Übrigens sehr interessant, man bekommt unten ja vom KKB immer andere Threads vorgeschlagen und hier gab es 2006, also schon vor fast 20 Jahren, ausufernde Diskussionen zum Thema Jugendgewalt, Ethnie, usw. inkl. Verschiebungen in den Politikteil. Also alles beim Alten :D
Jedenfalls habe ich einen Beitrag des gelöschten Users "Christoph" von 31.10.2006 gefunden, der aus einer Studie "Junge Türken als Täter und Opfer von Gewalt" zitiert. Werde den Beitrag mal komplett kopieren, der kursive Text ist von Christoph und die Quotes sind aus der Studie.
Zunächst die Quelle (aus dem Jahr 2000):
https://kfn.de/wp-content/uploads/Fo...chte/FB_81.pdf
Beitrag von Christoph:
Um die Studie nicht verzerrt darzustellen muss man allerdings auch folgendes berücksichtigen:
Abbildung 2: Sozioökonomische Lebenslage Jugendlicher nach ethnischer Herkunft
Zitat:
Die Folgerung lautet: Je besser die soziale Integration der jungen Türken und ihrer Familien gelingt, umso niedriger müsste ihre Gewaltrate ausfallen. Genau das bestätigen unsere Daten. Den jungen Türken geht es danach am besten in München, am schlechtesten in Hamburg und Schwäbisch Gmünd. Während in München beispielsweise nur 8,1 % der Eltern türkischer Jugendlicher arbeitslos sind oder von Sozialhilfe leben, sind es in Schwäbisch Gmünd 20,4 % und in Hamburg 24 %. In München besuchen immerhin 15,1 % der jungen Türken das Gymnasium, in Hamburg 8,4 % und in Schwäbisch Gmünd gar nur 4,1 %. Es überrascht nicht, dass sich im Vergleich der Städte zur selbst berichteten Täterrate der jungen Türken erhebliche Unterschiede zeigen. Die höchste Quote erreicht hier Schwäbisch Gmünd mit 40,9 %. In Hamburg sind es 33,1 %, in München dagegen nur 24,1 %. Damit ergibt sich zwar auch in München für die jungen Türken noch eine deutlich höhere Quote als für die gleichaltrigen Deutschen (17,9 %), der Abstand fällt hier aber weit geringer aus als in den anderen Städten.
Für das Hineinwachsen der jungen Migranten in unsere Gesellschaft hat möglicherweise auch Bedeutung, in welchem Ausmaß sich diese in ihrer Umwelt akzeptiert sehen. Wir haben deshalb Fragen dazu gestellt, ob die ausländischen Jugendlichen sich von gleichaltrigen Deutschen abgelehnt fühlen und welches Ausmaß die Fremdenfeindlichkeit unter den deutschen Schülern erreicht. Die regionalen Unterschiede sind hier nicht so klar ausgeprägt wie bei den sozialen Faktoren. Eines zeichnet sich jedoch deutlich ab. Die Stadt Schwäbisch Gmünd liegt beide Male in der Spitzengruppe und auch für Hamburg ergibt sich insgesamt betrachtet kein günstiges Bild. München dagegen fällt durch die niedrigste Rate von jungen Ausländern auf, die sich wegen ihrer Nationalität abgelehnt fühlen. Die oben dargestellten regionalen Unterschiede der Gewaltrate junger Migranten hängen also offenbar auch mit dem Grad der Akzeptanz zusammen, die sie in ihrer Umwelt erfahren.
allerdings
Zitat:
Die bisher dargestellten Erkenntnisse könnten zu der Annahme verleiten, wir hätten damit bereits ausreichende Antworten auf die eingangs gestellten Fragen gefunden. Dann aber dürften sich im Vergleich der Gewaltraten der Jugendlichen, die sozial relativ privilegiert aufwachsen, nur geringe Unterschiede zeigen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Zwar verringert sich der Abstand etwas. Aber immer noch dominieren die jungen Türken mit einer im Vergleich zu den Deutschen etwa doppelt so hohen Rate (22,9 % zu 11,1 %). Es folgen die Jugendlichen aus dem früheren Jugoslawien mit deutlichem Abstand vor den anderen ethnischen Gruppen. Es muss also noch andere Belastungsfaktoren geben, die besonders bei türkischen Jugendlichen zum Tragen kommen. Die Sozialisationsforschung weist hier den Weg. Sie hat schon seit Jahrzehnten Befunde dazu vorgelegt, dass die Erfahrung innerfamiliärer Gewalt prägenden Einfluss auf das Verhalten von jungen Menschen hat. Die 16.000 Jugendlichen haben wir deshalb auch dazu gefragt, ob sie in ihrer Kindheit oder im letzten Jahr Opfer von massiver körperlicher Gewalt ihrer Eltern geworden waren und ob sie ferner im Laufe der letzten zwölf Monate beobachtet haben, dass die Eltern sich untereinander geschlagen hatten.
...
Zitat:
Etwas anderes gilt allerdings für männliche türkische Jugendliche. Wenn man auch bei ihnen die sozialen Faktoren kontrolliert, verringert sich im Vergleich zu den Deutschen zwar der Abstand in der Gewaltrate. Es bleibt aber dabei, dass männliche türkische Jugendliche mehr als doppelt so oft Mehrfachtäter von Gewalt sind wie Deutsche. Wir deuten das so: Ein beachtlicher Teil von ihnen ist stark durch ein traditionelles Männlichkeitskonzept geprägt, das sie in ihrer familiären und kulturellen Sozialisation erlernen und das ihre Gewaltbereitschaft deutlich erhöht. Die Forschungsergebnisse sehen wir damit als Ausdruck eines Kulturkonfliktes, der sich insbesondere für solche türkischen Familien ergibt, die sich nach der Einwanderung in Deutschland stark an diesen traditionellen Rollenmustern für Männer und Frauen orientieren. Dort wird die Vorherrschaft des Vaters, der den Gehorsam der Familienmitglieder notfalls mit Gewalt einfordern darf, zum Ausgangspunkt dafür, dass die Söhne in ihrer neuen Heimat in massive Gewaltkonflikte geraten.
Diese These wird durch einen weiteren Forschungsbefund gestützt, der auf den ersten Blick überrascht. Je länger die Aufenthaltsdauer der türkischen Jugendlichen in Deutschland ist, umso häufiger haben sie im letzten Jahr vor der Befragung Gewalttaten begangen. Am höchsten fällt die Gewaltrate bei denen aus, die in Deutschland geboren sind. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei den anderen ethnischen Gruppen. Aus unserer Sicht bieten sich hierfür zwei Erklärungen an. Zum einen sind junge Einwanderer in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft offenbar noch gewillt, Nachteile in Kauf zu nehmen. Je länger sie nun in Deutschland leben, umso mehr entstehen in ihren Köpfen deutsche Ansprüche, denen häufig keine deutschen Chancen gegenüberstehen. Diese Enttäuschung und die frustrierende Erfahrung, dass Wünsche und Realisierungsmöglichkeiten weit auseinanderklaffen, wird von manchen mit Gewalttaten beantwortet.
Zum anderen ist aber auch zu beachten, dass nach unseren Daten sowohl die Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen als auch die Häufigkeit von gewalttätigen Auseinandersetzungen unter den Eltern steigen, je länger die Migranten in Deutschland leben. Wir interpretieren dies als Ausdruck davon, dass traditionell strukturierte türkische Familien in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft in Deutschland noch einen starken Zusammenhalt haben. Die Dominanz des Vaters scheint hier noch ungebrochen. Mit wachsender Aufenthaltsdauer treten dann aber offenbar Probleme auf. Die Gründe hierfür können vielfältig sein. Da will sich der Sohn in seiner Lebensführung nicht mehr strikt an die Traditionen des Herkunftslandes halten. Die Tochter möchte sich wie ihre deutsche Schulkameradinnen schminken, kleiden und in die Disko gehen oder verliebt sich gar in einen Deutschen. Und manche Mütter stellen sich bei derartigen Streitfragen auf einmal auf die Seite der Kinder. Beachtung verdient ferner, dass die Kinder die deutsche Sprache erheblich schneller erlernen als ihre Eltern und sich auch deswegen nach einigen Jahren in der neuen Welt besser zurechtfinden. In hierarchisch strukturierten Familien können auch daraus Spannungen erwachsen, wenn insbesondere der Vater sich damit schwer tut, dass die Kinder vieles besser wissen als er und ihm nach einiger Zeit insoweit an sozialer Kompetenz überlegen sind. Und schließlich spielt möglicherweise eine gewichtige Rolle, dass nach unseren Daten türkische Familien die mit Abstand niedrigste Scheidungsrate aufweisen (7 %). Offenkundig führen hier selbst lang anhaltende und massive Konflikte zwischen den Eltern nur höchst selten zur Trennung mit der Folge, dass das Risiko der innerfamiliären Gewalt auch dadurch bedingt im Laufe der Zeit ansteigt.
...
Zitat:
* Der Befund, dass schlagende Väter zu einem problematischen Vorbild für ihre Söhne werden, ist klar belegt. Ebenso wichtig ist für die Debatte allerdings die empirisch genauso abgesicherte Erkenntnis, dass Mädchen durch das Erleiden und Beobachten von innerfamiliärer Gewalt die Opferrolle lernen. Eine Frau, die als Kind oder Jugendliche misshandelt worden ist und zusätzlich erlebt hat, dass die Mutter vom Vater massiv geschlagen wurde, hat ein zehnmal höheres Risiko, an einen gewalttätigen Partner zu geraten als eine Frau ohne derartig belastende Sozialisationserfahrungen.
* Eltern, die ihre Kinder massiv schlagen, reduzieren damit erheblich deren soziale Kompetenz und ihre Erfolgschancen in Schule und Beruf. Gewalterfahrungen in der Familie wirken sich zum einen negativ auf das Selbstwertgefühl der Kinder aus. Sie führen zum anderen dazu, dass bei den Betroffenen die schulischen Leistungen deutlich sinken. Und schließlich verringern sie die Fähigkeit, bei Konflikten konstruktiv zu reagieren und das Verhalten anderer in derartigen Situationen richtig einzuschätzen.
* Eine demokratische Gesellschaft braucht Bürger, die Zivilcourage haben und bereit sind, sich für andere einzusetzen. Auch diese Bürgertugenden haben ihre Sozialisationsgeschichte. Dies belegt beispielsweise eine Untersuchung zur Biographie von Menschen, die in der Nazizeit Juden gerettet haben (Oliner/Oliner: "The Altruistic Personality"). Sie zeigt eines deutlich: Gewaltfreie Erziehung fördert den aufrechten Gang. Mutige und sozial engagierte Menschen wachsen am besten in Familien, in denen die Eltern liebevoll und nicht schlagend mit ihren Kindern umgehen.
Die bisherige Debatte, die wir dazu in Deutschland und in der Türkei geführt haben, hat uns allerdings eines deutlich gemacht. Selbst wenn es uns gelingen sollte, unter den Türken in Deutschland für diese Thesen engagierte Mitstreiter zu finden, wird das allein nicht ausreichen, eine Brücke der Verständigung zu denen herzustellen, die es angeht. Wir brauchen darüber hinaus eine Kultur der emotionalen Akzeptanz. Was damit gemeint ist, soll hier am Beispiel Schule gezeigt werden – einem Ort, an dem sich die verschiedenen ethnischen Gruppen intensiv begegnen. Es geht dabei um dieselbe Klasse, aus der der eingangs zitierte Schüler stammt.
Angesichts der häufigen und teilweise auch aggressiv ausgetragenen Konflikte in dieser Klasse mit ihrem hohen Anteil türkischer Kinder hat sich die Klassenlehrerin im letzten Jahr zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen. Sie hat mit der gesamten Klasse eine türkische Moschee besucht und anschließend alle Teilnehmer dieses im Unterricht gut vorbereiteten Experimentes gebeten, darüber einen Aufsatz zu schreiben. Die deutschen Kinder waren offenkundig von der orientalischen Pracht der Moschee und der Offenheit, mit der sie dort aufgenommen wurden, sehr beeindruckt. Dazu einige Zitate: "Als ich in die Moschee reinging, dachte ich, ich wäre in einem Palast. Ich fühlte mich reich. Ich fühlte mich wie der König von Deutschland. Ich war vom Teppich richtig verzaubert." "Wir durften Fragen stellen. Die Antworten waren sehr interessant... und wir durften auch mit denen beten, das war sehr schön." "Die Moslems haben eine gute Religion, auch wenn sie anders ist."
Die türkischen Kinder wiederum äußerten sich sehr erleichtert und stolz darüber, dass es den deutschen Schülerinnen und Schülern so gut gefallen hat: "Es war ein gutes Gefühl, den deutschen Kindern mal zu erklären, wie es in der Moschee ist und wie unsere Religion ist. Ich habe gehört, dass es ihnen auch sehr gut gefallen hat." "Ich dachte, dass die christlichen Kinder lachen oder etwas falsches machen. Da die es aber richtig und schön gemacht haben, habe ich tief Luft geholt vor Erleichterung. Denn ich wollte keinen schlechten Eindruck machen. ... Als eine Muslime war ich nach diesem guten Ereignis sehr stolz."
Anschließend besuchte die Lehrerin türkische Eltern, deren Kinder Schwierigkeiten in der Schule hatten. Dabei wurde offenkundig, dass der Besuch in der Moschee die Gesprächsbereitschaft auf der türkischen Seite sehr erhöhte. Die Lehrerin wurde durchweg freundlich aufgenommen und hatte es nun leichter, Probleme offen anzusprechen.
Am Beispiel dieser kleinen Geschichte wird exemplarisch deutlich, was geschehen muss, damit die Erkenntnisse des hier skizzierten Forschungsprojektes die angestrebten Veränderungen fördern können. Die nötige Debatte kann dann konstruktiv werden, wenn zunächst die türkische Seite das Gefühl hat, dass sie von den deutschen Gesprächspartnern in ihrer kulturellen Andersartigkeit akzeptiert wird. Wir Deutschen wiederum sollten nicht "die Türken" pauschal angreifen, sondern lediglich eine gemeinsame Debatte über bestimmte traditionelle Verhaltensmuster anstreben, die aus unserer Sicht die sozialen Chancen der jungen Türken in Deutschland gravierend mindern. Wenn dann noch ein engagiertes Bemühen hinzukommt, die eingangs beschriebenen sozialen Benachteiligungen der jungen Migranten abzubauen, bestehen gute Chancen dafür, dass sich die geschilderten Gewaltprobleme deutlich reduzieren.
Ich halte diese Studie für ein hervorragendes Beispiel wie man seriöse Sozialforschung zu diesem Thema betreiben kann. Die Autoren setzen keine politisch korrekten Scheuklappen auf, und geben dennoch praktische Lösungsansätze an die Hand. Natürlich ist auch mit einer solchen Studie noch nicht das letzte Wort gesprochen aber das ist mal eine vernünftige Diskussionsgrundlage.
Ich finde es sehr schade das derartige Erkenntnisse schon so lange bestehen aber angesichts der scheinbaren Gewalteskalation einfach zu wenig Konkretes zur Lösung passiert ist.