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Impfstoffe sind das wirksamste pharmazeutische Mittel zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie. Während die Mehrheit (etwa 65 %) der deutschen Bevölkerung vollständig geimpft war, begann die Inzidenz im Oktober 2021 exponentiell anzusteigen, wobei etwa 41 % der gemeldeten neuen Fälle im Alter von zwölf Jahren oder älter symptomatische Durchbruchsinfektionen waren, was vermutlich ebenfalls zur Dynamik beitrug. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist nicht klar, (i) wie groß dieser Beitrag ist und (ii) ob gezielte nicht-pharmazeutische Interventionen (NPIs) die Verstärkung der anhaltenden Krise stoppen können. Wir schätzen, dass etwa 67 % bis 76 % aller Neuinfektionen von ungeimpften Personen verursacht werden, was bedeutet, dass nur 24 % bis 33 % von geimpften Personen verursacht werden. Darüber hinaus gehen wir davon aus, dass 38 % bis 51 % der Neuinfektionen durch ungeimpfte Personen verursacht werden, die andere ungeimpfte Personen anstecken. Insgesamt dürften ungeimpfte Personen an 8-9 von 10 Neuinfektionen beteiligt sein. Wir zeigen außerdem, dass die Verringerung der Übertragbarkeit von Ungeimpften, z. B. durch gezielte NPIs, zu einem stärkeren Rückgang der effektiven Reproduktionszahl ℛ führt als die Verringerung der Übertragbarkeit von Geimpften, was zu einer vorübergehenden Kontrolle der Epidemie führen könnte. Darüber hinaus führt die Verringerung der Kontakte zwischen geimpften und nicht geimpften Personen zu einer ähnlichen Verringerung von ℛ wie die Erhöhung der Impfstoffausschöpfung. Insgesamt leisten unsere Ergebnisse einen Beitrag zum öffentlichen Diskurs über politische Veränderungen bei der Pandemiebekämpfung und unterstreichen die Bedeutung kombinierter Maßnahmen wie Impfkampagnen und Kontaktreduzierung, um die Epidemie unter Kontrolle zu bringen und eine Überlastung der öffentlichen Gesundheitssysteme zu verhindern.
Der Autor der Studie ist Prof. Dirk Brockmann:
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Dirk Brockmann ist Professor am Institut für Biologie der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 2007-2013 war er Professor für Angewandte Mathematik an der Northwestern University. An der Northwestern University gehörte er zum Lehrkörper des Northwestern Institute on Complex Systems, wo er immer noch eine externe Fakultätsposition innehat.
Der ausgebildete theoretische Physiker konzentriert sich in seiner Forschung auf komplexe Systeme an der Schnittstelle von Physik, Lebens- und Sozialwissenschaften. Sein besonderes Interesse gilt der Anwendung der Theorie dynamischer Systeme, stochastischer Prozesse und der Netzwerkwissenschaft auf die Dynamik von Infektionskrankheiten und damit verbundenen Ansteckungsprozessen. In diesem Zusammenhang untersucht er derzeit dynamische Prozesse in zeitabhängigen Netzwerken, komplexe Ansteckungsprozesse und das Entstehen von Kooperation in evolutionären Prozessen. Er ist bekannt für seine Arbeiten zur menschlichen Mobilität und deren Rolle bei der globalen Ausbreitung von Infektionskrankheiten.
Dirk Brockmann ist Mitglied des Instituts für Theoretische Biologie sowie des Integrierten Forschungsinstituts für Biowissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Außerdem ist er Leiter der Projektgruppe Computational Epidemiology am Robert Koch-Institut, dem Bundesinstitut für Gesundheit.
2017 rief er das Projekt Complexity Explorables ins Leben, eine Sammlung interaktiver Illustrationen zu komplexen Systemen, die ständig um neue Beispiele erweitert wird und sich an Lehrer, Ausbilder und Menschen richtet, die ein intuitives Verständnis für die Schönheit komplexer dynamischer Prozesse in der Natur gewinnen wollen.