* Der Befund, dass schlagende Väter zu einem problematischen Vorbild für ihre Söhne werden, ist klar belegt. Ebenso wichtig ist für die Debatte allerdings die empirisch genauso abgesicherte Erkenntnis, dass Mädchen durch das Erleiden und Beobachten von innerfamiliärer Gewalt die Opferrolle lernen. Eine Frau, die als Kind oder Jugendliche misshandelt worden ist und zusätzlich erlebt hat, dass die Mutter vom Vater massiv geschlagen wurde, hat ein zehnmal höheres Risiko, an einen gewalttätigen Partner zu geraten als eine Frau ohne derartig belastende Sozialisationserfahrungen.
* Eltern, die ihre Kinder massiv schlagen, reduzieren damit erheblich deren soziale Kompetenz und ihre Erfolgschancen in Schule und Beruf. Gewalterfahrungen in der Familie wirken sich zum einen negativ auf das Selbstwertgefühl der Kinder aus. Sie führen zum anderen dazu, dass bei den Betroffenen die schulischen Leistungen deutlich sinken. Und schließlich verringern sie die Fähigkeit, bei Konflikten konstruktiv zu reagieren und das Verhalten anderer in derartigen Situationen richtig einzuschätzen.
* Eine demokratische Gesellschaft braucht Bürger, die Zivilcourage haben und bereit sind, sich für andere einzusetzen. Auch diese Bürgertugenden haben ihre Sozialisationsgeschichte. Dies belegt beispielsweise eine Untersuchung zur Biographie von Menschen, die in der Nazizeit Juden gerettet haben (Oliner/Oliner: "The Altruistic Personality"). Sie zeigt eines deutlich: Gewaltfreie Erziehung fördert den aufrechten Gang. Mutige und sozial engagierte Menschen wachsen am besten in Familien, in denen die Eltern liebevoll und nicht schlagend mit ihren Kindern umgehen.
Die bisherige Debatte, die wir dazu in Deutschland und in der Türkei geführt haben, hat uns allerdings eines deutlich gemacht. Selbst wenn es uns gelingen sollte, unter den Türken in Deutschland für diese Thesen engagierte Mitstreiter zu finden, wird das allein nicht ausreichen, eine Brücke der Verständigung zu denen herzustellen, die es angeht. Wir brauchen darüber hinaus eine Kultur der emotionalen Akzeptanz. Was damit gemeint ist, soll hier am Beispiel Schule gezeigt werden – einem Ort, an dem sich die verschiedenen ethnischen Gruppen intensiv begegnen. Es geht dabei um dieselbe Klasse, aus der der eingangs zitierte Schüler stammt.
Angesichts der häufigen und teilweise auch aggressiv ausgetragenen Konflikte in dieser Klasse mit ihrem hohen Anteil türkischer Kinder hat sich die Klassenlehrerin im letzten Jahr zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen. Sie hat mit der gesamten Klasse eine türkische Moschee besucht und anschließend alle Teilnehmer dieses im Unterricht gut vorbereiteten Experimentes gebeten, darüber einen Aufsatz zu schreiben. Die deutschen Kinder waren offenkundig von der orientalischen Pracht der Moschee und der Offenheit, mit der sie dort aufgenommen wurden, sehr beeindruckt. Dazu einige Zitate: "Als ich in die Moschee reinging, dachte ich, ich wäre in einem Palast. Ich fühlte mich reich. Ich fühlte mich wie der König von Deutschland. Ich war vom Teppich richtig verzaubert." "Wir durften Fragen stellen. Die Antworten waren sehr interessant... und wir durften auch mit denen beten, das war sehr schön." "Die Moslems haben eine gute Religion, auch wenn sie anders ist."
Die türkischen Kinder wiederum äußerten sich sehr erleichtert und stolz darüber, dass es den deutschen Schülerinnen und Schülern so gut gefallen hat: "Es war ein gutes Gefühl, den deutschen Kindern mal zu erklären, wie es in der Moschee ist und wie unsere Religion ist. Ich habe gehört, dass es ihnen auch sehr gut gefallen hat." "Ich dachte, dass die christlichen Kinder lachen oder etwas falsches machen. Da die es aber richtig und schön gemacht haben, habe ich tief Luft geholt vor Erleichterung. Denn ich wollte keinen schlechten Eindruck machen. ... Als eine Muslime war ich nach diesem guten Ereignis sehr stolz."
Anschließend besuchte die Lehrerin türkische Eltern, deren Kinder Schwierigkeiten in der Schule hatten. Dabei wurde offenkundig, dass der Besuch in der Moschee die Gesprächsbereitschaft auf der türkischen Seite sehr erhöhte. Die Lehrerin wurde durchweg freundlich aufgenommen und hatte es nun leichter, Probleme offen anzusprechen.
Am Beispiel dieser kleinen Geschichte wird exemplarisch deutlich, was geschehen muss, damit die Erkenntnisse des hier skizzierten Forschungsprojektes die angestrebten Veränderungen fördern können. Die nötige Debatte kann dann konstruktiv werden, wenn zunächst die türkische Seite das Gefühl hat, dass sie von den deutschen Gesprächspartnern in ihrer kulturellen Andersartigkeit akzeptiert wird. Wir Deutschen wiederum sollten nicht "die Türken" pauschal angreifen, sondern lediglich eine gemeinsame Debatte über bestimmte traditionelle Verhaltensmuster anstreben, die aus unserer Sicht die sozialen Chancen der jungen Türken in Deutschland gravierend mindern. Wenn dann noch ein engagiertes Bemühen hinzukommt, die eingangs beschriebenen sozialen Benachteiligungen der jungen Migranten abzubauen, bestehen gute Chancen dafür, dass sich die geschilderten Gewaltprobleme deutlich reduzieren.