos, dieses Gefühl hatte ich. Das ist eine Art Selbstschutz. Erst ein paar Tage später habe ich im Gespräch mit einer Kollegin, die sich im Nachtdienst um mich gekümmert hat, aufgearbeitet, was das tatsächlich für eine brenzlige Situation war.
Kam es vielleicht zu so einem schweren Verlauf, weil Sie besonders viele Viren abbekommen haben?
So etwas ist grundsätzlich möglich, aber es passt nicht zu dem Verlauf, den ich hatte. Der schwere Verlauf war vor allem durch die bakterielle Infektion bedingt. Das war eine Komplikation von Covid-19, aber keine covidtypische Lungenentzündung.
Hat die eigene Betroffenheit Ihren Blick auf die Krankheit verändert?
Ich wünschte, man brauchte den persönlichen Eindruck nicht. Aber es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass es den Blick noch mal schärft, wenn man wie ich einen wirklich lebensgefährlichen Verlauf durchgemacht hat. Man möchte diese Krankheit fernhalten von den Patienten, die man betreut, und den Menschen, denen man nahesteht. Es reicht mir jetzt weniger denn je aus, mich auf Statistiken über milde Verläufe zu verlassen. Auch wenn mein Verlauf eine Besonderheit war, macht ihn das nicht weniger real.
Wie groß ist Ihre Sorge, dass die Kapazitäten an Grenzen kommen?
Wir sind schon wieder in dem Modus, dass aufschiebbare und planbare Eingriffe teilweise verschoben werden müssen, damit wir die Akutversorgung von normalen Patienten und die Notfallversorgung von Covid-Patienten sicherstellen können. Wir laufen dem Infektionsgeschehen deutlich hinterher – und müssen uns dringend wieder etwas Luft verschaffen. Die aktuellen Infektionszahlen werden erst in zehn Tagen zu behandlungspflichtigen Fällen. Und der Altersdurchschnitt der Erkrankten steigt, das wird zu mehr schweren Verläufen führen. Diese ganze Theorie, über die wir seit Wochen und Monaten reden, kommt gerade voll in der Realität an.
(...)
Ganzes Interview unter: